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Verlag von C. L. Hirschfeld« Leipzig.
Qraiidcahl (U/.) X SchlQgsolzaitl =s Ladenpreis.
ScblaBael/.ahl des BOrarnverelii.
Hand- u. Lehrbuch der Staatswissenschaften
in selbstäudigen Bänden, begründet von weil. Dr. Kuno Frankenstein,
fortgesetzt von weil. Dr. Max von Heckel.
Bis jetzt sind er.schienen:
I. Abteilung: Volkswirtschaftslehre.
Lehr, weil. Prof. Dr. Julius, Die Grundbegriffe der Nationalökonomie. 2. Aufl. vou Pri)f.
Dr. Max von Heckel Gz broscb. 7
Oncken, weil. Prof. Dr. August, Geschichte der Nationalökonomie. I. Teil: Die Zeit vor
.\dam Smith. :<. Auflage Gz broscb. 14
Adler, weil. Prof. Dr. G., Geschichte des Soziaiismus und Kommunismus von Plato bis
zur Gegenwart. I Teil. 3. Aiift. Gz broscli. 7
Lehr, weil. Prof. Dr. Julius und Frankenstein, weil. Dr. Kuno, Produktion und Konsum-
tion in der Volkswirtschaft Gz broscb. ü
Kleinwächter, k. k. Hofrat, Prof Dr. Friedr., Das Einkommen und seine Verteilung
Gz broscb. 7
Fircks, A. Freiherr von, Geh. Regieningsrat, Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik
Gz broscb. !♦
van der Borght, Dr. R., Präsident a. D. des Kaiserl. Statistischen Amts. Das Verkehrs-
wesen. 2. Aufl Gz broscb. 15
Helfferich, Prof. Dr. K., Staatsminister a. D., M. d. R., Geld und Banken. I.Teil:
Das Geld. 6. Aufl Gz broscb. 20
Schwappach, Forstmeister, Prof. Dr. A., Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik
Gz broscb. 7,5
Arndt, Geh. Oberbergrat. Prof. Dr. A., Bergbau und Bergbaupolitik . . . . Gz broscb. 5
Stephan, r>r. R., kaiserl. Regierungsrat und Schmidt, Paul, Rechtsanwalt, Der Schutz
der gewerblichen Urheberrechte des In- und Auslandes .... Gz broscb. lo
Frankenstein, weil. Dr. Kuno, Der Arbeiterschutz, seine Theorie und Politik
Gz brosch. 8,5
van der Borght, Dr. R., Präsident a. D. des Statistischen Amts, Grundzüge der Sozial-
politik. 2. Auflage Gz brosch. 15
- Handel und Handelspolitik. 3. Auf! Gz brosch. 15
Brämer, H., V'erbaudssckretär und Brämer, Geh. Regiernngsrat K., Das Versicherungs-
wesen. (Vergriffen.)
Zimmermann, Dr. A., Kaiserl. Legationsrat a. D., Kolonialpolitik .... Gz broscb. 9
II. Abteilung: Finanzwissenschaft.
Vocke, Dr. W., kaiserl. Geh. Oberrechnungsrat a. D., Die Grundzüge der Finanzwissen-
schaft, [z. Zt. vergriffen.)
Schäffle, 1». A., k. k. Minister a. D, Die Steuern. Allgeni. Teil. . . . Gz. broscb. 8
— Die Steuern. Besonderer Teil Gz brosch. 12
von Heckel, weil. Prof. Dr. M., Das Budget . Gz brosch. 7
Kaufmann, weil. Geh. Reg. -Rat, Prof. Dr. R., Die Kommunalflnanzen . . . (W. broscb. It»
111. Abteilung: Staats- und Verwaltungslehre.
Schmidt, Prof. Dr. R., Geh. Hofrat, Allgemeine Staatslehre
I. Bd. Die gemeinsamen (Trundhigcn des politischen Lebens, (z. Zt. vergriffen.)
II. Bd. Die verschiedeneu Formen der Staatsbildung.
1. Die älteren Staatsgebilde Gz broscb. 12
y Die Entstehung der modernen Staat(>nwelt .... (iz iiroscb. 12
Petersilie, Dr. A., Prof. u. Mitgl. d. kgl. preiiÜ. statist. Bureaus in Berlin, Das öffentliche
Unterrichtswesen. M Bände Gz brosch. 15
Rapmund, l'i , Retricruugs- und (teh. Medizinalrat, Das öffentliche Gesundheitswesen.
Allgemeiner Teil Gz broscb. 7
Besonderer Teil Gz brosch. 15
Einbände werden besonders berechnet. - Jeder Band ist einzeln käuflich.
)' r c i • ft n <i e r u n K <* ■■ v <i r l> e h ii I t o n.
HAND- UND LEHRBUCH
DER
STAATS WISSENSCHAFTEN
IN SELBSTÄNDIGEN BÄNDEN
BEARBEITET VON
weil. Prof. Dr. G. Adler in Kiel, Geh. Oberbergrat Prof. Dr. A. Arndt in Königsberg,
Kaiserl. Präsident a. D. Dr. R. van der Borqht in Berlin, Geh. Reg.-Rat K. Brämer
in Berlin, weil. Verbaudssekr. H.Brämkr in Merseburg, weil. Geh. Reg.-Rat A.Freiherr
V. FiRCKS in Berlin, weil. Doz. Dr. K. Frankknstein in Berlin, Prof. Dr. C. Grünbero
in Wien, weil. Prof. Dr. M von Heckel in Münster, Prof. Dr. K. Helfferich, Staats-
minister a. D., ^l. d. R. in Berlin, weil. Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. R. von Kaufmann in
Berlin, k. k. Hofrat Prof. emer. Dr. F. von Kleenwächter in Czernowitz, weil. Prof.
Dr. J. Lehr in München, weil. Bibliothekar Dr. P. Lippert in Berlin, weil. Prof. Dr.
A. ONCia-:N in Schwerin in M., weil. Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. A. Petersilie in Berlin,
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. 0. Rapmund in Minden i. W., weil. k. k.
Minister D. A. Schäfkle in Stuttgart, Geh. Hofrat Prof. Dr. R. Schmidt in Leipzig,
Forstmeister Prof. Dr. A. Schwappach in Eberswalde, weil. Kaiserl. Geh. Reg.-Rat
Dr. R. Stepuhan in Berlin, weil. Justizrat Rechtsanwalt Paul Schmid in Berlin, Prof.
Dr. K. Thiess in Danzig-Langfuhr, weil. Kaiserl. Geh. Oborrechniingsrat a. D. Dr.
W. VocKE in Ansbach, Kaiserl. Legationsrat a. D. Dr. A. Zimmermann in Berlin.
BEGRÜNDET VON KUNO FRANKENSTEIN
FORTGESETZT VON
MAX VON HECKEL
Erste Abteilung: Volkswirtschaftslehre VIII. Band
GELD UND BANKEN
L TEIL: DAS GELD
von
DR. KARL HELFFERICH
Sechste, neubearbeitete Auflage
LEIPZIG
VEKLAG VON C. L. HIKSCHFELD
1928
1
'AI'Mfi
DAS GELD
Von
KARL HELFFERICH
Sechste, neabearbeitete Auflage
LEIPZIG
VERLAG VON C. L. HIHSCHFELÜ
1923
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright, 1923, by C. L. Hirscbfeld, Leipzig-.
Itrnck ▼on C. Schulze <t Co., G. m. b. H., Grftfenhainlchen.
Printed in Oermany.
yamaBy
Vorwort zur sechsten Auflage.
Als ich im Jahre 191U die zweite Auflage dieses Buches bearbeitete,
konnte ich feststellen, daß in den seit der Ausgabe der ersten Auflage
verflossenen sieben Jahre die Weiterentwicklung der tatsächlichen Ver-
hältnisse auf dem Gebiete des Geldwesens sich im großen Ganzen
innerhalb der seit längerer Zeit feststehenden Bahnen bewegt hatte, daß
aber auf dem Gebiet der Geldtheorie ein wichtiges Ereignis, das P2r-
scheinen des Werkes von G. F. Knapp über die „Staatliche Theorie
des Geldes" eine teilweise Neubearbeitung einzelner Abschnitte nötig
gemacht hatte.
Heute ist die Lage umgekehrt. Die zwölf Jahre seit der Neu-
bearbeitung meines Buches haben zwar die umfangreiche Literatur des
Geldwesens weiter erheblich vermehrt und im Einzelnen manche wert-
volle Bereicherung der Geldlehre gezeitigt; wichtiger aber als die
Fortschritte der Theorie sind dieses Mal die durch den Weltkrieg ver-
ursachten gewaltigen Aenderungen sowohl des Geldwesens der einzelnen
Länder als auch der internationalen Geldverfassung.
Die durch den Krieg ausgelöste Entwicklung ist noch im Fluß.
Gleichwohl habe ich geglaubt, jetzt nicht abermals, wie bei der dritten,
vierten und fünften Auflage, einen bis auf den statistischen Anhang un-
veränderten Neudruck herausgeben, sondern eine die neuere Entwicklung
berücksichtigende Neubearbeitung vornehmen zu sollen. Die Neu-
bearbeitung hat mich weiter geführt, als ursprünglich in meiner Ab-
sicht lag. Es hat sich die Notwendigkeit herausgestellt, dem Werke
einige ganz neue Abschnitte einzufügen: dem historischen Teil ein
7. Kapitel, das „die Entwicklung des Geldwesens seit dem Ausbruch
des Weltkrieges*' behandelt, dem theoretischen Teil ein 13. Kapitel,
das sich mit der „Gestaltung des Geldwertes von 1850 bis zur
Gegenwart" befaßt.
Ich habe mit diesen neuen Kapiteln zum ersten Male eine um-
fassende systematische Darstellung der gewaltigsten L'^niwälzung versucht,
die jemals auf dem Gebiete des Geldwesens der Welt eingetreten ist.
Aber die Neubearbeitung konnte sich nicht auf die lOrweiterung
des Buches durch diese neuen Kapitel beschränken. Die sich aus den
Erfahrungen der letzten Jahre ergebenden Erkenntnisse mußten die
gesamte Darstellung der Theorie des Geldes durchdringen, die durch
die lievolutionierung des (teldwesens aufgeworfenen Probleme volks-
wirtschaftlicher und rechtlicher Natur in das .System der Geldlehre hin-
eingearbeitet und am gegebenen l'latze behandelt werden.
YJ Vorwort.
Dem Werke in seiner neuen Gestalt gebe ich den Wunsch mit
auf den Weg, daß es sich in den Kreisen der Theorie und Praxis das
Interesse, das es in seinen früheren Auflagen während zweier Jahr-
zehnte gefunden hat. neu gewinnen und daß es zur Vertiefung der Er-
kenntnis auf einem Gebiet beitragen möchte, dessen zentrale Wichtigkeit
nicht nur für die \'olkswirtschaftslehre, sondern auch für das ganze
wirtschaftliche Leben durch die Ereignisse seit dem Ausbruch des
Weltkrieges für jedermann eindringlicher denn je zuvor klar gemacht
worden ist.
Berlin, im Mai 1923.
Karl Helfferich.
Vorwort zur ersten Auflage.
Ein zusammenfassendes Werk über das Geld bedarf zu seiner
Rechtfertigung kaum eines Begleitwortes. Die Entwicklung des Geld-
wesens während der letzten Jahrzehnte hat eine Reihe neuer Probleme
in Erscheinung treten lassen und auf manches alte Problem ein neues
Licht geworfen. Die Literatur über Einzelfragen des ganzen großen
Gebietes ist unter den Eindrücken dieser Entwicklung nahezu ins
Unübersehbare angewachsen. Ich selbst habe während einiger Jahre
meinen bescheidenen Teil zu dieser Literatur beigetragen, und der
Wunsch nach einer alle Seiten des Geldproblems behandelnden Dar-
stellung ist bei mir, je mehr ich mich mit dieser Materie beschäftigte,
desto mehr zu dem Bedürfnis geworden, die Ergebnisse meiner eignen
Studien in einer solchen Darstellung zusammenzufassen. Ich habe
deshalb, als mir der Herausgeber und der Verleger des Hand- und
Lehrbuches der Staats Wissenschaften gegen Ende des Jahre 1898 vor-
schlugen, die Bearbeitung der Bände über das Geld und die Banken
zu übernehmen, diesen Vorschlag bereitwilligst angenommen.
Freilich bin ich bei der Ausführung des verlockenden Gedankens
auf größere Schwierigkeiten — äußere und innere — gestoßen, als ich
erwartet hatte. Bald nach der Uebernahme der Arbeit war ich durch
gesundheitliche Gründe genötigt, längere Zeit außerhalb Deutschlands
und fern von anstrengender Tätigkeit zuzubringen. Dann wiesen mich
wissenschaftliche Interessen und meine Laufbahn auf handeis- und
kolonialpolitische Fragen hin; als ich im Oktober 1901 in die Kolonial-
Abteilung des Auswärtigen Amtes berufen wurde, war der Band über
daa Geld zum größeren Teil fertiggestellt, aber seine Vollendung
mußte bis zu meinem Herbsturlanb im Jahre 1902 vertagt werden.
Dazu kam, daß ich die Aufgabe selbst beträchtlich unterschätzt hatte.
Vorwort, \'ll
Es zeigte sich, daß die abgerundete uud alle Teile eines großen
Gebietes gleichmäßig durchdringende Darstellung, auch wenn man den
Stoff mit einiger V^ollständigkeit zu beherrschen glaubt, eine große
Arbeitsleistung erfordert; eine Anzahl von Einzelfrageu, an denen man
bisher vorbeigegangen ist, bleibt noch zu ergründen, eine Anzahl von
Brücken zwischen Teilgebieten bleibt noch zu schlagen, und vor allem
erfordert es Zeit und nochmals Zeit, bis man die eigne Kleinarbeit
innerlich hinreichend überwunden hat, um ihre Ergebnisse richtig
bewertet und am richtigen Ort in den großen Zusammenhang einreihen
zu können.
Der vorliegende Band erfordert seiner Natur nach eine Ergänzung
durch eine Darstellung des Bankwesens. Obwohl ich mich auch mit
dieser Materie eingehend befaßt und sie seit Jahren zum Gegenstand
von Vorlesungen gemacht habe, bin ich nach den bei der nunmehr
abgeschlossenen Arbeit gemachten Erfahrungen und bei den großen
Ansprüchen, welche meine Tätigkeit in der Kolonialverwaltung und
meine Vorlesungen an meine Arbeitskraft stellen, nicht imstande, einen
Termin für das Erscheinen des zweiten Bandes festsetzen zu können.
In Rücksicht darauf sind die unmittelbar mit dem Geldwesen in Zu-
sammenhang stehenden Fragen des Kredit- uud Bankwesens in dem
ersten Bande soweit mitbehandelt worden, daß dieser für sich allein
ein geschlossenes Ganzes darstellt.
Berlin, Anfang April 1903.
Karl Helfferich.
Vorwort zur zweiten Autlage.
In den sieben Jahren, die seit dem Erscheinen dieses Buches ver-
flossen sind, hat sich manches ereignet, was eine unveränderte Neu-
aasgabe nicht angängig erscheinen ließ.
Zunächst hat die Weiterentwicklung der tatsächlichen Verhältnisse
auf dem Gebiete des Geldwesens eine Fortführung der historischen und
statistischen Darstellung erforderlich gemacht.
Wichtiger als die Gestaltung der Tatsachen, die sich im großen
Ganzen innerhalb der bereits seit längerer Zeit feststehenden Bahnen
bewegte, ist ein Ereignis auf dem Gebiete der Geldtheorie: G. F.
Knapp 8 im Jahre 1905 ausgegebenes Buch „Die Staatliche Theorie
des Geldes''. Das Werk bedeutet, soweit die Analyse des staatlichen
Geldwesens in Betracht kommt, einen entscheidenden Fortschritt in der
Wissenschaft vom (lelde. V.8 gab dem Verfasser insbesondere Anlaß
zu einer teilwei^en Neubearbeitung des von der Geldverfassuug handeln-
yill Vorwort.
deu 111. Abschnitts des zweiten Buches. Auch da, wo die Auffassungen
Knapps abtrelehnt werden mußten, erschien vielfach eine Ausein-
andersetzung mit ihnen unabweisbar. Uebereinstimmung und Gegen-
sätzlichkeit werden sich also aus der vorliegenden Neubearbeitung, wie
ich glaube, mit hinreichender Klarheit ergeben.
Schließlich konnte die zweite Auflage nicht unbeeinflußt davon
bleiben, daß der Verfasser seit dem Erscheinen der ersten Auflage in
engere Berührung mit der Praxis des Geldverkehrs gekommen ist.
Wenn sich auch aus den praktischen Wahrnehmungen keine wesent-
lichen Korrekturen der Grundanschauungen ergaben, so hat doch hier
und dort das Bild der Zusammenhänge eine deutlichere Ausprägung
erfahren.
Ein baldiges Erscheinen des zweiten Bandes, enthaltend die
Darstellung des Bankwesens, kann ich leider bei der völligen Inan-
spruchnahme meiner Zeit durch meine .Berufsgeschäfte nicht in Aus-
sicht stellen.
Berlin, im Juli 1910.
Karl Helffericb.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1
Erstes Buch. Ciescliichtlicher Teil.
I. Abscbnltt. Die Enti>iokIaiigsgoscbichte des Geldes und der
Geldsysteme.
1. Kapitel. DieEntstehungdesGeldes 6
§ 1. Das fundamentale Unterscheidungsmerkmal von Geld und
Ware 5. — § 2. Die rationalistische Erklärung der Entstehung des
Geldes 7. — § 3, Die Ergehnisse der geschichtlichen Forschung über den
Ursprung des Geldes 8. — § 4. Die Edelmetalle als allgemeines Taiisch-
mittcl 18. — § 5. Die Erfindung der Münze 22. — § 6. Die Steigerung
dor Verwendharkeit der Edelmetalle zu Geldzwecken durch die Münz-
prägiang 26. — § 7. Die Verkörperung der Geldfunktion in der Münze 27.
— i; 8. Der Staat und die Münzprägung 30. — § 9. Die Ausgestaltung
des Geldbegriffs aufgrund der Münze 32.
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsysteme . 36
§ 1. Die Münzsorteu 36. — § 2. Das Sortengeld 41, — § 3. Das
Problem der Einrichtung von Münzsystemen 46. — § 4. Die Schwankungen
des Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber 52. — § 5. Doppel-
währung und Parallelwähruug 53. — § 6. Die Entstehung der Gold-
währung 58. — § 7. Die Papierwährung 64. — § 8. Metallische
Währungen mit gesperrter Prägung 72. — § 9. Die Bedeutung der von
der metallischen Grundlage losgelösten Währungen in der Entwicklungs-
geschichte des Geldes 76.
II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetall- und Wäbrnngs-
verbältnisse seit der Entdecknog Amerikas.
N'orberaerkung 79
3. Kapitel. Edelmetallproduktiou und Wertver-
hältnis 80
§ 1. Allgemeines über die Statistik der Edelmetallproduktion 80. —
t? 2. Allijemoine Übersicht über die Entwicklung der Produktion von
(4old und Silber 82. — § 3. Die Goldproduktion von 1493 bis zur
(tegenwart 86. — § 4. Die Silberproduktion von 1492 bis zur Gegen-
wart 97. — § 5. Das Wertverhältnis von Gold und Silber 107.
4. K a p i t e 1 . Die W a n d I u n ^' e ii im m o ii e t ä r e n Ge-
brauche der Edelmetalle von 1493 bis zur Mitte
d e 8 19. J a h r h u n d e r 1 8 . . . 112
i? 1. Die Entwicklung von der Entdeckung,' Amerikas bis zum Ende
des 18. .[ahrliiin<lorts 112. — S 2. Di.' Kiitwicklnntr l'i*« zu den kali-
X Inhalt
Seite
foruiscben Goldfundeu 120. — § 3, Die kalifornischen und australischoa
Goldfande und ihre Wirkung auf den Edelmetallmarkt 129. — § 4. Die
Ausdehnung des Goldumlaufs und ihre Rückwirkung auf den Wert der
Edelmetalle 130. — § 5, Die Maßregeln der Doppelwährungsländer zur
Erhaltung eines ausreichenden Silberumlaufs 133, — § 6, Weltmünzbund
und internationale Währungsfrago 135.
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform 140
§ 1. Der Zustand des deutschen Geldwesens vor der Reform 140.
— § 2. Die Reformbestrebungen 143. — § 3. Die Bedeutung des fran-
zösischen Krieges und der Reichsgründung für die Müuzfrage 146. —
§ 4. Die Einstellung der preußischen Silberprägungen 147. — § 5. Die
Reformgesetzgebung 149. — § 6. Die Durchführung der Geldreform 159.
6. Kapitel. Die Ausbreitung der Goldwährung
und die S il b er en t w er tun g von der deutscheu
Geldreform bis zur Gegenwart 165
§ 1. Die Gestaltung der internationalen Währungsverfassung in den
70er Jahren des 19, Jahrhunderts 165. — § 2. Die währungspolitische
Entwicklung von 1879 bis 1893 171. — § 3. Die Ursachen der Silber-
entwertung 177. — § 4. Die währungspolitische Entwicklung von 1893
bis zum Weltkrieg 186.
7. Kapitel. Die Entwicklung des Gel d wesens seit
dem Ausbruch des Weltkrieges lt^4
§ 1. Die Erschütterung des Geldwesens durch den Weltkrieg 194.
— § 2. Schutz und Stärkung der nationalen Goldbestände 195. — § 3.
Die Neutralen: Vom Schutz des Goldes zum Schutz gegen das Gold 200.
— § 4. Zahlungsmittelkrisis und Papiergeld 203. — § 5. Das Papiergeld
als Mittel der Kriegführung 207. — § 6. Die Inflation bei den Neu-
tralen 218. — § 7. Das Geldwesen in der Nachkriegszeit 219. ^ § 8.
Das Wertverhältnis von Geld und Geldmetall im Kriege und in der
Nachkriegszeit 228. — a) Das Wertverhältnis von Geld und Gold 231. —
b) Der Silberpreis 236. — § 9. Die Erschütterung der intervalutarischen
Beziehungen 241.
Zweites Buch. Theoretischer Teil.
I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnnngr.
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff de«
Geldes 257
§ 1. Allgemeines über die Definition des Geldes 259. — § 2. Die
Stellung des Geldes im Organismus der Volkswirtschaft 260. — § 3. An-
wendung der Begriffsbestimmung des Geldes auf seine einzelnen Er-
scheinungsformen 267.
2. Kapitel. Die V er k ehrs o bj e k te und Verkehrs-
vorgänge 272
§ 1. Die Verkehrsobjekte ü7u. — § 2. Die Verkehrsvorgänge 274. —
§ 3. Tausch, Zahlung und Kapitalübertragung 278.
3. Kapitel. Die Einzelfuuktionen des Geldes . 283
§ 1. Aufzählung der Funktionen des Geldes 283. — § 2. Die Funktion
als allgemeines Tauschmittel 285. — § 3. Die Funktion als allgemeines
Zahlungsmittel 290. — § 4. Die Funktion als Vermittler von Kapital-
übertragungen 295. — § 5. Die Funktion als allgemeiner Wertausdruck
I
Inhalt. XI
Seite
297. — § 6. Die Funktion als Wertträger durch Zeit und Raum (Wert-
bewahrungs- und Werttrausportniittel) 311. — § 7. Zusammenfassung 317.
II. Abschnitt. Das Geld in <ler Reclitsordnung,
4. Kapitel. Der juristische Geldbegriff . . . . 32(»
§ 1. Das Verliältnis des volkswirtschaftliebeu und des rechtliclieu
Geldbegriffs 320. — § 2. Der allgemein-rechtlicho Geldbegriff 321. —
§ 3. Die Sonderstellung des Geldes in der Eigenturaslebre 324. — § 4.
Weitere Sonderbestimmungen über das Geld 327. — § 5. Der Geldbegriff
im Institut des Kaufes und des Wechsels 330. — § 6, Die Abgrenzung
des allgemein-rechtlichen Geldbegriös 332. — § 7. Die rechtlich bedeut-
samen Fiinkticnen des Geldes 334. — § 8. Das Geld im engeren recht-
lichen Sinne 341.
».Kapitel. Der Inhalt der Geldschulden. . . . :?51
§ 1. Das Problem des Inhalts der Geldschulden 351. — § 2. Die
verschiedenen Theorien über den Inhalt der Geldschulden 356. — § 3.
Kritik der Metall- und Kurswerttheorie und Begrüuduug der Nennwert-
theorie 360. — § 4. Die Erschütterung der Nennwerttheorie durch die
Geldentwertung 366. — § 5. Die Bedeutung von Vertragsabreden im
Falle von Änderungen im Geldwesen 372. — § 6. Das Nennwertsverhältnis
zwischen altem und neuem Gelde 380.
6. Kapitel. Das Geld im öffentlichen Rechte . 386
§ 1. Münzhoheit und Münzprägung 385. — § 2. Die öffentlich-recht-
lichen Wirkungen der Ausübung der Münzhoheit 390. — § 3. Die
öffentlich-rechtlichen Wirkungen der Beilegung der Geldeigenschaft an
ein Geld fremden Gepräges 396.
III. Abschnitt. Die ßeldverfassnug.
7. Kapitel. Die Erfordernisse des Geldes . . . 402
§ 1. Vorbemerkung 402. — § 2. Die allgemeinen Erfordernisse des
Geldes 402. — § 3. Die Voraussetzungen für den vorwiegenden Gebrauch
der verschiedenen Geldstoffe 403. — § 4. Das Bedürfnis nach Geldstücken
in verschiedener Wertgröße 407. — § 5. Technische und ästhetische Er-
fordernisse 409. — § 6. Das Erfordernis der Einheitlichkeit des Geld-
wesens 411.
S.Kapitel. Die Geldsysteme 411
I. Teilabschnitt. Die Währungssysteme und ihre Einteilung . 412
§ 1. Der Begriff der Währung 412. — § 2. Gebundene und freie
Währung 413. — § 3. Die Unterarten der gebundenen Währung 416. —
J? 4. Die Unterarten der freien Währung 418. — § 5. Die Unterscheidung
der Wähningssysteme nach den formalen Merkmalen der Geldverfassung
VA). — § G. Zusammenstellung der praktisch bedeutsamen Währungs-
systeme 422.
-123
XII Inhalt
der GoUlwiiurung und Silberwäbrung 458. — § 7. Die papierneu Um-
lanfsinittel 402. — § 8. Die Regelung des GeUUmilaufs 464.
Seite
9. Kapitel. Die internationale Geldverfassuug . 467
§ 1. Das Wesen der internationalen Geldverfassung 467, — §2. Die
Parititteu 469. — § 3. Das Kursverhältnis, insbesondere die Wechsel-
kurse z'viscben gebundenen Währungen mit gleicher metalliBcher Grund-
lage 471. --§ 4. Die Zahlungsbilanz 478. — §5. Die Valutaschwankungen
im Verliältnisse von Gold- und Silberwäbrungen 481. — § 6. Die Valuta-
schwankungen im Verhältnisse zwischen freien Währungen 487. — § 7.
Die Regulierung der Valutakurse 489. — § 8. Internationale Münzeinheit
und Währungsgleichbeit 493. — § 9. Der Doppelwährungsvertrag 496.
IV. Abschnitt. Geldbedarf, Geldversorgung und Geldwert.
Vorbemerkung . . 500
10. Kapitel. Der Geldbedarf 500
§ 1. Die Entwicklung der Theorie des Geldbedarfs 500. — § 2. Die
wirklichen Bestimmungsgründe des Geldbedarfs 505. — § 3. Die Schwan-
kungen des Geldbedarfs 517.
11. Kapitel. Die Gel d Versorgung 522
§ 1. Die Bedeutung der Edelmetallproduktion für die Geldversorgung
522. — § 2. Die internationale Edelmetallverteilung 524. — § 3. Die
Einwirkung des nationalen Geldbedarfs auf die internationale Edelmetall-
bewegung 526. — § 4. Die industrielle Verwendung der Edelmetalle 533.
— § 5. Die Statistik des industriellen Edelmetallverbrauchs 536, — § 6.
Der endgültige Verbrauch an Edelmetall 540. — § 7. Die Versorgung
des Geldbedarfs durch papierne Umlaufsmittel 542.
12. Kapitel. Der Geldwert 544
§ 1 Die Wesentlichkeit der Werteigenschaft für das Geld 544, —
§ 2. „Substanzwert" und „Funktionswert" des Geldes 554. — § 3. Die
Höhe des Geldwertes 562. — § 4. Das statistische Problem des Geld-
wertes 566. — § 5, Das analytische Problem des Geldwertes 576. —
§ 6. Die Einrichtung der Geldsysteme als Wertproblem 584. — § 7, Die
Begleiterscheinungen und Folgen der Veränderungen des Geldwertes 591.
— § 8. Die Wirkungen der Valutaschwankungen 599,
13. Kapitel, Die Gestaltung des Geldwertes von
1850 bis zur Gegenwart 604
§ 1. Die Großhandelspreise von 1850 bis zum Weltkrieg 604. —
§ 2, Großhandelspreise und Goldproduktion von 1850 bis 1873 607, —
§ 3. Goldproduktion und Geldwert 1872 bis 1895 608, — § 4. Gold-
produktion und Geldwert 1895 bis 1914 613. — § 5. Warenpreise,
Diskontsätze und Konjunkturschwankungen 615. — § 6. Die Groß-
handelspreise im Krieg und in der Nachkriegszeit 619. — § 7, Das
Verhältnis von Preisen, Löhnen und Valuten in einigen wichtigen Ländern
622. — § 8. Deutschland: Großhandelspreise und Lebenshaltungskosten
G24. - § 9. Deutschland: Löhne und Gehälter 627. — § 11, Die Be-
stimmungsgründe der Geldwertveränderungen im Kriege und in der
Nachkriegszeit 638. — § 12. Wirkungen und Begleiterscheinungen der
Geldentwertung im Lichte der neuesten deutschen Entwicklung. — a) Das
Verteilungsproblem 651. — b) Das Produktionsproblem 658. — c) Das
Finanzproblem 662. — § 13, Das Ideal eines Geldes von unveränder-
lichem Werte 664.
Einleitung.
Es ist vielleicht kein Teil der volkswirtschaftlichen Disziplin so
sehr mit der Gesamtheit der Volkswirtschaftslehre verwachsen, wie die
Lehre vom Gelde. Denn in dem komplizierten Mechanismus der mo-
dernen Volkswirtschaft ist das Geld dasjenige Instrument, welches die
Beziehungen der einzelnen Glieder zum Ganzen trägt und vermittelt.
Der GruudzQg unserer modernen Wirtschaftsverfassung ist die
Produktion für den Markt. Die wichtigste Voraussetzung für den wirt-
schaftliehen Fortachritt, die Arbeitsteilung, hat im Laufe der Kultur-
entwicklung eine fortgesetzte Verfeinerung erfahren, und damit haben
eich die Produkte der Arbeit des Einzelnen immer weiter von seinen
eignen Bedürfnissen entfernt. Die meisten Menschen erzeugen heute
mit ihrer Arbeit nur einen verschwindenden Bruchteil von dem, was
sie selbst brauchen, dagegen einen großen Ueberschuß an Dingen, für
die sie selbst keine Verwendung haben; das, was sie brauchen, müssen
sie zum größten Teil gegen ihre Arbeitserzeugnisse und gegen ihre
Leistungen von anderen eintauschen. Jeder Einzelne leistet unendlich
viel mehr, wenn er seine Arbeitskraft auf einen einzelnen Arbeitszweig
verwendet, als wenn er sie auf tausend Arbeitszweige zersplittert;
jeder Einzelne steht sich unendlich viel besser, wenn er sich als
dienendes Glied dem Ganzen einfügt, als wenn er selbst ein Ganzes
sein wollte.
Das verwickelte System von Leistungen und Gegenleistungen, zu
dem die sich stets verfeinernde Arbeitsteilung geführt hat, ist jedoch
nur möglich geworden durch die Entwicklung des Geldes. Nur das
Geld ermöglicht den Austausch von Gütern und Leistungen in dem
Maße, wie es unsere Wirtschaftsverfassung verlangt, und die Vermitt-
lung von Leistung nnd Gegenleistung durch das Geld hat den unmittel-
baren Austausch immer mehr in den Hintergrund gedrängt. In unserer
heutigen Volkswirtschaft ist das Geld geradezu allgegenwärtig. Der
Unternehmer, bis hinab zum kleinsten Handwerker und Landwirt, ver-
kauft den Leberschuß seiner Erzeugnisse gegen (Jeld, der Arbeiter
stellt dem rnternchmer seine Arbeit.'^kraft zur Verfügung gegen einen
Geldlohn, die IJebertragung von \'(Min(ig('n.smacht und Kaufkraft erfolgt
in Geld, — kurz beim ganzen l'roduktioiis- und N'erleilungsprozeß tritt
das Geld in Erscheinung als das vermittelnde Glied zwischen dem Ein-
zelnen und der Gesamtheit.
Uelfferich, Dna Geld. 1
2 Einlei txmg.
Die wirtschaftliche AUprepenwart dos Geldes hat schon frllh die
Aufnierksanikcit derjenigen, welche über staatliche nnd gesellschaftliche
Einrichtungen nachdachten, auf sich gelenkt. Die Anfänge der modernen
Nationalökonomie waren \'ersuche, das geheimnisvolle Wesen des Geldes
zu ergründen. Das Geld beschäftigte die ersten nationalökonomischen
Denker so sehr, daß ihnen alles das, was wir Volksreichtum nennen,
im Gelde verkörpert erschien. Ebenso, wie sich die Alchymisten den
Kopf darüber zerbrachen, wie sie Gold aus minderwertigen Stoffen her-
stellen könnten, ebenso war der erste Kreis der volkswirtschaftlichen
Denker bei seinen Erwägungen, wie der Reichtum einer Nation ver-
mehrt werden könne, durchaus darauf beschränkt, durch welche Mittel
möglichst viel Edelmetall — und zwar Edelmetall als Geldstoff — ins
Land gebracht werden könne. Ihre Ueberschätzung des Geldes beein-
flußte im 17. und teilweise im 18. Jahrhundert stark die praktische
Wirtschaftspolitik. Die gesamte Handelspolitik der sogenannten mer-
kantilistischen Periode ging aus von dem Bestreben, den auswärtigen
Handel so zu gestalten, daß durch ihn möglichst viel Edelmetall ins
Land gezogen werde.
Der naive Glaube, daß das Geld alles sei, wurde jedoch bald er-
schüttert. Es folgte ihm das entgegengesetzte Extrem, eine weit-
gehende Uuterschätzung des Geldes. Statt in ihm allen Reichtum ver-
körpert zu sehen, legte man ihm nur noch einen „fiktiven Wert" bei,
ließ es nur noch als „Wertzeichen" gelten (Locke, Hume, Montes-
quieu). Adam Smith stellte in seinem Werk über den Reichtum der
Nationen den Satz auf, die Quelle allen Reichtums sei die Arbeit nnd
die in einem Lande vorhandene Geldmenge sei gänzlich gleichgültig für
die Beurteilung seines Reichtums; das Geld habe lediglich die
Funktion, den Austausch von Gütern und Leistungen zu vermitteln,
und um zu einer richtigen Erkenntnis der wirtschaftlichen Vorgänge
und Verhältnisse zu gelangen, empfehle es sich, von dem lediglich
vermittelnden Gelde gänzlich abzusehen, das Geld gänzlich auszu-
schalten und alle durch das Geld vermittelten Beziehungen als direkte
Beziehungen aufzufassen.
Zweifellos hat diese Methode zu einem großen Fortschritt in der
nationalökonomischen Wissenschaft geführt; sie ist zur Auffindung und
Feststellung volkswirtschaftlicher Wahrheiten ebenso unentbehrlich, wie
die Voraussetzung des luftleeren Raumes für die Physik. Die Annahme^
daß die Vermittlung des Geldes nichts an den wirtschaftlichen Vor-
gängen ändern könne, geht jedoch zu weit. Denn ebenso wie die
Luft durch ihr bloßes Vorhandensein und durch ihre wechselnde
Beschaffenheit die Bewegungen der Körper beeinflußt, ebenso übt so-
wohl die Vermittlung des Geldes an sich als auch die verschiedene
Beschaffenheit des Geldes einen Einfluß aus auf die wirtschaftlichen
Bewegungen,
Die Ergründung der Modifikationen, welche die wirtschaftlichen
Wahrheiten durch die Dazwischenkuuft des Geldes erleiden, gehört
zu den schwierigsten und feinsten Aufgaben der Nationalökonomie,
zugleich zu denjenigen Aufgaben, durch welche die volkswirtschaftliche
Ei ^ leitung. 3
Theorie der Uebereinstimmung mit der praktischen Wirklichkeit näher-
gebracht wird.
Daraus ergibt sich, von welch großer Wichtigkeit die Kenntnis
des Geldwesens ist, sowohl fUr das gesamte Gebäude der theoretischen
Volkswirtschaftslehre als auch für die Beurteilung einzelner Fragen der
praktischen Nationalökonomie.
Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, das Geldwesen in seiner Ge-
samtheit zur Darstellung zu bringen. Sie gibt zunächst eine Ent-
wicklungsgeschichte des Geldes, und zwar sowohl des Geldes als eines
wirtschaftlichen und juristischen BegrilTes, als auch der Organisation
der Geldverfassung. Daran anschlitßend sucht sie das Geld unserer
modernen \ olkswirtschaft theoretisch zu erfassen, in seinen Funktionen,
in seinen Beziehungen zum Staate, nach seiner Organisation, nach den
Ursachen und Wirkungen der in ihm vorgehenden Veränderungen.
1*
I
Erstes Buch.
Creschichtlicher Teil.
I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes
und der Geldsysteme.
I. Kapitel. Die Entsteliuug des Geldes.
^ 1. Das fandamentale UnterBcheidnngsmerkmal von Geld und Ware.
Was wir heate im volkswirtschaftlichen und rechtlichen Sinne
unter „Geld" verstehen, im Unterschied zu allen übrigen SachgUtern,
ist ein Gebilde der neueren Zeit. Wenn wir die Geschichte des Geldes
zurlickverfolgen wollen bis an seinen Ursprung, dann müssen wir von
allen Besonderheiten zweiter Ordnung absehen und dürfen nur das
wesentlichste Unterscheidungsmerkmal zwischen Geld und den übrigen
in der Volkswirtschaft in Erscheinung tretenden Objekten ins Auge fassen.
Dieses Unterscheidungsmerkmal liegt ganz allgemein gesprochen darin,
aß die übrigen wirtschaftlichen Objekte („Güter") dem direkten Ver-
brauch oder dauernden Gebrauch der Einzelwirtschaften dienen, während
das Geld die Bestimmung hat, den Verkehr in diesen Gütern zu ver-
mitteln, d. h. die Uebertragung von Einzelwirtschaft zu Einzelwirtschaft
zu erleichtern, wobei das Geld selbst, solange es Geldeigenschaft behält,
nicht in den Konsum oder den dauernden Gebrauch einer Einzelwirtschaft
eintritt. Das Geld wird nicht um seiner selbst willen genommen, nicht
um von seinem Empfänger verbraucht oder dauernd gebraucht zu werden,
sondern um früher oder später, sei es behufs einseitiger Uebertragung
von Vermögensmacht, sei es im Austausch gegen andere wirtschaftliche
Objekte oder gegen Leistungen irgendwelcher Art, wieder weggegeben
zu werden. Freilich werden von privatwirtschaftlichem Standpunkte
aus betrachtet auch solche Güter, welche niemand als Geld bezeichnen
wird, eingetauscht, um unverändert oder verarbeitet weitergegeben zu
werden; unverändert vom Händler, dessen Geschäft im Ankauf von
Gütern zum Wiederverkauf besteht, verändert vom (iewerl)etreil)enden,
der Kohstofk' erwirbt, unj daraus gebrauchsfertige Erzeugnisse herzu-
stellen und diese zu veräußern. Aber nur vom privatwirtschaftlichen
Standpunkte aus handelt es sich hier um einen Erwerb zur Wieder-
veräußeruug. \'olks\virtschaftlich betrachtet, sind die Gewerbetreibendeu
f
ß Erstea Buch. I. Abacliuitt. Die Entwickltiugsgeschichte des Geldes.
und Händler nur die Vermittler, welche diie Guter in die filr den Ver-
brauch und Gebrauch g:eeijrnete Form brinp:en und ihrer endgültigen
Verwendung in der Wirtschaft des Einzelnen zuführen: volkswirtschaftlich
betrachtet sind alle Verkehrsobjekte, die wir im Gegensatz zum Gelde
„Waren" nennen, dazu bestimmt, in der Einzelwirtschaft konsumiert
zu werden, Avährend das Geld seine i^wecke erfüllt, indem es nirgends
eine dauernde Stätte findet, sondern von Hand zu Hand geht.
Der hif^ festgestellte Unterschied zwischen Geld und Ware beruht
jjiclit, aur einer verschiedenartigen stofl'licheu Beschaffenheit; er ist viel-
mehr nur ein Unterschied zweier Funktionen, die von einem und
demselben konkreten Wertgegenstand erfüllt w^erden können und in
der Tat erfüllt worden sind; so z. B. früher von Sklaven, Rindern,
Muscheln usw., später von Edelmetallen in Barren oder in Ringen und
Spangen.
Wie nun jeder Entwicklungsprozeß auf eine immer feinere Spezi-
alisierung hinausläuft, so auch die EntNvicklung des Geldes: das Geld
als solches hat sich immer mehr von dem Kreise der übrigen Güter
abgesondert; die Funktion der Verkehrsvermittlung, insbesondere der
Tauschvermittlung, hat in dem Gelde eine Verkörperung gewonnen;
Geld und Gebrauchsgut haben sich voneinander geschieden und sich
als verschiedene konkrete Erscheinungen einander gegenübergestellt.
Aber auch heute ist die Trennung noch keine vollständige. Es gibt
zwar bestimmte Arten von Geld, die ausschließlich Geldfunktionen
verrichten können, so vor allem das Papiergeld, das nur als Geld, nicht
aber als gewöhnliches Verbrauchs- oder Gebrauchsgut verwendbar ist.
Aber die Grundlage wichtiger Geldverfassungen, solcher, die auch unter
den heutigen \'erhältnissen fast allgemein als die erstrebenswerten
gelten, bildet auch noch auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe das
sogenannte „vollwertige Metallgeld", dessen Wert in der Geldform nicht
höher ist als der Wert des Stoffes, aus dem es besteht, das infolge-
dessen in großem Umfange zu anderen als zu Geldzwecken verwendet
werden kann und verwendet wird: durch Einschmelzung und industrielle
Verarbeitung. Bei dem vollwertigen Metallgelde ist also die Grenze
zwischen Geld und Ware keine feste, sondern eine durchaus flüssige;
derselbe konkrete Stoff, der heute in gemünzter Form als Geld fungiert,
kann dieser Verwendung jederzeit entzogen werden. Andererseits garantiert
eine der wichtigsten Einrichtungen auf dem Gebiete des Geldwesens,
das freie Prägerecht, die unbeschränkte Möglichkeit der Umwandlung
des dem Geldwesen zugrunde gelegten Metalls in geprägtes Geld.
Allerdings kann kein Gut gleichzeitig die beiden Funktionen als Ge-
brauchsgut und als Geld erfüllen; solange ein Gut dem einen Zwecke
dient, ist es dem anderen entzogen.
Man braucht nun bloß die Erwägung anzustellen, daß diejenigen
Arten von Geld, welche nur Geldfunktionen verrichten können, wie das
Papiergeld, auf Voraussetzungen beruhen, die nur bei einer bereits hoch-
entwickelteu \'olkswirtschaft und bei ausgebildeten Rechtsverhältnissen
gegeben sind, und man wird zu der Erkenntnis geführt, daß die Scheidung
zwischen Geld und Ware in dem Maße, in welchem sie heute besteht,
nur als Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses entstanden sein
{■
1. Kapitel. Die Entstehunjj den Geldes. § 'J. 7
kann. Wenn man nach den Anfaug:en des Geldes suchen will, wird man
sii'h deshalb damit bescheiden müssen, an den gerinfrfüfiiffsten Difleren-
zii-riinjien zwischen Geld und Gebrauchsjrut anzuktiilpfen, und man wird
dann zu verfolfceu haben, wie diese Unterschiede allmählich zu schärferer
Ausprägung gelangt sind.
§ 2. Die rationalistische Erklärung der Entstehung des Geldes.
Die ersten Denker, welche sich mit der Ergrilndung des Geldwesens
beschäftigten, haben sich die Aufgabe, die Entstehung des Geldes zu
erklären, nicht alizuschwer gemacht. 8ie hatten das Geld vor sieh als
eine fertige Einrichtung, welche gewisse auf der Hand liegende Zwecke
auf das beste erfüllte; die Erkenntnis der Zweckmäßigkeit des Geldes
sahen sie ohne weiteres als das treibende Moment bei der Entstehung
des Geldes an: sie hielten das Geld für ein Erzeugnis zweckbewußter
menschlicher Willenstätigkeit. Das war die Zeit, in welcher die historische
Erforschung weit zurückliegender Vorgänge sich noch keiner syste-
matischen Pflege erfreute und in welcher man die mangelnde Kenntnis
der positiven Vorgänge durch deduktive Konstruktionen ersetzte. Alle
zweckmäßigen Einrichtungen des wirtschaftlichen und politischen Zu-
sammenlebens wurden damals auf schöpferische Willensakte der Mensch-
heit oder einzelner \'ölker zurückgeführt. Wie mau die Entstehung
des Staates daraus erklärte, daß die einzelnen Individuen, um dem
Kampfe aller gegen alle ein Ziel zu setzen, einen „Gesellschaftsvertrag"
geschlossen hätten, ebenso erklärte man sich die Entstehung des Geldes
daraus, daß die Menschheit zur Erleichterung des Tauschverkehrs auf-
grund eines Uebereinkommeus ein allgemeines Tauschmittel geschafl'en
und daß sie die Edelmetalle wegen ihrer ganz besonderen Vorzüge für
die hierbei in Betracht kommenden Funktionen zum allgemeinen Tausch-
mittel bestimmt habe.
Der Gedanke ist in der Tat sehr naheliegend, daß die uns zweck-
mäßig erscheinenden Einrichtungen, die ihrer Natur nach Menschenwerk
sein müssen, aus der Erkenntnis ihrer Zweckmäßigkeit heraus mit be-
wußter Absicht geschallen worden seien. Man ist geneigt, die zweck-
mäßigen Einrichtungen des gesellschaftlichen Lebens, die nicht von einem
Einzelnen geschallen, sondern aus dem Zusammenleben hervorgegangen
sind, ebenso zu betrachten, wie geistreiche Entdeckungen und Ertindungen
eines einzelnen Kopfes. Die geschichtliche Forschung hat jedoch in
dieser Beziehung aufklärend gewirkt und die sogenannte rationalistische
Aufl'assuug der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung widerlegt; sie
hat gezeigt, daß der Geist der Gesamtheit anders arbeitet als der Geist
des Einzelnen, daß das Zweckmäßige im gesellschaltlichen Leben —
n.inientlich auf den frühesten Stufen — nicht immer durch bewußte
NN illensakte. die auf einer klaren Erkenntnis beruhen, durchgeführt wird,
sondern daß es sich meist in einer unbewußten Entwicklung unter dem
Drang der tägliclien Notwendigkeiten des Lebens durchsetzt, ja daß es
oft erst die \ erhältnisse schallt, in denen es in seiner volli-n Zweck-
mäßigkeit zutage tritt, l'nsere ganze Wirtscliaflsverfassung beruht auf
dem Gelde, das (u'ld erscheint aufgrund unserer Wirtschaftsverfassnng
so zweckmäßig und notwendig, daß man sich« den Gebrauch des Geldes
8 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Überhaupt nicht 'svegdenkeu kann. Aber g:erade deshalb maß das Geld
in gewissen Hcziehunjren das Frühere g:e\vescn sein; unsere Wirtschafts-
verfassung erscheint in vielen und Avichtigen Beziehungen als das Pro-
dukt des Geldes, und es ist deshalb unzulässig, die Entstehung des
Geldes ans seiner Zweckmäßigkeit für unsere heutige Wirtschaftsver-
fassung zu erklären.
§ 3. Die Ergebnisse der geschichtlichen Forschung über den Ursprnng
des Geldes.
Bei der Beschränktheit des Materials über die frühesten Stufen
der wirtschaftlichen Entwicklung wird wohl niemals eine lückenlose
Feststellung, die den gesamten Werdeprozeß des Geldes umfaßt, mög-
lich sein. Wir sind auf spärliche Ueberlieferungen und Notizen ange-
wiesen, welche die Verhältnisse der grauen Vorzeit stellenweise be-
leuchten; zum Vergleich und zur Prüfung können wir die Beobach-
tungen verwenden, die in neuerer Zeit bei V^ölkerschaften, die noch
auf einer niedrigen Entwicklungsstufe stehen, gemacht worden sind.
Aber so beschränkt alles in allem das Material ist, so sind die Ergeb-
nisse der bisherigen Forschungen immerhin ausreichend, um die wesent-
lichsten Züge der Entstehung des Geldes erkennen zu lassen.
Zwischen der Ausbildung des Geldes und der Entwicklung der
gesaraten Volkswirtschaft besteht eine so enge Wechselwirkung, daß man
zu den frühesten Anfängen des wirtschaftlichen Lebens zurückgehen muß,
wenn man die ersten Ansätze zur Entstehung des Geldes finden will.
In dem ganzen Werdeprozeß der Volkswirtschaft ist die Tendenz
zu erkennen, daß die einzelnen Individuen und einzelnen Gruppen
immer mehr zu einem durch komplizierte Beziehungen verbundenen
Ganzen zusammenwachsen. Die wirtschaftliche und die gesamte ge-
sellschaftliche Entwicklung geht aus von der Isolierung und führt zum
Zusammenschluß. Die Eigenproduktion, das Stadium, in dem ein-
zelne kleine Gruppen, Familien und Stämme, mit ihrer Arbeit aus-
schließlich das und alles das beschaffen, was sie zur Befriedigung des
eignen Bedarfs nötig haben, stellt die früheste Stufe der Wirtschaft
dar. Gewisse Herrschafts- und Autoritätsverhältnisse, verkörpert in
dem Patriarchen oder Staramesältesten, waren hier sicherlich für eine
ganz primitive Regelung der Produktion und der Verteilung bestimmend;
den einzelnen Familien oder Stammesmitgliedern wurde die von ihnen
zu leistende Arbeit und ihr Anteil am Arbeitsertrag zugewiesen. Inner-
halb dieser sich selbst genügenden Gruppen gab es wohl bereits eine
natürliche Arbeitsteilung, anknüpfend an die verschiedenartige Leistungs-
fähigkeit der beiden Geschlechter und der Altersklassen, aber es gab
noch keinen wirtschaftlichen Verkehr, vor allem noch keinen Tausch.
Damit fehlten die Voraussetzungen für ein Verkehrsinstrument, für ein
Tauschmittel, kurz für das, was wir heute als Geld bezeichnen.
Ein wirtschaftlicher Verkehr konnte erst dann in Erscheinung
treten, nachdem sich innerhalb der nach außen isolierten, nach innen
in gewissem Sinn kommunistischen Gruppen ein Eigentum entwickelt
hatte; denn nur was man besitzt, kann man au andere übertragen, sei
es unentgeltlich, sei es im Austausch gegen andere Güter.
1. Kapitel. Die Eutstehung des Geldes. § 3. 9
Es kann hier nicht die Absieht sein, in eine Untersochonfr über
die Entstehung des Eigentums einzutreten. Wenn wir das Eigentum
ganz allgemein als die vollständige und ausschließliche Herrschaft über
einen Gegenstand auflassen, in der Weise, daß diese Herrschaft sowohl
die Benutzung des Gegenstandes nach allen Seiten hin, als auch die
beliebige Wiederholung der Benutzung in der Zeit einscMießt, so haben
wir damit in dem Eigentum die denkbar stärkste Steigerung der vor-
übergehenden Nutzung und der Benutzung, die lediglich zu einem ein-
zelneu bestimmten Zwecke erfolgt. Das Eigentum kann also beruhen
auf der Macht des Eigentümers, sich die dauernde und vollständige
Benutzung eines Gegenstandes zu erhalten, d. h. andere davon auszu-
schließen, oder auf der Anerkennung durch Sitte und Recht, wobei die
Gesamtheit an Stelle der Macht des Eigentümers das Eigentum garantiert.
Die Möglichkeit und das Bedürfnis nach einer dauernden und aus-
schließlichen Benutzung ist in Hinsicht auf die verschiedenen Güter, die
in einer primitiven Wirtschaft in P>scheinung treten, verschieden stark;
und danach stuft sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Prozeß
der Eigentumsbildung ab. Sowohl, die geschichtliche Forschung als
auch die Beobachtung von Völkerschaften, die jetzt noch auf ganz nie-
driger Kulturstufe stehen, haben gezeigt, daß das Eigentum sich zuerst
entwickelt hat an Dingen, die das Ergebnis nicht gemeinschaftlicher,
sondern ganz individueller Arbeit sind ^). So erklärt es sich, daß Grund
und Boden, der in gemeinschaftlicher Arbeit urbar gemacht und bestellt
wurde, am spätesten Gegenstand des Individualeigentums geworden ist,
während sich das Eigentum zuerst ausbildete an Dingen wie Kleidung,
Schmuck, Waffen, Werkzeugen, an Kriegsbeute, an Sklaven und Skla-
vinnen und schließlich am Vieh; soweit unsere Forschungen reichen,
war bei Hirtenvölkern das Vieh, das einem Herrn folgen kann, Gegen-
stand des Sondereigentums, im Gegensatz zum unbeweglichen Boden,
der Gemeinbesitz war in einer kaum weniger allgemeinen Bedeutung
als die Luft. Bei einzelnen Kategorien der genannten Güter ist die
Ausbildung des Eigentumsbegriffs, die absolute Verknüpfung der Sache
mit der Person, eine ganz besonders starke geworden, wie das der bei
vielen Naturvölker nachgewiesene Brauch beweist, daß dem Toten der
individuellste Teil seiner Habe, seine Frauen vielfach mit inbegriffen,
ins Grab mitgegeben wird, oft freilich aufgrund abergläubischer Vor-
stellungen, die mit diesen Dingen des persönlichsten Gebrauelis die
Seele des Verstorbenen verknüpften; aber gerade diese abergläubische
Verknüpfung von Person und Sache ist in sich selbst die stärkste Zu-
spitzung des Eigentumbegriffs.
Au die Entstehung des Eigentums schließen sich bestimmte Formen
des Eigentuniwechsels an, vor allem die Form, au die man bei einer
Betrachtung des Geldes zunächst zu denken pflegt, nämlich der Tausch,
treilich ist der Tausch schon eine komplizierte Form des Eigentums-
wechsels, weil er eine zweiseitige Aktion ist, die eine Willensüberein-
') In dem Rfcht der indisclicn fleschlerhts)^'en(»s8Pn8(•llafton z. B. wird der
Erwerb eim-r iierHönlichen Ciescliickliihkcit, wie etwa das Erlernon einea Handwerks,
als das haupt.sächiicliste Mittel zur (tewinnnng eiues SondergiUes genannt (Siuimel,
Philosophie des Geldes, 2. AuÜ. Iü07, S. 383),
lU Erstes Buch. 1. Abschnitt. Die Eutwicklungsgeschichte des Geldes.
Stimmung: zweier Individuen voraussetzt. Die primitivsten Formen des
Hi'sitzwechsels waren jedenfalls der Kaub und das Geschenk, die noch
im 19. .Jahrhundert bei nianeiien Stämmen l'olynesiens die einzige Form
des lU'sitzwechsels waren. Kaub und Geschenk sind einseitige Aktionen,
hervorjrehend aus dem Wollen nur eines Individuums. Der Raub ist
die gewaltsame Aneignung auf Kosten eines anderen ohne die Gewäh-
rung einer Gegenleistung, das Geschenk die freiwillige tinteignung zu-
gunsten eines anderen ohne die Bedingung einer Gegenleistung. Vorteil
und Nachteil liegen hier in vollem Umfang und ohne Ausgleich auf nur
einer Seite.
Aus diesen Formen heraus mag der Tausch in folgender Weise
entstanden sein:
Das Geschenk unter Gleichstehenden, z. B. unter Gastfreunden,
fand seine Ergänzung am Gegengeschenk; und dieselbe Sitte, die das
Gegeugescheiik verlangte, bildete sich dahin aus, auch das Vorhanden-
seiii einer gewissen Relation von Geschenk und Gegengeschenk zu
fordern. Damit haben wir eine Brücke, die zum eigentlichen Austausch
führt. In der Tat kommt es heute noch bei unzivilisierten Völker-
schaften vor, daß der Tauschhandel sich in der Form des gegenseitigen
Beschenkens vollzieht. Sobald man schenkt um eines ganz bestimmten
Gegengeschenkes willen, sobald andererseits das Gegengeschenk nur ge-
macht wird, wenn ein ganz speziell gewünschtes Gut vorher geschenkt
worden ist, verwandelt sich das Schenken in ein Tauscheu.
Soweit die gewaltsame Aneignung in Betracht kommt, entsteht
die Überleitung zum Tausche dann, wenn der Eigentümer die Macht
besitzt, den vom anderen begehrten Gegenstand festzuhalten, und wenn
er so den Begehrenden nötigt, ihm eine entsprechende Gegenleistung
zu bieten. Hier geht also der Tausch hervor aus der Machtgleichheit
des Besitzenden und des Begehrenden.
Der Schritt von den einseitigen Formen des Besitzwechsels zu der
zweiseitigen des Tausches ist einer der bedeutsamsten in der mensch-
lichen Kulturentwicklung. Schon Adam Smith hat hervorgehoben,
daß die Neigung zum Tauschen etwas spezifisch Menschliches sei und
bei keinem anderen Lebewesen gefunden werde. Er hat dabei dahin-
gestellt gelassen, „ob diese Neigung eine jener ursprünglichen Eigen-
schaften der menschlichen Natur ist, über die wir uns keine weitere
Rechenschaft geben können, oder ob sie, was wahrscheinlicher sein
dürfte, die notwendige Folge der Denk- und Sprechfähigkeit ist*'.
Neuerdings bat Simmel den Tausch als einen Ausfluß „der ganz all-
gemeinen Charakteristik, in der das spezifische Wesen des Menschen
zu bestehen scheint", dargestellt. „Der Mensch ist das objektive
Tier. Nirgends in der Tierwelt finden wir auch nur Ansätze zu dem-
jenigen, was mau Objektivität nennt, der Betrachtung und Behandlung
der Dinge, die sich jenseits des subjektiven Fühlens und Wollens stellt.
Gegenüber dem einfachen Wegnehmen oder der Schenkung, in denen
sich der rein subjektive Impuls auslebt, setzt der Tausch eine objektive
Abschätzung, Ueberlegung, gegenseitige Anerkennung, eine Reserve des
unmittelbar subjektiven Begehrens voraus. Daß diese ursprünglich keine
freiwillige, sondern durch die Machtgleichheit der anderen Partei er-
1. Kapitel, Die Eutstehuug des Geldes. § 3. 11
zwunofeue sein ma^, ist chifUr ohne lielaiif;^; denn das Entscheidende,
spezilisch Menschliche ist eben, dali die Macht^jleichheit nicht zum
gegenseitigen Raub im Kampf, sondern zu dem abwägenden Tausch
fuhrt, in dem das einseitige und persönliche Haben und Habenwollen
in eine objektive, aus und über der Wechselwirkung der Subjekte sich
erhebende Gesamtaktion eingeht. Der Tausch, der uns als etwas ganz
Selbstverständliches erscheint, ist das erste und in seiner Einfachheit
wahrhaft wunderbare Mittel, mit dem Besitzwechsel die Gerechtigkeit
zu verbinden; indem der Nehmende zugleich Gebender ist, verschwindet
die bloße Einseitigkeit des Vorteils, die den Besitzwechsel unter der Herr-
schaft eines rein impulsiven Egoismus oder Altruismus charakterisiert " —
Wenn nun, wie wir gesehen haben, der Tausch auf der Voraus-
setzung des persönlichen Eigentums beruht, so hat andererseits zweifellos
bei den meisten Völkern die Eigentumsbildung gerade durch eine be-
stimmte Art des Tauschhandels eine Förderung erfahren, nämlich durch
den Tauschhandel mit fremden, bereits weiter vorgeschrittenen Völker-
schaften. Der Anreiz zum Tausche ist um so stärker, je verschieden-
artiger die im Besitze verschiedener Personen befindlichen Güter sind;
denn der Sinn des Tausches ist ja, daß man etwas anderes bekommen
•will an Stelle dessen, was man hat. Innerhalb derselben Gruppe und
desselben Stammes, die auf primitiver Stufe eine große Einförmigkeit
und Gleichartigkeit der Güterherstellung aufweisen, ist deshalb der
Anreiz zum Tausche zunächst nur schwach; anders verhält es sich,
wenn eine Berührung mit fremden Völkern entsteht, die aufgrund anderer
natürlicher und technischer Voraussetzungen anders geartete Güter er-
zeugen. So mag der Tausch in die einzelnen Gruppen und Stännne
vielfach von außen hineingetragen worden sein, und der Außenhandel
mag auf diese Weise vielfach die Priorität vor dem Binnenhandel be-
anspruchen. Welch ein starker Anreiz zum Tauschen liegt für wilde
und halbwilde Stämme darin, wenn sie von unternehmungslustigen
Kaufleuten aus vorgeschritteneren Kulturkreisen aufgesucht und wenn
ihnen alle möglichen verlockenden Gegenstände gezeigt werden, Dinge,
die sie bisher nicht kannten, und deren Herstellung ihnen aus
natürlichen und technischen Gründen unmöglich ist, wie Glasperlen,
Baumwollzeuge, Eisenwaren usw. Indem nun die Fremdlinge im
Austausche gegen ihre Waren, die die Begehrlichkeit der Wilden
heftig anregen, ganz bestimmte andere Gegenstände verlangen, wie
Felle und Pelze im Norden. P^lfenbeiii, Kautschuk, Goldstaub usw.
in Afrika, lenken sie die Wilden darauf hin, diese Dinge iilanmäÜlg
fUr den Austausch zu beschafl'en. So trägt der Verkehr mit b'remden
wesentfich zur Förderung des Tauschverkehrs bei, und die Waren des
AußiMihandels, sowohl die Einfuhr- als die Ausfuhrwaren, bilden überall
eine der frühesten Kategorien derjenigen (Jüter, an welchen ein i)er-
sönliches Eigentum besteht. Mithin beruht nicht nur der Tausch
auf der Voraussetzung des Eigentums, sondern die Möglichkeit des
Tausches hat andererseits zur Ausbildung des iMgentums erheblich bei-
getragen.
Der Tausch machte nun verschiedene Vorrichtungen erforderlich,
die in einem viel weiteren Umfang als vorher dadurch notwendig wurden,
I
12 Erstes Buch. I, Abschnitt, Die Eutwicklimgsgeschichte des Geldes.
daß der Tausch die Herstellung^ einer Beziehung, einer Gleichung
zwischen verschiedenartigen Dingen und verschiedenen Quantitäten vor-
aussetzt. Neben dem Zählen der Gegenstände wird jetzt das genaue
Messen und Wiegen von Wichtigkeit, vor allem aber das Vergleichen
des Wertes der auszutauschenden Güter.
Das Zählen bedurfte keinerlei künstlicher Vorrichtungen. Für
das Abmessen benutzte man in primitiver Weise die am menschlichen
Körper von der Natur gegebenen Dimensionen, wie den Arm, den Zoll,
den Fuß, den Schritt. Die natürlichen Wagschalen sind die beiden
Handtlächen. Genaueres Wägen wurde zuerst notwendig bei den kost-
barsten Gegenständen. Während mau anfänglich von den dünnen Gold-
spiralen Stücke nach dem Augenmaß abbrach, scheint die Goldwage
nach den neuesten metrologischen Forschungen die erste künstlich
konstruierte Wage gewesen zu sein, deren sich die Menschen bedienten.
Das Gewicht wurde in Fruchtkörueru dargestellt. Das „Karat", das
als Gewichtseinheit für Gold lange Zeit in der ganzen Kulturwelt in
Geltung war, bei uns in Deutschland bis in die zweite Hälfte des
19. Jahrhunderts hinein, ist arabischen Ursprungs und geht auf den
Kern der Johannisbrotfrucht zurück. Neuerdings ist glaubhaft
gemacht worden, daß auch das Gewicht, welches heute noch in Eng-
land im Edelmetallhandel und in der Münze angewendet wird, das
Troypfund, auf einer ähnlichen Grundlage beruht, indem seine kleinste
Unterteilung, das Grän, von dem Gewicht des Gerstenkorns abgeleitet
sein soll.
Am kompliziertesten und interessantesten gestaltet sich das Ab-
schätzen des „Wertes". Hierfür gibt es keinen konkreten und greif-
baren Maßstab, wie für Ausdehnung und Gewicht; denn die Wertbildung
ist ein subjektiver Vorgang, der Wert haftet nicht an den Dingen
selbst, sondern die Bewertung der Dinge vollzieht sich in der mensch-
lichen Seele. Allerdings hat der Wert in dieser Hinsicht eine Doppel-
stellung (Simniel, Philosophie des Geldes). Die weitgehende Gleich-
artigkeit und Übereinstimmung der Anschauungen und der Zweckmäßig-
keitsvorstellungen innerhalb einer und derselben menschlichen Gemein-
schaft erzeugt gewisse Normen, die den subjektiven Bewertungsprozeß
in der Einzelseele maßgebend beeinflussen; diese Normen erscheinen, ob-
wohl sie aus einer Summe gleichartiger subjektiver Vorgänge entstanden
sind, als etwas außerhalb der Einzelseele Stehendes, als etwas im Reich
der Dinge Gegebenes, kurz als etwas Objektives. Der Tausch, bei
dem ein Gut gegen ein anderes hingegeben wird, hat außerordentlich
viel dazu beigetragen, den „Wert" als etwas den Dingen Anhaftendes,
der Einzelwillkür Entrücktes erscheinen zu lassen; denn beim Tausche
verkörpert sich der Wert des einen Gegenstandes in dem anderen Gegen-
stande, für den er hingegeben wird. Aber trotzdem dadurch der Wert
aus der Menschenseele in die Außenwelt verlegt erscheint und sich als
eine den Dit)gen anhaftende ^Eigenschaft darstellt, ist damit noch kein
greifbarer Maßstab für die Wertermittlung gegeben. Selbst der Be-
griff des „Wertmessers", wie wir ihn heute in unserem „Geld" ver-
körpert sehen, unterscheidet sich wesentlich von den Maßen für Aus-
dehnung und Gewicht, die zur objektiven Ermittelung von Ausdehnung
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldes. § 3. 13
und Gewicht und gleichzeitig als gemeiuschaftlieher Aosdrnck für Aus-
dehnungs- nnd Gewichtsgrüßeu dienen, während das Geld nur als ge-
meinsamer Wertausdruck fungiert, zu einer Wertermittlung jedoch
nicht fähig ist.^) Aber auch der Begriff des Wertmessers in diesem
beschränkten Sinn war der Zeit, in welcher das Geld erst im Klntstehen
war, noch gänzlich fremd.
Wie sich aus dem Vorstellungskreise des Naturmenschen heraus der
komplizierte Vorgang des Gleichsetzens von Werten gebildet und immer
feiner entwickelt hat, davon ist aufgrund verhältnismäßig spärlicher
Anhaltspunkte wenigstens in ganz groben Zügen eine Anschauung
möglich. Wenn uns berichtet wird, daß die Eingeborenen des Bismarck-
archipels im Tauschhandel schnurweise aufgereihte Kaurimuscheln, die
sie Dewarra nennen, nach ihrer Länge verwenden, in der Weise, daß
sie für Fische dieselbe Länge in Dew^arra geben, wie die Fische selbst
laug sind; wenn man auch in anderen Gebieten der Erscheinung be-
gegnet, daß das gleiche Maß zweier Dinge als wertgleich gilt, ein Maß
Getreide z. B. als wertgleich mit demselben Maß von Kaurimuscheln-),
— so haben wir hiermit die primitivste Stufe der Wertgleichsetzung,
eine Stufe, auf der die Wertgleichheit noch durch die quantitative
Gleichheit gegeben erscheint, und der gegenüber eine „Wertvergleichung,
die nicht auf quantitative Kongruenz hinausläuft, einen höheren geistigen
Prozeß darstellt".
Was nun diese sich über die bloßen Quantitätsvorstellungen er-
hebende Wertvergleichung anlangt, so ist es, namentlich aufgrund
der Forschungen von Ridgeway^), überaus wahrscheinlich, daß sich
auf primitiver Kulturstufe zwischen allen Gegenständen, die freies
Eigentum und mithin tauschbar geworden waren, konventionelle
Wertverhältnisse ausgebildet haben, die als Normen für den Tausch-
verkehr galten und die offenbar nur ganz langsamen Veränderungen
unterlagen. Beobachtungen, die bei jetzt noch halbwilden Völker-
schaften gemacht worden sind, bestätigen diese Annahme. So galt im
alten Grichenland und in Irland ein männlicher Sklave gleich drei
Kühen, und so bestanden bis in die neueste Zeit hinein bei zahlreichen
halbwilden Völkerschaften Afrikas und der Südsee interessante Wert-
skalen, die aus den wichtigsten Tauschgütern gebildet waren. Kidgeway
und Schurtz geben eine ganze Anzahl von Beispielen. Letzterer gibt
z. B. nach Mollien (Keise nach dem Innern von Afrika) für Boudu im
westlichen Sudan folgende Werttabelle:
1 Sklave = 1 Doppelflinte und 2 Flaschen Pulver
= 6 Ochsen
= 100 Stück Zeug;
1 Schnur Glasperlen = 1 KUrbisflasche voll Wjisser
= 1 Maß Milch
= 1 Arm voll Heu;
2 Schnüre Glasperlen = 1 Maß Hirse.
') Vjrl. hierzu die näheren Auafühnmefen unten im II. Buch, Kapitel 3, § 5.
') V>arl. Sinnnel. a. a. ()., S. lü.'i; Schurtz, nrundriß einor Entstehungs-
geschichte des üolde«. 1890. S. 80 und die Hort zitierten Publikationen.
•) Siehe Ridgeway, The origiu of nietallic currency. 1892.
14 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwioklnngegeschichte des Geldes.
In Dnrfonr in Zentralafrika bestand noch am Ende des vorigen
Jahrhunderts folgende Wertskala, deren Grundlage der männliche Sklave
von bestimmter normaler Größe war. Ein solcher Sklave galt gleich
30 Stück Haumwollgewebe von bestimmter Länge, gleich 6 Ochsen,
gleich 10 spanischen Dollar von bestimmtem Gepräge. Das System
wurde ergänzt durch Zinnringe, Perlenschntire usw.
Wie sich diese Wcrtverhältnisse gebildet haben, welche Rolle dabei
die Vorschriften über die Leistungen an die Priester und die Häuptlinge
gespielt haben, ist nicht festzustellen. Dagegen erscheint es sehr be-
greiflich, daß solche festen Wertverhältnisse entstanden sind. Je lebhafter
and feiner der Handel entwickelt ist, um so empfindlicher ist das Be-
wertungsverhältnis der einzelnen Güter; je schwächer nnd primitiver
der ganze Verkehr, desto schwerfälliger ist die Preisbewegung. Wir
brauchen nur die Preisentwicklung an der Börse, dem feinsten Organ
des modernen Handels, zn vergleichen mit derjenigen in entlegenen und
verkehrsarmen Provinzen, wo es heute noch herkömmliche Preise und
herkömmliche Löhne gibt, von denen man nur ungern und gezwungen
abweicht. Hier herrscht das Herkommen als allgemeine Norm, dort die
individuelle Abwägung in jedem Einzelfall.
Es ist wahrscheinlich, daß diese herkömmlichen Wertverhältnisse
alle Güter umfaßten, die überhaupt veränßerliches Eigentum waren.
Die feste gegenseitige Bewertung der Güter ist eine wesentliche Er-
leichterung des Tausches, weil sie die schwierige Aufgabe der Wert-
bemessung für die einzelnen Tauschakte überflüssig macht. Ja es ist
möglich, daß der Tausch in größerem Umfange überhaupt nur durch
die Festlegung der Tauschverhältnisse seitens der obrigkeitlichen oder
priesterlichen Gewalt ermöglicht wurde, da nur durch solche Normen
die Schwierigkeit überwunden werden konnte, die in dem Mangel eines
jeden greifbaren Anhaltspunktes für die W^ertgleichsetznng verschieden-
artiger Güter bestand. Weit über die primitiven Zeiten hinaus, von
denen hier die Rede ist. war für den Handel eine objektive Norm der
Tausch Verhältnisse und Preise ein Bedürfnis, dem Preistaxen und ähn-
liche Einrichtungen entsprachen.
Man hat nun in den durch traditionelle W^ertverhältnisse ver-
bundenen Gütern die erste Erscheinungsform des Geldes sehen wollen
(Ridgeway und Lotz). Aber diese Annahme ist mindestens solange
nicht zutreffend, als die W^ertskala sämtliche überhaupt tauschbaren
Güter umfaßt; solange das der Fall ist, haben sich das Geld und die
übrigen tauschbaren Objekte noch nicht differenziert ; es fehlt noch das
wesentliche Merkmal, daß einzelne Güter aus dem ganzen Kreise der
tauschbaren Objekte vorzugsweise dazu verwendet werden, den Aus-
tausch der anderen zu vermitteln, daß sie eingetauscht werden nicht
nm ihrer selbst willen, sondern om gegen andere Dinge wieder aus-
getauscht zu werden.
Das Geld mußte sich also aus den Eigentum darstellenden und in
herkömmlichen Austauschverhältnissen stehenden Gütern erst entwickeln.
Wir müssen uns diese Entwicklung so vorstellen, daß zuerst Güter, die
dem Gebranch dienten, gelegentlich und nebenbei auch als Tausch-
mittel verwendet wurden. In Betracht kamen dafür wohl überall an-
I.Kapitel. Die Eutütehnn? de"? Geldes. § 3. 15
fänplich nnr solche Dinge, die nicht dem unmittelbaren Verbrauch
dienen, sondern dem längeren Gebrauch. Der Wilde und Halbwilde
zeichnet sich aus durch mangelhafte Vorsorge fllr die Zukunft. Ist ihm
das Glück gUnstig. hat er eine gute Kriegsbeute oder Jagdbeute oder
einen reichen Fischzug gemacht, dann lebt er in Saus und Hraus, so-
lange die erworbenen und erkiinipften \'orräte reichen ; dann leidet er
wieder Mangel. Erlegtes Wild, Fische und Früchte werden so rasch
wie möglich verzehrt. Dagegen können sich Schmuckgegenstände jeder
Art, wie Hinge nnd Spangen aus Gold oder Bronze, Perlen und Muscheln,
Waffen und kostbare Geräte, Sklaven und Sklavinnen, Viehherden usw.
im Besitz des Einzelnen in großen Massen ansammeln. Jedermann wird
solche Dinge im gegebenen Falle gern eintauschen, zunächst in der
Absicht, sie zu behalten und für sich zu gebrauchen; im Notfall jedoch,
oder wenn ihn anderes mehr lockt, wird er sich entschließen, diese
Dinge im Austausch gegen andere wieder fortzugeben. So tragen die
indischen Frauen bis in unsere Zeit hinein ihren ganzen Geldbesitz in
Form von Silberschrauck am eignen Leibe, d. h. das Silber dient ihnen
als Schmuck, solange sie nicht genötigt sind, es als Geld zu verwenden.
Je mehr dann in der weiteren Entwicklung der Tausch den Zu-
stand der Eigenproduktion durchsetzte und dadurch zu einer Verfeine-
rung der Arbeitsteilung führte, desto mehr mußten die Schwierigkeiten,
die auch schon unter den einfachsten Verhältnissen dem direkten Aus-
tausch entgegenstanden, zur planmäßigen Benutzung gewisser Güter als
Tanschmittel führen. Je mehr sich der Kreis der tauschbaren Güter
erweitert, desto seltener wird der Fall, daß sich zwei Leute begegnen,
Ton denen jeder gerade diejenige Ware überflüssig hat. welche der
andere als Gegenwert für seine Ware verlangt. Die wachsende
Schwierigkeit des direkten Austanschs mußte dazu führen, daß man das
Ziel auf Umwegen zu erreichen suchte. Die Schwierigkeit war nur zu
Überwinden, wenn diejenigen, welche bestimmte Waren überflüssig
hatten, gegen diese zunächst solche Waren eintauschten, von denen sie
erwarten durften, für sie jederzeit die von ihnen wirklich benötigten
Dinge erhalten zu können. Die früher nur gelegentlich zum Austausche
verwendeten Güter wurden mehr und mehr planmäßig für den Zweck
des Austausches angesammelt.
Wenn wir diejenigen Dinge betrachten, welche nach historischen
Ueberlieferungen in den Anfangsstadien der N'erkebrswirtschaft bei den
einzelnen Völkern als Geld fungiert haben oder heute noch bei halb-
wilden \'ölkerschaften (Telddienste versehen, dann erhalten wir eine
bunte Auswahl der verschiedenartigsten Gegenstände. Die besonderen
wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Stämme und Völker, das
Vorwiegen der Jagd, der Viehzucht, des Ackerbaus, der Reichtum an
verschiedenen Metallen, die Berührung mit anderen \ iilkern und Stämmen
auf de^m Wege des Handels und andere l'mstände üben ihren Einfluß
auf die Verwendung bestimmter Güter zu (ieldzwecken aus. Dazu
kommen Satzungen der weltlichen und geistlichen Obrigkeit, die für
die Leistung von Abgaben und die Entrichtung von Vermögensbußen,
bestimmte (Jüter vorsehrieben. Auch mystische und religiöse Vor-
stellungen aller Art sind häufig mit im J5piel und erzeugen mitunter
16 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
absonderliche Bildung:eu auf dem Gebiet des primitiveu Geldwesens.
Bei Jäg:ervölkern kommen als Tauschmitlel vor allem Waffen in Betracht,
bei Hirtenvülkern das Vieh, bei Stämmen, die mit fremden Kaufleuten
Handel treiben, die ein- und auszutauschenden Waren. Unmittelbar
dem Konsum dienende Waren, wie Getreide, Reis, Tee, Kakaobohnen,
Tabak, getrocknete Fische, Salz und ähnliches mehr, erfüllen aus den
bereits aneredeuteten Gründen meist erst in vorgeschrittenen Stadien der
wirtschaftlichen Entwicklung die Funktionen von Tauschmittelu. Diese
Produkte selbst setzen schon einen regelrechten Wirtschaftsbetrieb vor-
aus, und ihre Verwendung als Geld ist häufig in Fällen eingetreten,
wo der Gebrauch von Metallgeld bereits bekannt war, die metallischen
Umlaufsmittel selbst aber fehlten und durch Produkte der erwähnten
Art ersetzt werden sollten, so z, B. noch am Ende des 18. Jahrhunderts
in manchen Gebieten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Neben den genannten Gütern hat sich eine Gruppe von Waren
allenthalben frühzeitig zum Tauschmittel herausgebildet: diejenigen
Gegenstände, welche als Schmuck Verwendung finden können, so kost-
bare Steine, Schmuckgegenstände aus Bronze und Edelmetall ; auch die
Kaurimuscheln sind wahrscheinlich durch ihre Verwendung zu Schmuck-
zwecken zu ihrer Funktion als Geld hindurchgegangen. Weitaus am
wichtigsten von allen Stoffen, die zur Herstellung von Schmuckgegen-
ständen dienten, sind für die Entwicklung des Geldes die Edelmetalle
Gold und Silber geworden; sie haben im Lauf der Zeit mehr und mehr
die übrigen Güter aus der Rolle des Tauschmittels verdrängt.
Zu merkwürdigen Bildungen hat bei gewissen halbwilden Völkern
die Verbindung mystischer Vorstellungen mit dem Gelde geführt. Selt-
samkeit des Ursprunges, hohes Alter, Einholung des Geldes aus ent-
fernten Gebieten und unter bestimmten Zeremonien, irgendwelche Ver-
bindungen mit dem Totenkultus und dem Geisterglauben, — das alles
verleiht vielfach bei halbwilden Völkern Gegenständen, die an und
für sich ungeeignet als Gebrauchs- und Verbrauchsgut sind, ein ge-
heimnisvolles Ansehen. So leitet das merkwürdige Scherbeugeid der
Palau-Inseln seinen Wert von seinem hohen Alter und seinem angeb-
lich himmlischen Ursprung ab. Das Steingeld der Insel Yap, mühl-
stein artige Aragonitplatten von verschiedener Größe, wird unter
großen Gefahren von den Palau-Inseln eingeholt. Die Bewohner des
Bisraarckarchipels pflegten ihr Muschelgeld zu ganz bestimmten
Zeiten aus bestimmten Bezirken der NordkUste von Neupommern zu
beschaffen.
Wenn nun die als Tauschmittel dienenden Güter eine Auswahl aus
dem ganzen Kreise der Tauschobjekte darstellten, so standen auch sie
naturgemäß unter der Herrschaft der herkömmlichen Wertverhältnisse,
die sich über die Gesamtheit der Tauschgüter erstreckten. Die
traditionellen Wertverhältnisse schufen hier aus den verschiedenartigsten
Gütern, aus Sklaven, Rindern, Schafen, Edelmetallringen und -Spangen,
Muscheln, Fellen, Salz usw. gewissermaßen ein einheitliches Geld-
system. Aber diese primitiven Geldsysteme dürfen nicht unter einem
unseren heutigen Geldsystemen entlehnten Gesichtspunkte betrachtet
werden: die Grenze zwischen Tauschmittel und Tauschgut war vollkommen
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldes. § 3, 17
flüssig, das Geld stand den Waren noch nicht gegenüber wie eine in
sich geschlossene Einheit der Vielheit. Ferner entsprach den festen
Wertverhältnissen zwischen den einzelnen als TauschniittL-l dienenden
Gütern dnrchaus nicht immer die Vertretbarkeit, durch die die
einzelnen Geldarten erst zu einem Geldsysteme vereinigt werden. Wir
begegnen vielmehr einer gewissen Itangorduung der einzelnen Geldarten,
vermöge deren kostbare Güter nur durch entsprechend kostbare Tausch-
mittel eingetauscht werden können, während andererseits kostbare Tausch-
mittel nur zum Eintausch entsprechend wertvoller Waren, nicht aber
zum Ankauf großer Mengen geringwertiger Gegenstände verwendet
werden dürfen. So konnte man in Afrika vielfach Sklaven nicht mit
geringwertigen Tauschmitteln kaufen, sondern nur mit bestimmten kost-
baren Gegenständen, wie Elfenbein oder Gewehreu und Schießpulver.
In Angola konnte Elfenbein nur gegen Schießpulver und Gewehre ein-
gehandelt werden. In ßetschuanalaud war Kindvieh nicht gegen den
sonst als Tauschmittel gebräuchlichen Tabak, sondern nur gegen Eisen
und Zeuge käuHich. Ebenso war in gewissen Teilen Westafrikas
Gold nicht für Glaswaren, Tabak usw. erhältlich, sondern nur für
Kleiderstoft'e, Salz oder Bernstein. Auch für den Kauf von Frauen
sind stellenweise nur ganz bestimmte Tauschmittel zulässig ^).
Die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Arten der Tausch-
mittel sind hier also trotz der zwischen ihnen bestehenden herkömm-
lichen Wertverhältnisse nicht auf eine lediglich quantitative Beziehung
reduziert, es bestehen vielmehr zwischen ihnen noch gewisse qualitative
Unterschiede, die sie noch nicht in einem Geldsysteme untergehen lassen.
Der jeder spezifischen Qualität entbehrende Geldcharakter ist bei diesem
Kreise von Tauschmitteln noch nicht ausgebildet.
Nicht als Geld angesehen werden dürfen bestimmte Güter, deren
Besitz zwar Macht und Ausehen verleiht, die aber im allgemeinen nicht
als Tauschmittel dienen, sondern sich oft geradezu durch ihre Unver-
äuüerlichkeit auszeichnen, die aber wegen ihrer Aehnlichkeit mit bestimmten
Formen des Geldes mitunter gleichfalls als Geld angesehen worden sind.
Hierher gehören z. B, die „feinen Matten" auf Samoa. Von diesen hat
jede ihre mehr oder minder sagenhafte Geschichte, und nach der Be-
deutung derselben richtet sich ihre Wertschätzung und das Ansehen.
das ihr Besitz verleiht. Sie sind ein wertvolles Besitztum der samoa-
nischen Familienverbände, aber sie fungieren nicht als Tauschmittel.
Sie wurden vielmehr bei jeder neuen Köuigswahl unter bestimmten,
meist zu blutigen Fehden führenden Zoren)onien neu verteilt und blieben
dann bis zur nächsten Königswahl im Besitz eines und desselben Familien-
verbandes. Wie wenig sie als Geld, als Verkehrsinstrument in irgend-
welchem Sinne aufgefaßt werden können, zeigt ein in d-n Akten des
Gouvernements von Samoa belindliches Schreiben des „hohen ll:iu|)tlings"
Mataafa, in dem der Gouverneur gebeten wird, die Matten für un-
pfändbar zu erklären, da sie heilig seien utid für den Samoaner deu-
seli)en Wert hätten, wie Orden und Ehrentitel für die Deutschen. —
Auch das sogenannte Steingeld von Yap, das schon wegen seiner Schwere
1) Siehe Schurtz a. a. 0. S. 80; Simmcl, a. a. 0. S. 288.
Helffaricb, Uu Geld '2
IS Erstes Buch. I. Abschnitt, Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
durchaus ungeeignet ist, Geldfunktioncn zu verrichten, wechselt —
wenigstens in seinen größeren Stücken — nur in den seltensten Fälleo
seinen Besitzer; die Hestininiuiig der grüÜeren Stücke liegt oOenbar
weniger in der \'erkehrsverniittlung als darin, daß ihr Besitz, ähnlich
wie auf Saiuoa der Besitz von feineu Matten, großes Ansehen verleiht.
§ 4. Die Edelmetalle als allgemeines Tanschmittol.
Wie bereits erwähnt, finden sich unter den als Tauschmittel dienen-
den Gutern fast überall frühzeitig Metalle, namentlich die Edelmetalle
Gold und Silber, neben ihnen vor allem Kupfer und Bronze, Eisen, viel-
fach auch Zinn. Das Schmuckbedürfnis, dem hauptsächlich die Edel-
metalle dienen, ist ebenso früh und allgemein entwickelt, wie andererseits
d:is Bedürfnis nach Waffen und Werkzeugen, dem die unedlen Metalle
genügen: die daraus hervorgehende allgemeine Begehrtheit hat die
Metalle als besonders geeignet zum Tauschraittel erscheinen lassen.
Gold und Silber begegnen uns als Tauschmittel in der frühesten
unseren Forschungen zugänglichen Zeit bei den Assyriern, Babyloniern
und Ägyptern. Für Griechenland bezeichnet Plutarch das Eisen als
das früheste allgemeine Tauschmittel, und in dem konservativen Sparta,
hat sich das Eisengeld noch bis in spätere Perioden hinein erhalten.
In Italien hat von allen Metallen am frühesten das Kupfer Gelddienste
versehen. Zinngeld finden wir namentlich bei den Malayen, deren Land
eich durch einen großen Reichtum an diesem Metalle auszeichnet.
Ueberall jedoch haben mit fortschreitender Kultur die Edelmetalle
den Vorrang gewonnen und immer ausschließlicher die Funktionen des
Geldes in sich verkörpert. Neben ihnen sind unedle Metalle, nament-
lich Kupfer, nur in geringem Umfange zur Ergänzung des Geldsystems
durch kleine Stücke beibehalten worden ; alle übrigen Güter, die ur-
sprünglich Gelddienste versahen, haben diese Stellung gänzlich verloren.
Man hat oft diese Entwicklung als etwas Wunderbares und Un-
erklärliches angesehen und einen inneren Widerspruch darin gefunden,
daß gerade die Edelmetalle, die keinem dringenden Bedürfnisse, sondern
nur dem Schmuckbedürfnisse und der Jiitelkeit dienen, zu der hervor-
ragenden und beherrschenden Stellung im wirtschaftlichen Verkehr ge-
kommen f-ind, die das Geld einnimmt, und daß jedermann bereit ist,
die an sich entbehrlichen Edelmetalle im Austausche für die allernot-
wendigsten Bedarfsgüter anzunehmen.
Aber dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Wie ein ge-
naueres Eindringen zeigt, verdanken es die Edelmetalle gerade ihrer
relativen Entbehrlichkeit, verbunden mit ihrer Schönheit, ihrer Seltenheit
und anderen Eigenschaften, daß sie zum wichtigsten Geldstoff der
Kulturwelt geworden sind.
Ihre Schöiiheit und Formbarkeit lassen sie als Rohstoff für Schmuck-
gegenstände und für Geräte aller Art — ganz unabhängig vom Urteil
über die „Kützlichkeit'^ — allgemein begehrt erscheinen. Obwohl
nirgends ein zwingendes Bedürfnis nach Edelmetallen besteht, wie etwa
nach Nahrung und Kleidung, so ist doch die Nachfrage nach Gold und
Silber zu Luxuszwecken viel weniger begrenzt, wie die Nachfrage nach
den für die Erhaltung des Lebens notwendigsten Gütern. An Nahrung
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldes. § 4. 19
mehr aofzuhäufeu, als man in absehbarer Zeit zur Sättigung bedarf,
daran hat niemand ein Interesse. FUr die Aufliäufung von Sehmuck-
und PruniistUeken dajrof^en gibt es keine Schranken. Der menschliche
Magen hat eine begrenzte Aufnahmefähigkeit, das Schmuckbedlirfnis, die
Eitelkeit und die Trunksucht dagegen kennen keine Sättigungsgreuze,
Derjenige, welcher UeberfluÜ an den notwendigsten Bedarfsgütern hatte,
war deshalb stets geneigt, dafür edle I\Ietalle, verarbeitet oder unver-
arbeitet, einzutauschen, deren Besitz der Eitelkeit schmeichelt und An-
sehen verleiht; und deshalb konnte man von den Edelmetallen erwarten,
daß mau filr sie jederzeit die benotigten und anderwärts überflüssigen
Waren würde erhalten können. Die Uuentbehrlichkeit der Nahrungs-
mittel üsw. erstreckt sich für den Einzelnen immer nur auf ein be-
grenztes Quantum; darüber hinaus sind sie absolut überflüssig, ja wegen
der Mühe und Gefahr der Aufbewahrung sogar lästig. Bei den Edel-
metallen jedoch entspricht gerade der Entbehrlichkeit die ganz allgemein
ond quantitativ unbegrenzte Begehrtheit und Verwendbarkeit.
Die Edelmetalle besitzen ferner eine nahezu unbegrenzte Wider-
standsfähigkeit gegen zerstörende Einflüsse. Gold und Silber werden
weder vom Wasser noch von der Luft augegriffen; sie verlieren im
Feuer nur bei gauz hohen Temperaturen von ihrer Substanz; Gold löst
sich nur in Königswasser (3 Teile Salzsäure und 1 Teil Salpetersäure)
und wird nur von Chlor, Brom und wenigen anderen Chemikalien an-
gegriffen, während Silber in Salpetersäure und konzentrierter Schwefel-
säure löslich ist und von Salzsäure angegriffen wird. Auch den
physikalischen Einffüssen der Reibung gegenüber zeigen sich die Edel-
metalle, namentlich wenn sie einen passenden Zusatz anderer Metalle
erhalten (I^egierung), sehr widerstandsfähig. Infolge dieser Eigenschaften
hissen sich die Edelmetalle, ohne sich in ihrer Substanz zu verändern,
beliebig lang aufbewahren. Sie fanden besonders leicht Annahme als
Gegenwert für die übrigen Güter, weil in ihnen nicht, wie in den einem
rafchen Verderb ausgesetzten Waren, der Zwang liegt, sie alsbald zum
eignen Verbrauch oder zu einem abermaligen Tausche zu verwenden.
Des weiteren ist die Beschaffenheit der Edelmetalle eine durchaus
gleichartige in jedem einzelnen Stücke, einerlei an welchem Ort das
Metall gewonnen ist. Das trifft zwar streng genommen auch für die
unedlen Metalle, wie das Kupfer, zu, nur daü hier die stets vorhandene
Beimischung anderer Metalle zu Unterschieden führt, deren Beseitigung
im Wege der Affinierung — im Gegensatz zu den Edelmetallen — die
Kosten nicht deckt. Die gleichartige BeschafTenheit der Edelmetalle
bewirkt, daß Unterschiede der Qualität nicht abzuwägen sind, daß gleiche
Gewiehtsniengen desselben Metalls stets gleiche Werte darstellen und
vich deshalb restlos gegenseitig ersetzen und vertreten können.
Eine (Ur die (ieldfunklion der Edelmetalle sehr wesentliche Eigen-
schaft ist ferner ihre unbegrenzte Teilbarkeit. Man kann die Edel-
metalle sehr exakt in die denkbar kleinsten Teile zerlegen und beliebig
viele kleine MetalJstUekchen jederzeit und ohne nennenswerte Kosten
wieder zu ein»'m groÜen Klumpen zusammenschmelzen. Die letztere
Möglichkeit sorgt dafür, daß der Wert verschieden großer Edelmetall-
Stücke stets ihrem Gewichte entspricht, daß mithin die Teilung in kleine
20 .Erstes Buch. I. Abschnitt. Dio Entwickluugsgescbichto des Geldes.
Stücke keinen Wertverlust mit sich bringt. Nur diese Eigenschaft
erniöiriicht es, fast ohne Eiiischriinknng; beliebig: große Werte darzustellen,
iin Gegensatz zu CaUern, die ihrer Natur nach unteilbar siud, wie etwa
Sklaven und Vieh, oder bei denen die Teilung eine grolie Wert-
verringerung involviert, wie bei Diamanten, bei denen es bisher nur
gelungen ist, aus einem großen mehrere kleine zu machen, nicht aber
aus mehreren kleinen einen großen. Eine besondere Folge der Form-
barkeit der iulelinetalle ist ihre Eignung zur Annahme eines Gepräges,
durch das von autoritativer Seite Feinheit und Gewicht ! der einzelnen
Stücke beglaubigt werden kann. Die große Wichtigkeit dieser Eigen-
schaft soll später erörtert \verden.
Außerdem kommt in Betracht die relative Seltenheit und die daraus
sich ergebende Kostbarkeit der Edelmetalle. Ihr speziüscher Wert ist
ein hoher, da der vorhandene Bestand gegenüber der allgemeinen
Begehrtheit beschränkt ist und durch die Neugewinnung nur in lang-
samem Tempo vermehrt werden kann. Andererseits ist doch der vor-
handene Bestand groß genug, um den Edelmetallen in ausreichendem
Umfange die Funktion als Geld zu ermöglichen. Infolge des hohen
Wertes in geringem Gewicht und Volumen stellen sich bei den Edel-
metallen die Kosten der Aufbewahrung und des Transports ganz be-
trächtlich niedriger als bei den meisten anderen Waren, und dadurch
wird sowohl ihre Annahme als auch ihre Verausgabung im Tausch-
verkehr, sowohl ihre Erhaltung in ruhendem Zustande als auch ihre
Bewegung ganz außerordentlich erleichtert.
Als eine ganz besonders wichtige Eigenschaft kommt schließlich
noch hinzu die relative Wertbestäudigkeit der Edelmetalle^), die sich
ihrerseits aus einigen der bisher aufgezählten Eigenschaften ergibt.
Diese Wertbeständigkeit steht zunächst in einem doppelten Zu-
sammenhange mit der substantiellen Widerstandsfähigkeit der Edel-
metalle gegen chemische und physikalische Einwirkungen. Durch diese
Widerstandsfähigkeit sind einmal alle diejenigen Wertveränderuugen
ausgeschlossen, welche sich bei anderen Gütern aus der unvermeidlichen
Veränderung der Substanz selbst ergeben. Zweitens sammeln sich
infolge der Dauerhaftigkeit der Edelmetalle die Ergebnisse der Edel-
metallgewinnung zu Massen an, denen gegenüber die jährliche Neu-
produktion, selbst unter den günstigsten Verhältnissen, nur einen kleinen
Bruchteil ausmacht. Je rascherem Verderben oder Verzehr ein Gut
ausgesetzt ist, desto größer ist im allgemeinen die jeweilige Neupro-
dnktion im Verhältnis zum vorhandenen Bestände, desto stärker ist
die Einwirkung der Schwankungen der Neuproduktion auf den Preis.
Während z. B. beim Getreide der jeweilige Ernteertrag den noch vor-
handenen Vorrat aus früheren Ernten meist beträchtlich übersteigt, mit-
hin das Jahr für Jahr verfügbare Getreidequantum und damit auch der
Getreidepreis in erster Keihe von den Schwankungen des Ernteausfalls
abhängt, hat selbst die stärkste jemals erreichte Jahresgewinnung von
^) Das Problem des Werfes und der „Wertbeständigkeit" soll au dieser Stelle
nicht von Grund aus erörtert werden; es sei vielmehr nur das in dem vorliegeuden
Zusammenhange Erforderliche angedeutet, während die eingehende Behandlung dem
12. Kapitel des II. Buches vorbehalten bleibt.
1. Kapitel. Die Entstehnng des Geldee. § t, 21
Gold — etwa 2,1 Milliarden Mark im Jahre 1913 — nur etwa 5 Pro-
zent des auf mehr als 40 Milliarden zu schätzenden monetären Gold-
bestandes der Welt betrajjen und vielleicht nur hall) soviel im Verhält-
nis zu dem gesamten aus Geld und (Johhvaren bestehenden Goldvorrat.
Die Dauerhaftigkeit der Edelmetalle gibt also der verfügbaren Menge
eine außerordentlich grolie Beständigkeit gegenüber den Schwankungen
der Neuproduktion. Nur eine sich auf lange Zeiträume erstreckende
ungewöhnlich hohe oder niedrige Edelmetallproduktion kann mithin
einen merkbaren Einfluß auf die Wertgestaltuug der Metalle ausüben.
Diese bedeutsame Wirkung der Dauerhaftigkeit der Edelmetalle
wird verstärkt durch gewisse Folgen, die sich aus dem Luxuscharakter
von Gold und Silber ergeben. Es ist eine bekannte Tatsache, daß
die Preisschwankungen am heftigsten sind bei den unentbehrlichsten
HedarfsgUtern und daß sie um so mehr abnehmen, je entbehrlicher ein
Gut ist. Bei Luxusartikeln genügt eine geringere Preisverminderung
als bei den unentbehrlichen Dingen, um das gestörte Verhältnis von
Angebot und Nachfrage wieder in Uebereinstimniung zu bringen. Weil
der Bedarf an Brot keine wesentliche Einschränkung verträgt, weil
jedermann lieber auf alles andere verzichten als verhungern will, des-
halb sind hier ganz andere Preiserhöhungen notwendig, um den auf-
grund des verfügbaren N'orrates nicht zu befriedigenden Teil der Nach-
frage auszuschalten, als bei Luxusgegenständen, auf die jedermann am
leichtesten verzichten kann. Andererseits ist der \ erbrauch und Bedarf
an den unentbehrlichsten Dingen, wie oben bereits gezeigt wurde, am
wenigsten steigerungsfähig; ein starkes Mehrangebot von Nahrungs-
mitteln usw. kann sich deshalb, namentlich wenn sie leicht ver-
derblich sind, nur durch ganz unverhältnismäßig viel größere Preis-
herabsetzungen Absatz verschaffen, als ein vermehrtes Angebot von
Luxusartikeln, für die eine Schranke der Aufnahmefähigkeit überhaupt
nicht existiert. Durch diese Verhältnisse erscheint die Wertbeständig-
keit der P'.delmetalle, für die ihre substantielle Dauerhaftigkeit die erste
Voraussetzung und ein äußerliches Symbol ist, in ganz besonders hohem
Grade gewährleistet.
Wenn auch einzelne der hier aufgezählten Eigenschaften bei an-
deren Objekten in gleichem oder gar in höherem Maße gegeben sind, so
tindet sich doch eine derartig glückliche und vollkommene N'ereinigung
nur bei den Edelmetallen. Wenn z. B. den Diamanten die Kostbar-
keit in höherem Maße eigen ist, so besitzen sie dafür die Unzerstör-
barkeit nur in geringerem Grade, und die Forml)arkeit geht ihnen
völlig ab. Dnrch die \'ereiniguiig der aufgeziiliiten Eigenschaften sind
die Edelmetalle in der Eignung zur Verrichtimg von Cield funktionen
allen anderen Gütern überlegen, und sie haben infolgedessen die
anderen (ieldarten allmählich verdrängt; freilich nicht in der Weise,
daß die klare Erkenntnis ihrer \ (»rzüge irgendwo uiul irgendwann zu
einem ausgesjirochenen Beschlüsse, sie allein als Tausclimittel zu be-
nutzen, geführt hätte; vielmehr hat sich die ihnen innewcdinende Eig-
nung zu diesem Zwecke ganz von selbst Geltung verschafft, indem
jeder Einzelne tat, was ihm für seine persönlichen Interessen zweck-
22 Erstes Blieb. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgescbicbte des Geldes.
mäßip erschien, kam die Gesamtheit immer mehr zur ausschließlichen
lUMiutzunjr diT Kdchnctalle zur Tnuschvormittlung.
Das Zwangsliiuli^c diesi'r Kiitwickluii}; tritt am meisten hervor, wem»
man erwäsrt, dali neben den positiven Vorzllj^en der Edelmetalle vor
allen anderen Tauschmitteln auch ein negatives Moment die Entwicklung
bestimmen mußte. Durch den gesamten Fortschritt der Volkswirtschaft,
beruhend auf der in)mer weitergehenden Arbeitsteilung, mußten die
■wichtigsten der anfänglich neben den Edelmetallen als Tauschmittel
fungierenden Güter ganz von selbst ausgeschaltet werden. Wir
brauchen nur an die neben den Edelmetallen wichtigste Kategorie der
Tauschmittel, au das Viehgeld, zu denken. Es ist ohne weiteres klar,
daß das Vieh nur bei Nomaden und Hirtenvölkern die Dienste als
allgemeines Tauschmittel versehen kann. Nur wo die Bedingungen
für die \ iehhaltung für jedermann so gut wie unbegrenzt gegeben
sind, kann das \ ieh in großem Umfange den Dienst als Tauschmittel
versehen. Schon mit der Einführung und Ausdehnung des Ackerbaues
werden jedoch die Bedingungen für die Viehhaltung beschränkt; sie
werden es immer mehr, je mehr sich die einzelnen Berufe von einander
scheiden und je mehr sich einzelne Berufszweige von dem unmittel-
baren Zusammenhange mit dem Grund und Boden loslösen. Gerade für
diejenigen Berufe, welche späterhin die Geldwirtschaft am meisten
ausgebildet haben, für die städtischen Gewerbe, fehlen die Voraus-
setzungen für ein Viehgeld vollständig. Ein Handwerker, der keinen
Grundbesitz und kein Weiderecht hat, ist nicht in der Lage, Ochsen
und Kühe im Austausch gegen seine Erzeugnisse anzunehmen.
So mußten allmählich alle diejenigen Güter, deren Gebrauchswert
und deren Aufbewahrung von beruflichen Voraussetzungen abhängig
sind, als Tauschmittel in Wegfall kommen, und es mußte sich ganz von
selbst ergeben, daß die Edelmetalle, deren Verwendbarkeit und Auf-
bewahrungsmöglichkeit an keine berufliche Voraussetzung gebunden
ist und deren natürliche Eigenschaften ihre Annahme im Austausch
gegen andere Waren so sehr befördern, immer mehr zum allgemeinen
und schließlich zum alleinigen Tauschmittel wurden.
g 5. Die Erfindung der Münze.
Bei allen natürlichen Vorzügen, welche die Edelmetalle zum all-
gemeinen Tauschmittel geeignet machten, stand der Ausdehnung ihres
Gebrauchs zu Geldzweckeu ein starkes Hindernis entgegen. Bei der
großen Kostbarkeit des Silbers und namentlich des Goldes kam es in
besonders hohem Grade auf die genaue Feststellung des Gewichtes und
der Beschaffenheit der P^delmetallstUckchen an. Solange die meisten
Mitglieder eines Stammes Jäger waren, wußten sie den Wert von Waffen
und Jagdgerät aller Art sachverständig zu prüfen; solange die meisten
Stammesgenossen Hirten waren, konnten sie ein Rind oder eine Ziege
mit kundigem Blick abschätzen. Niemals aber war ein nennenswerter
Bruchteil eines Volkes sachverständig bei der Prüfung von Edelmetallen.
Schon das genaue Wiegen machte, auch nachdem die Goldwage erfunden
war, große Schwierigkeiten. Noch viel schwieriger aber ist die Fest-
stellung, ob und wieviel unedles Metall dem Golde oder Silber beige-
1. Kapitel. Die Eutatehung des Geldes. § 5. 23
mischt ist. Das Aassehen der MetallstUckchen wird selbst durch relativ
große Zusätze von Kupfer nur unmerklich verändert, und auch die
proüe spezitisehe Schwere der Edelmetalle, nann-ntlich des Goldes, ist
kein ausreichender Schutz frejren die betrU|:erische Heiniischunt: anderer
Metalle von geringerem Werte. Es ist deshalb ein auf besonderen
Kenntnissen beruhendes Probierverfahren notwendig, um festzustellen,
wie viel reines Edelmetall ein Barren enthält. Die Notwendigkeit des
Wiegens und Probierens bei jedem einzelnen Tauschakte muLJte also
die Verwendung der Edelmetalle als Tausohmittel stark beeinträchtigen.
Diese Schwierigkeit führte dazu, die für den Tauschverkehr be-
stimmten Edelmetalle in eine bestimmte Form zu bringen, in Ringe
und Barren von bestimmter Feinheit und bestimmtem Gewichte. In
Bal)ylonien*), wo die Edelmetalle (Gold, Silber und daneben die Elek-
tron oder Weißgold genannte natürlich vorkommende Mischung beitler
Metalle) zuerst die Alleinherrschaft als Geld gewonnen zu haben scheinen,
wurde nach bestimmten Gewichtseinheiten Edelmetalls gerechnet. Das
Gewichtssystem beruhte auf sexagesimaler Teilung: 1 Talent = 60 Minen
zu GO Schekel, ein vSystem, das sich mit gewissen Modilikationeu später
über ganz Vorderasien, Aegypten und Griechenland verbreitet hat. Gold
und Silber standen zu einander in dem als fest angenommenen Wert-
verhjiltnis von 13 '/s '^^ 1; die Gewichtseinheit war für Gold und Silber
in der Weise verschieden, daß die (leichtere) Mine Gold gleich 10 Minen
Silber galt. Aufgrund dieses Systems bestiind namentlich in Babylonieu
eine entwickelte Geldwirtschaft und auf dieser beruhend, sogar ein um-
fangreicher Kreditverkehr, von dem sich Zeugnisse in unzähligen Keil-
inschriften, die unter den Trümmern der babylonischen Städte gefunden
wurden, erhalten haben. Trotz dieser hohen Entwicklung ist von Münz-
prägung für jene Zeit noch keine Spur nachzuweisen. Man begnügte
sich damit, die Barren nach den Unterabteilungen des Gewichtssystems
in eine für den N'erkehr handliche Form zu bringen, in Ziegeln und
Stücke von bestimmtem Gewichte, die kleineren Stücke auch in die
Form von Hingen, von denen sich auf ägyptischen Denkmälern zahl-
reiche Abbildungen erhalten haben.
Gegen Betrug, namentlich in bezug auf den Feingehalt, bestand
in der Ilerstellung solcher gleichartiger Metallstücke noch keine hin-
reichende Sicherheit. Der Gedanke der Beglaubigung des Feingehaltes
und Gewichtes der Barren und Ringe durch eine Stempelung, die sich
ja den P^delmetallen leicht aufprägen läßt, liegt außerordentlich nahe,
und es i.st auffallend, daß man erst verhältnismäßig spät auf diesen
Gedanken gekommen zu sein scheint; im alten Babylonien und in .Vegypten
kannte man eine solche Stempelung, wie bereits erwähnt, überhaupt
nicht. Bei den Juden wurde vor dem Babylonischen Exil das Metall-
geld por zugewogen; ebenso bei den Griechen zur Zeit Homers nnd
bei den Riimern wahrscheinlich bis zur Zeit der Dezemvirn (penderc =
wiegen; davon eipensu, Stipendium usw.). I^er chinesische Taei ist
heute noch nur eine Gewichtseinheit ungeprägten Silbers.
') VrI. Hrandin, MUn^i, JInÜ- und Ctpwicbtsijysteiu in Vorderasien. 1R66;
Hnitscb, (trierhische und rüini-^rlit' lletnilojfio. lbH2; Eduard Meyer, Orien-
faliacbes und jtjrierhiscbes Miinzwescn, im HandwilrterijUih der Staatswissenscbaften.
2A Erstes Buch. I. Abschnitt. IMe Entwickinngsgeschicbte dos Geldes.
Die ältesten mit einer gleichartifren Stempelung: versehenen Edel-
metallstückchen stammen, soweit unsere Kenntnis reicht, aus dem klein-
;\siatischen Grenzjrebiet der {griechischen und orientalischen Kultur und
{gehören dem 7. Jahrhundert vor Christi Gehurt an. Schon Herodot
hat behauptet, daß die Lvder die ersten Menschen gewesen seien, die
iioldene und silberne Münzen geprägt haben. Die neueren Forschungen
und Münzfunde halien diese Annahme durchaus bestätigt. Von Lydien
aus scheint sich die Krdndung der Münze rasch über Vorderasien und
Griechenland verbreitet zu haben, und nach und nach hat sie sich die
ganze .Welt erobert, ^^i
Die ältesten lydischen Münzen, die wir kennen, sind von sehr
einfachem Aeußeren; sie sind ovale Metallplättchen, die auf der einen
Seite eine Anzahl paralleler Streifen aufweisen, auf der anderen einige
unregelmäßige Vertiefungen. Etw^as späteren Ursprungs sind die Stücke,
die auf der einen Seite ein eigentliches Müuzbild, z. B. einen Löwen-
kopf, zeigen, auf der anderen Seite an Stelle der unregelmäßigen Ver-
tiefungen ein Quadrat (quadratum incusum). Es hat lange gedauert,
bis auch die Ruckseite ein vollkommenes Münzbild erhielt (etwa von
der Mitte des 5. Jahrhunderts an). Als Münzbilder finden wir außer
Tierküpfen Darstellungen religiösen Inhalts, wie Götterbilder, die auf
den Zusammenhang von Tempeln und Münzstätten, der lange bestanden
hat, hindeuten. Inschriften, die den Namen des Prägeortes oder des
I^Iünzherrn angeben, kommen frühzeitig neben den erwähnten Bildnissen
vor. Dagegen ist die Sitte, das Bildnis des Landesherrn auf die Münze
ZQ setzen, erst in der hellenistischen Zeit aufgekommen.
Es lag nahe, die ersten Münzen genau nach dem geltenden Ge-
wichtssysteme auszuprägen. Neuerdings ist allerdings die Auffassung
vertreten worden, daß die Münzen vielfach in enge Beziehung zu den
bereits vor ihrer P^ntstehung vorhandenen Tauschmitteln gesetzt worden
seien. Wo nngeprägtes Metall schon vor der Erfindung der Münze in
einer durch das Gewichtssystem gegebenen Stückelung als Geld ver-
wendet wurde, fallen beide Gesichtspunkte zusammen. Wo bei der Ein-
führung des gemünzten Geldes das Vieh die wichtigste Rolle als Geld
spielte, soll der Hauptmünze häufig ein Metallgehalt gegeben worden
sein, der dem Werte eines Ochsen entsprach, und zum äußeren Zeichen
dieser Wertübereinstimmung sind die ältesten Münzen vielfach mit dem
Bilde eines Ochsen usw. versehen. Bei den Römern war nicht nur das
Gepräge der Kupfermünzen „boum oviumque effigie" ausgestattet,
sondern auch der Name „pecunia" (pecus = Vieh) ist von dem
früheren \iehgelde auf das spätere Metallgeld übergegangen.
Was den StofT anbelangt, aus dem die frühesten Münzen geprägt
wurden, so ist folgendes zu bemerken :
Die ersten Münzen Lydiens und der griechischen Stadtstaaten in
Kieinasien waren aus Elektron hergestellt, dessen Zusammensetzung
nach Gold und Silber keine einheitliche ist, dessen Silberzusatz jedoch
im Laufe der Zeit von etwa einem Viertel auf nahezu zwei Drittel stieg,
wohl infolge absichtlicher Beimischung; diese Art der MUnzverschlech-
terung konnte um so leichter betrieben werden, als offenbar noch ein
zuverlässiges Verfahren zur exakten Feststellung des Feingehaltes der
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldei^. § 5. 25
Elektronmischünp: fehlte. Die Elektronmllnzen werden dnrchweg als
Ooldni Unzen bezeichnet.
SilberniUnzen scheinen erst später aufgekommen zo sein und in
Kleinasien lediglich dem lokalen Verkehr gedient zu haben; das zeigt
sich vor allem darin, daß dort die Silbermtlnzeu in den einzelnen Städten
nach sehr verschiedenen Typen geprägt wurden, während hinsichtlich
der Goldnitinzen eine weitgehende Uebereinstimmung herrschte. In
Griechenland selbst dngegen haben SilberniUnzen den ganz Überwiegen-
den Bestandteil des Münzumlaufs gebildet.
Bemerkenswert ist, daß man neben den HauptstUcken, deren Typus
der Goldstater im Gewicht von etwa 14,2 g und im Wert von etwa
30 Goldmark und der ^e Stater waren, auch ganz kleine TeilstUcke
prägte, bis herab zum ^2* Stater, einer Goldmünze im Werte von nur
1,25 Goldmark. Später hat Athen vereinzelt sogar Gold- und Silber-
münzen bis herab zum '/g Obolus (Wert der kleinsten Goldmünze etwa
27 Pfennig, der kleinsten Silbermünze etwa 2 Pfennig) ausgeprägt!
Erst spät hat man, um dem Bedürfnis des Verkehrs nach kleinem
Gelde zu genügen, mit der Prägung von Kupfermünzen begonnen; in
Athen erst zur Zeit des Perikles. Allgemeine Verbreitung hat die
Kupferprägung in Griechenland erst im 4. Jahrhundert vor Christi
Geburt gefunden.')
In Kom hat schon zur Zeit, als noch das Ilerdenvieh vorwiegend
als G eld fungierte, ungeprägtes Kupfer gleichfalls als Tauschmittel
gedient. Allmählich hat es das Vieh aus seiner Geldfunktion ver-
drängt. Wie bereits erwähnt, wurde das Kupfer bis zur Zeit der
üezemvirn zugewogen, wenn auch angeblich schon zur Zeit des Königs
Servins große Kupferbarren mit bestimmten Zeichen versehen worden
sein sollen (aes signatum). Silbermünzeu sind in Rom erst im Jahre
268 V. Chr. eingeführt worden, Goldmünzen erst gegen Ende der Republik.
Wenn wir das Wesen der Münze einer genaueren Betrachtung
unterziehen, so finden wir, daß sie schon in der Form, in der sie uns
bei ihrer Entstehung gegenUbertritt, etwas mehr ist als ein durch eine
Stempelung nach Gewicht und Feinheit beglaubigter Metallbarren.
Schon vor der Erfindung der ^lünze hatten in Pliönizien große und
allgemeines \'ertrauen genießende Kaufleute Edelnietallbarren zur Er-
sparung der FeingehaltsprUfung und des Wagens mit einer Stempelung
versehen, und auch heute noch werden im Edelmetallhandcl Barren
mit gewissen Zeichen gestempelt, die ihre Feinheit und eventuell auch
ihr liewicht angebi-n. Eine Stcmjx'lung zur l'czcichnuiig der Feinheit
ist sogar bei Gold- und Silberwart'ii heute ganz allgemein üblich. Aber
gestempelte Barren wird an sich niemand als Münzen bezeichnen, und
zwar nicht nur aus dem Grunde, weil sie in ihrer Form und Größe
nicht der Vorstellung entsprechen, die wir uns heule von der Münze
machen, weil sie verhältnismäßig schwere Stäbe und Ziegel sind, die
sieh für den Umlauf als Geld, das von Hand zu Hand gehen soll, nicht
eignen. Es kommt vielmehr noch ein anderes, wichtigeres Moment
1) Vjrl. Edunnl Mevcr a.a.O.
26 Erstes Buch I. Abschnitt. Die Entwickluugsgeflchichte des Geldes.
hinzu. Bei den Barren ist die Stempelung durchaus individueller Natur;
das einzelne Stück wird aufs {genaueste untersucht und nach seinem
Feinirehait bezeichnet; der Feini^ohalt ist rein individuell, und die
einzelnen Barren Zfijren solb.st dann, wenn sie im großen Ganzen nach
einem einlieiilii-hen Typus gegossen sind, \'erschiedenheiten in der Fein-
heit und namentlich im Gewichte, die bei der Kostbarkeit des Metalls
beachtet werden müssen. Bei den Münzen dagegen ist die Stempelung
eine durchaus generelle, das einzelne Münzstück ist nicht, wie der
einzelne Barren, ein besonderes Individuum für sich, sondern ein
Einzelstück einer einhidtlichen Gattung. Ein gestempeltes EdelmetallstUck-
chen kann nur dann als Münze bezeichnet werden, wenn es als einzelnes
Exemplar eines ganzen Kreises gleichartiger Stücke, die sich infolge
ihrer Gleichwertigkeit gegenseitig vertreten können (Fungibilität), her-
gestellt worden ist').
Deshalb ist bei den Münzen innerhalb der einzelnen Sorten nicht
nur genaue Uebereinstimmung im Feingehalte, sondern auch genaue
Uebereinstiramung im Gewichte nötig. Um eine betrügerische Verkürzung
am Gewichte zu verhindern, überzieht bei der Münze, im Gegensatz
zum gestempelten Barren, die Stempelung die ganze Oberfläche, soweit
es technisch möglich ist; die Stempelung heißt dann „Gepräge".
Die Gleichartigkeit der einzelnen Müuzstücke innerhalb derselben
Sorte ist ein Merkmal, das bei den Bestimmungen des Begritfes „Münze"
mitunter übersehen wird, und doch ist gerade dieses Merkmal von
ganz hervorragender Wichtigkeit für die gesamte Entwicklung des
Geldwesens und für die Bedeutung des Geldes in der Volkswirtschaft.
Die nach einem einheitlichen Typus geprägte ]\Iünze hat Wirkungen
hervorgerufen, die eine individuelle Stempelung von Edelmetallbarren
niemals hätte zeitigen können und die weit über die zunächst
in die Augen fallende Ersparung des Wagens und Probierens bei jedem
einzelnen Tausche oder Kaufe hinausgingen. Mehr noch als die autori-
tative Beglaubigung nach Feinheit und Gewicht hat die Ausprägung
nach einheitlichen Typen die Verwendbarkeit der Edelmetalle als Geld
gesteigert; sie hat den Ausgangspunkt abgegeben dafür, daß sich
das Geld vom Edelmetalle als eine selbständige Kategorie loslöste.
§ 6. Die Steigerung der Verwendbarkeit der Edelmetalle zu Geldzwecken
durch die Münzprägung'.
Die Beglaubigung von Edelmetallbarren nach Feinheit und Gewicht
durch eine bestimmte Prägung oder Stempelung beseitigte ein sehr
wesentliches Hindernis, das der Verwendung der Edelmetalle zu Geld-
zwecken entgegenstand. Aber eine solche Beglaubigung an sich allein
vermochte die Edelmetalle noch nicht allgemein zu Geldzwecken brauch-
bar zu machen. Mit Edelmetallbarren, von denen jeder Einzelne nach
Feinheit und Gewicht ein Individuum für sich ist, kann der Groß-
1) Knapp (StaatlicheTheorie des Geldes, 1905, .3. Aufl. 1921) stellt das gemünzte
Geld als ,.inorphi3ches Zahlungsmittel" („geformtn, hewegliche Sachen, welche Zeichen
tragen") dem nngemünzten Kdelraetall als „amorphischem Zahlungsmittel" gegen
über. Die Verfassung der Zahlungsmittel, in der mit ongeraünztem Metalle ge
zahlt wird, nennt er „AutomKtallismus", die Verfassung, in der mit geformten
Zeichen tragenden Stücken gezahlt wird, nenut er „Morphisraus".
1. Kapitel. Die Entstehung dea Geldes. § fi. 27
haodel auskommen; im großen internationalen Zahlungsverkehr haben
die Harren ihre Bedeutung als Geld bis zum heutigen Tage bewahrt;
für den kleineren Verkehr dagegen eignen sich die Harren, auch wenn
sie nach Gewicht und Feinheit beglaubigt sind, nicht als Tauschmittel.
Auf den früheren Stufen der Kulturentwicklung verstehen die weitesten
Kreise der Hevölkerung wohl das Zählen, aber nicht das Rechnen.
Das Rechnen mit so komplizierten Zahlen, wie es die Feinheitsbe7A'ich-
nungen von Kdelmetallbarren sind, bei denen es noch auf die fünfte
und sechste Dezimalstelle ankommt, bleibt auch bei entwickelter Kultur
stets eine Unbeciucmlichkeit, die zwar in den Kontoren des Großhandels,
wo es sich um die Uebertragung großer Werte handelt, leicht Über-
wunden wird, die aber im Geben und Enijifangen des täglichen Ver-
kehrs nicht bewältigt werden kann. Das verwickelte Rechneu wird
nun dadurch auf ein einfaches Zählen reduziert, daß mehrere Münz-
sorteu, von denen die größeren ein Vielfaches der kleineren darstellen,
geschaffen werden und daß innerhalb der verschiedenen Münzsorteu die
einzelneu Stücke in Feinheit, Gewicht und Gepräge vollständig gleichartig
hergestellt werden. Dadurch wird es möglich gemacht, beliebige Wert-
summen durch bloßes Zuzählen gleichartiger Müuzstücke zu übertragen.
Erst durch diese Reduktion des Rechnens auf das Zählen erhielt
das Edelmetall in der Form von Münzen jene ganz allgemeine Ver-
weudbarkt'it als Tauschmittel, die für die Entwicklung des Geldwesens,
ja für die Entwicklung der gesamten Wirtschaftsverfassung geradezu
ausschlaggebend geworden ist. Alle Vorzüge, mit denen die Edel-
niietalle von Natur für die Verrichtung von Geldfunktiouen ausgestattet
snd. ki)nnten Jet/.t erst in volle Wirksamkeit treten, auch in denjenigen
Schichten des Verkehrs, die des Wiegens, Probiereus und des Rechnens
mit komplizierten Zahlen unkundig waren. In der Form von Münzen
worden die Edelmetalle auch dort im Austausche gegen andere Waren
angenommen, wo man sie ungeprägt aus Mißtrauen über ihre wirk-
liche Heschaffenheit zurückgewiesen hätte. Zu allen ihren natürlichen
Vorzügen verschaffte ihnen die Münzform die Leichtigkeit und Ein-
fachheit der Uebertragung, die für die Entwicklung des in der fort-
gesetzten Uebertragung seine eigentliche Hestimmung findenden Geldes
eine unerläßliche Voraussetzung war. Deshalb ist es den l^delmetallen
erst in gemünzter Ft)rm gelungen, ganz allgemein alle übrigen Tausch-
mittel zu verdrängen. Während diese allmählich immer mehr wieder auf
ihre Stellung als bloße Gebrauchs- oder Verbrauchsgüter zurückgeführt
wurden, erfuhr die Gangbarkeit des gemünzten Geldes aus sich selbst
heraus eine fortgesetzte Steigerung: je leichter das gemünzte Metall
im Austausch gegen andere Güter anzubringen war, desto stärker wurde
der Hegehr nach ihm. So entwickelte sich in der Münze ein Objekt,
vermittelst dessen man alle anderen tauschbaren (Jüter erhalten konnte
und das deshalb Jedermann für die von ihm selbst nicht beuötigten
oder benutzten Güter zu erhalten strebte.
§ 7. Die YerkSrporung der (teldfunktioD iu dor Mnnzo.
Je mehr sich die Verwendung als Tausvhmittel auf eine einzelne
Kategorie von Gegenständen konzentrierte, desto stärker mußte an sich
28 Erstes Buch, I. Abscbnitt. Die Entvickhiiitrsgescbicbte des Geldes.
schon der Gegensatz zwischen Geld nnd den übrigen Verkehrsobjekten
hervortreten und empfunden werden. Sohinge alle tauschbaren Güter
gleichzeitic: Tauschgut und Tanschniittel darstellen, sind nur die Anfänge
einer Dit^erenzierung der Tauschniittelfunktion von den übrigen Funk-
tionen und Brauchbarkeiten der Guter zu beobachten. Erst wenn die
Funktion des Tauschmittels von einer einheitlichen, bestimmt abgegrenzten
Gruppe von Gütern ausschließlich ausgeübt wird, ist der Anlaß zu einer
deutlichen rnterscheidung von Tauschmitteln und anderen Gütern gegeben.
Aber auch hier ist das allgemeine Tauschmittel noch nicht ausschließlich
Tauschmittel, sondern es vereinigt in sich die Eigenschaft als Tausch-
mittel und als Gebrauchsgut (so etwa bei einem Rindergeld und bei
ungeprägtem Edelmetallgeld). Es gibt noch kein Tauschmittel als
solches, sondern immer erst noch eine, allerdings auf eine einzelne
Gütergruppc beschränkte Tauschmittelfunktion.
Erst in der Münze hat diese Funktion eine besondere Gestalt
gewonnen. In der Münze wurde zum erstenmal das Tauschmittel äußerlich
unterschieden und herausgehoben aus allen zum Verbrauch oder Gebrauch
bestimmten Gütern. Solauge die Metallbarren ebenso den Rohstoff für
Scbmuckgegenstände darstellten, solange Goldspiralen und Ringe ebenso
Schmuckgegenstände waren, wie sie auch zum Austausch gegen andere
Güter verwendet wurden, — solange war der Unterschied zwischen
Gebrauchsgut und Tauschmittel nicht in der Augenfälligkeit gegeben,
mit welcher er jetzt in Erscheinung trat, wo der Unterschied in der
Münze seinen körperlichen Ausdruck fand. Freilich wurde das gemünzte
Metall durch die Prägung nicht dauernd und unwiderruflich aus dem
Kreise der übrigen Güter ausgeschieden; die Münzen können ja durch
Einschmelzung jederzeit wieder in Rohmetall und durch Verarbeitung
in Schmuckgegenstände verwandelt werden. Aber solange sie Münzen
sind, stellen sie doch in konkreter Weise die Geldfunktion dar, die
bisher von den Gebrauchsgütern nur nebenbei verrichtet worden war.
Damit ist die Grundlage gegeben für eine das Geld von allen übrigen
Gütern scharf unterscheidende Anschauungsweise und für die Heraus-
bildung eines besonderen Geldbegrififs, der Geld und Ware, die ur-
sprünglich als verschiedene Funktionen in demselben Objekt friedlich
nebeneinander wirksam waren, als Gegensätze einander gegenüberstellt.
Wir haben nun zu verfolgen, wie sich diese Trennung von Geld
und Ware in Anknüpfung an die Münze vollzogen hat.
Solange die Jlünze lediglich als ein nach Feingehalt und Gewicht
beglaubigtes Metallstückchen erschien, war die Voraussetzung für die
scharfe Trennung von Geld und Ware noch nicht gegeben; denn das
Metall an sich gehörte dem Kreise der Gebrauchsgüter an. Die Münze
mußte also erst dem Metall gegenüber, aus dem sie hergestellt wurde,
eine gewisse Selbständigkeit gewinnen, ehe jene Trennung stattfinden
konnte.
Das gemünzte Geld zeigte sich nun, wie bereits hervorgehoben,
in seiner Brauchbarkeit als Tauschmittel dem rohen Metall soweit über-
legen, daß die Vorstellung, die man sich von der Münze machte, schon
aas diesem Grunde sich bald von der Vorstellung eines bloßen, durch
Formgebung beglaubigten Metallquantums entfernen mußte. Wo einmal
1. Kapitel. Die Entöirelning des Geldes. § 7. 29
im allgemeiuen Verkehr die Münze Fuß gefußt hatte, da war bald mit
uugepriigtem Metalle uichts mehr anzufangen; nur in gemlln/.tem Zu-
stande übte das Metall jene bald als geheimnisvoll erscheiueade Macht
über alle anderen Waren aus.
Mußte sehou dadurch die Vorstellang geweckt werden, daß die
Prägung das Wesentliche au der Münze sei — die Prägung, die au-
fäuglich nur eine Beglaubigung des Metallgehalts, also des ursprüng-
lichen Wesens der Münze war — und daß der Metallgehalt erst in
zweiter Reihe käme, so wurde dieser Eindruck noch verstärkt durch
die Wahrnehmung, daß auch Münzen, die durch Abnutzung unter ihren
ursprünglichen Metallgehalt herabgesunken oder die gar von Anfang an
unter ihrem ursprünglichen Metaligehalte ausgeprägt worden waren,
sich im Verkehr als gaugbar erwiesen. Man fing an, die Prägung als
eine Art Hexerei anzusehen, die nicht nur gewöhnliche Waren in
Geld verwandeln, sondern auch aus geringeren Werten höhere Werte
schaffen könne.
Befördert wurde die Verselbstäadigung des Begriffs des Geldes
gegenüber demjenigen eines bestimmten Edelmetallquantums dadurch,
daß die Münzen überall eigne Namen erhielten. Auch dort, wo der
Müuzname ursprünglich nichts war als eine bestimmte Gewichtsbe-
zeichuung, wie Sekel, Drachme, Talent, As, Livre, Pfund, Mark usw..
gewann er bald eine selbständige, von der Gewichtsbezeichnuug un-
abhängige Bedeutung. Oft aber war der Münzname von vornherein
ein willkürlicher, der keinerlei Gewichtsbezeichnung enthielt. Diese
scheinbare Formsache der Einführung eigner Namen für die Münzen
wurde dadurch außerordentlich wichtig, daß überall, wo die Münze
Boden faßte, die Kaufverabredungen und Zahlungsverträge bald nicht
mehr in bestimmten Gewichtsmengen staatlich beglaubigten Goldes, Silbers
oder Kupfers, sondern in bestimmten Summen von Gold-, Silber- oder
Kupfermünzen abgeschlossen wurden. Vor der Erfindung der Münze,
als das Geld als solches noch kein konkreter Gegenstand, sondern
nur eine Funktion war, die nebenbei von gewissen Gebrauchsgütern
erfüllt wurde, konnte es den Begriff' der Geldsumme noch nicht geben;
was wir heute Geldsumme nennen, deckte sich damals vollständig mit
der Bezeichnung der Anzahl oder Gewichtsmenge der als Tauschmittel
verwendeten Gebrauchsguter. Um Geldbeträge zu messen und aus-
zudrücken, brauchte man keine anderen Vorstellungen und Maßeinheiten
als die, welche zur Bestimmung und Bezeichnung der Quantität bei
den gewöhnlichen Gütern notwendig waren. Solange in der Haupt-
sache das Vieh als Geld fungierte, war die Geldsumme identisch mit einer
bestimmten Anzahl von Kindern, Schafen usw.; solange ungeprägtes
Metall als Tauschmittel verwendet wurde, war die Geldsumme identisch
mit einer bestimmten Gewichtsmenge Metall. I<>st mit der Münze
entstand ein spezieller Maßstab für Geldmengen, ein Maßstab, dessen
Rechnungseiuheit die Münze selbst war; und dadurch, daß alle Güter
mehr und mehr ausschließlich gegen das geprägte Geld ausgetauscht
wurden, fanden mehr und mehr alle Werte ihren Gegenwert und mit-
hin ihren Wertausdruck in Geldsummen. Die Münze als Kechnungs-
eiuheit für Geldsummen wurde damit zur Maßeinheit für alle Verkehrs-
30 Erstes Bach. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
werte überhaupt. So ist es bis zam hentigeo Tage geblieben; wir
drUckeu üoch heute die Geldsunimeu nnd im Anschlösse daran alle
Werte und Preise aus in Einheiten, die ursprünglich Münzeinheiten
waren, wie Mark, Frank. Dollar, Pfund Sterling, Gulden usw., ebenso
wie sie in der ersten Zeit nach der Erfindung der Münze die klein-
asialischeu Griechen in Stateren, die Perser in Dareiken berechneten;
nicht aber bezeichnen wir Geldt-umnien in staatlich beglaubigten, d. h.
in gemünzten Pfunden Goldes oder Silbers.
In dieser Beziehung bedeutet die Münze die Unabhängigkeitser-
klärurg des Geldes vom Geldstoff, dem Edelmetalle, und damit von
den Gebrauchsgütern überhaupt, Das Geld erscheint als eine selb-
ständige wirtschaftliche Güterkategorie mit eigner Quantitätsbe-
stimmung. Solange freilich de facto die Münze in Uebereinstimmung
blieb mit ihrem ursprünglichen Edelmetallgehalte, w^ar diese ent-
scheidende Lostrennung nur latent, nur potentiell vorhanden; sie mußte
jedoch sofort effektiv und aktuell werden, wenn sich der Metallgehalt der
Münzen aus irgendwelchen Gründen veränderte. Wir sehen uns damit
vor allem auf das Verhalten des Staates gegenüber dem Gelde hingewiesen;
denn der Staat hat sich sehr bald der Prägelätigkeit bemächtigt, und
Veränderungen des Feingehalts der Münzen mußten deshalb haupt-
sächlich, wenn auch nicht ausschließlich, von dieser Instanz ihren Aus-
gang nehmen.
§ 8, Der Staat und die Miinzprägung.
Vor der Erfindung der Münze hat sich auch eine entwickelte
Staatsgewalt, wie sie beispielsweise in Babylonien und Acgypten be-
stand, mit dem Geldwesen nur wenig zu beschäftigen gehabt, in der
Hauptsache wohl nur so weit, als die an den Staat zu leistenden
Zahlungen und Abgaben und die durch richterlichen Spruch festzu-
setzenden Entschädigungen und Geldstrafen zu regeln waren.
Diese einseitigen Vermögensübertragungen sind vom Tausche wohl
zu unterscheiden, Ihre Regelung hing insofern mit der Entwicklung
eines allgemeinen Tauschmittels zusammen, als wohl in der Hauptsache
Leistung in solchen Gütern vorgeschrieben wurde, die als Tauschmittel
fungierten. Denn die staatliche Obrigkeit, die Priester usw. mußten
Wert darauf legen, für diejenigen Güter, welche sie nicht unmittelbar
für ihre Zwecke verbrauchen konnten, jederzeit solche Dinge erhalten
zu können, auf die sich ihr eigner Bedarf richtete. Andererseits haben
die Vorschriften über die Leistungen an den Staat und die Priester-
Echaft und über die Strafzahlungen sicher wesentlich dazu beigetragen,
die Gangbarkeit gewisser Güter im Tauschverkehr zu steigern und
ihnen den Charakter als Tauschmittel im Flusse der Zeiten zu bewahren.
Denn schon aus dem Umstände, daß ein bestimmtes Gut zu den ge-
nannten wichtigen Zwecken gebraucht werden kann oder gar gebraucht
werden muß, erwächst diesem Gute eine Verwendbarkeit, die über
seinen unmittelbaren Gebrauch und Verbrauch hinausgeht und ihm
eine besoLdere Eignung zum Tauschverkehr verleiht. Auf diese Weise
haben die Vorschriften über Abgaben aller Art, über Opfer und na-
mentlich auch über das Wehrgeld auf die erste Entwicklung des Geld-
1. Kapitel. Die Entstehang des Geldes. § 8. 31
Wesens sicherlich einen beträchtlichen Einfloß aasgelibt, und es wurde
ja auch bereits erwähnt, daß die traditionellen Wertverhältnisse zwischen
den wichtigsten tauschbaren Gütern wahrscheinlich durch die Vor-
schriften und Tarife über die Leistungen au die weltliche und geist-
liche Obrigkeit und über die Strafgelder eine besondere Befestigung
erfahren haben.
Mit der Münze entstand nun für den Staat eine völlig neue Auf-
gabe, die ihn weit über den bisherigen Umfang hinaus mit dem Geld-
wesen in Berührung brachte: die Beteiligung an der Herstellung oder
die ausschließliche Handhabung der Herstellung des gemünzten Geldes.
Die Stempelung der MünzstUcke mag zuerst, ähnlich wie heute
noch die Stempelung von Barren, von angesehenen Kaufleuten, deren
Geschäfte eine große Ausdehnung hatten und deren Namen weithin
bekannt war, erfolgt sein. Daß vor der Erfindung der Münze eine
Stempelung von Barren seitens phönizischer Kaufleute stattfand, wurde
oben bereits erwähnt. Ob auch die eigentliche Münzprägung zuerst
von Privaten ausgeübt wurde, ob sie von weithin angesehenen Heilig-
tümern ausging, darüber wissen wir nichts Bestimmtes. Sicher ist
jedoch, daß bereits im frühesten Stadium die Staatsgewalt die Münz-
prägung ausgeübt hat, und daß diese bald als ein ausschließliches ßecht
der Staatsgewalt erschien.
Die Staaten haben seither das Monopol der Münzprägung meist
als ihr Kecht beansprucht, und es ist in der Tat nur natürlich und
folgerichtig, daß die öffentliche Gewalt, die im Interesse der Gesamtheit
das Maß- und Gewichtswesen ordnete, die Normalmaße und Normal-
gewichte herstellte, sich auch des Münzwesens annahm; denn das
öffentliche Interesse an richtig und gleichmäßig ausgeprägten Münzen
steht nicht hinter dem an einem geordneten Maß- und Gewichtssystem
zurück. Dazu kommt, daß auch für den primären Zweck der Münz-
prägung, für die Beglaubigung von Gewicht und Feinheit, die öffent-
liche Gewalt geeigneter und wirksamer sein mußte, als die größten
Kaufleute; nur die höchste Autorität kann der Münze die weite Ver-
breitung und allgemeine Annahme sichern, die sie aus ihrem eigent-
lichen Wesen heraus erstrebt. Schließlich hat bei der Monopolisierung
der Münzprägung in den Händen des Staates sicherlich mitgespielt die
bereits erwähnte Wahrnehmung, daß auch unter ihrem ursprünglichen
Feingehalt ausgeprägte Münzen sich als gangbar erwiesen, daß mithin
das Münzregal eine fiskalische Ausnutzung gestattete.
Welcher dieser Punkte in der allgemeinen Anschauung und in
der Meinung der öffentlichen Gewalt selbst jeweilig als der wichtigste
erschien, das hing stets von dem allgemeinen politischen und wirtschaft-
liehen Charakter der Zeit ab.
Jedenfalls war von der frühesten Zeit an das Hecht der Münz-
prägung in der allgenu'inen Vorstellung so sehr mit der Staatsgewalt
verknüpft, daß es stets als ein wesentlicher Bestandteil der Souveränität
angesehen wurde und daß die Geschichte seiner Ausübung in den ein-
zelnen Staaten ein förmliches Spiegelbild für die Gesamtrichtung der
Entwicklung der Staatsgewalt liefert. So hat schon Darius die Gold-
prägung zum ausschließlichen Monopol der Zeutralgewalt des persischcü
32 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Eutwicklangsgeschichte des Geldes.
Kelches gemacht uud nur die Prägung; vou SilbenuUnzen für den lokalen
Tmlauf den Satrapen uud Vasallen überlassen. Nach der Unterwerfung
Italiens durch die Römer wurde den italienischen Unterstaaten nur die
Priigung des kleinen Geldes überlassen, das große Geld wurde aus-
schließlich vou Korn selbst geprägt. Augustus nahm, nachdem er
die Herrschaft errungen hatte, für sich das ausschließliche Recht der
Prägung von Gold- und SilbermUuzen in Anspruch, dem Senat verblieb
nur die Kupferjiräguug. In Deutschland hatte, solange unter den alt-
fränkischen Königen noch eine starke Zentralgewalt bestand, der König
allein das Recht der Münzprägung, Mit der späteren Zersplitterung
der Staatsgewalt ging eine völlige Dezentralisation des Münzrechtes
Hand in Hand. Geistliche und >veltliche Herren uud Reichsstädte er-
hielten zuerst die Befugnis zur Prägung von kleinen Münzen, bis in
der Goldenen Bulle den Kurfürsten auch das Recht der Goldprägung
verliehen wurde. Erst die Konsolidierung der größeren Territorial-
staateu brachte nach der mit der Auflösung der Reichsgewalt einge-
treteneu völligen Zersplitterung des Münzwesens eine Wendung zum
Besseren zustande, und eine der ersten Segnungen, die das neue Deutsche
Reich auf wirtschaftlichem Gebiete brachte, w^ar die Herstellung der
deutscheu Münzeinheit.
Solche Analogien lassen sich überall beobachten. So hat auch
in Frankreich im 11. und 12. Jahrhundert das Münzregal in
Uebereinstimmung mit der Zentralgewalt eine ähnliche Zersplitterung
erfahren wie in Deutschland; aber vom Beginn des 13. Jahrhunderts
an hat der Sieg des Königtums über die Barone auch das königliche
Münzregal wiederhergestellt. Und noch früher ist es in England ge-
lungen, der Krone das ausschließliche Münzregal zu sichern.
§ 9. Die Ausgestaltung des Geldbegriffs auf Grund der Münze.
Das staatliche Monopol der Münzprägung ist eine der wichtigsten
historischen Voraussetzungen, aufgruud deren sich die Sonderstellung
des Geldes gegenüber den übrigen Gütern weiter entwickelte. Das
Prägeraonopol hat wesentlich dazu beigetragen, daß die in der Münze
gegebene selbständige Form mit einem selbständigen Inhalt erfüllt wurde
und daß die durch die Münze bewirkte körperliche Ausscheidung des
Geldes aus dem Kreise der übrigen Güter eine selbständige Ausbildung
des Geldbegriffs nach sich zog.
Der wesentliche Schritt war folgender: Die öffentliche Gewalt,
die ihre Hand auf die Münzprägung gelegt hatte, begnügte sich nicht
mehr damit, daß sie allein Münzen prägen durfte, sondern sie nahm
auch das Recht in Anspruch, ihre Münzen so herzustellen, wie es ihr
gut dünkte ; sie begnügte sich ferner nicht mehr damit, dem Verkehr in
der Münze ein ganz besonders geeignetes Tauschmittel zu liefern, das
mit den anderen von früher her vorhandenen Tauschmitteln gewisser-
maßen in einen freien Wettbewerb hätte treten können, sondern sie
stellte die Forderung auf, daß ausschließlich die von ihr in Umlauf ge-
setzten Münzen Geld sein sollten.
Die Grundlage, auf der diese beiden Ansprüche der öffentlichen
Gewalt verwirklicht werden konnten, um dann das Wesen des Geldes
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldes. § 9. 33
selbst entscheidend zu beeinflussen, war die oben dargestellte Tatsache
der Ueberlegenheit des geniiiiizten Metalls über das uiigeniUiizte und
der Umstand, dal3 nach der Erfindung der MUnze die Münzeinheit gleich-
zeitig die liechnungseinheit filr Geldsummen geworden \var. Wie ein
immer enger werdendes Netz überzogen mit dem Fortschreiten der
wirtschaftlichen Entwicklung Zahlungsverpflichtungen aller Art die ganze
Volkswirtschaft. Die öffentlichen Abgaben und die privaten aus Kauf
und Verkauf, Miete, Pacht usw. hervorgehenden Zahlungsverpflichtungen,
staatliche Besoldungen usw. nahmen einen immer größeren Umfang an.
Nun muß man sich vergegenwärtigen, daß nach der Einführung der
Münze diese Zahlungsverpflichtungen in fortschreitendem Umfange auf
bestimmte Münzeinheiten lauteten, die allerdings ursprünglich nichts
waren als bestimmte Edelmetallquantitäten in staatlich beglaubigter
Form. Daß aber in der allgemeinen Vorstellung, die sich vom Wesen
der Münze herausbildete, der Metallgehalt in den Hintergrund, die
Prägung in den Vordergrund trat, ist bereits dargestellt. Und der Staat
selbst, der die Prägung als sein ausschließliches Recht in Anspruch
nahm, mußte sich diese Auffassung schon aus folgenden Gründen zu
eigen machen: Die Prägetechnik gestattete keine genau gleichmäßige
AusmUnzung, und der effektive Metallgehalt der umlaufenden Münzen
erfuhr durch die Abnutzung im Laufe der Zeit eine ganz unvermeidliche
Veränderung. Gleichwohl mußte, wenn der Zweck der Münze über-
haupt erreicht werden sollte, die Fiktion aufrecht erhalten werden, daß
alle einzelnen Münzstücke der gleichen Sorte in ihrem Werte überein-
stimmten und sich untereinander zu dem ihnen beigelegten Werte ver-
treten könnten. Was in dieser Beziehung durch den Materialwert der
Münzen nur unvollkommen erreicht werden konnte, ließ sich in voll-
kommenerer Weise nur durch einen Rechtssatz, der die Gleichartigkeit
und gegenseitige Vertretbarkeit der einzelnen MünzstUcke derselben
Gattung dekretierte, durchsetzen. Den Münzen wurde durch Rechtssatz
eine bestimmte „Geltung" beigelegt, die von Verschiedenheiten und
Veränderungen im Metallgehalt der einzelnen Stücke bewußt absah.
Eine auf klarer Erkenntnis der Verhältnisse beruhende Entwick-
lung finden wir bei den Römern; als diese an Stelle der Kupferbarren,
die zugewogen wurden, geprägte Münzen einführten, haben sie von vorn-
herein deren Annahme zu dem ihnen beigelegten Werte oder, wie man
sich heute ausdrückt, zu ihrem „Nennwerte" vorgeschrieben, ohne Rück-
sicht darauf, ob ihr tatsächlicher Metallgehalt mit dem Nennwerte über-
einstimmte.
Wenn nun auch dieses Prinzip ursprünglich nur aus der mangel-
haften Prägetechnik und der Abnutzung der Münzen hervorgegangen
sein mag, so bedeutet es doch nicht mehr und nicht weniger, als daß
es Sache des Staates ist, zu bestimmen, daß Zahlungsverpflichtungen,
die auf seine Münzen, auf sein Geld lauten, in denjenigen Stücken be-
glichen werden können und müssen, die er als solche Münzen bezeichnet,
ohne Rücksicht auf ihren Effektivgehalt'). Damit erschien es in das
') Knapp, a a. 0. drückt das aus: die aaf Zahlungsmittel lautenden Schuldea
wurden au8 „Realsrhulden" zu „Nominalschuldeo".
HeKf erlo b, Dat Geld. 3
3-4 Erstes Bnch. I. Abschuitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Belieben des Staates und seiner Gesetzgebung gestellt, Bestimmungen
Über den Metallgehalt der Müii/ami und Über den Inhalt der auf ge-
münztes Geld lautenden Verbindlichkeiten zu treffen und eventuell diese
Bestimmungen zu verändern. Damit wurde das Geld eine juristisch
selbständige Große; das Edelmetallquantum, mit dem die Kechnungs-
einheit des Geldes ursprünglich zusammenfiel, wurde zum bloßen Sub-
strat des Geldes, über dessen Festsetzung und Veränderung die Staats-
gewalt die freie Verfügung beanspruchte. Das ursprüngliche Verhältnis
von Metall und Münze erscheint damit völlig umgekehrt: während an-
fänglich der Metallgehalt das Gegebene und die Münzform nur eine
Beglaubigung dieses Metallgehaltes war, erscheint jetzt die Münze und
die ursprünglich von ihr abgeleitete Rechnungseinheit als das Gegebene,
und der Staat bestimmt und verändert nach Gutdünken ihren Metall-
gehalt').
Diese Gewalt über das Geld konnte der Staat praktisch jedoch nur
dann in vollem Umfange ausüben, wenn er alle fremden Elemente, die
unabhängig von seinem Einflüsse waren, von der Geldfunktion aus-
schloß. Über das gemünzte Geld hatte der Staat infolge des Präge-
monopols die volle Herrschaft, die Herstellung desselben lag in seiner
Hand. Über das Geld schlechthin konnte er diese Herrschaft nur in
soweit vollkommen verwirklichen, als die von ihm hergestellten Münzen
das alleinige Geld waren. Nur dadurch, daß die Staatsgewalt be-
stimmte, die von ihr geprägten Münzen sollten das alleinige Geld sein,
konnte sie ihr Geld zu einer selbständigen Größe machen und alle
*) Knapp charakterisiert diese entscheidende EDtwicklung mit der Wendung:
Die morphischen Zahluntrsuiittel erhielten „proklainatorische Geltung".
Der Gegensatz dazu ist „peusatoriscbe (durch Wägen gefundene) Geltung".
Proklaniatorische, d. h. durch einen proklamierten Rechrssatz der Staatsgewalt bei-
gelegte Geltung können nur morphische Zahlung?<uiittel haben, denn die proklama-
torische Beilegung der Geltung kann nur an technisch genau delinierte Stücke
erfolgen, nicht an einen Stoff als solchen. Dagegen können auch morphische Stücke
pensatorisch, d. b. nach dem Gewichte, gelten; der Fall ist selten, aber er ist theoretisch
möglich und historisch vorgekommen. Die morphisch-pioklamatorischen Zahlungs-
mittel nennt Knapp „chartalo Zahlungsmittel" (von Charta). Nur cbartale Zahlungs-
mittel sind für ihn „(ield". — Wenn auch in der oben stehenden, aus der ersten
Auflay^e unverändert übernommenen Darstellung der Begriff Geld weiter gefaßt ist,
80 stimmt doch der Verfasser mit Knapp in der Beurteilung der Wichtigkeit der
Beilegung der ,.proklamatoriscben Gelruug" für die Entwicklungsgeschichte und
die Theorie des Geldes überein, indem auch er erst von dieser Bei leafung das Geld
als eine ,.juristi«cb selbständige Größe" datiert und erst mit der völlitjen Scheidung
zwischen Geld und Geldstoff, die auf der Durchführung der ,.proklamatori8cheu
Geltung-' beruht, die Entstehung des Geldes als vollendet ansieht.
Indem Knapp die entscheidende Wendunsj- in der Tatsache sieht, daß die
morphischen Zahlungsmittel proklaniatorische Geltung erhielten, gibt er zugleich
zu, daß die „i»roklaiiiatori8che Geltung" nur möiJ:lich ist, wo bereits „morphische
Zahlungsmittel'' bestehen. Da andrer>eits die „proklamaturische (Teilung" des Geldes
nur die Gegenseite der Nominalität der Geldschulden ist, können Nomiiialscbulden
unmöglich vor den morphischen Zahlungsmitteln, also vor den Münzen bestamlen
haben: Nominalität der Schulden und Antometallismus sind mithin unvereinbar, und
Knapp setzt sich mit sich selbst in Wiflerspruch, wenn er eine Nominalität der
Schulden sfhun beim Autometallisraus anerkennen will (a. a. 0., S. l'd). Die Münze
war der Ausgangspunkt für die ganze die Nominalität der Schulden und die
proklamatorische Geltung der Geldstücke umfassende selbständige Entwicklung des
Geldbegriffs.
1. Kapitel. Die Entstehung des Geldes. § 9. 35
Geldsubstanzen — in P'rage kamen praktisch nur die Metalle — zu
ihrem Willen unterworfenen Substraten herabdrlicken. Durchaus zu-
treflfend bemerkt deshalb Simmel zu der oben erwähnten rümischen
Kechtsnorm, welche die Annahme der Kupfermünzen nach ihrem Neun-
werte und ohne Rücksicht auf ihren Metallgehalt vorschrieb, daß diese
Norm zugleich die Zusatzbestimmung erforderte: Geld sei überhaupt
nur eben diese Münze, alles daneben bestehende konventionelle Geld
sei bloße Ware; nur bei Forderungen auf jene kann man mit der
strengen Geldschuldklage vorgehen, alle sonstigen Geldschulden sind,
wie Wareuschulden, nur auf den wirklichen, also durch ihr Nominal als
Geld nicht beeinflußten Wert einzuklagen. Dieses Bestimmungsrecht
des Staates darüber, was überhaupt Geld sein soll, ist in der Folgezeit
festgehalten und weiter ausgebildet worden in enger Wechselwirkung
mit dem Verfügungsrechte des Staates über das Substrat seines Geldes.
Allerdings sind diese Zusammenhänge nur selten klar erkannt
worden, und der alte theoretische Streit, der bis auf Aristoteles
zurückgeht, ob das Geld auf das Gesetz oder auf die Natur zurück-
zuführen sei, ob sein Wert auf seinen inneren Metallgehalt oder auf
der staatlichen Prägung beruhe, — alle diese Fragen wären durch eine
zutrefieude Vorstellung von dem Entwicklungsgange des Geldes wesentlich
vereinfacht worden. Es ist hier nicht der Platz, auf diese verschiedenen
Theorien einzugehen; sie werden im theoretischen Teile dieses
Buches ihre Behandlung erfahren. Hervorgehoben werden muß hier nur,
daß dii' Anschauung von dem Verfügungsrecht der öffentlichen Gewalt über
den Metallgehalt ihrer Münzen und damit über das Substrat ihres
Geldes in der Praxis von jeher geherrscht hat. Diese Anschauung hat
sich historisch feststellbar zum erstenmal in absoluter Dentlichheit ge-
offenbart in der bekannten Seisachthie, die Solon im Jahre 51)-i vor
Christus in Athen durchführte. Um die beabsichtigte Erleichterung
aller Schulden um ein Viertel durchzuführen, schlug Solon nicht etwa
den Weg ein, den Nominalbetrag der Schulden um ein Viertel herab-
zusetzen, sondern er verringerte den Metallgehalt der athenischen
Münzen um ein Viertel und schrieb vor, daß alle Gläubiger sich die
Zahlung in den neuen, leichteren Münzen zu ihrem Nennwerte gefallen
lassen müßten. Das athenische Geld existierte fort als rechtlich
identische Größe, aber mit einem anderen Substrat, das durch eine
geringere Menge Edelmetall dargestellt wurde.
Alle die zahlreichen Münzverschlechterungen, von denen kein
Staatswesen verschont geblieben ist, sind praktische Aeußerungen der-
selben Anschauung. IJeberall sehen wir, daß sich der Metallgehalt
der Münzeinheit im Laufe der Zeit beträchtlich verringert hat. Das
griechische Talfnt, das römische As, das Pfund oder Livre in Italien.
Frankreich und England, die Mark und später der Gulden und Taler
in Deutschland. — alle diese Keeluiuiigselnlieiten blieben rechtlich
identische (irößeti, während ihr nietalliselies Substrat durch ein immer
kleiner werdendes Quantum Metall dargestellt wurde. Zwar haben
wir es bei den MUnzverschlechterungen mit Maßregeln zu tun, die
oft ans falschen Vorstellungen wirtschaftlicher Natur und aus gewinn
süchtigen Motiven der MUnzherren hervorgegangen sind. Aber alle
36 Erstes Bach. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Irrtümer und Mißbräuche dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß
an der zwecivmäßigen Einrichtung des Geldwesens ein so starkes öffent-
liches Interesse besteht, daß die Staatsgewalt nicht nur das Recht,
sondern auch die Pflicht hat, auf diesem Gebiete regulierend einzugreifen,
Nur aus diesem Grundsätze heraus, der die Identität zwischen dem Gelde
und dem Metalle, aus welchem das Geld jeweilig besteht, völlig aufhebt,
der das Metall lediglich als eine dem Bestimmungsrechte des Staates
unterworfene Substanz des Geldes ansieht, — nur aus diesem Grund-
satze heraus ist eine so entscheidende Maßregel, wie ein moderner
Währungswechsel, zu verstehen und juristisch zu rechtfertigen; denn
ein Uebergaug etwa von der Silberwährung zur Goldwährung besteht
ja gerade darin, daß der Staat nicht nur das seiner Geldeinheit zu-
grunde liegende Metallquantum verändert, sondern daß er mit dem
das Substrat des Geldes darstellenden Metalle selbst- wechselt, indem
er an die Stelle des Silbers das Gold setzt. Wenn wir solche Vor-
gänge, ohne in theoretische Streitigkeiten einzutreten, einfach de lege
lata betrachten, dann sehen wir, daß das Geld seine rechtliche und
wirtschaftliche Kontinuität bei wechselndem Metallgehalte der Münz-
einheit bewahrt hat, und darin tritt die Selbständigkeit des Geldbegriffs
gegenüber dem Stoffe, aus dem das Geld besteht, aufs deutlichste in
Erscheinung. Erst mit dieser völligen Scheidung zwischen Geld und
Geldstoff ist die Entstehung des Geldes vollendet.
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsysteme.
§ 1. Die Milnzsorten.
Die Lostrennung des Geldes aus dem Kreise der übrigen Güter
und die Ausbildung eines besonderen Geldbegriffs hat ihr Gegenstück
und ihre Ergänzung in der Entwicklung der Geldsysteme, Der
Entwicklungsprozeß des Geldes geht dahin, das Geld als eine Einheit
der Vielheit der Waren gegenüberzustellen, und die Zusammenfassung
der verschiedenen konkreten Erscheinungsformen des Geldes zu einer
Einheit hat sich in der Bildung der Geldsysterae vollzogen.
Wir wissen, daß in den ersten Stadien der Entstehung des Geldes
eine Vielheit von verschiedenartigen Tauschgütern nebeneinander be-
stand, die durch herkömmliche Wertverhältnisse miteinander in Be-
ziehung gesetzt waren und von denen einzelne im Laufe der Zeit
mehr und mehr ausschließlich die Funktion als Tauchmittel über-
nahmen. Von einem eigentlichen „Geldsystem" kann in diesem frühen
Zustande, in dem überhaupt noch keine prinzipielle Scheidung von
Geld und Ware erfolgt war, nicht die Rede sein. Außerdem fehlte,
wie oben auseinandergesetzt wurde, diesen Kombinationen von Tausch-
mitteln sowohl die Geschlossenheit nach außen hin, als auch die innere
Einheit, Jeder Fortschritt des wirtschaftlichen Denkens mußte die
freie und veränderliche Bewertung der einzelnen Güter gegenüber der
Macht des Herkommens begünstigen und dadurch die an sich schon
lose Verbindung der einzelnen Tauschmittel, die in dem traditionellen
Wertverhältnis bestand, immer mehr lockern.
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsysterae. § 1. 37
Dadurch, daß die Edelmetalle mit der Zeit sich zam alleinigen
Tauschmittel heraasarbeiteten, war eine gewisse auf die Einheitlichkeit
des Geldes gerichtete Tendenz gegeben, zumal da die Schwankungen
im gegenseitigen Wertverhältnis von Silber, Gold und Kupfer auch
während längerer Perioden oflenbar nur ganz geringfügig waren.
Aber diese auf die Entstehung eines einheitlichen Geldes gerichtete
Entwicklungstendenz erfuhr eine Unterbrechung gerade durch die Er-
findung der Münze, durch die nach der anderen Seite hin die Brauch-
barkeit der Edelmetalle als Tauschmittel so sehr gesteigert wurde.
Nunmehr entstand nämlich aus dem einzelnen Metall eine Vielheit von
MUnzsorteu, und aus denselben Gründen, aus welchen die Münze an
sich gegenüber dem Metalle unabhängig wurde, bildete sich auch eine
gewisse Selbständigkeit der einzelnen Münzsorten heraus.
Die Bedürfnisse des Verkehrs mußten von Anfang an zu einer
Vielheit von MUnzsorten hinfuhren. Das war ja gerade einer der
wesentlichsten Vorzüge der Edelmetalle, daß sie infolge ihrer unbe-
schränkten Teilbarkeit und Formbarkeit die Darstellung der ver-
schiedensten Wertgrößen gestatteten. Es ist deshalb ganz natürlich,
daß man nicht nur die eigentliche Münzeinheit selbst, sondern auch
Bruchteile und Vielfache derselben ausmünzte. Aber bei dieser ein-
fachen Stückelung eines und desselben Münztypus hatte es nicht sein
Bewenden; es kam vielmehr eine Verschiedenheit der Grundtypen selbst
hinzu. Das Prägemonopol des Staates für sein Gebiet, das in einer
Ausschließung fremder Münzen seine notwendige Ergänzung hat, ist
erst im Laufe der Zeit zu seiner vollen Ausbildung gelangt; des-
halb war der Münzuralanf vielfach ein gemeinschaftlicher, auch dann,
wenn die einzelnen Städte oder Staaten verschiedene Typen aus-
münzten. Auch innerhalb eines und desselben Staates wurde sehr
häufig nach verschiedenen Typen geprägt. Es kam vor, daß einzelne
MUnzsorten zuerst von auswärts eindrangen, sich große Beliebtheit er-
rangen, und daß dann schließlich der Staat selbst, ohne die Prägung
seiner alten Münzen aufzugeben oder mindestens ohne die umlaufenden
alten Münzen gänzlich zu beseitigen, den neuen MUnztypus adoptierte.
Je größer die Zersplitterung des Prägerechts und je geringer die Ge-
schlossenheit des Münzumlaufs nach außen hin, desto größer die
Mannigfaltigkeit der MUnzsorten.
Gleich bei der ersten Einführung der Münze beobachten wir
eine solche Mannigfaltigkeit. In Lydien selbst, dem Ursprungslande
der Münze, scheinen von Anfang an Goldmünzen nach zwei ver-
schiedenen Typen, beruhend auf der Verschiedenheit des babylonischen
und des von diesem abgeleiteten phönizischen Edelmetallgewichts-
eystems, jicprägt worden zu sein: Statere von etwa 14,2 g Gewicht
(phr>nizischer Fuß) und Statere von nur 10,8 g Gewicht (babylonischer
(Silber-) Fuß), beide mit Teilstücken. Auch ii. den griechischen Stadt-
staaten Kleinasieua prägte man nach verschiedenen Gewichtssystemen,
teilweise nach den phönizisch-lydischen Fuß, teilweise nach dem
schweren babylonischen Goldgewichte (der Stater etwa 16,5 g); letzterer
Typus wurde namentlich in Pliokiia geprägt zu der Zeit, als diese
Stadt auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Bedeutung stand.
38 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Eutwicklungsgeschichte des Geldes.
Daß hinsichtlich des Münzfußes der Silbermlinzen in den griechischen
Stadtstaaten Kleinasiens eine sehr viel weitergehende Verschiedenheit
herrschte, als hinsichtlich der GoldausmUnzuugeu, wurde bereits erwähnt.
Zu der Verschiedenheit der MUnztypen, soweit sie sich im Rauh-
gewicht der Mllnzstücke äußerte, kam noch die Verschiedenheit der
Zusammensetzung des Elektron nach Gold und Silber hinzu. Es ist
bereits darauf hingewiesen worden, wie sehr sich diese Mischung all-
mählich verschlechtert hatte. Das Ergebnis einer mit einem pho-
käischen Stater vorgenommenen Schmelzprobe, das Mommsen in seiner
Geschichte des römischen Münzwesens mitteilt, war eine Mischung
von nur 412 Tausendteilen Gold, 539 Tausendteilen Silber und 49
Tausendteilen Kupfer.
Schon der Lyderkönig Krösus sah sich etwa ein Jahrhundert
nach der Erfindung der Münze, infolge der zahlreichen Spielarten der
in seinem Königreiche umlaufenden Münzen und infolge der Ver-
schlechterung des Elektron, zu einer durchgreifenden Müuzreforra ge-
nötigt. Um das Müuzwesen seines Staates auf eine einfachere und zu-
verlässigere Basis zu stellen, schaffte er die Elektronprägung ab und
führte Münzen aus reinem Gold und reinem Silber ein; aber auch die
neuen Münzen wurden nicht nach einem einheitlichen, sondern abermals
nach zwei verschiedenen Typen geprägt.
Wir sehen also, wie sich gleich nach der Einführung des ge-
münzten Geldes innerhalb eines und desselben Umlaufsgebietes ver-
schiedene Münztypen entwickelten, von denen ein jeder mit seinen
Teilstücken eine Gruppe für sich bildete.
Noch deutlicher tritt diese Zersplitterung in einzelne von einander
unabhängige Münzsorten in Erscheinung bei denjenigen Völkern, welche
nicht durch den eignen Erfindungsgeist, sondern durch die Berührung
mit höher entwickelten, gemünztes Geld gebrauchenden Nationen die
Münze als Tauschmittel kennen lernten. Bis zum heutigen Tage können
wir beobachten, wie bei solchen Völkern sich die Münzen verschiedener
handeltreibender Nationen zusammenfinden, dabei vielfach solche Münz-
sorten, die in ihrem Ursprungslande nicht als Geld dienen, sondern
ausschließlich für den Handel mit fremden, halbzivilisierten Völkern
geprägt wurden, wie Maria-Theresia-Taler, spanische und amerikanische
Trade-Dollar usw. Oft werden solche Münzstücke zu einem Gliede
des gewissermaßen naturalen Geldsystems und verrichten ihre Dienste
als Tauschmittel neben Rindern, Salz, Kaurirauscheln und anderen Tausch-
gütern. Das Zusammentreffen verschiedener Münzsorten aus verschie-
denen Ländern führt hier zu einem bunten Gemisch, dem jede innere
Gliederung und jeder Zusammenhang fehlt.
Nur auf verhältnismäßig hohen Stufen der wirtschaftlichen und
politischen Entwicklung und bei einer straffen Zentralisation der Staats-
gewalt ist es gelungen, in Anlehnung an einen bestimmten Münztypus
aus wenigen Sorten von Ganzstücken, Teilstücken und Vielfachen ein
einheitliches System zu konstruieren; so wenigstens in der besten Zeit
des römischen Weltreiches und später in vollkommenerer Weise in den
modernen Staaten der europäischen Kultur.
2. Kapitel. Die Entwicklung der üeldsyatenie. § 1. 39
Für das Verständnis der Entvvicklun^sfreschichte des modernen
Geldwesens ist eine etwas genauere Hetraclitunji: der Geldverfassung des
Mittelalters und der neueren Zeit notwendig.
Das römische Miinzwesen geriet mit dem Niedergange des
Weltreichs in einen vollständigen Verfall. In den Stürmen der
Völkerwanderung blieb von der römischen MUnzverfassung nicht
viel mehr übrig als die P>rungenschaft der geprägten Münze. Das
Münzwesen der neu entstehenden staatlichen Gebilde lehnte sich meist
an die überlieferten römischen MUnztypen an. Sie gebrauchten west-
römisches und oströmisches Geld; daneben schlugen sie auch eigne
Münzen nach diesen Vorbildern.
Im Laufe der Zeit bildete sich in den einzelnen Ländern eine
unglaubliche Mannigfaltigkeit von MUnzsorten heraus, am meisten aus
den bereits erwähnten Gründen dort, wo die geistlichen und weltlichen
Territorialherren und die Städte sich eine verhältnismäßig unabhängige
Stellung errangen und das Recht der Münzprägung erhielten. Das war
besonders in Deutschland der Fall, wo gegen Ende des Mittelalters etwa
600 Münzstätten bestanden. Aehnliche Zustände herrschten infolge der
politischen Zersplitterung in Italien, während Frankreich und namentlich
England früher zu einer Zentralisation ihres Münzwesens gelangten.
Charakteristisch dafür, wie wenig die Staatsgewalt im Mittelalter
und teilweise noch während der neueren Zeit die Gestaltung des Münz-
systems in der Hand hatte und wie wenig sie ein geschlossenes Münz-
wesen zu schaffen und aufrecht zu erhalten vermochte, ist der Umstand,
daß sich die Neubildungen im Geldwesen, namentlich das Aufkommen
neuer MUnzsorten und der Uebergang vom vorwiegenden Gebrauch des
einen zu dem des anderen Edelmetalls, unabhängig von der Autorität
der einzelnen Regierungen — und zwar meist auf internationalem
Wege — vollzogen.
Das trifft namentlich für die größeren MUnzsorten zu, die ihrer
Natur nach in ihrem Umlaufe und ihrer Wirksamkeit nicht in dem-
selben Maße territorial beschränkt waren, wie das Kleingeld.
Im 10. Jahrhundert breitete sich beispielsweise der Bisant oder
Resant, eine byzantinische Goldmünze, die auf den römischen Goldsolidus
zurückzuführen ist, über ganz Europa aus bis nach England. Das vor-
wiegende Umlaufsmittel blieb jedoch das Silbergeld, dessen Grundtypus
der Denar war. Die fortgesetzte Verschlechterung dieses kleinen Silber-
geldes führte allmählich dazu, daß zuerst die Prägung von Großmünzen
in Silber aufkam, deren Verschlechterung wiederum dazu beigetragen
hat, daß später die Kaufleute sich immer mehr des Goldgeldes bedienten.
Italien hatte in jenen Jahrhunderten die Führung im europäischen
Münzwesen. In Florenz sind wahrscheinlich schon seit 11H2 große
iMlerstUcke im Werte von 12 Denaren geprägt worden, in Venedig von
irj4 an 24- und 26-Denarstücke. Wahrscheinlich sind diese Stücke
NachalinuHigen orientalischer Silbermünzen gewesen. Wegen ihrer in
der damaligen Zeit für Europa ungewölinlichen (iröße erhielten sie den
Namen „Grossi" oder „Grossoni". Sie tauchten dann in Frankreich auf
als „gros tournois", in P'.ngland als „gr<iats" und in Deutschland von
etwa 1300 au als „Groschen" oder „Dickj)fennige.''
40 Erstes Buch. I. Abschuitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Aber auch diese großen SilberniUnzen unterlagen allerwärts
starken Versehlechterung:en in Feingebalt und Gewicht, und zwar in
den einzelnen Ländern und in den einzelnen Territorien desselben Landes
in verschiedenem Maße. In Florenz ist der Grosso von 1252 bis 1347
auf ein Drittel seines ursprunglichen Feingehaltes gesunken.
Diese Verschlechterung des Silbergroßgeldes war es, die dem
Aufkommen der Goldmünzen den Boden bereitete. Die ersten Gold-
münzen jener Zeit erschienen unter dem Namen „Florenen"; sie wurden
nachweislich von 1252 ab, und wahrscheinlich nicht vor diesem Jahre, in
Florenz geprägt, und ihr Name wird in der Regel vom Namen Florenz
abgeleitet. Nach Le Blaue findet sich jedoch der Münzname Florenus
schon 1148 in Urkunden, und es ist möglich, daß das Wort Florenus
von den Blumen auf dem Gepräge dieser Goldmünzen hergenommen
ist, zumal da sie auch in Deutschland den Namen „Liliengulden" er-
hielten. Um dieselbe Zeit tauchten die Dukaten auf, ob zuerst in
Apulien oder in Venedig, ist nicht aufgeklärt. Florenen und Dukaten
scheinen ursprünglich identisch gewesen zu sein, entfernten sich aber
bald erheblich voneinander in Feinheit und Gewicht und bildeten
zwei verschiedene Münztypen, die als solche mehrere Jahrhunderte
lang die Goldprägungen der europäischen Staaten beherrschten. Wie
die großen Silbermünzen unterlagen sie territorial verschieden starken
Verschlechterungen. Am besten hielten sie sich in Italien, am meisten
verschlechtert wurden sie in Deutschland, namentlich nachdem das
Recht der Goldprägung im Jahre 1356 durch die Goldene Bulle den Kur-
fürsten zugestanden worden war. Nach der dritten Reichsmünzordnung
von 1559, in welcher der Goldgulden (Florenus) und der Dukat als
Reichsmünzen anerkannt wurden, sollten aus der feinen Mark Goldes
^3*Viu (^oldgulden und 67^7?! Dukaten geprägt werden; bis 1737
wurde diese gesetzliche Feingehaltsbestimmung nicht geändert.
Später erfuhren eine ähnliche internationale Verbreitung die von
Spanien ausgehenden Pistolen, die das Vorbild der französischen
Louisdor, der preußischen Friedrichsdor usw. geworden sind.
Wie im 13. und 14. Jahrhundert die Verschlechterung des Silbergeldes
das Aufkoramen und die Verbreitung der neuen Goldmünzen befördert
hatte, so hat im 15. Jahrhundert die Verschlechterung der Goldmünzen
— neben der Steigerung der deutschen Silberproduktion — dazu
beigetragen, dem Silber im Groß verkehr wieder zu seiner alten Stellung
zu verhelfen. In Venedig, dem wichtigsten Ma;-kte für das deutsche Silber,
wurde schon im Jahre 1472 der Wert des Goldguldens in einer bis dahin
unerhört großen Silberraünze dargestellt. Dieses Beispiel fand Nach-
ahmung zuerst bei den Erzherzögen Maximilian und Sigismund,
die 1479 und 1484 damit begannen, das Silber ihrer Tiroler Bergwerke
in solche große Stücke auszumünzen, die zunächst den Namen
„Guldengroschen" erhielten. Von 1519 an wurde dieses MünzstUek
(= '/g Mark Feinsilber) in großem Umfange von dem Grafen Schlick
in Joachimsthal in Böhmen geprägt; die Münzen wurden nunmehr
„Joachimstaler" oder schlechtweg „Taler" genannt. Aus diesem Stücke
sind die späteren ,.SilberguIden" und „Taler", die in der neueren
deutschen Mtinzgeschichte die wichtigste Rolle spielten, hervorgegangen.
2, Kapitel. Die Entwicklung; der Geldaysteme. § 1. 41
Der Silbergalden wurde in den KeichsmUnzordnurifjcn des 16. Jahrhnnderts
als die große Silbermllnze des Reichs adoptiert. Die Taierprägung
vvnrde durch die ReichsmUnzordnong von 1559 ausdrücklich unter
Verbot gestellt, durch den Reichstagsabschied von Augsburg von 1566
wieder zugelassen, und dieser Taler, der „Reichsspeziestaler-' von
'/g Mark Feingehalt, wurde für lange Zeit die Grundlage des deutschen
Silbergeldes,
Wir haben also in jener Zeit eine große Mannigfaltigkeit von
Münzsorten, die nicht als Ganz- und Teilstücken zusammengehörten,
von denen vielmehr jede mit ihren Ganz- und Teilstücken einen eignen
Typus darstellte und von denen jede ihre eigne, noch dazu nach
Staaten und Territorien verschiedene Geschichte hatte. Noch viel
größer war die Mannigfaltigkeit der MUnzsorten und die Verschieden-
heit je nach dem Orte und der Zeit der Prägung bei dem kleinen
Gelde, das sich in einem fortgesetzten Flusse von Veränderungen
befand und mit dem großen Gelde nur einen ganz lockeren Zusammen-
bang hatte.
Schon auf den ersten Blick ergibt sich, daß dieses bunte Gewirr
sich nicht mit unseren modernen, auf einem einzigen Münztypus und
einer einzigen Rechnuugseinheit aufgebauten und nach dem Dezimal-
system oder einer andern rationellen Anordnung gegliederten MUuz-
systemeu vergleichen läßt. Damit entsteht die Frage nach der Art
und Weise des Nebeneinanders und nach dem gegenseitigen Verhalten
der einzelnen Münzsorten.
§ 2. Das Sortengreld^).
Es wnrde bereits angedeutet, daß die einzelnen Münzsorten in den
Jahrhunderten, mit denen wir uns hier beschäftigen, ihr eignes Schicksal
hatten, und daß die Ursachen für diese gegenseitige Unabhängigkeit der
Münzsorten grundsätzlich dieselben sind, auf welche die Unabhängigkeit
der Münze überhaupt gegenüber dem Münzmetalle zurückzuführen ist.
Die Zahlungsverträge lauteten nicht mehr auf Edelmetall schlechthin, son-
dern auf gemünztes Geld, und sobald verschiedene Münztypen aufkamen,
konnten und mußten sie auf die eine oder andere Münzsorte lauten.
Die Veränderungen des Metallgehaltes der Münzen haben bewirkt, daß
die gleiche Geldsumme sich in schwankenden Quantitäten Edelmetall
darstellte; sie haben auf diese Weise das feste Verhältnis zwischen
gewichtsmäßig normierten Edelmetallmengen und nach Münzeinheiten
bestimmten Geldsummen aufgehoben. Wenn nun diese Veränderungen
des tatsächlichen Metallgehaltes die verschiedenen neben einander um-
laufenden MüMztypen in verschiedenem Maße trafen, so mußte daraus
') V(?l. zu diesem Paraf,'raphen die Abhandlung über „Die geacbicbtlicbe P^nt-
wicklunir der Münzsysteme" in meinen Studien über (leid- tind Bankwesen, erst-
niaJH >,'edru.kt in (' o n ra d h Jahrbüchern. 3. F(»liro. Bd. IX; ebendort die Aiis-
fühniiiKen v<m L e x i s über „Parallel währunfr und .Sortf-nireid" ; ferner S c h ni o 1 I e r,
l'eber die Ansbildunir einer richtigen Scheidcniünzpolitik vom 14.— 19. Jahrhundert,
in Sc hm oller» Jalirbiich XXIV, 4; auü^-rdem Lexis, Art. „Parallelwührung''
im Handwörterbuch der Staat^wiüscuscbaftcu.
42 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
eine ebensolche Trennong; zwischen den einzelnen MUnzsorten her-
vorgehen.
Die Ursachen der Feingehaltsveränderungen der Münzsorten waren
nun im wesentlichen folgende:
Die Mangelhaftigkeit der Prägetechnik bewirkte Ungleichmäßig-
keiten des Feingehaltes schon innerhalb einer und derselben Sorte.
In solchen Fällen lohnte es sich, die zu schwer geratenen Stücke aus-
zusuchen, während die zu leicht geratenen im Umlauf blieben. Der
tatsächliche Metallgehalt der umlaufenden Stücke entfernte sich damit
von dem ursprünglichen und normalen Gehalte, und zwar bei den ein-
zelneu Sorten in verschiedenem Maße, je nach der Sorgfalt der be-
treffenden Münzstätte und je nach der technischen Möglichkeit der
gleichmäßigen Ausprägung (bei kleinen Stücken sind aus natürlichen
Gründen die Abweichungen vom normalen Gehalt relativ größer als
bei großen Stücken).
Zu dieser unabsichtlichen Verschlechterung des Umlaufs kamen
die absichtlichen Verringerungen an Feingehalt und Gewicht bei der
Ausprägung. Diese Münzverschlechterungen waren bei denselben Münz-
t}pen, z. B. beim Dukaten, territorial außerordentlich verschieden; außer-
dem wurden innerhalb eines und desselben Territoriums die einzelnen
Münztypen in sehr verschiedenem Maße von der Münzverschlechterung
betroffen. In Deutschland z. B. hatten die Münzherren für die Prägung
des kleinen Geldes in viel höherem Grade freie Hand, als für die
Prägung der großen Silbermünzen und der Goldstücke. Infolgedessen
waren die Verschlechterungen des kleinen Geldes weitaus stärker, als
die der großen Münzen.
Schließlich kam in Betracht die Abnutzung der Münzen im Umlauf
und die betrügerische Verkürzung ihres Feingehalts durch Beschneiden,
Befeilen und ähnliche Praktiken, die durch die primitive Münztechnik,
namentlich durch das Fehlen der Randprägung, sehr erleichtert wurden.
Auch diese Momente wirkten auf die einzelnen Sorten in verschiedener
Stärke ein. Je nach Größe und Dicke unterliegen die Münzen der
Abnutzung in verschiedenem Grade; dünne Münzen sind leichter zu
beschneiden als dicke, schlecht geprägte können unmerklicher in ihrem
Feingehalte verkürzt werden als gut geprägte.
Alle diese Umstände im Verein wirkten dahin, daß das gegen-
seitige Verhältnis des tatsächlichen Metallgehaltes der einzelnen MUnz-
sorten fortgesetzten Schwankungen unterlag. Andererseits war es der
Staatsgewalt in jener Zeit noch nicht in vollem Umfange gelungen, den
Münzen eine von ihrem Metallgehalte unabhängige Geltung beizulegen.
Maßgebend für die Bewertung, welche die einzelnen Geldsorten im
Verkehr fanden, war vielmehr im großen Ganzen das Quantum von
Edelmetall, das sie tatsächlich enthielten; neben diesem materiellen
Momente kam außerdem noch die größere oder geringere Beliebtheit
einzelner Müuzsorten in Betracht.
Die Folge war, daß erstens die einzelnen Münzsorten zu einander
nicht in festen, sondern in schwankenden Wertverhältnissen standen; daß
zweitens die einzelnen Sorten sich bei der Zahlungsleistung nicht ohne
weiteres vertreten konnten; kurz, daß die einzelnen Sorten nicht ein
2. Kapitel. Die Eutwicklnn^ der Geldsysteme. § 2. 43
einheitliches System bildeten, sondern als verschiedene Arten von Geld
neben einander existierten. Es gab kein einheitliches Geld, innerhalb
dessen die Sorten gleichgültig sind, es gab vielmehr nur einzelne von
einander unabhängige Münzsorten und Gruppen von MUnzsorten, deren
jede man nach Wahl oder Herkommen den Zahlungsverabredungen zu-
grunde legte. Infolgedessen läßt sich diese MUnzverfassung nicht auf
eine Stufe stellen mit unseren modernen Währangssystemen, bei denen
das Geld als eine von den Erscheinungsformen der einzelnen Geld-
sorten unabhängige Einheit erscheint; sie stellt vielmehr ein V'^orstadium
dar, aus dem heraus durch eine wirksame Zusammenfassung der ein-
zelnen Sorten sich unsere modernen Geldsysterae erst zu entwickeln
hatten und das sich, weil in ihm die MUnzsorte eine ihr in den
eigentlichen Geldsystemen nicht mehr zukommende Bedeutung hat, wohl
am besten als „Sortengeld" bezeichnen läßt.
Der Zustand des „Sortengeldes'' hat infolge der politischen Ver-
hältnisse in Italien und vor allem in Deutschland die schärfste Aus-
prägung erfahren.
Im Italien •) des späten Mittelalters haben wir es namentlich mit
drei Gruppen von MUnzsorten zu tun, mit Goldgeld, großem Silbergeld
und kleinem Silbergeld, und an diese einzelnen Gruppen schloß sich
eine getrennte Rechnung und Buchung an. In Florenz hatte man am
Ende des 13. Jahrhunderts drei verschiedene Rechnungen neben ein-
ander, von denen jede ein Geldsystem fUr sich bildete:
1. Die reine Goldrechnung mit dem Goldgulden zu 20 Gold-
schillingen zu 12 Denaren („lira a oro'*).
2. Die Goldrechnung mit dem Goldgulden zu 29 Soldi a fioriu
zu 12 Denaren (lira a fiorini). Diese Rechnung lehnte sich an das
Wertverhältnis an, das im Jahre 1271 tatsächlich zwischen Goldgulden
und Silbersoldo (grosso) bestand, und die daraus hervorgehende Rech-
nung wurde beibehalten, auch nachdem der Kurs des Soldo durch fort
gesetzte Verschlechterungen stark gesunken war; dadurch wurde das
Kleingeld dieser Rechnung zu einem fiktiven Kleingeld, ebenso wie das
Kleingeld der reinen Goldrechnung von jeher ein fiktives durch keinerlei
Münzstücke dargestelltes gewesen war.
3. Die Rechnung in lira, soldi und denari des umlaufenden Klein-
geldes, die sich auf die Soldi und Denare aufbaute, und bei der die
lira ebenso ein fiktives Geld war, wie bei den ersten zwei Rechnungen
die Unterabteilungen („lire e soldi di piccioli"). Dabei bildeten nicht
einmal die Soldi und Denare eine Feinheit für sich; trotz wiederholter
Bemühungen vermochte die florentinische Regierung den Soldo ebenso-
wenig in ein festes Verhältnis zu dem kleinen Silbergeide wie zu dem
Goldgelde zu bringen. Allerdings war der Florenus bei seiner Ein-
führung im Jahre 1252 als ein Stück von 20 Soldi gedacht; in der
Folgezeit aber wurde der Soldo noch soviel mehr verschlechtert als der
Goldgulden, daß 1346 bereits 60, später .sogar bis zu 85 Soldi auf
einen (ioldgulden gingen; noch grüßer waren die Schwankungen zwischen
dem großen und dem kleinen .Silbergeld, den Soldi einerseits, den De-
') Vgl. S c h ni 1 I e r a. a. (».
44 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
iiiiren nod Qujittrini (= 4 Denare) andererseits. Die Zahlungen wurden
in der einen oder anderen dieser Münzsorten bedungen.
In ähnlioher Weise hatte Venedig eine Goldwährung und eine
dreifache Siiberwährung, die sich an den alten Soldo, den tatsächlich
kursierenden Soldo und an das tatsächlich kursierende Kleingeld an-
schloß. Auch hier waren alle \'ersuche, den gegenseitigen Wert der
einzelnen MUnxsorten gesetzlich festzulegen, ohne Erfolg.
In Deutschland war die Verwirrung fast noch schlimmer. Seit
dem 14. Jahrhundert kamen zwei Typen von Goldmünzen, der Dukat
und der Gohlguldeu, in Betracht; daneben, seit der Einführung der ganz
schweren Guldengroschen oder Taler, drei große Kategorien von Silber-
mUnzen: die Taler und Silbergulden als erste Gruppe, ferner die Groschen
und schließlich das Kleingeld. Jede einzelne dieser Sorten existierte
dazu noch in unzähligen Spezialitäten, je nach der Zeit und dem Ort
ihrer Ausprägung,
Wie groß dabei die Schwankungen des gegenseitigen Wertver-
hältnisses selbst bei gleichbleibendem gesetzlichen Feingehalte waren,
dafür sind die Veränderungen der Bewertung von Goldgulden und
Dukaten außerordentlich charakteristisch. Dem Münzfüße beider Sorten,
wie er in der Reichsmünzordnuug von 1559 festgesetzt wurde und bis
1737 unverändert blieb, hätte ein Verhältnis von lüO Dukaten = 1-37*^/25
Goldgulden entsprochen. In Wirklichkeit schwankte das Kursverhältnis
beider Sorten, wie es sich aus Tarifierungen in ReichstagsbeschlUssen,
Münzrezessen, Valvationstabellen usw. ergibt, zwischen den Gleichungen
100 Dukaten = 120 Goldgnlden (1623 in Kursachsen) und 100 Du-
katen = 164^2 Goldgulden (Ende des 17. Jahrhunderts).
Wenn hier schon bei gleichbleibendem gesetzlichen Feingehalte
solche Schwankungen vorkamen, dann kann man sich denken, um
wieviel größer die Schwankungen zwischen dem großen und dem
kleinen Silbergeld gewesen sein müssen; denn während seit dem
Reichstagsabschiede von 1566 der Reichsspeziestaler bis um die Mitte
des 18. Jahrhunderts wenigstens in seinem gesetzlichen Feingehalte
keiner Veränderung unterlag — die tatsächlichen AusmUnzungen blieben
freilich meist hinter dem gesetzlichen Gehalte zurück — , erfuhren die
mittleren und kleineren Silbermünzen ganz außerordentliche Verschlech-
terungen, die in der sogenannten ,. Kipper- und Wipperzeit" von 1620 — 1623
ihren Höhepunkt erreichten. Die große Masse der Umlaufsmittel be-
stand dabei aus kleineren Münzstücken, aus Groschen, Kreuzern, Hellern,
Pfennigen usw., deren Ausprägung nicht nur zeitlich, sondern auch
territorial außerordentlich verschieden war. Wie in Italien, so baute
sich auch hier auf dieses sich fortgesetzt verschlechternde Kleingeld
eine besondere Rechnung auf. Der Taler und der Gulden des gewöhnlichen
Verkehrs waren nicht identisch mit dem „Speziestaler" oder „Spezies-
gulden", die als große Silberstücke geprägt wurden; der „Taler in
Rechnung" bedeutete vielmehr 24 Groschen, der Gulden 60 Kreuzer
des umlaufenden Kleingeldes; sie waren keine geprägten MUnzstücke,
sondern Sammelbegriffe, wie etwa „Schock" und ,,Mandel". Der Taler
in Rechnung wurde in Preußen erst seit 1750 in einem wirklichen
Talerstück, der Rechnungsgulden wurde in Süddeutschland erst 1837
2. Kapitel. Die Entwickluui? der Geldsysteme. § 2. 45
durch ein wirkliches Guldeustlick körperlich dar^jestellt. Vorher unter-
iageu die großen SilbermUuzeu fortgesetzten Wertschwaiikungen gegen-
über dem liechnungsgelde des gewöhnlichen Verkehrs. Am Ende des
17. Jahrhunderts wurde im Leipziger MUnzrezeß, der 1737 als Grund-
lage für den Keichsmllnzfuß adoptiert wurde, der Speziestaler auf
'62 Groschen = l*/, Hechnungstaler und auf 120 Kreuzer = 2 Gulden
tariliert. Aber auch diese Bewertung ließ sich nicht allgemein und
nicht auf die Dauer durchsetzen.
Alle Versuche, die verschiedenen MUnzsorten einem einheitlichen
Systeme einzugliedern und feste Wertverhältuisse zwischen ihnen ein-
zuführen, zeigten in Deutschland ebensowenig Erfolg wie in Italien.
Die KeichsmUnzordnungen vermochten nicht au die Stelle des Sorten-
wirrwars ein geordnetes MUnzsystem zu setzen.
Infolge des schwankenden Wertverhältnisses zwischen den ein-
zelnen MUnzsorten war es nicht gleichgültig, auf welche Sorte eine
Zahlungsverabrednng lautete. Eine allgemeine Geldschuld in unserem
moderneu Sinne gab es damals nicht; die Wechselordnungen z. H. ver-
langten neben der Bezeichnung der Summe auch die Angabe der
Geldsorte, in der gezahlt werden sollte; und noch in einem Zirkular
Friedrichs des Großen „an alle Regierungen und Justizkollegien" vom
12. Januar 1762 heißt es: „Es ist eine allgemeine, in der selbstreden-
den Billigkeit gegründete Kechtslehre, daß ein jeder Schuldner das
ihm geschehene Anlehen in eben der Münzsorte, wie er solches em-
pfangen, nach dem in- und äußerlichen Werte zurückzuzahlen ver-
bunden sei." Erst verhältnismäßig spät scheinen Zahlungsverträge auf
Geld schlechthin, auf „Korrent "oder „gangbare Münze" häufiger geworden
zu sein, und darüber, in welchen Sorten solche Verträge erfüllt
werden sollten, waren häufig eigne gesetzliche Bestimmungen oder
gerichtliche Entscheidungen notwendig. So heißt es z. B. in der General-
wechselordnung im Herzogtum Schlesien vom 31. August 1738 im Art.
XXX: . . . „lauten aber die Wechselbriefe schlechthin auf Korrent
oder erhöhet Kaisergeld, so ist der Inhaber des Briefes von dem Ak-
zeptanten 17-Kreuzer und 7-Kreuzer (solche Stücke befanden sich
damals im Umlauf!) oder kaiserlichen Reichsthaler in Zahlung anzu-
nehmen schuldig. . . . Wenn aber im Wechselbriefe oder Assignaten
keine Sorte am Gelde exprimiret ist, aber auch Korrent darinnen
nicht enthalten, so kann die Zahlung auch in Dukaten oder in ge-
wogener kleiner Münze geleistet werden." — Noch im Jahre 1755
wandte sich der Magistrat zu Wesel an die Regierung mit der Anfrage,
ob Obligationen, die ursprünglich auf ZweidrittelstUcke des Leipziger
Fußes oder auf Louisblancs gelautet hatten und dann durch die
friderizianische MUnzreform von 1750 in Taler preuß. Kurant kon-
vertiert worden waren, nur in ganzen, halben und viertel Talerstücken
oder auch in Acht-, Vier- und ZweigroschenstUcken — die alle nach
dem gleichen Fuße ausgemünzt waren! — erfüllt werden könnten.
Nicht nur die tatsächlichen Wertschwankungen der einzelnen
Sorten, sondern auch das Fehlen eines rechtlichen Zusammenhangs
zwischen ihnen läßt die Merkmale eines einheitlichen Münzsystems
vermissen. Weil es damals nicht gelang, eine feste Wertrelation
46 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Eutwicklnngsgeschichte des Geldes.
zwischen Gold- und SilberniUuzeu mit g:esetzlichen Vorschriften durch-
zusetzen, deswegen hat man geg:laubt, diese Geldverfassuug nicht als
..Doppelwährung'' bezeichnen zu können. Man hat sie meist „Parallel-
währung" genannt; aber auch diese Bezeichnung ist nicht ganz zu-
treffend, weil die für die raralielwährung wesentliche Unabhängigkeit
und Uuvertretbarkeit der Goldmünzen einerseits, der SilbermUnzen
andererseits nicht charakteristisch sein kann für eine Geldverfassung,
in der sowohl innerhalb der Goldmünzen als auch innerhalb der Silber-
müuzen die einzelnen Sorten in ihrem Wertverhältnisse schwanken und
sich gegenseitig tiicht vertreten können. Nicht das Nebeneinander
zweier „Währungen*', sondern das Nebeneinander einer Anzahl von
MUuzsorten ist das Wesen des geschilderten Zustandes, und deshalb
ist dieser als „Sortengeld" von den modernen Währungssystemen
scharf zu unterscheiden,
g 3. Das Problem der Einrichtnng tob Münzsystemen.
Die bisherigen Ausführungen ergeben, daß die Erfindung der
Münze, so gewaltig der durch sie bewirkte Fortschritt war, doch keine
Errungenschaft von ausschließlichem Vorteil bedeutete. In zwei Be-
ziehungen brachte die Münze einen KUckschritt. Das Geld erfuhr
durch die verschlechterte Ausprägung, durch die natürliche Abnutzung
und die betrügerische Verkürzung des Feingehaltes der Münzen eine
starke Wertverringerung. Ferner entwickelte sich aus dem einzelnen
Edelmetalle eine Anzahl selbständiger Münzsorten, und dadurch
erfuhr die Einfachheit und Einheitlichkeit des Geldwesens eine schwere
Beeinträchtigung.
Diese Nachteile, die sich namentlich in Zeiten des Verfalls der
Staatsgewalt empfindlich geltend machten, haben mitunter dazu ge-
führt, daß der Großverkehr, welcher das gemünzte Geld am leichtesten
entbehren kann, zur Benutzung des ungeprägten Edelmetalls als
Zahlungsmittel zurückkehrte. Das war z. B. der Fall in der letzten
Zeit des römischen Kaiserreichs^) und in norddeutschen Handelsstädten
während des 12. und 13. Jahrhunderts. Auch die großen Girobanken,
die in Italien. Holland und Deutschland während des 16. und am An-
fang des 17. Jahrhunderts gegründet wurden, hatten mehr oder weniger
ausgesprochen den Zweck, die beiden Nachteile des gemünzten Geldes
zu vermeiden. Schon der Banco del Giro in Venedig hatte seine
eigne einheitliche und von den Verschlechterungen des umlaufenden
Geldes unabhängige Bankowährung; ebenso die Amsterdamer
Wechselbank, welche nur gegen Einzahlung einer bestimmten voll-
wichtigen Münzsorte Gutschrift auf Girokonto leistete. Bei der Ham-
burger Girobank, die den geschilderten Zweck am konsequentesten
verfolgt hat, war seit 1770 die Grundlage der Bankowährung überhaupt
kein geprägtes Münzstück mehr, sondern Feinsilber in Barren. Für die
Kölnische Mark Feinsilber wurden 27^/^ Mark Banko gut geschrieben.
^) Zur Zeit KonKtantins wurde im groBen Verkehr nicht mehr nach
Münzeinheiten, sondern nach Gold- und Silberpfunden gerechnet; sogar die öffent-
lichen Kassen nahmen die offiziellen Gold- und Silbermünzen nur nach dem Gewichte.
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsysteme. § 3. 47
Das Bochgeld, dessen sich der Hamburger Handel bis zum Jahre 1872
bediente, beruhte mithin auf ongeprägtem Silber.
Während es auf diese Weise den Großkaufleuteo einzelner Handels-
städte gelang, für ihre besonderen Zwecke ein von den Übelständen
des gemünzten Geldumlaufs freies Buchgeld zu schafl'en, ist es der
Staatsgewalt erst nach Jahrhunderten fruchtloser Versuche gelungen, dem
geprägten Gelde wieder die Einheitlichkeit und relative Wertbeständig-
keit der ungeprägten Edelmetalle zu geben.
Die Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, beruhten, wie
aus den Darlegungen der letzten beiden Paragraphen hervorgeht,
teilweise auf den Mängeln der Prägetechnik, teilweise auf absichtlichen
MUnzverschlechterungen, teilweise auf der Verschlechterung der Münzen
im Umlauf; und dazu kam schließlich noch, was das gegenseitige Ver-
hältnis von Silber- und Goldmünzen anlaugt, die Veränderlichkeit des
Wertverhältnisses beider Edelmetalle, ein Faktor, der um so mehr
hervortreten mußte, je mehr es gelang, über die zuerst genannten
Schwierigkeiten Herr zu werden.
Es ist hier nicht der Platz für eine eingehende Schilderung der
Entwicklung der Prägetechnik von den nur einseitig geprägten Blech-
münzen des Mittelalters (Brakteaten) bis zu unseren modernen Münz-
stücken, die vermittelst komplizierter und äußerst exakt arbeitender
Maschinen hergestellt und einem peinlich genauen PrUfungsverfahren
(Justierung) unterworfen werden, ehe sie in Umlauf gelangen. Wie
viel dadurch für ein geordnetes und einheitliches Münzwesen gewonnen
wurde, leuchtet von selbst ein. Aber der technische Fortschritt, der
die Herstellung fast absolut gleichmäßiger Stücke ermöglichte, hat in
einem Punkte nur in geringem Umfange Wandel schaffen können, näm-
lich hinsichtlich der Verschiedenheit der Prägekosten im Verhältnis zum
Werte der großen und der kleinen Müuzstücke. Noch in der Zeit un-
mittelbar vor dem Weltkriege waren die Kosten der Prägung eines
Zehnmarkstücks nicht geringer als diejenigen eines Zwanzigmarkstücks,
mit atideren Worten: die Kosten der Ausprägung einer bestimmten
Summe in Zehnmarkstücken waren ungefähr doppelt so hoch, wie die
Kosten der Ausprägung desselben Betrages in Zwanzigmarkstücken^j.
Noch größer ist der Unterschied der Prägekosten, wenn Silber- oder
gar Kupfermünzen den Goldmünzen gegenübergestellt werden.
Aus den relativ hohen Prägekosten der kleinen Münzen erklären
sich zu einem guten Teil die ganz besonderen Schwierigkeiten der
SchatTung und Erhaltung eines geordneten Umlaufs von Kleingeld. Die
höheren Prägekosten nötigten förmlich dazu, das Kleingeld unter dem
ihm rechnungsmäßig zukommenden Metallgehalte auszuprägen ; denn
nur durch einen Abzug vom Metallgehalte konnte der Münzherr sich
für die höheren l'rägekosten schadlos halten; die Auffassung aber, daß
der .MUiizlierr im Interesse einer geordneten Geldzirkulation eventuell
auch Verluste übernehmen müsse, lag jeuer Zeit, welche das MUnzrecht
M Die vom Reiche den einzelstaatlichen Miiiizstiitteu zn ijewiiiirende Prätre-
vprjfiirnn£r betrug nach den letzten darüber erlassenen Bestiuiniungen pro kg
Feiniruid liei den Ddpjielkroiien r.,r»0 Mark bei den Kronen dagegen 12 Mark Vgl.
Kuch. Munzgenetzgfbuug, ti. Aull . S. 67, üb.
48 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
als ein nutzbares Regal ansah, noch durchaus fern. Andererseits ver-
stand man es damals noch nicht, das unterwertig ausgeprägte Geld mit
Kauti'len zu umgeben, die ihm einen den effektiven Metallgehalt liber-
schreitentlen Nennwert gesichert hätten. Meist wurde das kleinere Geld
mit einem noch viel geringeren Feingehalte geprägt, als den höheren
Prägekosten entsprochen hätte, so dali fUr die MUnzherreu gerade aus
der massenhaften Prägung kleinen Geldes die größten Gewinne er-
wuchsen. In solchen Fällen trat aber bald eine dem Minderfeingehalte
entsprechende Entwertung ein : es gelang nicht, das kleine Geld auf
einem höheren als dem durch seinen Metallgehalt gegebenen Werte zu
halten. Sobald sich dieser Ausgleich vollzogen hatte, waren die Milnz-
herreu, nur um auf ihre Prägekosten zu kommen, zu einer abermaligen
Verringerung des Metallgehaltes ihres Kleingeldes gezwungen.
Wo man diese Schäden einsah und ihnen durch die Festsetzung
einer nur geringen Unterwertigkeit des kleinen Geldes entgegenzuwirken
versuchte, zeigten sich andere Schwierigkeiten. So verlangte die Reichs-
münzordnung von 1559, daß die Pfennige und Heller nur um ein
Zehntel hinter dem groben Gelde au Feingehalt zurückbleiben sollten;
das bedeutete bei der damaligen Prägetechnik, daß solche Aus-
mUnzungen überhaupt nur mit Verlust möglich waren. Diejenigen MUnz-
stäude, welche gegen die Reichsmünzordnung nicht verstoßen wollten,
unterließen deshalb die Ausprägung von kleinem Gelde fast vollständig,
und die Folge davon war, daß sie in Rücksicht auf den kleinen Ver-
kehr das ganz schlechte Kleingeld derjenigen Münzstäude, die sich um
die Vorschriften der Reichsmünzordnung überhaupt nicht kümmerten,
auch in ihren Territorien zulassen mußten. In England, wo man
gleichfalls das Kleingeld mit einem so hohen Feingehalte ausstattete,
daß seine Prägung nur unter Verlusten für die Münzstätte möglich war
und deshalb nur in ungenügendem Umfange erfolgte, herrschte im 15.,
16. und teilweise auch im 17. Jahrhundert ein solcher Mangel an kleinen
Münzen, daß Städte und sogar Privatpersonen, namentlich Kaufleute,
Zeichengeld usw. aus Messing ausgaben.
Die Schwierigkeit des Problems wurde gemildert dnreh das all-
mähliche Durchdringen der Einsicht, daß der Staat für ein geordnetes
Geldwesen nötigenfalls finanzielle Opfer zu bringen habe. Völlig gelöst
wurde es jedoch erst durch die allmähliche Ausbildung der Grundsätze
der modernen Scheideraünzpolitik, durch die Erkenntnis, daß man das
kleine Geld, ohne die ihm beigelegte Geltung und ohne das ganze Geld-
wesen zu gefährden, unterwertig ausprägen kann, wenn man mit seiner
Ausmünzung nicht über den Verkehrsbedarf hinausgeht, wenn man es
durch Begrenzung seiner Zahlungskraft auf einen niedrigen Maximal-
betrag auf die Sphäre des Kleinverkehrs beschränkt und wenn man
ihm darüber hinaus allenfalls noch durch eine Verpflichtung des Staates
zur Urawechslung in vollwertiges Geld einen besonderen Rückhalt
schafft. Ansätze zu einer diesem Systeme entsprechenden Praxis sind
schon frühzeitig dagewesen; so wurde in England in der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts gleich nach der Einführung des staatlichen Kupfer-
geldes dessen Zahlungskraft auf kleine Beträge beschränkt, und in
Brandenburg-Preußen finden sich im 17. Jahrhundert gleichfalls ver-
2. Kapitel. Die Entwicklung der üeldsysteme. § 3. 49
einzelte Vorschriften, welche die Zahluii^skraft der Pfennige nnd auch
der Groschen mehr oder weniger begrenzten ; auch hinsichtlich des
Urafangs der Prägung von kleinem Gelde wurde in einzelnen Perioden
nach vernünftigen l'rinzipien verfahren. Es fehlte aber an der konse-
quenten Durchbildung und Innehaltung der in der praktischen Er-
fahrung gewonnenen Grundsätze, und in Deutschland speziell fehlte es
au den politischen Vorbedingungen für eine richtige und konsequente
Scheidemünzpolitik. Kein Territorium kann sich in der Ausgabe unter-
wertigeu Kleingeldes eine wirksame Beschränkung auferlegen, wenn
es vom Nachbarterritorium jederzeit mit schlechtem Gelde überschwemmt
werden kann ; ein ausschlielilich eigner Münzumlauf aber ist nur müg-
lich bei einer bestimmten Größe und Geschlossenheit des Staatsgebietes.
Von nicht geringerer Wichtigkeit wie die Frage der Eingliederung
des kleinen Geldes in ein MUuzsystem war das Problem der Aufrechter-
haltung der Vollwichtigkeit des umlaufenden Geldes. Die Prägetechnik
spielte auch hier eine Rolle, indem ihre Entwicklung das betrügerische
Befeilen und Beschneiden der MUnzstücke immer mehr erschwerte. In
den ersten Jahrhunderten des Mittelalters, als die Prägetechnik eine
ganz unvollkommene und damit die Gefahr der raschen Verschlechte-
rung des umlaufenden Geldes eine ganz besonders starke war, half
man sich in radikaler Weise durch periodische Münzverrufungen und
Umprägungen; das ganze zirkulierende Geld wurde außer Kurs gesetzt
and mnßte dem Münzherrn zur Un)prägung eingeliefert werden unter
Bedingungen, die diesem gestatteten, nicht nur auf seine Kosten zu
kommen, sondern noch einen Münzgewiun zu machen. Solange in Deutsch-
land die jährlichen Münzverrufungen in Uebung waren (bis ins 12. Jahr-
hundert), hielt sich tatsächlich der Denar auf dem gleichen Silber-
gehalte. Als diese Verrufungen, die eine schwere Belastung und Be-
lästigung des Geldverkehrs bedeuteten, außer Gebrauch kamen, begann
die Periode der fortgesetzten Verschlechterung des Geldumlaufs.
Aus der Unvermeidlichkeit der Abnutzung des umlaufenden Geldes
bat noch 1. G. Hoff mann in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahr-
hunderts den Schluß gezogen, daß jeder Münzfuß im Laufe der Zeit
eich verschlechtern müsse. Da der Wert des geprägten Geldes sich
im ganzen nach dem Durchschnitte des tatsächlichen Metallgehaltes
richte und da dieser durchschnittliche Metallgehalt durch die Abnutzung
des umlaufenden Geldes immer geringer werden müsse, könne der Staat
selbst seine vollwertigen Prägungen gar nicht mehr aufrecht erhalten,
der Edelmetallpreis müsse entsjjrechend der Abnutzung des umlaufenden
Geldes soweit steigen, daß die Prägung vollwichtiger Stücke nur noch
unter Verlust möglich sei; und außerdem würde ein solches Opfer ver-
geblich gebracht werden, denn der überdurchschnittliche Feingehalt der
neuen vollwichtigen Stücke mache deren Einschnu'Izung zu einem
lohnenden Geschäfte für die Edelmetallhändler. Infolgedessen werde
dem Staate nichts anderes übrig bleiben, als den durch die Abnutzung
des umlaufenden Geldes veränderten Stand durch den Uebergang zu
einem leichteren Münzfüße anzuerkennen.
Seither ist es jedoch auch in diesem Punkte gelungen, ein
Auskunftsmittel zu finden, das die guten Wirkungen der früheren MUnz-
He Kf erioh, Dm Geld. 4
50 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
verrufunsren mit erträjrlit'hcren Formen vereinijjt, nämlich die Festsetzung:
eines P a s s i e r g e w i c h t s , d. h. einer Abnutzungsgrenze fUr die um-
laufenden Münzen, durch deren Ueberschreitung die MünzstUcke den
Charakter als gesetzliches Zahlungsmittel im Privatverkehr oder selbst
gegenüber den öffentlichen Kassen verlieren. Der Zweck, auf diese
Weise die abgenutzten Stücke aus dem Umlaufe zu entfernen, wird am
vollkommensten erreicht und die durch die Abnutzung entstehenden
Kosten werden am gerechtesten verteilt, wenn der Staat die Verpflich
tung übernimmt, die im l'mlaufe auf natürliche Weise unter das Passier-
gewicht abgenutzten Stücke zu ihrem Nennwerte einzuziehen und in
vollwichtige Stücke umzuprägen.
Durch die exakte Ausprägung, die durch Fortschritte der Technik
wesentlich befördert wurde, und durch die Einführung eines nur wenig
hinter dem Normalgewichte der Münzen zurückbleibenden Passiergewichts
wurden die besonderen Ursachen der fortgesetzten Verringerung des
Metallgehaltes des gemünzten Geldes beseitigt. Den Münzen wurde ihr
ursprünglicher Metallgehalt gesichert, es gelang, sie auf dem ihnen
gesetzlich gegebenen Metalhverte zu erhalten; kurz, in bezug auf ihren
stofflichen Gehalt wurde die Münze wieder zu dem nach Gewicht und
Feingehalt genau bestimmten Metallstückchen, das sie bei ihrer Er-
findung darstellte.
Mit der Beseitigung der Gründe, die zu der Entwertung der
Münzen gegenüber ihrem Grundstoffe geführt hatten, waren gleichzeitig
die Ursachen, auf denen die Schwankungen im gegenseitigen Werte
der aus demselben Metalle geprägten Münzen beruhten, aus der Welt
geschafft. Indem jede einzelne Münzsorte in ihrem Werte auf ein be-
stimmtes Quantum ihres Edelmetalls zurückgeführt war, waren gleich-
zeitig feste Wertbeziehungen zwischen allen aus dem gleichen Metalle
geprägten Münzsorten geschaffen. Die Goldmünzen auf der einen Seite,
die Silbermünzen auf der anderen Seite schlössen sich zu einer in sich
unveränderlichen Einheit zusammen ; der Staatsgewalt, welcher es ge-
lungen war, der Verschlechterung der umlaufenden Münzen durch eine
sorgfältige Kontrolle über den Geldumlauf vorzubeugen, wurde es auch
möglich, für eine rationellere Einrichtung ihres Müuzsystems zu sorgen^
die Vertretbarkeit der einzelnen Münzsorten des gleichen Metalls durch-
zusetzen und den Geldumlauf vor dem Eindringen von ausländischen^
schlecht in das Landesmünzsystem passenden Münzsorten zu bewahren.
Dagegen konnten durch die geschilderten Fortschritte der Münz-
politik die Schwankungen zwischen Gold- und Silbermünzen, soweit
diese auf den Veränderungen des Wertverhältnisses zwischen den Metallen
Gold und Silber beruhten, nicht beseitigt werden. Für die Bedürfnisse
des Verkehrs erschien es jedoch wünschenswert, auch Gold- und Silber-
mUnzen zu einem einheitlichen Systeme zusammenzufassen. Das konnte
natürlich nur gelingen, wenn man entweder das Wertverhältnis zwischen
den Metallen Gold und Silber festzulegen vermochte, d. h. wenn es
gelang-, durchzusetzen, daß ein Pfund Gold immer und unveränderlich
so viel wert sei wie eine ganz bestimmte Anzahl von Pfunden Silber^
oder aber wenn es gelang, den Wert der Münzen mindestens des einen
2. Kapifel. Die Entwicklung der Geldsysteme. § 3. 51
Metalls von ihrem Metalljiehaite, der bisher auf die Dauer für den Wert
der Münzen ausschlaggebend gewesen war, unabhiingig zu machen und
ihn mit dem Werte der Münzen des anderen Metalls in eine feste
Verbindung zu bringen; wenn es beispielsweise gelang, das Gold allein
zur Wertgrundlage aller MUnzen des Systems, auch der Siibermünzen,
zu machen. Nur diese beiden Wege, die Beseitigung der Wertschwan-
kungen zwischen Gold und Silber oder die Loslösung des Wertes der
Münzen des einen Metalls von ihrem gesetzlichen und tatsächlichen
Metallgehalte und seine Verbindung mit dem Werte der Münzen des
anderen Metalls, konnten zum Ziele führen. Die Beseitigung der Wert-
schwankungen zwischen Gold und Silber ist bis zum heutigen Tage
— wie hier vorgreifend bemerkt werden darf — nicht gelungen. Das
Problem der Loslösung der Münzen des einen Metalls vom Werte
ihres Metallgehaltes und ihre Verbindung mit den Münzen des anderen
Metalls ist erst in der moderneu Goldwährung vollkommen gelöst
worden.*)
1) Wenn in den obisfeu Ausführungen der Metallgehalt gewissermaßen als die
natürliche Griiudlage des Wertes des gemünzten Geldes anfrenommen ist, so ist des-
halb der Verfasser nicht etwa „Metallist-* im Knapp sehen Sinn, d h. er steht, wi«
die foltrt'iiden, gey:eiiüb«'r der ersten Auflage nahezu unveränderten Ausführungen in
den §§ 7 — 9 dieses Kapitels zeigen, keineswegs auf dem Standpunkt, daß die Geld-
einheit durch den Metallgehalt der sie darstellenden Münze ,.real definiert" sei, im
Sinne der Gleichsetzung der Mark mit ,,„5 Pfi'nd Feingold (Knapp, S. 7); er ver-
kennt nicht und hat niemals verkannt — was übrigens wohl ausnahmslos von der
gesamten Geidliteratur der letzten drei Jahrzehnte gilt — , daß in der heutigen
Geldverfassung Geld ohne stofflichen Wert oder mit einem Metallgehalte, dessen
Wert geringer ist, als der Geltung des Geldstückes eutspiicht, tatsächlich existiert,
also auch möglich ist, daÜ mithin der Metallgehalt für den Begriff Geld kein wesent-
liches Merkmal und für den Wert des Geldes nicht schlechthin entscheidend ist.
Die obige Darstellung ist rein historischer Natur; sie konstatiert die Tatsache, daß
bis zu einer noch nicht lange zurückliegenden Zeit der tatsächliche Metallgehalt
der Münzen auf die Dauer entscheideud für ihre gegenseitige Bewertung und ihre
Bewertung gegenüber den Edelmetallen war, obwohl das Geld — um mit Knapp
zu reden — als „morphisch-proklamatorisches Zahlungsmittel" sich im Anschluß an
die Münzprägung bereits seit vielen Jahrhunderten als selbständige wirtschaftliche
und juristische Kategorie entwickelt und von den Metallen, aus denen es hergestellt
wurde, losgelöst hatte. Der Taler war niemals juristisch ein bestimmtes Silber-
quantum; denn wer Taler schuldete, konnte sich nicht durch Hingabe von Barreu-
silher liberieren. Der Taler hatte auch längst aufgehört, wirtschaftlich — und zwar
sowohl in seinen Funktionen als auch iu seinem Werte — mit einem bestimmten
Silberquantum identisch zu sein; er entsprach seinem effektiven Metallgehalte und
seinem Werte nach ursprünglich '/g, zuletzt ein Vu feinen Mark Silbers; aber
nichtsdestoweniger waren sein jeweiliger tatsächlicher Silbergehalt und desseu Ver-
änderungen enthcheidend für seinen „Wert", zunächst für sein Wertverhältnis ru
dem Metalle Silber, wie es in dem in Talern ausgedrückten Silberpreise iu Erschei-
nuut; trat. Ea bedurfte, wie die folgende Darstellung reigt, erst besonderer Vor-
kehrungen seitens der staatlichen Geselztrebung und Verwaltung, um auch in diesem
letzten funkte das Band zwischen Geld und (ieldstoff zu durchschneiden. Das
Beilegen einer „proklamatnrischen Geltung" an die einzelnen (teldstUcke hat, wie
die (leschichte vieler Jahrhunderte zeigt, für sich allein nicht ausirereicht, um die
Unabhänjfigkeit des (leldwenes von dem jeweiligen tatsächlichen Metallgehalte der
MUnxen durchzusetzen. Im Gegenteil, es waren die im Metallgehalt der einzelnen
Münrsorten sich vollziehenden Aenderungen, welche den Staat zwangen, seine I'ro-
klamationen tlber die gegenseitige Geltung der einielnen Münrsorten fortgesetzt
zu ändern.
52 Erstes Buch. I.Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
S 4. Die Schnankungen des Wertverhältnisses zn^ischen Gold und Silber.
Die ältesteu Nachrichten llber die Wertrelation zwischen Gold
und Silber stammen aus dem babylonischen Reiche, \yo eine Gewichts-
einheit Gold soviel p\lt wie 13 7« Gewichtseinheiten Silber, Es ist
wahrscheinlich, daß sich dieses Wertverhältnis während mehrerer Jahr-
hunderte ohne wesentliche Schwankungen erhalten hat.
In Griechenland wurde iiu allgemeinen das Gold niedriger be-
wertet. Für das Jahr 400 vor Christus ist eine Helation von 12:1
zwischen Gold und Silber überliefert; bis zur Zeit Alexanders des
Großen scheint sich das Wertverhältnis zwischen 13 '/s : Ij der baby-
lonischen Relation, und ll^j^:l bewegt zuhaben. Nach der Eroberung
des persischen Reiches sank der Wert des Goldes im Verhältnis zum
Silber auf 10: 1.
In Rom war während der Zeit der Republik das gesetzliche Wert-
verhältnis, das der Ausj)rägung von Silber- und Goldmünzen zugrunde
lag: 1:11.91. Das tatsächliche Wertverhältnis der Metalle auf dem
ortenen Markte wies jedoch zeitweise große Abweichungen von dieser
Relation auf. So soll etwa ein Jahrhundert vor Christi Geburt die
Entdeckung reicher Goldfelder bei Aquileia den Wert des Goldes gegen-
über dem des Silbers um ein Drittel vermindert haben, und zur Zeit
Cäsars soll die Wertrelation zwischen den beiden Metallen zeitweise
auf etwa 1 : 8,9 herabgegangen sein. Für die ersten Jahrhunderte der
Kaiserzeit ergeben die Prägevorschrifteu für Gold- und Silbermünzen
Schwankungen zwischen 1:11,3 und 1:12,2. Die Zeit des Verfalls
der römischen Herrschaft brachte eine wesentliche Steigerung des Gold-
wertes, die wohl zum größten Teil darauf beruht haben mag, daß in
unruhigen und unsicheren Zeiten das Gold, weil es bei gleichem Werte
leichter zu transportieren und zu verbergen ist als das Silber, stets
gegenüber dem weißen Metalle bevorzugt wurde. Die Meinungen über
die zahlenmäßige Gestaltung der Wertrelation in jener Zeit gehen aus-
einander, da die Bedeutung gewisser kaiserlicher Verordnungen der
Jahre 397 und 422 nach Christi Geburt, die auf ein Wertverhältnis
von 1:14,4 und gar von 1:18 schließen lassen würden, nicht ganz
klargestellt ist.
Während des Mittelalters hat sich die Wertrelation der beiden
Metalle im großen Ganzen zwischen 1 : 10 und 1 : 12 gehalten. Für
einzelne Fälle freilich sind beträchtliche Abweichungen nach oben und
unten über diesen Spielraum hinaus nachgewiesen, etwa von 1:8 bis
1:13,6. Der ersten deutschen ReichsmUnzordnung von 1524 liegt ein
Wertverhältnis von 1:11,38 zwischen Silber und Gold zugrunde.
Vom Anfang des 16. Jahrhunderts an ist ein langsames Steigen
des Goldwertes zu beobachten. Soetbeer berechnet die ungefähre
Relation zwischen Silber und Gold von 1501 bis 1520 auf 1:10,75,
für 1601 bis 1620 auf 1 : 12,25. In den folgenden fünf bis sechs Jahr-
zehnten erfuhr diese Entwicklung eine plötzliche und starke Beschleu-
nigung. Die Wertrelation von 1660 bis 1680 wird von Soetbeer
auf 1 : 15 geschätzt. Für den Anfang des 18. Jahrhunderts haben wir
eine Relation von 1:15^ •
2. Kapitel. Die Eutwicklang der Geldsyateme. § 4. 53
Der Verlauf des 18. Jahrhunderts brachte zunächst einen relativen
Klickgang des Goldwertes bis auf eine lielation von 1:14,56 von 1751
bis 1760, dann aber eine neue Steigerung bis auf etwa Irlfi^/^ um
die Jahrhundertwende.
In den ersten sieben Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bewegte
eich die Kelation in verhiiltnisniiiliig engen Grenzen um l:ir)'/.2. Der
ungünstigste Stand für das Silber war (nach den Londoner Silberpreisen)
1:16,12 im Jahre 1848, der günstigste 1:15,03 im Jahre 1859.
Vom Beginne der 70er Jahre an trat eine heftige Entwertung des
Silbers ein, die im Laufe von drei Jahrzehnten dem Silber mehr als
die Hälfte seines Wertes dem Golde gegenüber entzog. Am Ende des
19. Jahrhunderts galten erst 34 — 35 Pfund Silber so viel wie ein Pfund
Gold, und im Jahre 1909 war das Verhältnis etwa 40 Pfund Silber
= 1 Pfund Gold.
Es ist hier noch nicht der Platz zur Untersuchung der Ursachen
dieser Schwankungen; wir werden später finden, daß ihre Gründe ein-
mal in den Verhältnissen der Edelmetallproduktion liegen, dann in den
Schwankungen der Nachfrage nach Gold und Silber, wie sie durch den
Wechsel der Zeiten, durch die wirtschaftliche Entwicklung, welche die
Verwendung des einen Metalls mehr als die des anderen begünstigte,
und schließlich durch Aenderungen der Ordnung des MUnzwesens, die
ihrerseits wieder durch den Wechsel der wirtschaftlichen Bedürfnisse
veranlaßt waren, hervorgerufen worden sind.
Vorläufig handelte es sich für uns nur darum, festzustellen, daß
eine längere Zeit andauernde Beständigkeit des Wertverhältuisses
beider Metalle — abgesehen vielleicht von der babylonischen Vorzeit,
über die wir nichts Genaueres wissen — niemals bestanden hat. Dar-
aus ergibt sich, wie ungemein schwierig die Aufgabe war, aus den
beiden Edelmetallen ein in sich geschlossenes Geldsystem herzustellen,
zu bewirken, daß — trotz aller Wertschwankungen zwischen Gold
und Silber — Gold- und SilbermUnzen in einem unverrückbar festen
Wertverhältnisse zueinander stehen, daß z. B. 10 silberne Einmarkstücke
stets genau ebensoviel wert waren, wie ein goldenes Zehnmarkstück.
Daß die Lösung dieser Aufgabe gelungen ist, sogar in einer Zeit,
welche die stärksten Verschiebungen im Wertverhältnis der beiden
Edelmetalle aufweist, haben die tatsächlichen Verhältnisse des Geld-
wesens, wie sie in den wichtigsten Kulturländern bis zum Ausbruch des
Weltkrieges bestanden, gezeigt. Auf welchem Wege die Lösung ge-
lungen ist, soll in den folgenden Ausführungen dargestellt werden.
§ 5. DoppelTviiliraDg und Puralleliriihraii^.
Es ist viel leichter, rückwärts schauend die Entwicklung von
Jahrhunderten zu überblicken und zu erkennen, nur auf diesem be-
stimmten Wege konnte diese oder jene Aufgabe gelöst werden, als im
gegebenen Augenblicke sich über die zum gewollten Ziele führenden
Wege klar zu werden. Oft ist die Menschheit Jahrhunderte lang in
die Irre gegangen und hat sich auf falscher Fährte nach der Lösung
eines Problems abgemüht, ohne sich über die Unmöglichkeit, auf dem
eingeschlagenen Wege zum Ziele zu kommen, Rechenschaft zu geben;
54 Erstes Buch . Abschnitt. Die Eutwicklungsfje schichte dos Geldes.
oft siiui jrroße Unnvälzungen und Fortschritte nicht aus der klaren
Erkenntnis des neuen besseren Zustandes hervorgegangen, sondern
aus unklaren und tastenden Versuchen, auf die eine oder andere Weise
drückende Uebelstände zu beseitigen.
So verhielt es sich auch bei dem Probleme, das uns hier beschäftigt.
Von allem Anfang an versuchten die Staaten, nicht nur zwischen
SilberniUnzen unter sich und Goldmünzen unter sich, sondern auch
zwischen diesen beiden Kategorien untereinander ein festes Wertver-
hältnis herzustellen, ohne sich der aus den Schwankungen des Wert-
verhältnisses zwischen den Rohmetallen hervorgehenden Schwierigkeiten
völlig bewußt zu werden. Die Staatsgewalt machte sich die Aufgabe
so leicht wie möglich, indem sie einfach vorschrieb, eine bestimmte
Summe von Silbermünzen solle ebensoviel gelten, wie eine bestimmte
Summe von Goldmünzen.
Es mag dahingestellt bleiben, ob und wie weit diese „Tarifiernngen"
von Gold- und SilbermUnzen einen Einfluß ausgeübt haben auf die
Wertbewegungen von Gold und Silber. Sicher ist, daß sie diese Wert-
bewegungen nicht beherrscht haben, daß Schwankungen um das sich
aus der Tarifierung von Gold- und Silbermünzen ergebende Wertver-
hältnis der Edelmetalle stattgefunden haben; daß ferner der freie
Verkehr die staatlichen Tarifiernngen der Gold- und Silbermünzen
nur solange beobachtete, als sie dem tatsächlich bestehenden Wertver-
hältnisse zwischen den rohen Metallen entsprachen, daß er seine Be-
wertung der Gold- und Silbermünzen entsprechend den Schwankungen
im Wertverhältnis der Metalle trotz der strengsten Vorschriften und
Verbote änderte; daß schließlich der Staat sich immer und immer wieder
genötigt sah, seine Tarifiernngen denjenigen des freien Verkehrs an-
zupassen oder den Feingehalt der einen oder der anderen Münzsorte
entsprechend zu verändern.
Allerdings haben Veränderungen im Wertverhältnisse der Rohmetalle
nicht immer ihren vollen Einfluß auf das Wertverhältnis von Gold-
und Silbermünzen ausgeübt; die Macht staatlicher Verordnungen hat
sich vielmehr unter bestimmten Voraussetzungen stark genug erwiesen,
nm den vollen Einfluß der Veränderungen des Wertverhältnisses zwischen
Gold und Silber auf die gegenseitige Bewertung der Gold- und Silber-
mUnzen einzudämmen; wo das der Fall war, trat jedoch ein anderer
Mißstand in Erscheinung.
Wenn sich der den Goldmünzen beigelegte Nennwert in Silber-
mUnzen niedriger stellte, als dem jeweiligen Wertverhältnisse zwischen
Gold und Silber auf dem Edelmetallmarkte entsprach, so kam das zu-
nächst darin in Erscheinung, daß der Staat für das Gold, das seinen
Münzstätten zur Ausprägung gebracht wurde, einen geringeren Preis
zahlte, als auf dem freien Markte für Gold zu erhalten war; die Folge
davon war, daß niemand dem Staate Gold zur Ausmünzung brachte,
sondern daß jedermann, der über Goldbarren verfügte, es vorzog, sie
zu dem höheren Preise auf dem offenen Markte zu verkaufen. So hat
in Frankreich, wo die Münzanstalt seit dem Beginn des 19. Jahr-
hunderts stets .3100 Frs., abzüglich einer geringen Prägegebühr, für das
Kilogramm Münzgold (900 Tausendteile Feingold und 100 Tausendteile
2 Kapitel. Die Entwicklung der Geldsysteme. § 5. 55
Kupfer) zahlte, niemand Gold znr MUn/e grebracht, wenn er auf der
Pariser Mrtailbörse dafür etwa 3ir)() Frs., also 50 Frs. mehr, erhalten
konnte. Das im Verhältnis zum freien Verkehr in der staatlichen
Tarifierung zu ungünstig bewertete Metall bleibt also den Münzstätten
fern, da sein Preis als Ware höher steht, als dem ihm staatlich bei-
gelegten Ausmünzungswerte entspricht. Es werden mithin in der Haupt-
sache, wenn der Staat nicht selbst das von ihm zu niedrig beweitete
Metall zu einem höheren als dem Ausmünzungswerte entsprechenden
Preise kaufen und dadurch bei der Prägung Verluste erleiden will, nur
Münzen aus dem gegenüber dem^tatsächlichen Wertverhältnisse^zu^hoch
bewerteten Metalle geprägt.
Dazu kommt, daß es für den Edelmetallhandel stets lohnend ist,
die nicht allzu stark abgenutzten Münzen des in der staatlichen
Tarifierung zu ungünstig bewerteten Metalls einzuschmelzen und
eventuell im Austausch gegen das zu günstig bewertete Metall nach
dem Auslande zu exportieren. Wenn in 3100 Frs. französischer Gold-
münzen — abgesehen von der Abnutzung — ein Kilogramm Münzgold
enthalten ist, dann kann man, da die Schmelzkosten im Verhältnis zum
Goldwerte nicht ins Gewicht fallen, einen Gewinn machen, wenn man
Goldmünzen einschmilzt und das so gewonnene Barrengold zu 3150 Frs.
pro Kilogramm Münzgold auf dem inländischen Edelmetallmarkte oder
nach dem Auslande verkauft.
Daraus ergibt sich, daß jede Verschiebung des tatsächlichen
Wertverhältnisses der Edelmetalle gegenüber demjenigen, welches der
staatlichen Tarifierung zugrunde Hegt, das im Werte steigende Metall
nicht nur von den Münzstätten fernhält, sondern auch zur Einschraelzung
und Ausfuhr der aus ihm hergestellten und im Umlauf befindlichen
Münzen führt. Jede Verschiebung des Wertverhältnisses zwischen
Gold und Silber vertreibt mithin das in seinem relativen Werte
steigende Metall aus der Zirkulation und füllt den Geldumlauf mit
dem sich entwertenden Metalle.
Das sind nicht etwa rein theoretische Erwägungen, sondern die
Ergebnisse der Erfahrungen, die während mehrerer Jahrhunderte in
den verschiedensten Ländern mit diesem System, das wir heute Doppel-
währung nennen, gemacht worden sind. Ueberall, wo der Staat ein
festes Wertverhältnis und gegenseitige Vertretbarkeit zwischen Gold-
ond Silbermünzen vorschrieb und beide Metalle in dem Umfange
prägte, wie sie bei seinen Münzstätten eingeliefert wurden, hat bei
jeder Schwankung ^de8 Wertverhältnisses der ungeprägten Edelmetalle
das im Werte sinkende Metall das im Werte steigende Metall aus dem
Umlaufe verdrängt.
Die sich daraus ergebenden Nachteile machten sich zuerst dort
fühlbar, wo die gesamte Volkswirtschaft am weitesten fortgeschritten
und deshalb gegen Störungen auf dem Gebiete des Geldwesens am
meisten empfindlich war. Das Land, das in der modernen wirtschaft-
lichen Entwicklung am weitesten vorausgeeilt war, nämlich Eng-
land, hat daher auch in der Entwicklung des modernen Geldwesens
dir Führung gehabt. Die englische MUnzgeschichte ist deshalb hoch-
56 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwickluugsgescliichte des Geldes.
bedeutsam für die Erkenntnis der Entwicklungsgeschichte der modernen
Geidverfassung überhaupt ').
Wie in allen anderen Ländern, wurde auch in England zunächst
ein festes Wertverhältnis zwischen Silber- und Goldmünzen im Wege
der staatlichen Tarifierung angestrebt. In der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts bewirkten häufige Schwankungen der Wertrelation
von Gold und Silber, daß — ungeachtet der durch Veränderungen des
Feingehaltes der Münzen vorgenommenen Korrekturen — Goldumlauf
und Silberumlauf fortgesetzt miteinander abwechselten.
Die daraus entstehenden Unbequemlichkeiten führten schließlich
d«azü, daß man einen neuen Weg einschlug, um Gold- und Silbermünzen
dauernd nebeneinander im Umlaufe zu erhalten. Das abwechselnde
Verschwinden der Goldmünzen und der Silbermünzen hatte die dauernde
Erhaltung des gleichzeitigen Umlaufs beider Münzsorten als ein be-
sonders dringendes Bedürfnis erscheinen lassen, so daß man bereit
war, diesem Bedürfnis das feste Wertverhältnis von Gold und Silber,
dessen Erstrebung die Schuld an dem Wechsel des Geldumlaufs trug,
zum Opfer zu bringen. Man verzweifelte an der Möglichkeit, Gold-
und Silbermüuzen in eine feste Beziehung zu bringen und dabei dem
Verkehr einen genügenden Umlauf von beiden Münzsorten zu sichern.
Als im Jahre 1663 eine neue Goldmünze, die Guinea, eingeführt wurde,
verzichtete man im Gegensatz zur bisherigen Praxis darauf, dieser
eine feste Geltung gegenüber den Silbermünzen beizulegen; man über-
ließ vielmehr die Bewertung der Guinea dem freien Verkehr und ge-
stattete den Regierungskassen, die Guinea zum Tageskurse in Zahlung
zu nehmen.
Dieses System, mit dem England von 1663 an einen Versuch
machte, nennt man heute Parallelwährung, weil in ihm ein System
von Goldmünzen und ein System von Silberraünzen nebeneinander einher-
gehen, ohne das beide Systeme durch eine gesetzliche Tarifierung und
gegenseitige Vertretbarkeit miteinander verbunden sind.
Aber auch dieses System befriedigte nicht. Es war für den Ver-
kehr überaus lästig, mit zwei verschiedenen Geldarten, die in schwan-
kendem Kursverhältnisse zueinander standen, rechnen zu müssen.
Unter dem Druck dieser Unbequemlichkeit mußte der Versuch mit der
Parallelwäbrung, der nichts war als ein Verzicht auf ein einheitliches
Geldwesen, bald wieder aufgegeben werden.
Den ersten Anlaß zu einem neuen Eingriff der Regierung gab der
Umstand, daß das englische Silbergeld infolge betrügerischer Verkür-
zung seines Feingehaltes gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen
großen Teil seines ursprünglichen Metallgehaltes verlor — es wird
behauptet bis zu 50 Prozent — , und daß infolgedessen der Kurs der
neuen und verhältnismäßig vollwichtigen Guinea, die anfangs als ein
Stück im Werte von etwa 20 Schilling gedacht war, bis auf 30 Schil-
ling und darüber stieg. Für die Regierung, die eine Reform des
verschlechterten Silberumlaufs beabsichtigte, war ein so hoher Gainea-
^) Vgl. zum folgenden insbesondere Kalkmann, Englands Uebergang zur
Goldwährung im 18. Jahrhundert, 1895.
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsyateme. § 5. 57
kars überaas unbequera, nud um einer weiteren Steigerung einen Riegel
vorzuschieben, verbot sie ihren Kassen im August 1G'J5 die Annahme
der Guinea zu einem höheren Kurse als 30 Schilling. Mit der Durch-
führung der SilbermUiizreform wurde in den ersten Monaten des fol-
genden Jahres der Maximalkurs der Guinea schrittweise auf 22 Schil-
ling herabgesetzt. Obwohl diese für die öffentlichen Kassen fest-
gesetzten Maximalkurse die Guinea gegenüber der Marktrelation zwischen
Gold und Silber zu günstig bewerteten — der Kurs von 22 Schilling
hätte einem Wertverhältnis von 1 : 15,9 entsprochen, während das
effektive Wertverhältnis 1 : 15 war — , wirkten diese Maximalkurse
für den Verkehr doch ebenso wie eine feste Tarifierung. Solange die
ötfentlichen Kassen die Guinea zum Maximalkurse nahmen, gab sie
auch im Verkehr niemand zu einem billigeren Satze, und solange sie
im Verkehr nicht im Kurse zurückging, lag für die öfifentlichen Kassen
kein Grund vor, unter den Maximalkurs herabzugehen. Damit war
die Parallelwährung ihrem Wesen nach wieder preisgegeben, und der
tatsächliche Zustand des englischen Geldwesens war wieder eine
Doppelwährung, und zwar eine Doppelwährung, in welcher das Gold
gegenüber seinem Marktwerte zu hoch bewertet war. Daran änderte
sich auch dann nichts, als im Jahre 1699 der Maximalkurs der Guinea
auf 21^2 Schilling herabgesetzt wurde, und als sie im Jahre 1717 ge-
setzliche Zahluiigskraft zu 21 Schilling erhielt*). Die Tarifierung zu
21 Schilling hätte einem Wertverhältnisse von 1 : 15,2 entsprochen,
während Newton selbst, auf dessen Rat diese Kursherabsetzung vor-
genon)men wurde, das tatsächliche Wertverhältnis auf 1 : 14,97 berechnete.
Er wollte die Reduktion nur versuchsweise vorgenommen wissen und
nötigenfalls eine weitere Herabsetzung des Guineakurses erfolgen lassen.
Zu einer solchen kam es jedoch nicht infolge des Unwillens, den die Ver-
änderung der Geltung der damals schon das wichtigste Zahlungsmittel
in England darstellenden Goldmünze erregte. Es erging vielmehr im
Jahre 1718 ein Gesetz, welches bestimmte, daß in Zukunft keine Ver-
änderung der Gold- und Silbermünzen stattfinden sollte, weder in bezug
auf ihren Metallgehalt, noch in bezug auf ihren Nennwert. Dieses Ge-
setz erging, obwohl sich damals bereits die unangenehme Folge der
festen Tarifierung — die Knappheit an Silbergeld — wieder stark
fühlbar gemacht hatte; so dringend war das Bedürfnis nach einem
festen Verhältnis zwischen Gold- und Silbergeld.
Das Gesetz von 1717, welches der Guinea gesetzliche Zahlungs-
kraft (statt des bisherigen Maximal-Kassenkurses) zu 21 Schilling in
Silbergeld beilegte, und das Gesetz von 1718, welches jede künftige
') Eh wird darüber i^^estritten. ob die (luinea tjesetzliche Zahlnngskraft zu
einem festen Kurse von 21 Schilling oder zu einem Maximalkurse von
21 Schilling i'rbalten habe. Erstere Ansiebt vertritt Kalk mann, letztere
L e X i s. Streng formell wäre die cngliscbe Wäbrunirsverfftssung von 1717 an nur
dann ah lioppelwiihrung anzusehen, wenn der (iumea ein fester Kurs vt-rlieben
worden WHre I>n aber tatsüchliih der Kurs von 21 Schilling als ein alisolut fester
gewirkt hat, kann diese formelle Seite der Frage als irleichgiiltig angesehen werden,
zumal im Hinblick auf da« im folgenden .labre (171H) erlasbene Gesetz, das fiir die
Zukunft jede weitere Aeuderung des Nennwertes von Oold- und SilbeiuiUnzen
untersagte .
58 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
AemleruniT dieser Tarifierung ausschloß, bedeuteten die völlige Abkehr
vi»n der raraliehväbrung und die Kiiekkebr zum Doppehvähruugssysteme.
I^ei dieser neuen Doppelwährung war — wie bereits erwähnt —
das Gold höher tarifiert, als dem Wertverbältuisse auf dem Markte ent-
sprach. Da das letztere in den folgenden Jahrzehnten eine weitere
Verschiebung zuungunsten des Goldes erfuhr, stellte sich das Wert-
verhältnis auf dem Markte bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts für
das Silber beträchtlich günstiger, als die gesetzliche Relation, die
der gegenseitigen Bewertung der englischen Gold- und SilbermUnzen
zugrunde gelegt war. Die Folge war, daß — wie früher in den-
selben Fällen — das Silber der englischen Münzstätte fernblieb, und
daß es vorteilhaft war, die durch die Uraprägung von 1695 — 1698 auf
ihr volles gesetzliches Gewicht gebrachten SilbermUnzen einzuschmelzen
und als Barren zu verkaufen. Es zeigte sich bald, daß die ganzen
gewaltigen Kosten für die Umprägung der SilbermUnzen umsonst auf-
gewendet waren. Alles vollwertige Silbergeld verschwand, und im
Umlaufe hielten sich nur Silbermünzen, die soweit abgenutzt waren,
daß ihre Einschmelzung trotz des hohen Silberpreises nicht lohnte.
Die große Masse der Umlaufsmittel bestand aus den goldenen Guineas,
die für alle großen Zahlungen benutzt wurden, und die Klagen darüber,
daß an dem abgenutzten Silbergelde nicht einmal genug für den Be-
darf des kleinen Zahlungsverkehrs vorhanden sei, wurden immer lauter.
Auch die schlechte Beschaffenheit der umlaufenden Silbermünzen gab
zu großen Beschwerden Anlaß, Aber diesen Mißständen war auf dem
Boden der bestehenden Geldverfassung nicht abzuhelfen, da jede Neu-
prägung und Neuausgabe vollwichtiger Silberstücke nur Material für
die Schmelztiegel der Edelmetallhändler lieferte. Vergeblich suchte
man nach einem Auswege aus diesem Zustande, vergeblich suchte man
nach einem Mittel, um die Vorteile des überwiegenden Goldumlaufs,
die man wohl zu schätzen wußte, mit der Erhaltung eines ausreichen-
den und geordneten Silberumlaufs zu vereinigen.
§ 6. Die Entstehung der QoldTrährang.
Die selbsttätige Entwicklung der Dinge leitete schließlich mit
zwingender Gewalt auf den Weg, der aus diesem unhaltbaren Zustande
herausführte.
Der nicht erneuerungsfähige Umlauf von SilbermUnzen unterlag
einer immer stärkeren Abnutzung bis zur gänzlichen Unkenntlichkeit
des Gepräges. Der effektive Silbergehalt dieser Münzen sank beträcht-
lich unter den Gehalt, der bei dem damaligen Marktpreise des
Silbers ihrem Werte in Goldgeld entsprochen hätte; während sie in
ihrem gesetzlichen Feingehalte nach wie vor unterwertet waren,
war ihr tatsächlicher Feingehalt geringer, als ihrer gesetzlichen
Geltung und ihrer Tarifierung in Goldgeld entsprach; sie waren durch
die Abnutzung aus einem unterwerteten zu einem unterwertigen Gelde
geworden. Um nun niemanden zu zwingen, ein solches Geld, dessen
Materialwert geringer war als sein Nennwert, unbeschränkt in Zahlung
nehmen zu müssen, bestimmte ein Gesetz vom Jahre 1774, daß den
SilbermUnzen für Summen von mehr als 25 Pfd. Sterl, gesetzliche
2. Kapital. Die Entwicklung der Geldsysterae. § 6. 59
Zahlungskraft nur noch nach dem Gewichte (zum Satze von 5 sh. 2 d
pro Unze) zustehen sollte.*)
Dadurch hatte die gesetzliche Doppelwährung uine wesentliche
Modifikation erfahren: die volle gesetzliche Zahlungskraft der Silber-
niliiizen war beschränkt, ihre formelle Gleichberechtigung mit den
Goldmünzen war aufgehoben. Freilich hatte schon vorher bei dem
Mangel an Silbergeld niemand Silbermtinzen zu größereu Zahlungen
verwendet, so daß diese formelle Modifikation tatsächlich keine Aeuderung
brachte.
Immerhin war auch nach 1774 das Silbergeld wenigstens nach
dem Gewichte volles gesetzliches Zahlungsmittel.
Die endgültige Preisgabe der Doppelwährung erfolgte erst am
Ende des 18. Jahrhunderts und wurde verursacht durch eine neue
Verschiebung des Wertverhältuisses der beiden Edelmetalle.
Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zeigte sich eine all-
mähliche Entwertung des Silbers gegenüber dem Golde. Das durch-
schnittliche VVertverhältnis beider Metalle war 1771—1780 1:14,64;
es trat dann eine Aenderung zugunsten des Goldes ein; in den 90 er
Jahren wurde das gesetzliche Wertverhältnis der englischen Währung
(1:15,2) erreicht und schließlich sogar überschritten.
Damit kam die entscheidende Wendung. Die Ausprägung von
Silber, die bisher nur unter Verlusten möglich gewesen war, fing an
lohnend zu werden, und die Ausprägung von Gold, die bisher lohnend
gewesen war, begann nur noch unter Verlusten möglich zu sein; da-
gegen konnten die Edelmetr.llhändler, die bisher vollwichtige Silber-
raünzen eingeschmolzen hatten, jetzt mit der Einschmelzung von Gold-
münzen ein Geschäft machen. Für jeden in diesen Dingen Bewanderten
war es sofort klar, daß jetzt das alte Spiel von neuem beginnen
würde, daß das Silber in großen Massen in den englischen Geldumlauf
eindringen und das Gold verdrängen würde. In der Tat wurden große
Mengen von Silber bei der Londoner Münze zur Ausprägung eingeliefert.
Die englische Regierung war damit vor die Frage gestellt, ob sie
ruhig das Silber aufnehmen und das Gold verschwinden lassen wollte;
und das wollte sie nicht. Der ganze Verkehr hatte zwar stark unter
dem Mangel und der schlechten Beschaffenheit des Silbergeldes ge-
litten, aber um den Preis des so viel bequemeren Goldumlaufs wollte
niemand das Silbergeld erkaufen.
Es fragte sich, was zur Erhaltung des Goldumlaufs gegenüber der
Verschiebung des Wertverhältnisses geschehen konnte. Verbieten, daß
Goldmünzen eingeschmolzen und exportiert würden? — Man wußte
aus vielen Erfahrungen, daß solche Verbote unwirksam waren. Es blieb
mithin nur übrig, das Silber nicht herein zu lassen; wenn es nicht in
den Verkehr eindringen konnte, vermochte es das Gold nicht zu ver-
drängen. Eindringen konnte es aber in den Verkehr nur in der Form
geprägter Münzen, und der Staat allein hatte das Recht, aus Silber-
*) Um die Kuappscho Tenninolotjie zu trebraudien: die Silbfrmlluzen hatten
als „niorphisch proklamatorischns Zahluiigsniiitt'l" t,'pst'tzlii"lie Zahlkraft nur bis zum
Betrai^e von 2;') I'fd. Stcrl., darllber hinaus hatten sie /.war auch noch gesetzliche
Zahlkraft, aber nur als „niorphisch-ponsatorisches" Zahluiigsniittel.
60 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Eutwickhingsgeschichte des Geldes.
harren Münzen herzustellen. Wenn der Staat sich weigerte, das bei
seinen MUnzstiitton eingelieferte Sil her auszuprägen, dann war der
drohenden Silherinvasiou ein Riegel vorgeschoben. Die Weigerung,
Silber in beliebigen Mengen auszuprägen, das war also der Weg, auf
dem der vorhandene Goldumlauf gegenüber den Veränderungen des
Wertverhältuisses zwischen Silber und Gold wirksam verteidigt werden
konnte.
Die englische Regierung zögerte nicht, diesen Weg zu beschreiten,
obwohl ein formales Hindernis entgegenstand. Seit dem Jahre 1666
war der englischen Münze die Verpflichtung auferlegt, jede Menge von
Gold und Silber, die ihr gebracht wurde, für den Einlieferer unent-
geltlich aut«zu))rägen; jedermann hatte mithin einen Anspruch und ein
Recht darauf, sich von der staatlichen Münzanstalt beliebige Mengen
von Gold und Silber ausprägen zu lassen. Man nennt dieses Recht,
das in der modernen Geldverfassung von großer Bedeutung ist, das
freie Prä gerecht.
Die englische Regierung setzte sich jedoch über dieses Bedenken
hinweg. Noch ehe das für private Rechnung ausgemünzte Silber den
Einlieferern zurückgegeben war, wurde die Münze angewiesen, die
ausgeprägten Stücke wieder einzuschmelzen und fernerhin von Privaten
kein Silber mehr zur Ausmüuzung anzunehmen.
Der Befehl war zweifellos ein Verstoß gegen das geltende Recht;
aber die von der Regierung ergriffene Maßregel erschien im allge-
meinen Interesse als so selbstverständlich, daß das Parlament nicht
zögerte, sie zu legalisieren.
Mit dieser im Jahre 1798 erfolgten Aufhebung des freien Präge-
rechtes für Silber war England aus der Doppelwährung heraus zü
einem Systeme gelangt, welches bereits die wesentlichen Merkmale
der modernen Goldwährung an sich trug.
Für das Gold allein bestand das freie Prägerecht fort, und damit
war die Voraussetzung für die dauernde Verbindung des Wertes der
englischen Geldeinheit mit dem Werte eines bestimmten Goldquantums
gegeben. Die englische Münzstätte prägte damals — und prägt, heute
noch — aus der Unze MUnzgold (Standard Gold) von ^^12 Feinheit für
jederman unentgeltlich 77 sh. 10\I^ d. Der Preis der Unze Standard
Gold kann deshalb nie merklich unter diesen Satz sinken, da dieser
Preis stets durch Einlieferung bei der Münze zu erzielen ist. Anderer-
seits ist in je 77 sh. 10^2 d englischer Goldmünzen — abgesehen von
der geringfügigen Abnutzung — stets je eine Unze Standard Gold ent-
halten; es liegt deshalb für niemand ein Grund vor, merklich mehr
als 77 sh. I0V2 d für die Unze Standard Gold zu bezahlen, solange
man auf Verlangen jederzeit Zahlung in Goldmünzen erhalten kann.
Der Preis der Unze Münzgold in Goldgeld kann also infolge der
freien Prägung für Gold weder merklich unter 77 sh. lO^a d ''iuken,
noch auch über diesen Preis steigen, solange in Goldgeld gezahlt wird oder
Goldgeld stets ohne Aufschlag für anderes englisches Geld zu erhalten
ist; zwischen dem ungeprägten Golde und den Goldmünzen ist eine
feste Beziehung hergestellt.
2. Kapitel. Dio Entwicklung der Geldsysteiue. § 6. 61
Dieselbe Maßregel, welche dem P2iiulrini?en des Silbers einen
Riegel vorschob, die Aufhebung der freien Pr;i.i,'ung fUr Silber, war
gleichzeitig die Voraussetzung dafür, daß die Silbennlliizen in ihrem
Werte als Geld von ihrem Silbergehalte unabhängig gemacht und dem
Goldgelde angegliedeVt wurden.
Solange die freie Prägung auch für Silber bestand, konnten sich
die vollwichtigen Silberraünzen in ihrem Werte als Geld ebensowenig
von ihrem gesetzlichen Silbergehalte entfernen, wie die Goldmünzen
von ihrem Goldgehalte. Die Silberraünzen konnten in ihrem Werte
lediglich um den Betrag der Abnutzung unter denjenigen ihres gesetz-
lichen Silbergehaltes sinken, und die Abnutzung war ja damals bei den
englischen SilbermUnzeu sehr erheblich; aber sie konnten niemals über
den Wert ihres gesetzlichen Silbergehaltes steigen; solange die Münze
für ein Troypfund Standard Silber (von ^7*0 I*'einheit) 62 Schilling gab,
konnte der Preis des Troypfundes Standard Silber nicht unter 62 sh.
in Silbergeld sinken, der Schilling konnte nicht über den Wert von
\'g2 Troypfund Standard Silber steigen. Wenn der Preis des Silbers
in Goldgeld zurückging, mußte auch der in Goldgeld ausgedrückte
Wert des aus Silber geprägten Geldes zurückgehen. Sobald aber die
Münze kein Silber mehr zur Ausprägung annahm, konnten die Besitzer
von Silberbarren in die Zwangslage kommen, sich mit weniger als
62 sh. für das Troypfund zufrieden zu geben; der Wert des geprägten
Schillings konnte sich, weil der Staat nunmehr sein Prägemonopol
faktisch ausübte, über den Wert seines Metallgehaltes erheben, aber
nur bis zum Werte des Goldäquivalentes des Schillings, da ja jeder-
mann für die Unze Standard Gold 77 sh. 10 Ya d erhalten konnte und
niemand mehr als den durch diese Gleichung gegebenen Goldwert für
die Beschalfung englischen Geldes aufzuwenden brauchte.
In der Tat zeigte es sich, daß nach der Einstellung der freien
Silberprägung die Silberraünzen, trotz des weiteren Rückgangs des
Silberpreises und trotz ihrer beträchtlichen Abnutzung, sich auf der
ihnen beigelegten Geltung in Goldgeld erhielten.
Die Aufhebung der freien Prägung für Silber und die auf den
Bedarf des Verkehrs beschränkte und ausschließlich für Rechnung des
Staates erfolgende Ausprägung von Silberraünzen stellte sich mithin als
das Mittel heraus, durch das der Wert der Silbermünzen von ihrem
Metallgehalte losgelöst und durch Tarifierung wirksam mit dem Gold-
gelde verbunden werden konnte.
Freilich mit einer Einschränkung, die sich aus den bisherigen
Ausfuhrungen von selbst ergibt.
Der Wert einer Münze kann nie unter den Wert ihres tatsächlichen
Metallgehaltes sinken, weil die Münze jederzeit eingeschmolzen und in
Rohnietall verwandelt werdi-n kann. Nur ein ihren Metallgehalt über-
steigender Wert kann den Münzen bei beschränkter Prägung beigelegt
werden. Jede ihren Metallgehalt unterwerteiide Tarifierung treibt die
Münzen in den Schmelztiegel; das hatte die bisherige Entwicklung zur
Genüge gezeigt.
Diese Erfahrungen und Erwägungen waren maßgebend für die
GrundzUge der Neuordnung des englischen Geldwesens, die im Jahre
62 Erstes Buch. I. Abschuitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
1816 vorgenommen wurde und zum erstenmal eine ,.Gold Währung"
schuf. Die Neuordnung: verzög:erte sich bis zu diesem Jahre infolge
der napoleonischen Kriege, die vorübergehend das englische Geldwesen
iu grolie Unordnung brachten.
Die wesentlichsten Züge der im Jahre 1816 gesetzlich begründeten
englischen Goldwährung sind folgende:
PVeie Prägung besteht allein fUr Gold; der Wert des Geldes ist
dadurch mit dem Werte des Goldes in Verbindung gesetzt. Die Guinea
im Werte von 21 sh. wurde durch eine neue Goldmünze, den Sovereign,
im Werte von 20 sh. ersetzt.
Die Silbermünzen werden mit einem geringeren Gehalte, als bei
dem bestehenden Wertverhältnisse zwischen Gold und Silber und dem
Goldgehalte des Sovereigns ihrer gesetzlichen Geltung entspricht, aus-
geprägt, und zwar ausschließlich für Rechnung und auf Anordnung der
Regierung und in einem den Bedarf des Verkehrs an Silbergeld nicht
überschreitenden) Umfange. Während bisher 62 sh. aus dem Troypfunde
Münzsilber geprägt worden waren, wurden von nun an 66 sh. aus dem
Troypfunde ausgebracht. Die Silbermünzen wurden also um mehr als
6 Prozent in ihrem Feingehalte verkürzt und zwar in der Absicht, sie
auch bei etwaigen künftigen Aenderungen des Wertverhältnisses der
beiden Edelmetalle zugunsten des Silbers im Umlauf erhalten zu können,
d. h. um auszuschließen, daß der Preis ihres Silbergehaltes infolge solcher
Aenderungen die ihnen beigelegte Geltung überschreite und so ihre Ein-
schnielzung lohnend mache; die Erfahrung des ganzen 18. Jahrhunderts,
die gezeigt hatte, daß nur durch Abnutzung unterwertig gewordene
Silbermünzen sich im Uralauf halten konnten, war nicht umsonst gewesen.
Die strenge Begrenzung der Ausgabe der unterwertigen Silbermünzen
auf den Umfang des Verkehrsbedarfs sollte Störungen in der Verkehrs-
bewertung von Gold- ond Silbermünzen verhindern.
Schließlich wurde nur den Goldmünzen die volle gesetzliche
Zahlungskraft belassen, die Zahlungskraft der Silbermünzen dagegen
auf Beträge von nicht mehr als 40 sh. beschränkt; niemand sollte ver-
pflichtet sein, mehr als 40 sh. in den nnterwertigen SilbermUnzen in
Zahlung zu nehmen. Dadurch wurde dem Silbergeide die ihm von
Natur zukommende Sphäre des Zahlungsverkehrs zugewiesen, das
Publikum wurde davor bewahrt, größere Summen in dem zu schweren
und unbequemen Silbergeide annehmen zu müssen Der Beschränkung
der Zahlungskraft der Silberraünzen lag ferner der Gedanke zugrunde,
welcher schon die Beschränkung der Zahlungskraft des gemünzten
Silbergeldes im Jahre 1774 veranlaßt hatte, daß nämlich nur ein Geld,
das seinen vollen Wert in sich selbt, in seinem Stoffe trägt, ohne jede
Beschränkung gesetzliches Zahlungsmittel sein dürfe, daß man umgekehrt
die Zahlungsempfänger vor dem Zwange, größere Beträge in nnter-
wertigen Münzen anzunehmen, sicher stellen müsse.
Auf der beschränkten Zahlungskraft ruht der Begriff der modernen
Scheidemünze. Während wir das Geld mit voller gesetzlicher Zahlungs-
kraft als Kurantgeld bezeichnen, nennen wir Scheidemünzen
2. Kapitel. Die Entwiikluug der GeldKj-ateme. § 6. 63
diejenigen Geldsorten, deren gesetzliche Zahlongsknift auf gewisse
Maxinialbeträge beschränkt ist.
Das gesamte Silbergeld wurde also in der englischen Geldver-
fassung denselben Grundsätzen unterworfen, nach denen vorher schon
das ganz kleine Geld bebandelt worden war.
Die im Jahre 1816 geschaffene englische Geldverfassung heißt
Goldwährung, weil das allein frei ausgeprägte Gold in einem festen
Wertverhältnis zu dem Gelde steht und die Goldmünzen allein Kurant-
geld sind, während das Silber nur zur Ausprägung von Scheidemünzen
und in dem Umfange verwendet wird, wie es der Bedarf des Verkehrs
an Geldstücken von geringerem Werte, die in Gold nicht dargestellt
werden können, erfordert.
Das System erscheint etwas künstlich und kompliziert, und es hat
in der Tat eine starke und aufgeklärte Staatsgewalt und eine weit
vorgeschrittene Gesetzgebung zur Voraussetzung. Eine Anzahl der
Schriftsteller, die später die Goldwährung bekämpft haben und für die
Doppelwährung eingetreten sind, haben daraus die Behauptung her-
geleitet, das ganze System der Goldwährung sei am grünen Tische
künstlich ausgedacht worden, die Goldwährung sei nichts als das Produkt
eines theoretischen Doktrinarismus, und sie sei vermittelst eines gänzlich
ungen chtfcrtigten Willküraktes an die Stelle der wohlbewährten Doppel-
währung oder Silberwährung gesetzt worden.
In Wirklichkeit hat es sich gerade umgekehrt verhalten. Die
englische Doppelwährung hatte von selbst zu einem Zustande geführt,
der in tatsächlicher Beziehung der Goldwährung entsprach: zu einem
fast ausschließlichen Goldunilaufe mit einem den Bedürfnissen des Ver-
kehrs knapp genügenden, durch Abnutzung unterwertig gewordenen
Silberumlaufe; erst aus diesem tatsächlichen Zustande ist die Gold-
währungHtheorie hervorgegangen.
Wenn man die geschilderte Entwicklung in ihrer Gesamtheit über-
blickt, so ergibt sich:
Die Goldwährung entstand aus dem Streben nach einem einheit-
lichen Geldsystem, innerhalb dessen beide Edelmetalle in einer ihren
besonderen Eigenschaften entsprechenden Weise gleichzeitig im Umlauf
sind; und zwar entstand die Goldwährung aus diesem Bestreben, nach-
dem die P2rreichung des Zieles auf dem Wege der Doppelwährung sich
aufgrund der Erfahrungen von Jahrhunderten als utmi()glich heraus-
gestellt hatte. Alle Versuche, auf dem Wege der bloßen Tarifierung
von (iold- und SilbermUnzen die Schwankungen im Wertverhältnis der
Kohmetalle Gold und Silber zu bewältigen, waren immer und immer
wieder vergeblich gewesen, und deshalb war es nicht gelungen, auf
diesem Wege (iold- und Silbermünzen zu einem geschlossenen Systeme
zu vereinigen. Diese vergeblichen Versuche haben schließlich mit
elementarer Notwendigkeit dazu gedrängt, das Geldwesen auf dem den
Bedürfnissen des Verkehrs einer entwickelten Volkswirtschaft besser
entsprechenden Golde allein aufzubauen, die SilbermUnzen von ihrem
Metallwerte bewußt unabhängig zu macheu und sie in das einheitliche
6i Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
System als ein Geld zweiter Ordimng, als ein Hilfsgeld und als bloße
Scheidemünze einzufügen').
§ 7. Die Papicrwiihrnng.
Das Verhältnis des Geldes zu dem GeldstofTe hat im Laufe der
bisher geschilderten Entwicklung folgende Wandlungen erfahren.
Geld uud Geldstoff traten sich erst von der Erfindung der Münze
au als etwas Verschiedenes gegenüber. Das gemünzte Metall begann,
ausschließlich als das Geld zu erscheinen, das rohe Metall hörte auf,
mehr zu sein als ein bloßer Geldstoff. Die Verschiedenheit war ur-
sprünglich nur eine rein äußerliche; denn anfangs war die Münzforra
nur als eine autoritative Beglaubigung einer bestimmten Edelmetali-
quantität gedacht. Aber bald wurde das gemünzte Geld wirtschaftlich
und rechtlich eine selbständige, von dem Geldmetall unterschiedene
Kategorie. Der Wert des gemünzten Geldes wurde eine selbständige
wirtschaftliche Größe, uud das Geld bestand bei allen Veränderungen
seines gesetzlichen und tatsächlichen Metallgehaltes und bei allen sich
daraus ergebenden Veränderungen seines Wertverhältnisses zu der
Gewichtseinheit des Rohmetalls als eine rechtlich identische Größe
fort. Aber auch in diesem Zustande war der tatsächliche (wenn auch
schwankende) Metallgehalt im großen Ganzen und auf die Dauer immer
noch bestimmend für den Wert der einzelnen Münzsorten im Verhältnis
sowohl unter sich wie auch zu dem Prägemetall.
Die Befreiung einer großen Kategorie von Münzen von der Ge-
bundenheit an den Wert ihres Stoffes trat im weiteren Verlaufe der
Entwicklung als eine grundsätzliche Notwendigkeit hervor, als es sich
um die Zusammenfassung der aus verschiedenen Metallen bestehenden
Geldsorten zu einem einheitlichen Geldsysteme handelte. Da eine Fest-
legung des Wertverhältnisses zwischen den beiden wichtigen Geld-
metallen nicht gelang, war ein einheitlicher Geldwert bei verschiedenen
Geldsorten nur zu erlangen dadurch, daß man den Wert der Münzen
des einen Metalls von dem Werte ihres Stoffes unabhängig machte und
ihn — statt zu dem eignen Stoffe — in Beziehung setzte zu den
Münzen des anderen Metalls. Die Lösung des Problems ist in der im
vorigen Kapitel geschilderten Weise gelungen in der modernen Gold-
währung. Die zu einem Goldwährungssysteme gehörigen Silbermünzen
leiten ihren Wert nicht ab von ihrem Silbergehalte, sondern von den
die Grundlage des Geldsystems bildenden Goldmünzen und kommen
damit indirekt in eine Wertbeziehung zu einem bestimmten Quantum
Gold; der Wert der Silbermünzen steht bei der Goldwährung nicht mehr
in Beziehung zu dem Stoffe, aus dem sie bestehen, sondern zu einem
anderen Stoffe, zu dem sie keinerlei äußerliches Verhältnis haben. Bei
den SilbermUnzen innerhalb einer Goldwährung ist also die vollständige
Trennung von „Stoffwert" und „Geldwert" der Münzen vollzogen.
*) Gegenüber dieser geradezu zwingenden Logik der Bedürfnisse und Tat-
sachen, aus der die Goldwährung entstanden ist, läßt sich die Knapp sehe Auf-
fassang, England sei gewissermaßen durch einen Zufall zur Goldwährung gekonamen
und die anderen Länder seien nur aus dem Bedürfnisse einer Währungsgleichheit
mit England gefolgt (a, a. 0. S. 266), nicht aufrecht erhalten.
S. Kapitel. Die Entwicklang der Qeldsysteme. § 7. 65
Aber diese Trennung ist keine vollständige in Hinsicht auf die
Wertbeziehungen zwischen dem gesamten Gelde einerseits und dem
Geldraetalle andererseits. Die Trennung ist nur vorhanden bei einem
Teile des Geldes, bei den Silbermlinzen und den kleineren Scheide-
münzen aus unedlem Metall, während die Goldmünzen, welche die
Grundlage des Systems darstellen, mit dem Werte ihres Goldgehaltes
in Verbindung bleiben. Da der Wert der Geldeinheit bei dieser
Währungsverfassung sich von den Goldmünzen ableitet, bleibt zwischen
dem Gelde und dem Metalle Gold immer noch das engste Verhältnis
bestehen: Der Wert des Geldes schlechthin, einerlei aus welchem Metall
die konkreten Münzen bestehen, ist verknüpft mit dem Werte eines
bestimmten Stoffes, dem Werte des Goldes. Insofern ist mithin bei
der Goldwährung das Band zwischen dem Gelde und der übrigen Güter-
welt, soweit die Wertbeziehungen in Betracht kommen, noch nicht zer-
schnitten.
Im Laufe der Entwicklung der neueren Zeit sind jedoch Währungs-
flysterae entstanden, bei welchen jede derartige Verbindung zwischen
dem Werte des Geldes und dem Werte eines anderen VVertgegen stand es
fehlt, Systeme, bei denen der Wert des Geldes von der ganzen übrigen
Güterwelt unabhängig ist und sich nach eignen Gesetzen bewegt.
Bereits im Altertum und Mittelalter kamen Versuche vor, das
seinen Wert im Stoße tragende Metallgeld zu ergänzen oder zu er-
setzen durch ein seinem Stoffe nach wertloses Zeichengeld. Nachdem
sich infolge der Erfindung der Münze das Geld begrifflich als eine
selbständige Güterkategorie, deren Herstellung in der Hand des Staates
lag, entwickelt hatte, führte dieselbe hohe Bewertung der staatlichen
Tätigkeit bei der Schaffung von Geld und dieselbe Geringschätzung
des stoffliehen Wertes der Münzen, w-elche die Münzverschlechterungen
veranlaßt hatten, zu Versuchen, stofflich gänzlich wertlosen, aber mit
einem bestimmten staatlichen Zeichen versehenen Stücken kraft staat-
licher Autorität den Charakter als Geld beizulegen und ihnen in der
Eigenschaft als Geld eine bestimmte Geltung in dem vorher bestehenden
Gelde zu verleihen, woraus sich von selbst ein entsprechender Wert
gegenüber den übrigen wirtschaftlichen Gütern ergeben sollte. In der
neueren Zeit ist das l^apier der Stoff geworden, aus welchem solches
Geld ausschließlich hergestellt wird.
Es waren namentlich die Geldbedürfnisse des Staates, die ebenso
wie zu Münzverschlechterangen, so auch zur Ausgabe von papiernen Geld-
zeichen führten. Wie bei der Ausprägung geringhaltiger Münzen wurde
aoch bei der Ausgabe solcher Geldzeichen erstrebt, sie auf der ihnen
beigelegten, in dem bisherigen Gelde ausgedrückten Geltung zu erhalten.
Das wirksamste Mittel zu diesem Zwecke ist das Versprochen, die
papiernen Geldzeichen auf Verlangen zu ihrem Nennwerte in dem bis-
herigen Gelde, zumeist also in vollwertigem Metallgelde, einzulösen.
Diese Einlösung war von vornherein gegeben bei den von Privaten und
von Banken ausgegebenen papiernen Geldzeichen, die ihrem Ursprünge
nach nicht auf der staatlichen Befugnis, Zahlungsmittel zu schaffen,
beruhten, sondern darauf, daß sie Zahlut)gsversprechen von als zahlungs-
fähig bekaimten Privatpersonen und Instituten waren. Diese privaten
Belf (eri c h, Dai Otld. 5
66 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Kreditpapiere haben sich zu den Banknoten im modernen Sinne ent-
wickelt.
Solange die EinUisbarkeit nicht ein toter Buchstabe ist, sondern
wirklich aufrecht erhalten ^vird, kann sich der Wert des vom Staate
ausgegebenen l'ai)iergel(ies und der von Privaten ausgegebenen Bank-
noten nicht von dem ihnen beigelegten Werte in vollwertigem Metall-
gelde entfernen; der Wert der papiernen Geldzeichen bleibt damit mittel-
bar in fester Verbindung mit dem Werte eines bestimmten Quantums
des dem Währungssystem zugrunde liegenden Metalls.
In zahlreiclicM Fällen ist Jedoch diese Stütze für den Wert der
papiernen Geldzeichen in Wegfall gekonnnen. An Stelle der Eiulösbar-
keit ist häulig sowohl bei staatlichem Papiergelde als auch bei Bank-
noten der ,.Zwangskurs" getreten, d. h. das staatliche Gebot, die vom
Staate selbst oder von einer Bank ausgegebenen Zettel zu dem ihnen
beigelegten Nennwerte ohne Rücksicht auf ihre Einlösbarkeit oder Un-
einlösharkeit in Zahlung zu nehmen.
Mit dem Wegfall der Einlösbarkeit hörten die Zettel auf, Forde-
rangen auf Metallgeld zu sein, sie wurden zu einem selbständigen
Gelde; sie hörten auf, in ihrem Wert von dem ursprünglich geschuldeten
Metallgelde fest bestimmt zu werden, unterlagen vielmehr einer selbst-
ständigen Wertbildung, die sich von dem Werte des ursprünglichen
Metallgeldes entfernte, aber doch nur in seltenen Fällen zu einer gänz-
lichen Entwertung, entsprechend dem wertlosen Stoffe dieses Geldes,
hinführte.
Sobald jedermann verpflichtet ist, uneinlösbares Papiergeld zu der ihm
beigelegten Geltung in Zahlung zu nehmen, wird das Papiergeld ent-
scheidend für die W^ertbeweguiig des Landesgeldes. Wer in effektivem
Metallgelde bezahlt werden will, muß sich eventuell dazu verstehen,
dieses zu einem höheren Kurse, als seinem Nennwerte entspricht, in
Zahlung zu nehmen. Der Wert der Rechnungseinheit entfernt sich von
dem Werte des ihr ursprünglich entsprechenden Metallquantums im
Verhältnis zu dem Aufgelde, das für Metallgeld gezahlt wird oder im
Verhältnis zu der Steigerung des in Papiergeld ausgedrückten Preises
des ursprünglichen Währungsmetalls. Das ursprüngliche Edelmetallgeld
erscheint als Ware, deren schwankender Preis in dem eigentlichen Um-
laufsmittel des Landes, dem uneinlösbaren Papiergelde, ausgedrückt
wird. Einen solchen Zustand des Geldwesens, dessen charakteristisches
Merkmal in der Loslösung der Rechnungseinheit von ihrem ursprüng-
lichen metallischen Aequi\ alente besteht, nennt man Papierwährung.
Die ersten Beispiele von Papiergeldwirtschaft zeigen in ihrem
Verlaufe eine unaufhaltsame und starke Entwertung des ausgegebenen
Papiergeldes gegenüber dem ursprünglichen Metallgelde. Sie zeigen
fast durchweg den Charakter sich rasch entwickelnder Krisen des
Geldwesens, die schließlich in einer außerordentlichen oder gar völligen
Entwertung des Papiergeldes ihr Ende finden.
Die erste Papiergeldwirtschaft in großem Stil entstand im Jahre
1720 in Frankreich im Gefolge der Lawschen Unternehmungen. Die
von Law gegründete Bank gab Noten aus, die den Charakter als ge-
setzliches Zahlungsmittel erhielten und deren Betrag mit dem Umfange
2. Kapitel. Die Entwicklunür der Geldsysteme. § 7. 67
aer von der Bank betriebenen Unternehmungen utxl des von ihr künst-
lich geförderten Iförsenspiels schließlich nahe/u die Höhe von 3 Mil-
liarden Livres erreichte. Der Zusanmienbruch des ganzen Systems
führte zu einer starken Entwertung und schließlich zu völliger Be-
seitigung des Papiergeldes.
Aehnlich verlief die zweite französische Papiergcldperiode zur Zeit
der Revolution. Die Nationalversammlung beschloli im Jahre 1789,
Domänen zu veräulieru und den zu erveartenden Erlös bereits im voraus
durch die Ausgabe von „Assignaten" nutzbar zu machen. Urs))rUnglich
waren diese Assignate verzinsliche Staatsobligationen, die auf je 1() OUO
Livres lauteten, sj);iter (17;)()) wurde die Verzinslichkeit aufgehoben
und den Assignaten wurde Zwangskurs verliehen; sie wurden also ein
richtiges Papiergeld, dessen kleinstes Stück allmählich bis auf 3 Livres
herabgesetzt wurde. Die Ausgabe dieses Papiergeldes nahm für die
damalige Zeit ungeheure Dimensionen an und erreichte Ende 1796 den
Betrag von 45 '/2 i^Hlliarden Livres. Ihr Kurs in dem ursprünglichen
Metallgelde sank im gleichen \ erhältnis und betrug im Jahre 1796 nur
noch etwa '/s I'rozent ihres ursprünglichen Metallgeldäquivalentes; schließ-
lich sind sie trotz aller auf eine Steigerung ihres Kurses hinzielenden
Gewaltniaßregeln einer gänzlichen Entwertung verfallen,
In Nordamerika gaben während des Unabhängigkeitskrieges
die Kolonien zur Beschaffung der Mittel für die Kriegführung Papier-
geld aus. das sog. „Kontiiientalgeld". Dieses Papiergeld unterlag binnen
weniger Jahre einer starken Entwertung und wurde im Jahre 1781 zu
*/j„ seines Nennwertes gegen verzinsliche Zertifikate ausgetauscht.
Die Beispiele solcher Art ließen sich beträchtlich vermehren.
Allen ist gemeinsam, daß die Papierwirtschaft wie eine akute Krank-
heit erscheint, die in der völligen Entwertung des Papiergeldes oder
in seiner Beseitigung zu einem geringen Bruchteil des ihm beige-
legten Nennwertes (Devalvation) ihr Ende findet. Sowohl der öffent-
liche Kredit als auch die Macht des Staates über das Geldwesen waren
noch nicht hinreichend entwickelt, um ein Papiergeld längere Zeit ohne
eine allzustarke Entwertung im Umlaufe zu erhalten, es schließlich
wieder auf den (.leichwert mit dem ursprünglichen Metallgelde zu
bringen und es zu diesem Werte wieder durch Metallgeld zu ersetzen. —
Die Erscheinung, daß Länder während längerer Perioden in der
Papiergeldwirtschaft bleiben und sich des Papiergeldes als eines leid-
lichen Ersatzes für das Metallgeld bedienen, ja daß sie in gewisser
Weise ihren Papiergeldumlauf systematisch regulieren, ist neueren
Datums.
Die erste moderne Papierwährung in diesem Sinne war vorhanden
in England von 1797 bis 1823; inffdge der napoleonischen Kriege
war die Bank von England von der Einlösung ihrer Noten entbunden
und ihre Nuten waren mit Zwangskurs ausgestattet worden. An-
fänglich zeigte sich kein merklicher Wertunter^chied zwischen den
Noten und dem Metallgelde. \ on I8til an begann jedoch ein Aufgeld
auf Metallgeld in Erscheinung zu tretet), das im Jahre 1810 bis auf
2i> Prozent, 1813 und 1814 auf 3o-4() Prozent stieg. Die im Jahre 1811
erlassenen Verbote, (J(ddmUnzen zu einem höheren Nennwerte in Noten
5
68 Erstes Buch. I. Abschnitt Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
oder Noten zu einem niedrigen Werte in Goldmünzen anzunehmen,
blieben ohne \N'irkung. Die Goldmünzen versehwanden gänzlich aus
dem Verkehr, und die Entfernung des Wertes der englischen Uechuungs-
einheit, des Pfundes Sterling, von seinem ursprünglichen Metalläqui-
valeute zeigte sich in den erhöhten Preisen der Goldbarren. Nach der
Wiederherstellung des Friedens ging das Goldagio rasch und erheblich
zurück, d. h. der Wert des englischen Geldes näherte sich wieder seinem
ursprünglichen Metalläquilaveute. Im Jahre 1819 wurde die Wieder-
herstellung der Noteueinlösung für das Jahr 1823 angeordnet. Bereits
vom Jahre 1821 an war das Goldaufgeld verschwunden; der Wert
des Pfundes Sterling deckte sich wieder mit seinem Goldäquivalente,
nachdem er sich von 1801 au in durchaus selbständigen Bewegungen
unterhalb dieses Goldwertes gehalten hatte.
Hier hat also die Papiergeldwirtschaft nicht zu einer dauernden
und völligen Entwertung der papiernen Geldzeichen geführt, es ist
vielmehr durch Maßregeln der Bankpolitik und der staatlichen Finanz-
politik gelungen, dem Papiergelde trotz des Fehlens der Einlösbarkeit
und trotz der Wertlosigkeit seines Stoffes stets noch einen Wert zu erhalten
und es schließlich wieder auf die volle Parität mit dem Metallgelde zu
bringen.
Aehnlieh verlief die Entwicklung der Papierwährung in zahlreichen
anderen modernen Staaten.
Wie England durch die napoleonischen Kriege, so sind die Ver-
einigten Staaten von Amerika in der ersten Hälfte der 60er
Jahre des 19, Jahrhunderts durch den Bürgerkrieg in die Papiergeld-
wirtschaft geraten. Vom Jahre 1861 an wurde in steigenden Mengen
Papiergeld in Umlauf gesetzt, das anfangs einlösbar war, bald aber
(durch Gesetz vom 25. Februar 1862) durch nicht einlösbare Schatz-
noten ersetzt wurde, die den Charakter als gesetzliches Zahlungsmittel
(ausgenommen für die Zollzahluug und für die Zahlung der Zinsen der
Staatsanleihen) erhielten. Der in dem Gesetz von 1862 auf 150 Mil-
lionen Dollar fixierte Maximalbetrag für die Ausgabe dieses Papier-
geldes wurde bei verschiedenen Gelegenheiten beträchtlich erhöht, zu-
letzt durch ein Gesetz vom 30. Juli 1864 bis auf 450 Millionen Dollar.
Bereits im Jahre 1861 begann das Papiergeld sich gegenüber dem
ursprünglichen Metallgelde zu entwerten. Es stellte sich ein Gold-
agio ein, das mit der Vermehrung des Papiergeldumlaufs rapid stieg
und im Juli 1864 mit 185 Prozent seinen Höhepunkt erreichte. Das
entwertete Papiergeld erfüllte immer mehr die ganze Zirkulation und
verdrängte selbst die kleinen Scheidemünzen aus dem Verkehr.
Nach der Beendigung des Bürgerkrieges wurden Maßregeln in
Angriff genommen, die den Umfang des Papierumlaufs allmählich
vermindern und das Geldwesen wieder auf seinen ursprünglichen Zu-
stand zurückfuhren sollten. Wenn auch die völlige Beseitigung des
Papiergeldes an dem Widerstände mächtiger Interessengruppen scheiterte
(es sind schließlich noch nahezu 350 Millionen Dollar Papiergeld im
Umlauf geblieben), so gelang es doch, das Papiergeld einlösbar zu
machen (von 1879 an) und die Einlösbarkeit fortan aufrecht zu er-
halten. Von der Mitte des Jahres 1864 an ist eine weitere Entwertung
2. Kapitel. Die Entwicklung der Geldsystcme. § 7. 69
des Papiergeldes nicht mehr eingetreten, vielmehr zeigte das Goldagio
einen wesentlichen Rückgang; es betrag um die Mitte des Jahres 1865
nicht mehr ganz 60 Prozent nnd ist in den folgenden Jahren bis zur
Aufnahme der Barzahlungen im Jahre 1879 allmiihlich ganz ver-
schwunden.
Auch hier ist also trotz einer anfänglich sehr heftigen P>8chUtte-
rung des Geldwesens eine systematische Kegulieruug des Papierumiaufs,
eine Verhinderung der gänzlichen Entwertung des Papiergeldes und
schließlich sogar die Wiederherstellung der Einlösbarkeit und damit
auch der Metallgeldparität des Papiergeldes gelungen.
Aehnliche Papiergeldperioden von kürzerer Dauer machte Frank-
reich durch, von 1848 bis 1850 infolge der Februarrevolution und von
1870 bis 1877 infolge des Krieges mit Deutschland. In beiden Fällen
wurde die Bank von Frankreich zur Einstellung der Noteneinlösung
ermächtigt. Die Abweichung der Noten von der metallischen Währungs-
grundlage war nur gering; das Aufgeld der Goldmünzen betrug 1848
im Maximum 12 Prozent, 1871 nur 2,4 Prozent.
Preußen hatte uneinlösbares Papiergeld mit Zwangskars von
1806 bis 1824. Dieses unterschied sich in mehrfacher Beziehung von dem-
ienigen Englands, Frankreichs und der meisten anderen Staaten; zu-
nächst dadurch, daß dieses Papiergeld, die sog. Tresorscheine, nicht
in ursprünglich von einer Bank ausgegebenen Noten bestand, deren Ein-
lösung aufgehoben wurde, sondern daß es von vornherein vom Staate
selbst als Papiergeld emittiert wurde; ferner dadurch, daß ihm
nicht nur Zwangskurs verliehen wurde, sondern daß auch ein Zwang,
bestimmte Teile der an die königlichen Kassen zu leistenden Zahlungen
in diesen Scheinen zu zahlen, bestand; der Zwangskurs selbst war
zeitweise (Oktober 1806 bis Oktober 1807) suspendiert and lediglich
durch den Zahlungszwang an die öfifentlichen Kassen ersetzt, zeitweise
(Oktober 1807 bis Februar 1809) hatten die Tresorscheine Zwangskurs,
aber nicht zu ihrem Nennwerte, sondern zu ihrem Kurswerte, und das
sowohl für die öffentlichen Kassen als auch im Privatverkehr. Die
Entwertung dieser Tresorscheine betrag in der schlimmsten Zeit
(Juni 1813) 76 Prozent. Im Jahre 1815 wurde die Parität mit dem
Metallgelde wieder nahezu erreicht. Eine Kabinettsorder vom
21. Dezember 1824 ordnete ihre Ersetzung durch Kassenanweisungen an.
Fast in allen Staaten haben Kriege, Revolutionen und ähnliche
Ereignisse, die große Geldbedürfnisse zur Folge hatten, zu solchen
Papiergeldperioden geführt. In den geschilderten Phallen gelang die
Wiederherstellung der metallischen Währung im Laufe von verhältnis-
mäßig kurzer Zeit. Anders gestaltete sich der Verlauf, wenn die Finanz-
kraft des Staates nicht stark genug war, um die einmal verlorene
metallische Währung wiederherzustellen, einerlei ob es sich darum
handrlte, das vom Staate selbst ausgegebene Papiergeld wieder durch
vollwertiges Metallgeld zu ersetzen, oder darum, der Zentralbank durch
Zurückzahlung der dem Staate geleisteten baren Vorschüsse die Wieder-
aufnahme der Noteneinlüsung zu i'rniiigliclien. In solchen Ländern
bildete sich die Papierwährung zu einer dauernden Einrichtung aus;
sie verlor den Charakter des rngewöhnlichen, und da ihre baldige
70 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwickluugsgescbichte des Geldes.
Reseitiiruiiir nicht zu erwarten stand, bejrann die Verkehrswelt, sich mit
ihr abzufinden und sieh auf ihrer Grundlajre ein/Airichten.
Abjresehen von einer Reihe kleinerer Staaten in Europa und
Amerika, die in der Ilauptsaclie duri'h finanzielle MitUvirtachaft in die
Papierwälirun^ jreraten sind, beobaehten wir vor dem Weltkrieg? solche
liinjrer dauernden Papierwährungen namentlich in Rußland und
Oesterreieh.
Rußland hatte vom Ende des 18. Jahrhunderts an Papierwährung
bis zum .lahre 1S99, mit einer kur/AMi Unterbrechung von 1843 — 1854.
Der erste Absehnitt dieser Papierjieldperiode endete mit einer beträcht-
lichen EntwertuniT des Papierrubels gegen den ursprünglichen Silber-
rubel. Im Jahre IS-t:} wurden die alten uneinlösbaren Rubelassignate
gegen ein neues Papiergeld, die einlösbarcn Reichskreditbillets, ein-
gelöst, und zwar mit der Maßgabe, daß für je 350 Rubel in Assignaten
100 Rubel in Kreditbillets gegeben wurden. Solange die Kreditbillets
einlösbar waren, bestand wieder eine Silberwährung. Aber infolge des
Krimkrieges mußte im Jahre 1854 die Einlösung eingestellt werden,
und die zweite Periode der russischen Papierwährung begann mit der
Entstehung eines neuen Aufgeldes auf den Silberrubel. Daß vom
Jahre 1860 an die Kreditbillets als Noten der staatlichen russischen
Reichsbank erschienen, brachte keine materielle Aenderung. Das Auf-
geld des Silberrubels stieg allmählich auf etwa 30 Prozent, bis der
russisch-türkische Krieg im Jahre 1877 mit einer starken Vermehrung
der Papiergeldausgabe eine weitere heftige Steigerung des Agios herbei-
führte. Der Kurs des Papierrubels bewegte sich von nun an in großen
Schwankungen, die, nachdem das Silber in den wichtigsten Kultur-
staaten demonetlsiert und seine Prägung auch in Rußland eingestellt
worden war (1876), nicht mehr an dem ursprünglichen Währungsgeld,
dem Silberrubel, gemessen wurden, sondern an den ausländischen Gold-
währungen, namentlich an der deutschen Reichswährung. Der Berliner
Rubelkurs erreichte in jener Periode seinen tiefsten Stand mit 164 Mark
pro 100 Rubel im Jahre 1887, seinen höchsten Stand mit 265 Mark
im Jahre 1890. Vom Jahre 1894 an gelang es den geschickten Operationen
des russischen Finanzministeriums, in Vorbereitung der Einführung der
Goldwährung den Berliner Rubelkurs auf etwa 220 Mark zu befestigen.
Die im Jahre 1899 formell vollendete Goldwährung entspricht einem
Rubelkurse von 216 Mark.
Oesterreieh hatte bereits während der französischen Revolutions-
kriege im Jahre 17Vt3 seine Zuflucht zur Papiergeldwirtschaft genommen,
die in ihrem Verlaufe zu einer sehr erheblichen Entwertung des Geldes
führte. Die für uneinlösbar erklärten Noten der Wiener Stadtbank
hatten im Jahre 1811 nur noch '/s ihres ursprünglichen Metallwertes.
Ihre Ersetzung durch ein neues Papiergeld hatte keinen Erfolg. Erst
der im Jahre 1816 gegründeten Nationalbank gelang es, wieder ge-
ordnete Geldverhältnisse herzustellen. Die Unruhen des Jahres 1848
führten zur Einstellung ihrer Noteneinlösung; damit begann eine
neue Periode der Papierwährung. Neben den uneinlösbaren Bank-
noten wurde uneinlösbares Staatspapiergeld ausgegeben. Die Versuche
zur Wiederherstellung der Barzahlungen, die 1853, 1858 und 1866
2. Kapitel. Die Eutwickluuij der Geldsyrfteme. § 7, 7X
]o:emacht wurden, scheiterten im ersten Falle an der beim Ausbruche
des Krinikrie^es notwendifr jrewordenen Mobilmachung, im zweiten
Falle am Ausbruche des Kriejres mit Italien, im dritten Falle an dem
Kriefre mit Preußen. Der Geldbedarf des Staates wurde durch diese
Ereifmisse stets im entscheidenden Momente so stark erhöht, daß di«
"Wiederherstelluns: der Silberwährung: auffj;egeben werden mußte. Das
Anfireld auf Silberofeld st\e^ 1850 bis auf 50 Prozent, 18r)9 bis auf
5."} Prozent. \'om Be<rinne der 70er Jahre an, während der Entwertung
des Silbers, hielt sich der Wert des österreichischen Papiergeldes ver-
hältnismäßig stabil gegenüber den ausländischen Goldwährungen ;
das Silberaerio sank immer mehr, bis es schließlich ganz verschwand.
Ebenso wie für Rußland war jedoch auch für Oesterreich ein festes VVert-
verhältnis zwischen seinem Gelde und dem Silber, dem ursprünglichen
Währungsmetalle, gleichgültig geworden; wichtig war dagegen die Be-
festigung des österreichischen Geldwertes gegenüber dem Geldwerte
der ausländischen Goldwährungen. Oesterreich kehrte sich deshalb durch
Einstellung der freien Silberprägung vom Silber ab und begann Vor-
bereitungen zu tretTen, sein Geldwesen auf dem Boden der Goldwährung
wiederherzustellen. Das Gesetz von 189'2 gab der neuen Münzeinheit,
der Krone (= Va Gnlden\ einen Goldwert von ungefähr 85 Pfennigen.
Da die formelle Aufnahme der Goldeinlösung der Noten der Oesterreich-
Tngarischen Bank immer wieder hinausgeschoben wurde, war der Kurs
des österreichischen Geldes auch in den ersten Jahren nach 1892 zeit-
weise um einige Prozente unter diesen Wert herai)gegangen; im großen
(Ganzen jedoch hat es sich bis zum Ausbruch des Weltkrieges als mög-
lich gezeigt, das österreichische Geld auf der ihm durch die neuen
Währun^sgesetze beigelegten Goldparität zu erhalten.
Wir haben es in den zuletzt geschilderten Fällen mit einem Papier-
gelde zu tun, dessen Wert sich zwar von demjenigen seines ursprüng-
lichen Metalläquivalents entfernt, das aber nicht einer raschen und
schließlich vollständigen Klntwertung unterliegt, sondern sich viele
Jahrzehnte hindurch — zwar mit großen Schwankungen im einzelnen,
aber dt.ch mit einer gewissen Wertstabilität im ganzen — im Umlauf
erhält.
Der Weltkrieg hat eine neue Aera der Papierwährung eröftuet,
deren Erscheinungen im einzelnen an anderer Stelle dieses Buches
dargestellt werden sollen. An tatsächlicher Bedeutung überragen diese
Erscheinungen alle früher dagewesenen Perioden der Papiergeldwirt-
schaft; schon dadurch, daß alle am Kriege beteiligten Staaten außer
den Vereinigten Staaten von Amerika, außerdem auch eine Anzahl
neutraler Staatswesen sich zur Einstellung oder wenigstens Einschränkung
dir Einlösung ihres Papiergeldes in Metallgeld veranlaßt gesehen haben;
ferner dadurch, daß die Ausgabe von Pa])ierg('ld in den einzelnen
Maaten einen nie gekannten oder auch nur geahnten rinfang angenommen
hat; schließlich dadurch, daß in einigen der durch den Krieg, innere
Wirren und die Friedensbedingungen am schwersten getrolVeneu Staaten
das Geld gegenüber seinen ursprunglichen Metalläquivalent eine gerade-
zu phantastische Entwertung erfahren hat. Es genüge hier der Hin-
72 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
weis, daß die dcatsche Papierniark gegenwärtig (Eude Janoar 1923) nur
noch den Wert von \',oooo ibres ursprünglichen Goldwertes hat, während
die Entwertung des russischen Kübels sich überhaupt kaum mehr be-
ziffern läÜt.
Grundsätzlich Neues jedoch hat diese neue Papiergeldperiode
nicht gebracht. Sie hat lediglich die bisherigen Erkenntnisse vom
Wesen der Papierwährung bestätigt. Die Bewegungen des Geldwerte»
werden hier weder durch den an sich wertlosen Stoff, noch durch das
ursprüngliche Metalläquivalent des Geldes, noch durch irgendeinen
anderen Wertgegenstand bestimmt; das Geld ist hier nicht nur dem Be-
griffe nach, sondern auch in seiner Wertbewegung durchaus unter-
schieden und unabhängig von allen übrigen Güterkategorien.
§ 8. Metallische Währungen mit gesperrter Prägung.
Eine ähnliche Erscheinung auf dem Gebiete des modernen Geld-
wesens wie die Papierwährung ist die metallische Währung mit gesperrter
Prägung des Währungsmetalls. Bereits im System der Goldwährung
haben wir Münzen aus Silber kennen gelernt, denen aufgrund der
beschränkten Prägung ein ihren Stoffv^^ert überschreitender Wert, der
sich vom Goldgelde ableitet und dadurch mit dem Metalle Gold in Be-
ziehung gesetzt ist, beigelegt ist. Es ist nun im Laufe der neueren
Entwicklung des Geldwesens in verschiedenen Fällen vorgekommen,
daß die Ausprägung von Silber, das die Grundlage der Währung dar-
stellte, eingeschränkt oder gänzlich gesperrt worden ist, ohne daß
gleichzeitig Goldmünzen eingeführt, deren Prägung freigegeben nnd
die Silbermünzen in den Goldmünzen tarifiert w'orden wären. In diesen
Fällen trat, wie wir an den einzelnen Beispielen sehen werden, das
Umgekehrte ein, wie bei der Einstellung der Einlösung von Banknoten
und Papiergeld. Wenn die Uneinlösbarkeit von Papiergeld, das gesetz-
lichen Kurs erhält, verfügt wird, ist die Möglichkeit gegeben, daß der
Wert des Landesgeldes unter das der Rechnungseinheit ursprünglich zu-
grunde gelegte Metalläquivalent herabsinkt, weil man keinen Anspruch
und keine Sicherheit mehr hat, für das Papiergeld den gleichen Nenn-
betrag in vollwertigem Metallgelde zu erhalten. Wenn dagegen die
Prägung des ursprünglichen Währungsnietalls eingestellt wird, dann ist
die Möglichkeit gegeben, daß sich der Wert des Landesgeldes über
das der Kechnungseiuheit ursprünglich zugrunde gelegte Metalläqui-
valent erhebt, weil kein Anspruch und keine Sicherheit mehr besteht,
gegen das ungeprägte Metall das gleiche Gewicht (ev. nach Abzug
der geringfügigen Prägekosten) in geprägtem Gelde zu erhalten.
Zum erstenmal trat diese Möglichkeit in bemerkenswerter und
vielbemerkter Weise ein, als die Niederlande im Jahre 1873 die freie
Silberprägang einstellten, ohne für die Reform ihres Geldwesens irgend
einen weiteren Schritt zu tun. Damit war die bisher bestehende feste
Beziehung zwischen dem Silberwerte und dem Werte des niederlän-
dischen Geldes durchbrochen; der Wert des geprägten holländischen
Silbergeldes vermochte über den Wert des in ihm enthaltenen Silber-
quantums hinaus zu steigen, denn die Nachfrage nach niederländischen
2. Kapitel. Die Entwicklung der üeldsysteme. § 8. 73
Zahlongsmitteln konnte nnn nicht mehr durch die Aaspriigung von
Barrensilber befriedigt werden. Eine solche Steigerung trat in der
Tat in dem Maße ein, daü, während das Silber im Verhältnis zuiq
Gold eine Entwertung erfubr, das geprägte holländische Silbergeld
gegenüber dem Goldgelde der Goldwährungsländer eine beträchtliche
Wertsteigerung aufwies. Während bis zum Anfang des Jahres 1875
der Silberpreis in London bis auf etwa 57 '/2 d hinabging, stieg der
Kurs des niederländischen gegenüber dem des englischen Geldes soweit,
daß 1 Pfd. Sterl. statt — wie früher — 12 Gulden nur noch 11,6 Gulden
notierte. Darin kam die Tatsache in Erscheinung, daß der Wert des
holländischen Guldens um etwa 10 Prozent über den Wert seines
Silbergehaltes hinaus gestiegen war. Der Wert des Silbers war nur
noch eine untere Grenze für den Wert des holländischen Geldes, der
holländische Gulden konnte in seinem Werte nicht unter seinen Silber-
gehalt herabgehen, aber nach oben hin konnte er unbegrenzt steigen.
Diesem Zustande wurde im Jahre 1875 ein Ende gemacht durch
die Einführung einer frei ausprägbaren Goldmünze, des Zehngulden-
stUcks, das gesetzliche Zahlungskraft zu seinem Nennwerte erhielt.
Ein ZehuguldenstUck enthält 6,72 g Münzgold von 7io Feinheit; aus
dem Kilogramm Feingold werden 1653,43 Gulden geprägt, und da für
das Kilogramm 5 Gulden Prägegebühr berechnet werden, kann man
jederzeit für ein Kilogramm Feingold 1648,43 Gulden erhalten. Unter
diesen Preis in niederländischem Gelde kann das Gold nie sinken, und
mithin kann sich der Wert des niederländischen Geldes niemals über
das diesem Preise entsprechende Goldäquivalent erheben. Solange der
Metallwert des Silberguldens ein geringerer ist, als das Goldäquivalent
des Goldguldens, und solange die niederländische Regierung nicht die
Verpflichtung übernimmt, Silbergulden auf Verlangen in Goldgulden
einzulösen, ist die Möglichkeit vorhanden, daß der Silbergulden den
ihm beigelegten Goldwert nicht erreicht und daß ein Aufgeld auf Gold-
münzen entsteht. Der Zustand würde dann mit einer Papierwährung
Aehnlichkeit haben, jedoch mit dem Unterschiede, daß nicht eine grenzen-
lose Entwertung des niederländischen Geldes, sondern nur eine Ent-
wertung bis auf den Silbergehalt des Silberguldens stattfinden könnte.
In Wirklichkeit hat sich bis zum Weltkriege das holländische Geld
stets auf seiner Goldparität gehalten.
F^in zweiter Fall dieser Art wurde geschaffen durch die Ein-
stellung der indischen Silberprägung im Juni 1893, Von vornherein
verfolgte diese Maßregel den Zweck, den Wert des indischen Geldes
von dem sich fortgesetzt entwertenden Silber unabhängig zu machea
und ihn in eine feste Beziehung zum Werte des englischen Goldgeldes
zu bringen. Um das h-tztere Ziel zu erreichen, wurde gleichzeitig mit
der Einstellung der freien Silberprägung verfügt, daß die indischen
Münzstätten gegen Einlieferung englischer Gdldiiiilnzen indische Silber-
rnpien verabfolgen sollten, und zwar 15 Rupien für den Sovereign,
oder für je 16 d in englischem Goldgelde eine Rupie. Die Folge
dieser Maßregeln war, daß sich der Wert der Rupie über den Wert
ihres Silbergehaltes erheben konnte, aber nicht — wie der Wert des
74 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
holländischen Silberguldens von 1873 bis 1875 — unbegrenzt, sondern nur
bis zu dem Werte von 16 d englischer \\'ährnng, der seinerseits gegeben
war durch ein bestimmtes (toldciiiantum. Der Wert des Silbergehaltes
der lUipie in englischem (teide ist l)ei einem Silberpreise von etwa
2:i d pro Unze Standard Silber, dem niedrigsten Preise, der vor dem
Weltkriege in London notiert wurde, etwa 8'/^ d. Der Wert der Rupie
in englischem Goldgelde kann sich mithin bei einem Silberpreis von 22 d
zwischen 8 '/g d und IG d bewegen. Eine Erhöhung des Silberwertes
gegenüber dem Goldwerte würde den Spielraum verengern, eine vpeitere
Entwertung des Silbers würde ihn vergrößern.
Die tatsächliche Entwicklung des Rupienkurses war folgende:
Im ersten Jahre nach der Einstellung der freien Silberprägung
trat ein beträchtlicher Preissturz des Silbers ein. Der Londoner Silber-
preis ging bis auf 27 d in den ersten IMonaten des Jahres 1894 zurück.
Auch der Rupieukurs zeigte eine sinkende Tendenz, die jedoch in ihrer
Stärke weit hinter derjenigen des Silbers zurückblieb. Der tiefste
Kurs wurde erreicht mit 12,41 d im Januar 1895, während dem gleich-
zeitigen Silberpreise (27,2 d) ein Kurs von nur 10,1 d entsprochen hätte;
selbst damals hielt sich mithin der Wert der geprägten Rupie um
23 Prozent über dem Werte ihres Silbergehaltes. Seither ist der Rupien-
kurs, unabhängig von den Schwankungen des Silberpreises, allmählich
und mit geringen Unterbrechungen gestiegen; er erreichte Anfang 1896
14 d, stieg bis Ende 1897 auf lö^o^ uud kam im Januar 1898 zum
erstenmal auf der erstrebten Goldparität von 16 d an, auf der er sich
seither mit geringen Abweichungen gehalten hat, bis die Steigerung
des Silberpreises während des Weltkrieges und die gleichzeitige Ent-
wertung des englischen Geldes gegenüber dem Golde zu neuen Stö-
rungen führte. Seit Anfang 1898 bestand mithin tatsächlich ein festes
Wertverhältnis zwischen dem Golde und der Rupie, wobei allerdings
die Möglichkeit vorlag, daß der Wert der Rupie sich nach unten von
der neuen Goldparität wieder entfernte und sich dem Schnielzwerte
der Silberrupie wieder näherte, aber auch die Möglichkeit, daß der
"Wert der Rupie sich bei einer Steigerung des Silberpreises über das
ihr beigelegte Goldäquivalent von 16 d englischer Währung erhob.
Der dritte und interessanteste der hierher gehörenden Fälle ist
das österreichische Geld von 1879 bis 1892.
Oesterreich hatte, wie bereits dargestellt, seit 1848 eine Papier-
währung an Stelle der ursprünglichen Silberwährung. Der Wert des
österreichischen Papierguldens blieb in den ersten Jahren der Silber-
entwertung verhältnismäßig stabil gegenüber dem Gelde der Gold-
währungsländer, und das Silberagio sank immer mehr, bis es schließ-
lich um die Wende der Jahre 1878 und 1879 gänzlich verschwand.
Man hat diesen Vorgang „Selbstregulierung der österreichischen Valuta"
genannt, weil ohne jede Maßregel des Staates oder der Oesterreichisch-
Ungarischen Bank sich der Gleichwert zwischen dem uneiulösbaren
Papiergelde und dem Silbergulden von selbst ergeben hatte.
Von dem Augenblicke an, wo der Gleichwert zwischen dem
Papier- nnd dem Silbergulden wieder hergestellt war, konnte sich nun
2. Kapitel. Die Eutwicklung der Geldsysteme. § 8. 76
bei einer weiteren Entwertung des Silbers gegenüber dem Golde das
österreichische Geld gegenüber dem Gelde der Goldwährungsliiuder nicht
mehr, wie seither, nahezu stabil halten. Da infolge der freien Silber-
prägung jedermann für ein Pfund Feinsilber 45 Gulden erhalten konnte
(nach Abzug von 1 l^rozeut Prägegebühr), konnte der Wert des Guldens
nicht merklich über dem Wert von '/^s P^und Silber stehen, (iing
nun der Wert des Silbers gegenüber dem Golde weiter zurück, dann
muÜte notwendigerweise auch der Wert des österreichischen Silber-
guldens gegenüber dem Goldgelde des Auslandes zurückgehen. Der
Papiergulden andererseits konnte nicht höher stehen als der Silber-
gulden, denn — ganz abgesehen davon, daß der Papiergulden ursprüng-
lich nur eine Forderung auf Silbergulden darstellte — der Silbergulden
war gesetzliches Zahlungsmittel, mit dem alle Zahlungsverpflichtungen
ebensogut wie mit Papierguldeu erfüllt werden konnten. In ihrer wirt-
schaftlichen und rechtlichen Verwendbarkeit als Geld innerhalb des
österreichisch-ungarischen Staates standen sich beide Geldarteu gleich;
deshalb konnte der l^apiergulden, der nur als Geld eine Verwendbar-
keit hatte, niemals höher bewertet werden als der Silbergulden, während
umgekehrt der Silbergulden, der außer seiner Verwendbarkeit als Geld
auch eine Verwendbarkeit als Metall hatte, solange höher bewertet
werden mußte als der Papiergulden, als sein stofflicher Metallgehalt in
Oesterreich-Ungarn selbst einen höhereu Preis erzielte als 1 Gulden
österreichischer (Papier-) Währung*).
Die österreichische Regierung war nun nicht gewillt, den Geld-
amlauf des Landes mit dem sich zur Münze drängenden Silbergelde
anfüllen zu lassen. Das früher so oft vergeblich augestrebte Ziel der
Wiederherstellung eines Silberumlaufs hatte infolge der währungspoli-
tiscben Umwälzungen aufgehört, wünschenswert zu sein. Vor allem
aber wollte man den Kurs des österreichischen Geldes in den Gold-
währungsländern nicht durch den Rückgang des Silberpreises drücken
lassen, und deshalb wurde in den ersten Monaten des Jahres 1879 auf
dem Verordnuugswege die freie Silberprägung aufgehoben.
Diese Maßregel schuf in Verbindung mit dem Fortbestehen der
Uneiulösbarkeit des Papiergeldes einen ganz eigentümlichen Zustand.
Bisher waren die Wertbewegungen des österreichischen Geldes nach
unten bin unbegrenzt: da man keinen Anspruch hatte, für den stoff-
lich wertlosen Papiergulden metallisches Geld zu erhalten, war die
Möglichkeit einer unbegrenzten Entwertung des österreichischen Geldes
gegeben. Diese Möglichkeit bestand auch 1879 weiter, da die Ein-
lösbarkeit des Papiergeldes nicht wieder hergestellt wurde. Dagegen
bestand bis 1879 für die Wertbewegungen des österreichischen Geldes
nach oben hin eine Grenze an dem Schmelzwerte des Silberguldens.
Durch die Aufhebung der freien Sili)erprägung war diese (Irenze be-
seitigt, und der Wert des österreichischen Geldes konnte sich, wie der
') Ein ,Di9a<rio" des Silbcrguldens gegt-nübcr dem rupiorgiilden, ebenso eiu
„Agio" des Papierguldens gegenüber dem .Silbergnlden waren also iu gleicher Weise
ausgeschlossen.
76 Erstes Bnch. I, Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
Wert des niederländischen von 1873 bis 1875, unbegrenzt Über sein
Silberiiqiiivalent erheben. Erst durch die Keformgesetze des Jahres
18^2, welche eine Goldmünze mit gesetzlicher Zahlungskraft einführten,
wurde dem österreichischen Geldwerte nach oben hin in dem Gold-
äquivalente der neuen Kechnungseiuheit, der Krone, eine Grenze ge-
zogen. Von 1879 bis 1892 dagegen konnte sich der Wert des öster-
reichischen Geldes sowohl nach oben als auch nach unten hin ohne
jede durch ein Edelmetall oder sonstiges Gut gegebene Grenze bewegen.
Der tatsächliche Gang der Dinge war, daß eich der Wert des Guldens
über dem immer mehr sinkenden Silberwerte hielt. Schon im Jahre
1879 war der Silbergehalt des Silberguldens nur noch 95,85 Kreuzer
wert, und er ging weiter zurück bis auf 91,95 Kreuzer im Jahre 1886
und 84,69 Kreuzer im Jahre 1891.
§ 9. Die Bedentang der von der metallischen Grundlage losgelösten
^Vährnngen in der Entwicklangsgeschichte des Geldes.
Sowohl die Papierwährung als auch die metallischen Währungen
mit beschränkter Prägung unterscheiden sich darin von den übrigen
Geldsystemen, daß bei ihnen die Wertbildung des Geldes eine voll-
ständig oder doch innerhalb weiter Grenzen freie ist, während bei der
Goldwährung der Wert des Geldes in einer festen Verbindung steht mit
dem Werte des Metalles Gold, bei der Silberwährung mit dem Werte
des Metalles Silber, bei der Doppelwährung mit dem Werte des in der
gesetzlichen Kelation zu günstig bewerteten Metalles und während
bei der Parallelwährung zwei von einander unabhängige Geldsysteme,
eines auf dem Golde, das andere auf dem Silber beruhend, nebenein-
ander hergehen. Bei allen diesen Systemen besteht eine Verknüpfung
des Wertes des Geldes mit dem Werte eines bestimmten Metalles ;
der Geldwert der Hauptmünzen, von dem sich der Wert sämtlicher
Geldarten des Systems ableitet, fällt mit ihrem Stoffwerte zusammen.
Bei den Währungen mit gesperrter Prägung dagegen übersteigt der
Wert des geprägten Geldes seinen Stoffwert oft beträchtlich; bei der
Papierwährung ist das stets der Fall, solange das Papiergeld überhaupt
noch einen Wert hat.
Es fragt sich, worauf bei diesen Währungen der Wert des Geldes
beruht.
In unserer Wirtschaftsverfassung ist das Geld ein gänzlich unent-
behrliches Verkehrswerkzeug. Fortgesetzt besteht eine gar nicht ab-
zuschätzende Menge von Zahlungsverpflichtungen, die auf Geld lauten.
Der Staat hat sich das Recht zu sichern gewußt, ausschließlich das
Geld herzustellen, dessen der Verkehr bedarf, und Münzen und Papier-
scheine irgendwelcher Art zum gesetzlichen Zahlungsmittel für be-
stehende Geldschulden zu erklären. Wenn nun der Staat die Prägung
des Währungsmetalls einstellt und damit eine Vermehrung der üm-
lanfsmittel verhindert, während gleichzeitig der Bedarf des inneren
Verkehrs au Geld und die Nachfrage auf dem Weltmarkte nach
2. Kapitel. Die Entwicklung der Goldsysteme. § 9. 77
Zahluugsmittelu für das betreffende Land steigt, dann muß das darin
zum Ausdrucke kommen, daß sich der Wert des geprägten Geldes über
seinen Metallwert erhebt. Der Mehrwert des geprägten Geldes beruht
darauf, daß in einem gegebenen Zustande der Wirtschaft und des
Rechtes nur das geprägte Metall, nicht auch das ungeprägte Metall, die
Funktionen als Geld erfüllen kann und daß der Staat sich weigert, aaf
Verlangen das Metall in geprägtes Geld zu verwandeln.
Auch der Wert des uneinlösbaren Papiergeldes beruht ausschließ-
lich darauf, daß es vom Staate zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt
ist, daß es zur Erfüllung bestehender Schuldverpflichtungen und staat-
lich auferlegter Geldleistungen verwendet werden kann und daß es für
die wirtschaftlich gänzlich unentbehrlichen Funktionen des Geldes staat-
lich privilegiert ist.
Der Wert beider Arten von Geld beruht mithin weder auf dem
Werte ihres Stofifes an sich, noch darauf, daß sie etwa eine Forderung
enthielten, sondern ausschließlich auf dem ihnen beigelegten Charakter
als gesetzliches Zahlungsmittel.
In diesem Sinne stellen diese Geldarten, namentlich das uneinlös-
bare Papiergeld, einen Markstein in der Entwicklungsgeschichte des
Geldes dar ; sie bilden den entgegengesetzten Pol zu demjenigen, von
welchem die Entwicklung des Geldes ausgegangen ist: Das Geld ent-
stand damit, daß Güter, die ihre wesentliche Bestimmung im gewöhn-
lichen Gebrauche hatten, gelegentlich und nebenbei als Tauschmittel
verwendet wurden. Die Funktionen als gewöhnliches Gebrauchsgut,
z. B, als Schmuck, waren mit der Funktion als Tauschmittel in dem-
selben Gegenstande vereinigt. Allmählich verengerte sich der Kreis
der als Tauschmittel verwendeten Gebrauchsgüter, während gleich-
zeitig der gesamte Kreis der tauschbaren Güter eine große Erweiterung
erfuhr; schließlich bildeten sich die Edelmetalle immer mehr zum aus-
schließlichen Tauschmittel heraus. In der Münze erhielt die Funktion
als Tauschmittel ihre eigentliche Verkörperung. In dieser Form
waren die Edelmetalle nur noch Geld, in uugemünztem Zustande waren
sie bald nur noch gewöhnliche Waren. Die Münze, die anfangs
nur ein nach Gewicht und Feingehalt beglaubigtes Stückchen Edel-
metall war, löste sich im weiteren Verlaufe von dieser Grundlage los,
sie wurde eine selbständige Größe mit wechselndem Substrate. Ihr
durch wechselnde Edelmetallquautltäten gegebener Wert wurde die
Einheit für die Bemessung von Werten überhaupt. Die einzige Ge-
meinschaft zwischen dem Gelde und den übrigen Gütern bestand jetzt
nur noch darin, daß das Geld in seinem Werte mit seinem jeweiligen
tatsächlichen Metallgehalte verknüpft blieb. Allmählich aber wurde auch
dieser letzte Zusammenhang gelockert. Bei einzelnen MUnzstUcken
und MUnzgroppen — zuerst bei den Münzen aus unedlem Metall und
den kleinen, stark legierten Silberm Unzen, dann bei der Gesamtheit
der SilbermUnzen innerhalb der (ioldwährung — wurde ihr Wert als
Geld von dem Werte ihres Stoffes losgelöst und mit dem Werte eines
dritten Wertgegenstandes, mit dem sie stofflich nichts gemein hatten,
in Verbindung gesetzt. Bei den Währungen mit gesperrter Prägung
78 Erstes Buch. I. Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Geldes.
stiejr der Geldwert, ohne sich von einem dritten Stoffe abzuleiten,
Uher das ihm ursprünglich zugrunde gelegte Metalläqnivalent. Schließ-
lich haben wir in dem uneinlösbaren Papiergelde eine Geldart, deren
Wert bei dem gänzlichen Fehlen eines stofiflichen Wertes ausschließlich
auf der Qualilikation zur Verrichtung von GeldfunUtionen beruht.
Damit ist der Kreis geschlossen: Während ursprünglich gewisse
Gebrauchsguter nebenbei auch Geldfunktionen verrichteten, während
die metallischen Münzen durch Einschmelzung und Verarbeitung jeder-
zeit in (lebrauchsgüter verwandelt werden können und ihr Wert an-
fangs ausschließlich, später zum Teil auf der Möglichkeit der Umwand-
lung in Gebrauchsgüter beruht, ist das Papiergeld überhaupt nur als
Geld zu gebrauchen, als Gebrauchsgut ist es wertlos; es ist die reine
Verkörperung der Geldfuuktion.
II. Absolinitt. Die Gestaltuiiii- der Edelmetall- inid
AVähruiigsverhältiiisse seit der Entdeckiiiig Amerikas.
Vorbemerkung.
Im ersten Abschnitte wurde die Entwicklungrsgeschichte des Geldes
im alljremeineu dargestellt. Es wurde gezeigt, wie sich der Begritf
des Geldes allmählich ausbildete und wie sich das Verhältnis des
Geldes zu dem gesamten Kreise der übrigen Güter allmählich bis zu
einer nahezu vollstäiidiiren Trennung differenzierte; es wurde ferner
gezeigt, welchen Entwicklunirsgang die Einrichtung des Geldwesens
durchgemacht hat und wie es allmählich gelungen ist, die aus ver-
schiedenen StoÖen bestehenden Geldsorten zu einheitlichen Geldsysteraen
zusammenzufassen.
Bei der Darstellung dieser aligemeinen Entwicklungsgeschichte
konnten die einzelnen konkreten Vorgänge auf dem Gebiete des Geld-
wesens nur soweit interessieren, und sie wurden nur soweit geschildert,
als sie von markanter Bedeutung für die Entwicklung des Geldes waren
ond in typischer Weise den Fortschritt von einer niedrigeren zu einer
höheren Stufe darstellten. Es handelte sich lediglich darum, das be-
gritriich Wesentliche aus der Flucht und Fülle der tatsächlichen Vor-
gänge und Erscheinungen herauszuschälen.
Der folgende Abschnitt hat einen anderen Inhalt. Er beschäftigt
sich mit der konkreten Gestaltung der FAlelmetall- und Währungsver-
hältt)isse: mit der Geschichte der Produktion, der monetären Verwendung
und des Wertverhältnisses der Edelmetalle sowie der Ausbreitung der
verschiedenen Währungssysteme über die einzelnen Kulturstaaten, Er
reibt in pragmatischer Weise die tatsächlichen Vorgänge aneinander,
aus denen der gegenwärtige Stand der internationalen Währungsver-
fassung hervorgefrarigen ist. indem er lediglich ihre tatsächliche Be-
deutung, nicht ihre begriffliche Erheblichkeit ins Auge faÜt Im ersten
Abschnitte, als die begriffliche Bedeutung der Goldwährung für die
Entwicklung des Geldes dargestellt werden sollte, war es z. B. durchaus
genügend, diese an der ersten Entstehung der (ioldwährung in England
darzutun; die weitere Ausbreitun-r der (ioldwährung über die einzelnen
Kulturstaat»'!! ist zwar von eminenter praktischer Bi-deutunjr, fü^'te aber
der begrifflichen Entwicklung des Geldes kein neues Moment hinzu.
Der Platz flir die Behandlung dieser Verhältnisse ist in dem neuen
Abschnitte gegeben. Dabei ist freilich eine völlifre Scheidunir der beiden
Materien nicht möglich. Wie im ersten Abschnitte stets auf konkrete
Vorgänge und Erscheinungen Bezug genommen werden muüte, so wird
gO Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
auch im folgenden Abschnitte stets die begriffliche Entwicklung des
Geldes zu berücksichtigen sein. Er schildert für den der Gegenwart
am nächsten liegenden größeren Zeitabschnitt die Gesamtheit der wich-
tigeren Vorgänge, aus denen die Entwicklungsgeschichte des Geldes
abstrahiert ist; er soll dadurch ebenso zum Verständnis der tat-
sächlichen Lage der internationalen Edelmetall- und Währungs-
verhältnisse beitragen, wie der erste Abschnitt zum Verständnis der
Stellung des Geldes in der Güterwelt und der inneren Einrichtung der
modernen Geldsysteme.
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und WertTerhältnis.
§ 1. Allgemeines über die Statistik der Edelmetallprodnktion.
Die beiden Edelmetalle Gold und Silber sind seit Jahrtausenden
die wichtigsten Geldstoffe der Kulturländer. Die Eigenschaften, welche
sie als besonders tauglich zur Verrichtung von Geldfunktionen erscheinen
lassen, sind bereits im vorigen Abschnitte geschildert worden; wenn
auch die neuere Entwicklung in der Papierwährung ein Geldsystem
hervorgebracht hat, das von der metallischen Grandlage gänzlich los-
gelöst erscheint, so gilt doch dieses Geldsystem in der allgemeinen
Anschauung als krankhafter Zustand des Geldwesens, dessen möglichst
rasche Beseitigung stets von allen Staaten, die durch politische oder
wirtschaftliche Krisen in die Papierwirtschaft geraten waren, ange-
strebt wurde. ^)
Aus der besonderen Stellung der Edelmetalle im Geldwesen ergibt
sich ohne weiteres die außerordentliche Bedeutung, welche die Gestaltung
der Edelmetallproduktion für die gesarate Entwicklung des Geldwesens
haben mußte. Der Umfang der Produktion von Gold und Silber mußte
einen wesentlichen Einfluß ausüben auf die Ausdehnung des Gebrauchs
von Edelmetallgeld und damit auf die intensive und extensive Ent-
wicklung der Geldwirtschaft. Die im Laufe der Zeit wiederholt ein-
getretenen Verschiebungen im gegenseitigen Verhältnisse der Produktion
von Gold und Silber stellen eines der wichtigsten Momente für die
Gestaltung der Währungsverhältnisse in der Kulturwelt dar. Die Pro-
duktionsverhältnisse der Edelmetalle sind ferner von beträchtlichem
Einflüsse sowohl auf die Gestaltung des Geldwertes an sich, als auch
auf die Entwicklung des gegenseitigen Wertverhältnisses der beiden
Edelmetalle gewesen.
Deshalb erscheint es geboten, diesen neuen Abschnitt mit einer
kurzen Darstellung der Entwicklung der Edelraetallproduktion ein-
zuleiten.
1) Diese praktische Beurteilung der Papierwährung schließt in keiner Weise
aas, daß in der theoretischen Betrachtung die Papierwährung genau ebenso als eine
tatäächlich bestehende Form der Geldverfaasung behandelt und analysiert werden
muß, wie die auf metallischer Grundlage beruhenden Geldsysteme. Knapp hat
durchaus recht, wenn er darauf hinweist, daß es für die theoretische Betrachtung
keine abnormen Erscheinungen und keine Ausnahmen, sondern nur besondere Fälle
^bt (S. 29).
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und Wertverbältnisse. § 1. 81
Eine Statistik der Edelmetallproduktion für weit zurückliegende
Zeiten hat mit den g^rößten Schwierigkeiten zu kämpfen. Einiger-
maßen zuverlässige Angaben sind erst von der Entdeckung Amerikas
an, die für das Geldwesen ebensosehr wie für die allgemeinen wirt-
schaftlichen, politischen und kulturellen Verhältnisse den Beginn der
neueren Zeit bedeutet, vorhanden. Wir verdanken diese Statistik vor
allem den fleißigen und gewissenhaften Forschungen Adolf Soetbeers^),
die eine wertvolle Ergänzung erfahren haben durch Arbeiten von
Lexis und durch die jährlichen Berichte des Münzdirektors der Ver-
einigten Staaten von Amerika. Bei allem Aufwände von Sorgfalt, die
der Gewinnung zuverlässiger Zahlen für die Edelmetallproduktion ge-
widmet worden ist, gilt für diese Statistik bis in die Mitte der 70 er
Jahre des 19. Jahrhunderts hinein die Bemerkung, die Soetbeer in
seinen „Materialien" gemacht hat:
„Blickt man auf die Statistik der Edelmetallproduktion früherer
Zeiten, so wird jeder Sachverständige einräumen, daß selbst den mit
größter Mühe und Gewissenhaftigkeit nach wiederholter Prüfung end-
lich zustande gebrachten Aufstellungen der Charakter großer Un-
sicherheit verbleibt, daß manche ziffernmäßige Angaben nur auf ge-
wagten und ungefähren Schätzungen mit weiten Fehlergrenzen und
mitunter selbst nur auf objektiven Wahrscheinlichkeitsvermutuugen
beruhen, welche sich an sehr wenige und schwache Anhaltspunkte
knüpfen. Wenn man aber nicht überhaupt auf eine zusammenhängende
und umfassende Statistik der Edelmetalle verzichten will, so sind
solche annähernden Schätzungen und Vermutungen als Notbehelf un-
entbehrlich."
Es ist erklärlich, daß in Anbetracht dieser unsicheren Grandlage
die Resultate, zu denen die verschiedenen Forscher gekommen sind,
für einzelne Perioden nicht unerheblich von einander abweichen. Im
großen Ganzen haben sich für die Zeit bis zum Ende der 80 er Jahre
des 19. Jahrhunderts die Soetbeerscheu Zahlen, für die spätere Zeit
die Angaben des amerikanischen Münzdirektors des größten Ansehens
zu erfreuen. Seit dem Beginne der 70 er Jahre haben die Grundlagen
der Statistik der Edelmetallproduktion an Zuverlässigkeit und Voll-
ständigkeit so sehr gewonnen, daß erheblichere Abweichungen von
der Wirklichkeit und größere Differenzen in den Ergebnissen der
einzelnen Untersuchungen nicht mehr möglich sind. Seitdem die
„Währungsfrage" aufgetaucht und brennend geworden ist, war das
praktische Interesse an den Edelmetallverhältnissen so stark geworden,
daß in allen wichtigen Produktionsgebieten der Beobachtung der
Edelmetallgewinuung die erforderliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit
zugewendet wurde.
1) Siohe namentlich ^Edelmetallproduktion und WertverliältniH zwischen Gold
und Silber seit der Entdeckiin); Amerikas bis zur (iCKCnwart". (totha 1879; „Mate-
rialien zur Erläuterunjf und Heiirteiluiii^ der wirtschaftliclieu Edelnietallverhültnisse
und der \Vähruu£jsfra<^e". 2. Aufl. Berliu 1880; „Literaturnachweis über Geld- und
Milnzwesen", Berlin 1892.
U e n f e r 1 h , Da« QeM. 6. Aufl. 6
82 Erstes Buch. 11. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse,
§ 2. Allgemeine Febersicht über die Eati^icklung: der Produktion
von (Jold und Silber').
Von den beiden Edelmetallen und walirscheinlich von allen Metallen
überhaupt ist das Gold zuerst von i\vn Mciisclieu gewonnen worden.
Die l'rsache ist. da(i Gold fast nur in ^'cdiegeiieni Zustande oder in
Verbindung mit Silber vorkoninit, und zwar vielfach im Sande und in
den Ablagerungen der Flüsse in Form von Körnern und riättchenj
die bei der Widerstandsfähigkeit des Goldes gegen die Einwirkungen
von Luft und Wasser durch ihren Metallglanz die Aufmerksamkeit auch
der noch auf primitiver Kulturstufe stehenden Menschen auf sich ziehen
mußten. Zu der leichten Gewinnung des Goldes kommt hinzu seine
Fornibarkeit, die es in \'erbindung mit seinem schönen Metallglanze
als ganz besonders geeignet zur Herstellung von allerlei Schmuck-
gegenständen erscheinen ließ. So erklärt es sich, daß man primitiven
Goldschmuck auch bei wilden Völkerschaften fast überall vorgefunden
hat, wo die Flüsse Gold mit sich führen und wo Gold in Schwemm-
landen vorkommt.
Wesentlich ungünstiger liegen die Verhältnisse beim Silber. Das
weiße Metall kommt nur in verhältnismäßig geringen Mengen in ge-
diegenem Zustande vor; meist ist es verbunden mit Chlor, Hleiglanz,
Schwefel, Arsen und Antimon. Seine Gewinnung setzt im allgemeinen
bereits einen regelrechten Bergbau und eine vorgeschrittene Verhüttungs-
technik voraus; sie bietet nicht nur beträchtlich größere Schwierig-
keiten als die Goldgewinnung, sondern vielfach auch als die Kupfer-
gewinnung. Es klingt deshalb durchaus nicht unwahrscheinlich, daß
die arischen Nölker das Silber erst nach dem Golde und dem Kupfer
kennen gelernt haben,
Ueber die Produktion von Gold und Silber während des Alter-
tums und Mittelalters liegen nur spärliche Notizen vor, deren Zu-
verlässigkeit — wenigstens in quantitativer Beziehung — mehr als
zweifelhaft ist. Wir wissen aus einzelnen Inschriften usw., daß in
Vorderasien im 9., 8. und 7. Jahrhundert vor Christi Geburt schon
recht erhebliche Mengen von Gold vorhanden gewesen sein müssen:
80 soll Sanherib laut einer Keilinschrift dem jüdischen König Hiskia
eine Zahlung von 300 Talenten Gold auferlegt haben, was — bei Be-
wertung des Goldtalentes auf etwa 70000 Goldmark — eine Summe von
etwa 21 Millionen Goldmark ergibt. Sicherlich sind zur Zeit des lydischen
Königreichs in Kleinasien aus den Ablagerungen der Flüsse erhebliche
Mengen von Gold gewonnen worden. In Oberägypten und Nubien ist
regelrechter Goldbergbau in Quarzgängen betrieben worden; auch aus
Arabien, der Ostküste von Afrika und vielleicht auch von Indien
ist in jener Zeit Gold nach Vorderasien gekommen. Zur griechischen
Zeit wurde auf Thasos, in Thrazien und Mazedonien Gold im Wege
des Bergbaues gewonnen; die Gruben wurden teilweise noch zur
Römerzeit ausgebeutet. Zur Zeit des Polybius wurde viel Gold in
den Schwemmlanden von Aquileja gewonnen, Iteiche Erträge warfen
') V{rl außer den bereits zitierten Arbeiten von Soetbeer vor allem die
Artikel „Edelmetalle", „Gold und Goldwährun£j", „Silber und Silberwährung" von
Lexia im Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
3, Kapitel. Edelmetallproduktioo und Wertverhältnisse. § 2. 83
vor allem die Goldwäschereien und Goldbergwerke in Spanien ab.
Dazu kamen in der Kaiserzeit die Goldbergwerke im Gebiet des
heutigen Salzburg und Kärnten sowie in Galizien. Sicher hat in den
ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt die Goldgewinnung sehr er-
heblich abgenommen.
Was das Silber anlangt, so ist die Herkunft des zweifellos nicht
unerheblichen Silberbestandes im babylonischen Gebiete bis zum heutigen
Tage noch unaufgeklärt. Die reichen Silberbergwerke Spaniens sind
wahrscheinlich schon sehr frühzeitig (wohl bereits gegen Ende des
2. Jahrtausends vor Christus) von den Phöniziern ausgebeutet worden.
Später — während der Glanzperiode Athens — haben die Bergwerke
von Laurion stattliche Erträgnisse geliefert. Sporadisch wurde Silber
auch in Cypern, Thrazien und Kleinasien gewonnen. Zur römischen
Zeit stammte die Silbergewinnung vorwiegend aus dem Silberbergbau
Spaniens, der nach dem ersten Punischeu Kriege zunächst von den
Karthagern, dann von den Kömern zu einer ganz neuen Blüte gebracht
worden zu sein scheint. Ebenso wie die Goldgewinnung zeigte auch
der Silberbergbau in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt
einen unaufhaltsamen Rückgang; im 5. Jahrhundert scheint er im west-
römischen Reiche gänzlich aufgehört zu haben.
Das 5., 6. und 7. Jahrhundert nach Christi Geburt hat bei nahezu
stillstehender Edelmetallproduktion und bei einem starken Abfluß von
Edelmetall nach dem byzantinischen Reiche und dem entfernteren Osten
offenbar eine außerordentliche Verringerung des Edelmetallbestandes
von Westeuropa herbeigeführt.
Von der Karolingerzeit an hat die Gewinnung beider Metalle
wieder einen Aufschwung genommen. Die Goldwäscherei an den
französischen und deutschen Flüssen, die niemals ganz aufgehört hatte,
scheint wieder mit größerem Nachdruck betrieben worden zu sein.
Der Betrieb der Goldbergwerke in Ungarn und Siebenbürgen ist wahr-
scheinlich schon im 8. Jahrhundert wieder aufgenommen worden; um
dieselbe Zeit sollen Goldfunde in Böhmen gemacht worden sein, wo
die Goldwäsehereien vom 11. bis zum 14. Jahrhundert steigende Ertrag-
nisse lieferten. Der Höhepunkt der westeuropäischen Goldprodukliou
fällt in das 15. Jahrhundert, in dem auch die salzburgischen Berg-
werke erhebliche Erträge abwarfen. Sogar aus Afrika ist in jener
Zeit diiic!; den allmählich an Bedeutung und Ausdehnung gewinnenden
Handel Gold in größeren Beträgen nach Westeuropa gekommen.
Rascher als die Goldgewinnung scheint sich die Silberproduktion
von dem Tiefstande der drei Jahrhunderte vor der Karolingerzeit er-
holt zu haben. Für eine günstigere Gestaltung der Silberversorgung
spricht schon der Umstand, daß der noch von den Merovvingern fest-
gehaltene Goldsolidus immer mehr durch das Silbergeld ersetzt worden
ist und daß die von Karl dem Großen vorgenommene Neuordnung des
MUnzwesens durchaus auf der Basis des Silbers beruhte. Vielleicht schon
unter Pipin, jedenfalls aber unter Karl dem Großen waren die
Silberminen von Melle in Poitou im Betrieb. Ini 9. Jahrhundert scheinen
die Silberbergwerke im Lebertal im Elsaß mit gutem Erfolg in Angriff
genommen worden zu sein; von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
ü*
84 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts hat jedoch der Betrieb wegen
technischer Schwierigkeiten (Wasserandrang) geruht. Nicht viel später
als im Lebertal wurde im Breisgau der Silberbergbau aufgenommen
(urkundlich nachweisbar schon 1028); dazu kam der Silberbergbau iu
Maasmllnster. Von erheblicher Bedeutung war die um das Jahr 970
aufgenommene Silbergewinnung im Harz, die im 12. Jahrhundert einen
Höhepunkt erreicht zu haben scheint. Dazu kam iu der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts die Silbergewinnung aus dem Mausfelder Kupfer-
schiefer und die Inangrififnahme des Silberbergbaues iu der Gegend von
Freiberg in Sachsen. Größere Silberquantitäteu als irgendein anderes
Produktionsgebiet lieferte vom Beginne des 13. Jahrhunderts an bis zum
Ausgange des Mittelalters Böhmen. Um die Wende des 13. und 14. Jahr-
hundt-rts scheinen hier die größten Ergebnisse erzielt worden zu sein.
Auch Ungarn, namentlich die Gegend von Schemnitz, hat schon früh-
zeitig Silber produziert.
Außerhalb des Gebietes des heutigen Deutschen Reiches und Oester-
reich-Ungarus war während des ganzen Mittelalters sowohl die Gold-
ais auch die Silbergewinnung nur unbedeutend. Schweden, Norwegen,
Spanien und Italien lieferten nur geringe Beiträge.
Im ganzen blieb, trotz der relativen Steigerung, die Silberproduk-
tion bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts gering. Lexis schätzt die
jährliche Silbergewinnung Europas für das 8. und 9. Jahrhundert auf
etwa 1 Million Silbermark (die Silbermark = ^/g Silbertaler = ^/^g^j kg
Silber), für das 10. und 11. Jahrhundert auf etwa 2 Millionen, im 12.
und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf 3 Millionen, von
1250 bis 1450 auf 5 Millionen Silbermark. Die Goldproduktion war
dem Werte nach in den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters
zweifellos beträchtlich größer als die Silbergewinnuug. Lexis ist ge-
neigt, für das 14. und 15. Jahrhundert, in welcher Periode das Gold-
geld im Großverkehr das Silber mehr und mehr verdrängt hat, die
europäische Goldgewinnung zuzüglich der Goldeiufuhr aus Afrika auf
durchschnittlich 10 Millionen Goldmark im Jahr zu veranschlagen. —
Ein gänzlicher Umschwung in der Edelmetallversorgung Europas
ist vom Beginne des 16. Jahrhunderts an eingetreten. Die Entdeckung
der neuen Welt mit ihrem alle früheren Vorstellungen weit übertreffenden
Edelmetallreichtum hat eine neue Aera eingeleitet, die hinsichtlich der
Größe der Verhältnisse mit den früheren Zeiten überhaupt nicht mehr
zu vergleichen ist. Vorbereitet war dieser völlige Umschwung schon in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch eine erneute Zunahme
der europäischen Edelmetallgewinnung selbst, vor allem durch eine für
die damaligen Verhältnisse gewaltige Zunahme der europäischen Silber-
gewinnung.
Für die mit der Entdeckung Amerikas beginnende neue Periode
steht uns ein weit reicheres und zuverlässigeres Zahlenmaterial zur
Verfügung, und dieses Material hat durch deutschen Gelehrtenfleiß die
denkbar gründlichste Bearbeitung erfahren. Wir bewegen uns also von
nuD an auf einem festeren Boden als bisher.
Um einen allgemeinen Ueberblick über die Gestaltung der Edel-
metallproduktioD von der Entdeckung Amerikas au zu ermöglichen,
3. Kapitel. Edelmetallprodnktion und Wertverhältnisse. § 2.
85
seien zunächst die Durchschnittszahlen der gesamten Weltproduktion
für längere Perioden mitgeteilt (s. nachstehende Tabelle). Die Zahlen be-
ll ebersicht über die Edelmetallproduktion der Welt.
(Die Zahlen beziehen sich auf die Jahresdurchschnitte der einzelnen Porioden.)
Von der Gesamtproduktion
Perioden
G
old
Sil her
kommen
auf das
Gold
Silber
bzw. Jahre
kg
1000 Älark
kg
1000 Mark
Proz.
vom
Proz
. vom
(Marktwert)
Gewiohl
Wert
Gewiaht
Wert
149a— 1520
5 800
16 182
47000
12 220
11,0
57,0
89,0
43,0
1521—1544
7 160
19 976
90200
22 370
7,4
47,2
92,6
52,8
1545—1560
8 510
23 742
311600
76 965
2,7
23,6
97,3
76,4
1561 — 1580
6 840
19 083
299500
72 779
2,2
20,8
97,8
79,2
1581—1600
7 380
20 590
418900
98 860
1,7
17,2
98,3
82,8
1601-1620
8 520
23 771
422900
96 412
2,0
19,8
98.0
80,2
1621—1640
8 300
23 157
393 600
78 326
2,1
22,8
97,9
77,2
1641 — 1660
8 770
24 468
366300
70 UO
2,3
25.8
97,7
74,2
1661—1680
9 260
25 835
337000
62 682
2,7
29,2
97,3
70,8
1681 — 1700
10 765
30 034
341900
63 593
3,1
32,1
96,9
67,9
1701 — 1720
12 820
35 768
355600
65 075
3,5
35.5
96,5
64.5
1721 — 1740
19 080
53 233
431200
79 772
4,2
40,0
95,8
60,0
1741—1760
24 610
68 662
533145
100 764
4,4
40,5
95,6
59,5
1761-1780
20 705
57 767
652740
124 021
3,1
31,8
96,9
68,2
1781—1800
17 790
49 634
879060
162 626
2,0
23,4
98,0
76,6
1801—1810
17 778
49 600
894150
160 053
1,9
23,7
98,1
76,3
1811 — 1820
11445
31932
540770
97 339
2,1
24.7
97,9
75,3
1821—1830
14216
39 663
460560
81 519
3.0
32,7
97,0
67,3
1831—1840
20 289
56 606
596450
105 572
3,3
34,9
96,7
65,1
1841-1850
54 759
152 777
780415
137 353
6,6
52,7
93,4
47,3
1851-1855
199 388
556 308
886115
160 387
18,4
77,6
81,6
22,4
1856—1860
201 750
562 899
904 99ü
164 709
18,2
77,4
81,8
22,6
1861—1865
185 057
516 326
1101150
199 308
14,4
72,1
85,6
27,3
1866-1870
195 026
544 139
1339085
239 696
12,7
69,4
87,3
30,6
1871 — 1875
173 904
485 207
1969425
314 649
8,1
58.5
91.9
41,5
1876—1880
172 414
481 045
2450252
382 062
6,6
55,7
93.4
44,3
1881—1885
154 959
432 300
2808400
424 800
5,3
50,4
94,7
49.6
1886—1890
169 869
473 934
3387 532
448 000
4,8
51,4
95,2
48,6
1891 — 18« >5
245 170
681031
4 901333
554 200
4,8
55,9
95,2
44,1
1896—1900
387 257
1080 447
5154551
428 806
7,0
71,6
93,0
28,4
1901—1905
485 434
1 354 359
5 226191
404 015
8,5
77,0
91,5
23,0
1906—1910
652 302
1811)922
6135 348
480 518
9,6
79,1
90.4
20,9
1911—1920
647 936
1807 741
5 906681
594 060
9,1
75,3
90,9
24,7
ruhen bis 1890 auf der Soetbeerschen Statistik, für die späteren Jahre
auf den Angaben des amerikanischen MUnzdirektors.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begannen die Silberbergwerke
im sächsischen Erzgebirge, in Böhmen und Tirol erheblichere Silber-
86 Erstes Buch. II. Abächnitt. Die Gestaltimg der Edelmetallverhältnisse.
nieiifren zu liefern; gleichzeitig; wurden aus den durch die portugie-
sischen Seefahrer in jenen Jahrzehnten entdeckten afrikanischen Küsten
beträchtliche Quantitäten von Goldstaub nach Europa gebracht; aus
Amerika kam anfangs (vor der Eroberung Mexikos und Perus) nur
Gold, und zwar in nicht sehr erheblichen Mengen. Soetbeer schätzt,
wie aus der Tabelle auf S. 85 hervorgeht, für die erste Periode seiner
statistischen Untersuchungen, die von 1493 bis 1520 reicht, die jährliche
Produktion von Gold auf ungefähr 5800 kg im Werte von 16 Millionen
Mark, von Silber auf etwa 47 000 kg im Werte von 12 Millionen Mark.
Die seither verflossenen Jahrhunderte haben eine ganz außer-
ordentliche, wenn auch nicht ununterbrochene Steigerung der Gewin-
nung beider Edelmetalle gebracht. Die Goldproduktion ist von 5800 kg
auf 768 000 kg im Jahre 1913 gestiegen, die Silberproduktion von
47 000 kg auf mehr als 7 Millionen kg im Jahre 1911.
Die erste und am meisten in die Augen fallende Ursache dieser
Entwicklung war die Entdeckung neuer und reichhaltiger Lagerstätten.
Dazu kommt aber als ein zweiter, namentlich für die neuere Zeit über-
aus wichtiger Faktor der Fortschritt in der Technik des Bergbaues und
der P>7.verarbeitung, durch den der Abbau minder ergiebiger Bergwerke
und die Verarbeitung geringhaltiger Erze in stets größer werdendem
Umfange ermöglicht wurde, ja sogar die Wiederaufnahme der Ausbeu-
tung von früher als abgebaut aufgegebenen Bergwerken und die Auf-
arbeitung von Rückständen aus früher verarbeiteten Erzen.
In den folgenden Paragraphen soll die Gestaltung der Produktion
eines jeden der beiden Edelmetalle im einzelnen besprochen werden.
§ 3. Die Qoldprodnktion von 1493 bis zur Gegenwart.
Wenn man die Zahlenreihen der Tabelle auf S. 85 überblickt,
dann lassen sich sowohl für die Gold- als auch für die Silbergewinnung
gewisse, sich durch Richtung und Stärke der Entwicklung von einander
unterscheidende Perioden deutlich erkennen.
1. Periode: 1493 — 1680. — Die Goldgewinnung zeigte zunächst
bis zur Wende des 17. und 18. Jahrhunderts eine allmähliche und nur
wenig unterbrochene Zunahme. In Europa standen die salzburgischen
Goldbergwerke von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
auf dem Höbepunkte ihrer Ergiebigkeit, während die Goldproduktiou
Siebenbürgens und die Goldwäschereien an deutschen, böhmischen und
französischen Flüssen mit dem Beginne des 16. Jahrhunderts ihre Blüte-
zeit bereits überschritten hatten. Während aber die salzburgische Pro-
duktion von der Mitte des 16. Jahrhunderts an überhaupt nicht mehr
in Betracht kam und während die europäischen Goldwäschereien jähr-
lich nur einige hunderttausend Mark brachten, hat Siebenbürgen immer-
hin während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts noch einigermaßen an-
sehnliche Goldmengen geliefert. Nach S o e t b e e r ist die Goldproduktion
Oesterreich-Ungarns, wie es bis zum Ende des Weltkrieges bestand,
von 1500 — 1520 auf durchschnittlich 2000 kg pro Jahr = ca. 5,6 Millionen
Goldmark zu veranschlagen bei einer Weltproduktion von etwas mehr
als i6 Millionen Goldmark; von 1545 — 1780 dagegen nimmt Soetbeer
für die österreichisch-ungarische Goldproduktion nur noch 1000 kg
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und Wertverhältnisse. § 3, 87
= ca. 2,8 Millionen Goldmark, pro Jahr an. Dag;egen hat in jener Zeit
des Rückgangs der europäischen Goldgewinnung zunächst Afrika und
dann vor allem die neue Welt einen überreichlichen Krsatz geliefert.
Nach Soetbeer ist es bis zur Ausbeutung der Goldfelder in Neu-
granada und Brasilien (17. und 18. Jahrhundert) höchstwahrscheinlich
Afrika gewesen, welches dem europäischen Verkehr nachhaltig und in
verhältnismäßig bedeutender Menge Gold zugeführt hat. Die Portugiesen
haben im 16. Jahrhundert nicht unerhebliche Goldsummen, die wahr-
scheinlich aus dem südöstlichen Afrika stammten, nach Europa gebracht;
Guinea hat in der zweiten Hafte des 17. Jahrhunderts den Engländern
erhebliche Goldmengen geliefert. Soetbeer schätzt die Goldzufuhr aus
Afrika während des 16. Jahrhunderts auf mehr als 690 Millionen, während
des 17. Jahrhunderts auf ungefähr 560 Millionen Goldmark. Auch aus
Japan sollen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahr-
hundert durch die Portugiesen und später durch die Holländer nicht
unerhebliche Goldmengen nach Europa gebracht worden sein.
Die Goldbeträge, die in den ersten Jahrzehnten nach der Ent-
deckung Amerikas von den Antillen und den Küsten des Golfes von
Mexiko nach Europa versendet worden sind, wurden früher meist über-
schätzt. Die Goldwäschereien der Spanier auf den Antillen haben
nur auf Hispaniola in der Zeit von 1500 bis 1520 größere Erträgnisse
geliefert; 1515 war der Höhepunkt bereits überschritten. Lexis
glaubt, daß man eher zu hoch als zu niedrig greift, wenn man den
ganzen Goldertrag Amerikas von 1500 bis 1521 auf 15 Millionen Gold-
mark veranschlagt. In den folgenden Jahrzehnten lieferte die Plünderung
der in Mexiko und Peru aufgehäuften Schätze sowie die Aufnahme
des Goldbergbaues in Mexiko und Südamerika für die damalige Zeit
erhebliche Beiträge zur Goldversorgung Europas. Freilich hat die
genauere Prüfung ergeben, daß die früheren Berichte über die Gold-
ausbeute in jenen Ländern stark übertrieben waren. Lexis schätzt,
in der Hauptsache im Anschluß an Soetbeer, für die Zeit von 1522
bis 1547 das in Mexiko erbeutete und produzierte Gold auf höchstens
80 Millionen Goldmark, das sind 3,2 Millionen Goldmark im Jahres-
durch.schnitt; für die Zeit vor 1548 bis 1700 nimmt er einen durchschnitt-
lichen jährlichen Goldertrag der mexikanischen Bergwerke von höchstens
1 Million Goldmark an, für das 18. Jahrhundert eine allmähliche Stei-
gerung des jährlichen Ertrags bis auf 4 Millionen Goldmark. Die
gesamte Goldausbeute der Spanier in Peru wird auf etwa 20 Millionen
Goldmark veranschlagt, von denen allein etwa 16 Millionen auf das
bekannte Lösegeld Atahualpas kamen. Die Erträgnisse der stellen-
weise reichen VVaschgoldlager im Gebiete des damaligen Vizekönig-
reiches Peru (einschl. des heutigen Ecuador und Holivia) werden für
die Zeit von 1534 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts auf 21(i Millionen
Goldmark (etwa 3,2 Millionen Goldmark im Jahresdurchschnitt), für das
17. Jahrhundert auf 4,5 Millionen (roldniark im Jahresdurch-
schnitt ge.schätzt. Einige Millionen Goldmark pro Jahr lieferte seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts auch die CJoldgewinnung in Chile. — Für
das wichtigste (foldproduktionsland von der zweiten Hälfte des 16. bis
zaro Ende des 17. Jahrhunderts hält Soetbeer Neugranada. Schon in
88 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltaug der Edelmetallverhältuisse.
den 30 er Jahren dea 16. Jahrhunderts fanden die Spanier dort im
Besitze der Eiiig:ehorenen erbebliche Goldmengeu. Soetbeer schätzt
das durch Plünderung und später durch Goldwäscherei gewonnene Gold
für die Zeit von 1537 bis 1600 auf 5,58 Millionen Goldmark im Jahres-
durchschnitt; für das 17. Jahrhundert auf 9^/^ Millionen Goldmark, für
die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts auf nahezu 14 Millionen Gold-
mark. I^exis hält diese Zahlen für erheblich zu hoch gegriflfen; nach
seinen Angaben wäre für die Zeit von 1533 bis 1600 nur eine jähr-
liche Durchschnittsausbeute von 3,2 Millionen Goldmark, für das
17. Jahrhundert eine solche von 6,8 Millionen Goldmark, für das 18. Jahr-
hundert von 7,8 Millionen Goldmark anzunehmen.
Nach den Soetbeerschen Schätzungen ist in dieser ersten Periode
die für Europa in Betracht kommende jährliche Goldgewinnung ins-
gesamt gestiegen von 5800 kg im Werte von 16,2 Millionen Goldmark
in der Zeit von 1493 bis 1520 auf 9260 kg im Werte von 25,8 Milli-
onen Goldmark in den zwanzig Jahren von 1661 bis 1680.
2. Periode: 1681—1760. — Gegen Ende des 17. Jahrhunderts
machte die allmähliche Steigerung der Goldproduktiou, die seit der
Entdeckung Amerikas zu beobachten war, einem plötzlichen und
starken Aufschwünge Platz. Die Ursache war die Auffindung und
Ausbeutung von Goldlagern in Brasilien, deren Reichtum denjenigen
aller bisherigen Fundstätten weit übertraf. Gegenüber der brasili-
anischen Produktion traten auch die an und für sich immer noch er-
heblichen Erträgnisse von Neugranada vollständig in den Hintergrund.
Das geht deutlich aus der folgenden Zusammenstellung hervor, in
der die brasilianische Goldproduktion der gesamten Goldproduktion der
Erde gegenübergestellt ist:
Durchschnitt
Gesamte
Goldproduktion
Brasilianische
Goldproduktion
Produktion
außerhalb Brasiliens
1681—1700
1701—1720
1721—1740
1741—1760
30,0 Mill. M.
35,8 „ „
53,2 „ „
68,7 „ „
4,2 Mill. M.0
7,7 „ „
24,9 „ „
40.7 . „
25,8 Mill. M.
28,1 , „
28,3 „ „
28.0 ., ..
Während die gesamte Weltproduktion von 30 auf 68,7 Millionen
Goldmark stieg, ist die gesamte Goldproduktion außerhalb Brasiliens
nahezu stabil geblieben.
3. Periode: 1761—1820. — In den zwei Jahrzehnten von 1741
bis 1760 hatte die Goldproduktion ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Von 1761 an ging die brasilianische Goldgewinnung infolge der Er-
schöpfung der Goldfelder fast ebenso rapid zurück, wie sie vom Ende
des 17. Jahrhunderts an zugenommen hatte. Soetbeer gibt für die
brasilianische Goldgewinnung folgende Zahlen (Jahresdurchschnitte):
1741-^1760 40,7 Millionen Goldmark
28,9 „ „
1761—1780
1781—1800
1801—1810
1811—1820
15,2
10,5
4,9
>) 1691—1700.
8. Kapitel. EdelmetaUprodaktion und Wertverhältnisse. § 3. 89
Die übrigen Produktionsgebiete, von denen Neogranada wieder
das wichtigste wurde — seine Goldproduktion betrag nach Soetbeer
1801 bis 1810 nahezu 14 Millionen Goldmark, 1811 bis 1820 immer
noch 8,4 Millionen Goldnuirk — , zeigten nicht entfernt eine Steigerung,
die ausreichend gewesen wäre, um den Rückgang der brasilianischen
Produktion auszugleichen. Vielmehr hatten in den ersten Jahrzehnten
die politischen Vorgänge im spanischen Amerika — die Unabhängigkeits-
kriege der sich aus den Trümmern des spanischen Kolonialreiches
bildenden mittel- und südamerikanischen Republiken — die Wirkung,
die Goldgewinnung auch in diesen wichtigen Produktionsgebieten zu
beeinträchtigen. So ging — immer nach Soetbeer — die Goldge-
winnung Mexikos von durchschnittlich 4,9 Millionen Goldmark im Jahr-
zehnt 1801 bis 1810 auf 2,9 Millionen Goldmark im folgenden Jahr-
zehnt zurück, die Goldgewinnung von Peru und Bolivia sank in derselben
Zeit von 5 auf 2,9 Millionen Goldmark pro Jahr, und Neogranada hatte
eine Abnahme seiner durchschnittlichen Goldgewinnung von 5,6 Millionen
Goldmark zu verzeichnen. In Europa und den übrigen Gebieten blieb
die Goldproduktion auf ihrem niedrigen Stande. Die Wirkung war,
daß die Gesamtproduktion von 68,7 Millionen Goldmark im Jahres-
durchschnitte der zwanzig Jahre 1741 bis 1760 auf 31,9 Millionen
Goldraark im Jahrzehnt 1811 bis 1820 herabging.
4. Periode: 1821—1847. — Von den 20er Jahren des 19. Jahr-
hunderts an trat in der Bewegung der Goldproduktion wieder ein Um-
schwung ein; die neue Steigerung vollzog sich zunächst langsam, um
gegen Ende der 40er Jahre ein rapides Tempo einzuschlagen. Der
Umschwung wurde eingeleitet durch die gewaltigen Fortschritte der
russischen Goldgewinnung im Ural und später auch in Sibirien. Noch
für das Jahrzehnt 1811 bis 1820 berechnet Soetbeer die russische
Goldgewinnung auf nur 9C0000 Goldmark im Jahresdurchschnitt. Die
Aufschließung ergiebiger Schwemmlande brachte Rußland bereits im
folgenden Jahrzehnt an die Spitze aller Goldproduktionsländer. Nach
amtlichen russischen Quellen betrug die russische und sibirische Gold-
gewinnung durchschnittlich:
1816-1820
277 kg') = 1,4 Millionen Goldmark
1821 — 1830
3451 „ = 8,8
1831 — 1840
7090 „ = 18,0 ,. „
1841 — 1845
17936 „ = 45,0
1846—1850
26518 ,. = 67,6
Wenn auch die Goldgewinnung in den anderen Prodoktionsgebieten,
namentlich in Brasilien, sich allmählich wieder hob, so handelte es sich
dort nur um Beträge von wenigen Millionen Goldmark, die gegenüber
der gewaltigen Steigerung der russischen Goldproduktion ganz zurück-
traten. E» ist nahezu ausschließlich Rußland gewesen, dessen Gold-
wäschereien die für Europa in Betracht kommende Goldgewinnung von
31,9 Millionen Goldmark im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1811
bis 1820 auf etwas mehr als 100 Millionen Goldmark im Jahresdurch-
echnitt von 1841 bis 1847 steigerte.
1; Die Angaben beziehen sich auf Gold vun ^' ,, Feinheit
90 Erstes Bnch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverbältnisse.
5. Teriode: 1848—1870. — Mit dem Jahre 1848 begann eine
neue Phase der Goldgewinnung;, die sieh gegenüber der früheren Zeit
noch beträchtlich stärker unterscheidet, als die mit der Entdeckung
Amerikas eingeleitete Epoche gegenüber den vorhergegangenen Jahr-
hunderten.
Im Jahre 1848 wurden in Kalifornien Goldfelder entdeckt, deren
Reichtum alles bisher Dagewesene weit hinter sich ließ. Im Jahre 1851
■wurden ähnlich reiche Fundstätten in Australien (Viktoria und Neu-
sUdwales) aufgeschlossen. In den 60 er Jahren folgte die Entdeckung
von Goldfeldern und Goldbergwerken von großer Ergiebigkeit in einer
Keihe anderer Staaten des westlichen Nordamerika (Colorado, Dakota,
Montana, Nevada). Ende der 50 er Jahre begann die Goldgewinnung
in Neuseeland, Ende der 60 er Jahre in Queensland.
Die Vereinigten Staaten allein lieferten im Jahresdurchschnitt des
Jahrfünfts 1851 bis 1855 für 248 Millionen Goldmark Gold; die fol-
genden Jahre hielten sich freilich nicht ganz auf dieser Höhe, immerhin
stellte sich die Produktion im Jahrfünft 1866 bis 1870 durchschnittlich
auf 212 Millionen Goldmark. Australiens Goldgewinnung erreichte
ihren höchsten Stand im Jahrfünft 1856 bis 1860 mit durchschnittlich
230 Millionen Goldmark; im Jahrfünft 1866 bis 1870 betrug die jähr-
liche Goldgewinnung dieses Erdteils immer noch 196 Millionen Gold-
mark. Dabei blieb auch die Produktion Rußlands auf der beträchtlichen
Höhe, die sie am Ende der 40 er Jahre erreicht hatte, ja sie erfuhr,
während die amerikanische und australische Produktion bereits wieder
anfing zurückzugehen, eine neue Steigerung; im Jahresdurchschnitt des
Jahrfünfts 1866 bis 1870 stellte sie sich nach Soetbeer auf 84 Millionen
Goldmark.
Insgesamt betrug die Goldgewinnung des Jahrzehnts 1851 bis
1860 im Jahresdurchschnitt etwa 200 000 kg im Werte von etwa 560
Millionen Goldmark, und das folgende Jahrzehnt hielt sich mit 900000 kg
im Werte von etwa 530 Millionen Goldmark nahezu auf dieser Höhe.
Die durchschnittliche Produktion dieser zwei Jahrzehnte war nahezu
18 mal stärker als diejenige des Jahrzehnts 1811 bis 1820 gewesen
war; die gesamte Produktion der beiden Jahrzehnte lieferte fast
ebensoviel Gold, wie die vorausgegangenen 250 Jahre von 1600 bis
1860 zusammen genommen,
6. Periode: 1871— 1890. — Vom Beginn der 70 er Jahre an trat
ein vorübergehender Rückschlag ein. Wie aus der Tabelle auf S. 96
ersichtlich ist, zeigte insbesondere die Goldproduktion Australiens,
dessen goldhaltige Schwemmlande zum größten Teile erschöpft waren,
einen starken und bis zur Mitte der 80er Jahre kaum unterbrochenen
Rückgang. Sie erreichte 1886 ihren tiefsten Punkt mit weniger als
40 000 kg (gegen 82400 kg im Jahresdurchschnitt des Jahrfünfts 1856
bis 1860). In nicht viel schwächerem Grade trat die Erschöpfung der
kalifornischen Goldfelder in der Produktion der Vereinigten Staaten in
Erscheinung, die im Jahre 1883 auf der Goldproduktion von 45000 kg
(gegen 88 000 kg im Jahresdurchschnitt 1851 — 1855) ankamen. Auch
die Goldgewinnung Rußlands, die bis zum Ende der 70er Jahre stetig
an Umfang gewonnen hatte, zeigte vom Jahre 1880 an eine nicht un-
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und Wertverhältnisse. § 3. 91
■wesentliche Abnahme. Die Ubrif^en weniger bedeutenden Produktions-
länder vermochten geg»;nUber diesem Ausfalle in den wichtigsten Ge-
bieten nicht entfernt einen ausreichenden Ersatz za bieten, und so
verringerte sich die Weltproduktion von Gold von 195000 kg im
Durchschnitt des Zeitraumes 1851 bis 1870 auf 148 600 kg im Jahre 1883.
Damit war der tiefste Punkt erreicht, aber eine entscheidende Besserung
brachten die nächsten Jahre noch nicht. Es hatte damals den Anschein,
als ob die reichsten Goldlager der Erde unaufhaltsam ihrer gänzlichen
Erschöpfung entgegengingen und als ob damit endgültig eine Periode
abnehmender Goldgewinnung eingetreten sei. An pessimistischen
Prophezeihungen nach dieser Kichtung hin hat es damals nicht gefehlt.
7. Periode: 1891 bis zur Gegenwart. — Schon in der
zweiten Hälfte der 80 er Jahre machte sich, wenn aHch zögernd und
onter Rückschlägen, eine neue Steigerung der Goldgewinnung bemerk-
bar. Die australische Goldgewinnung setzte wenigstens ihren Rückgang
nicht fort, in den Vereinigten Staaten begann der Goldbergbau allmäh-
lich wieder größere Erträgnisse zu liefern, und die weitere Abnahme
der russischen Goldproduktion wurde mehr als ausgeglichen durch den
beginnenden Goldbergbau in Südafrika.
Eine entscheidende Wendung trat erst mit dem Anfang der
90er Jahre ein. Jahr für Jahr, und meist in großen Sj)rUngen, ging
die (ioldproduktion in die Höhe. Der Rückgang, der seit dem Beginn
der 70er Jahre eingetreten war, wurde rasch wieder ausgeglichen; am
Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die jährliche Goldgewinnung
einen Betrag, der etwa zweieinhalhmal so groß war als die durchschnitt-
liche Jahresproduktion der kalifornisch- australischen Epoche. Nach
einer kurzen Stockung infolge des Burenkrieges stieg die jährliche
Goldproduktion bis auf mehr als 768 000 kg, auf mehr als die drei-
undeinhalhfache Höhe der kalifornischen Zeit. Erst der Weltkrieg und
seine Nachwirkungsn brachten einen fühlbaren Rückschlag, Die Gold-
produktion der Welt im Jahre 1920 berechnet sich nur noch auf rund
504000 kg.
Den Anstoß zu dem letzten und weitaus stärksten Aufschwünge
der Goldgewinnung gaben die Goldbergwerke am Witwatersrande in
Sudafrika, deren Erträgnisse sich von 1891/92 an in rascher Folge
verdoppelten und verdreifachten. Es handelt sich dort um ein Gold-
vorkommen von ganz außerordentlicher Ausdehnung und Nachhaltig-
keit, und zwar um ein Vorkommen, das nicht im Wege der Gold-
wäscherei, sondern fast nur im Wege des Quarzbergbaus ausgebeutet
werden kann. Trotzdem lieferte Transvaal Erträgnisse, die auch die
reichste Produktion aller bis dahin ausgebeuteten Schwemmlande über-
trafen. Im Jahre 1898 betrug die Produktion von Südafrika 120 6O0 kg
Gold im Werte von 3.35,4 Millionen Goldmark. Seitdem hat der Burenkrieg
einen zeitweisen Stillstand der Minen herbeigeführt, und nach Friedens-
schluß schien die volle Wi^eraufnahme des Betriebs, abgesehen von
technischen Schwierigkeiten, namentlich in der Beschaffung der nötigen
Arbeitskräfte auf Hinderni.s.se zu stoßen. Bereits das Jahr 1904 über-
traf jedoch mit 129(io0 kg wieder die (iolilproduktion des Jahres
1898, und seither ist die Goldgewinnung Südafrikas in dem Maße
92 Erstes Buch, II. Abschnitt. Die Gestaltung der EdelmetaUverhältnisfle.
weiter gestiegen, daß sie im Jahre 1916 mit 335000 kg nm etwa
70 Prozent höher war als die durchschnittliche Weltproduktion der
kalifornischen Aera.
Neben Transvaal wurden einige andere Produktiousgebiete neu in
Angriff genommen. Von 1888 au wurde in Indien, namentlich in
Mysore, Gold produziert, und zwar in rasch steigenden Beträgen; 1913
betrug die Goldgewinnung in Britisch-Indien etwa 51 Millionen Mark.
Auch in anderen asiatischen Gebieten, namentlich im chinesischen Amur-
gebiete, wurden erhebliche Quantitäten Gold gefunden; die chinesische
Produktion der Jahre 1912 — 14 wird vom amerikanischen Münzdirektor
auf durchschnittlich 15,4 Millionen Goldmark veranschlagt.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre sind ferner im hohen Nord-
westen des nordamerikauischen Kontinents, in dem kanadischen Klon-
dyke und dem amerikanischen Alaska Alluvien von erheblichem Gold-
reichtum entdeckt w-orden. Die klimatischen Verhältnisse des hohen
Nordens bedeuten allerdings eine ganz außerordentliche Erschwerung,
trotzdem hat die kanadische Goldproduktion im Jahre 1900 einen
Wert von mehr als 117 Millionen Goldmark erreicht; seither ist jedoch
auch hier ein Rückgang eingetreten.
Die Auffindung und Inangriffnahme dieser neuen Lagerstätten
hätte zwar genügt, um der Periode des Stillstandes und des Rückgangs
der Goldprodüktion ein Ende zu machen; für sich allein jedoch hätten
diese neuen Goldlager und Goldbergwerke nicht die ganz gewaltige
Steigerung der Goldgewinnung, deren Zeugen wir in den letzten drei
Jahrzehnten waren, bewirken können. Diese neueste Epoche der Gold-
produktion unterscheidet sich vielmehr von allen früheren aufsteigenden
Perioden gerade dadurch, daß nicht ausschließlich neue Fundstätten
die Zunahme der Goldgewinnung hervorgerufen haben, sondern daß
ein reichlicher Anteil an der Steigerung auf eine beträchliche Zu-
nahme der Goldgewinnung in den alten Produktionsgebieten entfällt.
Die Vereinigten Staaten und Australien haben von 1891 bis 1900 ihre
Goldproduktion mehr als verdoppelt. Seitdem ist in den Vereinigten
Staaten die Zunahme in langsamerem Tempo weitergegangen, bis 1915
der Höhepunkt mit 152 000 kg erreicht wurde. Die folgenden Jahre
brachten einen empfindlichen Rückschlag; die Steigerung der Arbeits-
löhne verringerte die Rentabilität des Goldbergbaus in dem Maße, daß die
Goldförderung des Jahres 1920 mit 77 000 kg nur noch etwa halb so
hoch war wie diejenige des Jahres 1915. Australien erreichte 1903
einen Höhepunkt mit 134000 kg. Seitdem ist ein ununterbrochener
Rückgang eingetreten, der im Jahre 1920 auf einem Tiefpunkt von nur
noch 35 600 kg ankam.
Von der Mitte der 90 er Jahre an hielt die Goldgewinnung dieser
beiden Produktionsgebiete mit der sich rasch weiter entwickelnden
Goldausbeute Südafrikas nahezu gleichen Schritt. Nachdem dann die
Folgen des Burenkrieges überwunden 'v^ren, überflügelte Südafrika
rasch die übrigen Produktionsländer. Im Jahre 1915, dem Jahre der
stärksten Goldgewinnung, hatte Südafrika eine Goldproduktion von
327 000 kg; es folgten die Vereinigten Staaten mit 152000 kg und
Australien mit 74000 kg. An vierter Stelle kam Rußland, dessen Gold-
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und Wertverhältnisse. § 3. 93
gewinnuug gegen Ende der 80 er Jahre ihren Rückgang gleichfalls
unterbrochen und sich in den 90er Jahren auf einer ansehnlichen
Höhe gehalten hatte; seine jährliche Produktion erreichte ihren
höchsten Stand im Jahre 1910 mit 5400Ü kg, sie erlitt in den folgenden
Jahren lebhafte Schwankungen und im Weltkrieg einen schweren
Niederbruch; für 1922 wird sie nur noch auf 2 177 kg berechnet.
Es wurde bereits im Rahmen der allgemeinen Uebersicht über die
Edelmetallproduktion angedeutet, daß die unerwartete Steigerung der
Goldproduktion in den alten Goldläudern in der Hauptsache durch
technische Fortschritte im Goldbergbau und in der Aufbereitung des
Goldes erzielt worden ist. Diese technischen Verbesserungen der
metallurgischen Methoden haben nicht nur die gründlichere Ausbeutung
der bereits bekannten Goldlager, die Wiederaufnahme von Bergwerken,
deren Betrieb wegen Unergiebigkeit eingestellt worden war, und die
Ausbeutung von Rückständen aus der Goldproduktion früherer Zeiten
gestattet und so die Goldgewinnung der alten Produktiousländer auf
eine auch in der Periode der raschen Ausbeutung reicher Schwemmlande
nie erreichte Höhe gebracht; sie haben vielmehr auch zu einem großen
Teile die Voraussetzung für einen lohnenden Abbau derueu entdeckten
Goldlager gebildet. Die Goldproduktion des Transvaal wäre ohne diese
technischen Fortschritte niemals auch nur entfernt zu ihrer Höhe ge-
langt; der Bergbau am Rande ist in seinem großen Umfange erst da-
durch lohnend geworden, daß die Verbesserungen des technischen Ver-
fahrens die Ausbeutung von Quarz ermöglichen, der pro Tonne nur
wenige Gramm Gold enthält.
Die neueste und glänzendste Epoche der Goldgewinnung unter-
scheidet sich mithin dadurch von allen frühereu, daß sie nicht auf der
Entdeckung neuer, leicht auszubeutender Goldfelder in Schwemmlandeu
beruht, sondern auf dem Fortschritte der metallurgischen Methoden.
Während in den früheren Perioden einer ungewöhnlich starken Gold-
produktion weitaus der größte Teil des neuen Goldes aus Schwemm-
landeu gewonnen wurde — so war es im Altertum, so war es zur Zeit
der spanischen Eroberungen in Amerika und später in der Zeit der
brasilianischen und kalifornisch -australischen Goldfelder — , stammt
heute der beträchtlich überwiegende Teil der Goldförderuug aus dem
Gangbergbau. Die goldhaltigen Schwemmlande sind fast in allen wich-
tigen Produktionsläudern — die bedeutsamste Ausnahme ist Sibirien —
abgebaut; so namentlich in Kalifornien und Australien, den Ländern
der ehemals reichsten AUuvien. In Kalifornien und den übrigen gold-
produzierenden Staaten der Union liegt heute der Schwerpunkt der
Goldgewinnung im Quarzbergbau, das gleiche gilt von Australien. In
Sudafrika kam von Anfang an fast nur Quarzgold in Betracht. Auch
in Sibirien stammt das Gold nicht aus oberflächlichen Ablagerungen,
sondern ans sogenannten Diluvialschichteu, die 20 und mehr Fuß unter
der Erde liegen; ebenso verhält es sich in Australien, soweit Schwemm-
lande neben dem Qaarzbergbau in Betracht kommen.
Nach einer Denkschrift, die der Geheime Oberbergrat Dr. H a u c h e -
corne im Jahre 1894 für die deutsche Silberkommission ausgearbeitet
hat, kamen damals schon von der gesamten Goldproduktion etwa 70 Pro-
94 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
zent aas regelrechtem Bergwerksbetrieb und nnr 30 Prozent aus
der Goldwäscherei, während l'/, Jahrzehnte vorher der Bergbau gegen- m
über der Wäscherei noch eine ganz untergeordnete Rolle gespielt hatte. |
Das Verliältiiis hat sich inzwischen noch erheblich weiter zugunsten j
des Bergbaus verschoben. l
Diese Wandlung ist deshalb von ganz besonderer Wichtigkeit, |
weil der Gangberghau eine weit griißere Nachhaltigkeit der Gold- 1 |
gewiiinung gewährleistet als die Ausbeutung oberiläciilicher Goldab- ; j
lagcrungen. Während auch die reichsten Goldfelder infolge der Leich- )|
tigkeit der Goldgewinnung stets in kurzer Zeit erschöpft werden, kann !l
der Abbau im Ik'rgwerksbetriebe nur allniählich vor sich gehen. Die \\
neueren Erfahrungen liaben ferner gezeigt, daß die früher häufig ver-
tretene Annahme, daß die Gänge in der Tiefe verarmen, keineswegs
allgemein zutrilTt, . daß vielmehr der Abbau nach der Tiefe bei den
wichtigsten Goldbergwerken so weit lohnend bleibt, als sich die Gänge
überhaupt erstrecken.
Das Ueberwiegen der bergmännischen Goldgewinnung in der neuesten
Zeit hat die hauptsächlich von dem Wiener Geologen Eduard Sueß
mit Nachdruck vertretene und damals vielfach aufgenommene Ansicht
widerlegt, daß der Goldbergbau aus geologischen Gründen keine Zu- '^
kunft haben könne und daß deshalb mit der Erschöi)fung der ISehwemm-
lande ein unaufhaltsamer Kückgang der Goldproduktion einsetzen
müsse ^). Sueß ging davon aus, daß der weitaus größte Teil der Gold-
gewinnung — er berechnete diesen Teil auf nicht weniger als neun '
Zehntel — aus Alluviallagern stamme, die einen ungewöhnlich großen,
aber rasch erschöpfbaren Goldreichtum enthalten. Je weiter unsere
Kenntnis der Erdoberfläche fortschreite, um so geringer werde die
Wahrscheinlichkeit der Entdecknng neuer und reichhaltiger Wasch-
goldlager. Der Bergbau auf Gold werde für diesen Ausfall wegen /
des unzuverlässigen und spärlichen Goldvorkommens in hartem Gestein
keinen Ersatz bieten können; daher müsse mit Notwendigkeit ein
allmähliches Versiegen der Goldgewinnung eintreten.
Wenn jemals eine Theorie schlagend durch die Tatsachen wider-
legt worden ist, dann ist der Sueßschen Theorie eine solche Wider-
legung zu teil geworden. Die bekannten Schwemmlande sind nahezu
gänzlich erschöpft, und die Goldgewinnung ist beträchtlich höher als
jemals zuvor. Die Fortschritte der Technik haben ein angebliches
Naturgesetz überwunden. Mit Recht schrieb Lexis schon vor zwei
Jahrzehnten über diese wichtige Frage ^):
„Wenn früher nach Sueß neun Zehntel alles Goldes aus den
Wäschereien stammte, so werden gegenwärtig vier Fünftel des außer-
halb Sibiriens gewonnenen Goldes durch Quarzbergbau geliefert, und
da man jetzt im Stande ist, Quarz mit Vorteil zu verarbeiten, das nur
^/^ Unze Gold auf die Tonne enthält, und da auch das in Schwefelkiesen
enthaltene, dem gewöhnlichen Amalgamationsverfahren nicht erreich-
bare Gold durch neue Methoden immer vollständiger extrahiert wird,
1) Siehe Eduard Sueß, Die Zukunft des Goldes 1877.
*) Art. Gold und Goldwährung im Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften 2. Aufl. Bd. IV. S. 756.
3. Kapitel. Edelmetallproduktion nnd Wertverhältnißse. § 3.
05
BO ist eine bedeotende und nachhaltige Goldproduktion noch auf viele
Jahrzehnte, vielleicht auf Jahrhunderte gesichert. . . . Die gegenwärtige
Die jährliche Goldproduktion der Welt 1876—192
Jahre
Nach Soetbeer
Nach den Boriihten des
amerikanischen Mliuzdirrktora
kg
1000 Mark
kg
1000 Mark
1876
1 65 956
463 027
ir,6 015
435 2H2
1877
179 445
500 660
171 442
478 323
1878
185 846
518 522
179 187
499 931
1879
167 307
466 797
l(i3 667
456 631
1880
163 515
456 218
160 152
446 824
1881
160 678
449 000
155 020
432 506
1882
153 817
429 000
15:^465
428 167
1883
148 584
415 000
143 543
400 4.S5
1884
155 718
435 000
153 060
427 037
1885
155 972
485 000
163 169
455 242
1886
160 763
449 000
] 59 748
445 697
1887
158 247
44 1 000
159 157
444 018
1888
164 090
458 000
165 813
462 618
1889
176 272
492 000
185 812
518415
1890
—
—
178814
498 891
1891
—
—
196 574
518 441
18112
—
—
220 648
615 608
18;>3
—
—
23(i 978
661 169
1894
—
—
272 591
760 529
1895
—
—
299 060
834 377
1896
—
304 317
84U014
1897
—
—
355 212
9H1 041
1898
—
—
431 656
1 204 320
1899
—
—
461 515
1 287 627
1900
—
—
383 049
1 068 707
1901
—
—
392 705
1 095 649
1902
—
—
416 490
1 245 709
1903
—
—
493 083
1 375 701
1904
—
—
522 686
1 458 294
1905
—
—
572 204
1 596 448
1906
—
—
604 835
1 687 490
1907
—
621 375
1 733 636
1908
—
—
666 318
l 859 027
1909
—
—
683 201
1 906 131
1910
—
—
684 983
1 911 103
1911
—
—
695 0()2
1 939 223
1912
—
—
701 379
1 956 817
1913
—
—
768 256
2 143 434
1914
660 667
1 843 261
1915
—
707 897
1 975 033
1916
_
683 38 1
1 906 641
19)7
—
631 090
1 760 711
1918
—
__
577 198
1 610 382
1919
—
__
550 388
1 535 582
1920
—
—
504 041
1 406 274
Zunahme der Produktion kann natürlich nicht lange fortdauern, auch
wird die Hntdcckiiitg neuer reicher Fundstätten in der Zukunft immer
seltener werden, während sich die alten allmählich erschöpfen mliaseu.
r
96 Erstes Buch. II. Abschuitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Aber eine wirkliche Goldknappheit liegt in so weiter Ferne, daß sie
flir die wirtschaftlichen Fragen der Gegenwart ebensowenig in Betracht
kommt, wie etwa die Erschöpfung der Kohlenlager der Erde." —
Die Goldgewinnung in den wichtigsten Produktions-
ländern von 1851 — 1920.
(Bis 1889 nach Soetbeer, dann nach dem amerikanischen Münzdirektor).
Perioden
bzw. Jahre
Vereinigte
Staaten
Australaaien
Rußland
Afrika
(durch-
schnittlich)
kg
1000 Mk.
kg
1000 Mk.
kg
1000 Mk.
kg
1000 Mk.
1851-1855
88800
247 752
69573
194124
24730
68997
1856-1860
77100
215109
82 392
229891
26570
74130
—
—
1861-1865
66 700
186093
77 634
216617
24084
67194
—
—
1866-1870
76 000
212 040
73526
205153
30050
83840
—
—
1871-1875
59500
166005
63123
176145
33380
93130
—
—
1876-1880
63920
178337
45294
126370
40140
111991
—
—
1881-1885
48087
134163
43522
121426
35607
99344
?
?
1886-1890
50279
140664
43881
122428
31973
89 205
6723
18757
1891
49917
139268
47 245
131814
36356
101433
23 687
66087
1892
49654
138535
51398
143400
37325
104137
36461
101726
1893
54100
150939
53 698
149817
39805
111056
44096
123 028
1894
59434
165 821
62 836
175312
36313
101913
60595
169 060
1895
70132
195 668
67 406
188063
43476
121298
67 040
187042
1896
79880
222865
67 984
189675
32 404
90407
66819
186425
1897
86312
240810
79 244
221091
34977
97 586
88111
245 830
1898
96995
270616
97 594
272287
38314
106896
120566
336379
1899
106911
298282
119352
332 992
33 354
93058
109876
306 554
1900
119126 332362
110591
308549
30312
84570
13048
36404
1901
118367 330244
115679
322 744
34383
95 929
13677
38159
1902
120373 335840
122 749
342 470
33905
94595
58716
163817
1903
110731
308939
134231
374504
37063
103406
102314
285456
1904
121072
337791
132 060 i 368447
37 321
104126
129272
360669
1905
132 682
370183
129291 360722
33542
93582
170410
475 443
1906
142001
396183
123971
345 879
29336
81847
203669
568237
1907
136075
379649
113870
317697
40151
112021
228685
638031
1908
142 281
396964
110333
307 829
42 209
117 763
250558
599057
1909
149975
418430
106 843
298092
48723
135937
257280
717811
1910
144 853
404140
98511
274846
53535
149363
263602
735450
1911
145 787
406746
90557
252654
48377
134972
288201
804080
1912
140613
392310
82018 i 228830
33402
93192
316764
889352
1913
133741
373137
79823 i 222706
39 885
111279
311808
869914
1914
142 239
396847
71575 1 199694
43013
120006
303938
847 987
1915
152025
424150
74326 j 207370
43638
121751
327 475
913655
1916
139318
388697
60903 169919
33854
94453
335464
935 945
1917
126017
351587
51758 144405
27 084
75564
322 457
899655
1918
103290
288179
46 362 129350
18056
50376
296 493
827215
1919
90782
253282
40492 1 112973
16551
46177
291749
813980
1920
77019
214884
35582
1 99274
2177
6074
282716
788775
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten über die Goldgewinnung sei auf
die einschlägigen Arbeiten von Soetbeer, Lexis und zahlreiche Mono-
graphien, sowie auf die jährlichen Berichte des amerikanischen MUnz-
•direktors verwiesen. Wir müssen uns hier damit begnügen, die bis-
3. Kapitel. Edeluietallproduktiou und WertveihilltuiHäe. «^4. 9 7
herigeu Aasführon^en durch zwei statistische rcbersichteu zu erläotero,
von deu die eiiu; die Goldproduktion der eiuzelneu Jahre vou 1876
an nachweist, die andere die (jluldj;ewinnung: der wichtigsten Produktions-
liinder wahrend des letzten halben Jahrhunderts veranschaulicht.
Die Goldproduktion Deutschlands ist an sich schon unbedeutend,
und nur ein kleiner Bruchteil des Goldes wird durch Scheidung
gUldischen Silbers aus inländischen Erzen dargestellt. Weitaus der
gröüte Teil des in Deutschland gewonnenen Goldes wird aus gold-
haltigen Silbererzen gewonnen, die aus dem Auslande importiert und
in Deutschland verhüttet werden. Die Entwicklung der Goldproduktion
Deutschlands wird unten zusammen mit der deutschen Silbergewinnung
statistisch dargestellt (S. 10-4 und 1U5).
§ 4. Die Silberproduktion von 1493 bis zar Gegenwart.
Die Entwicklung der Silberproduktion ging derjenigen der Gold-
produktion im einzelnen keineswegs parallel; gemeinsam ist beiden
Metallen nur die ganz außerordentliche Produktionssteigerung, die sich
in besonderem xMalie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gezeigt hat.
Diese gemeinsame Entwicklungstendenz beruht auf den gleichen Ur-
sachen allgemeiner Natur, auf der erweiterten geographischen and
geologischen Kenntnis der Erdrinde und auf den Fortschritten der
metallurgischen Technik.
Wie beim Golde unterscheiden wir auch beim Silber, je nach
der Richtung der Produktionsentwicklung, eine Anzahl verschiedener
Perioden.
1. Periode: 1493— 1620. — Die auf die Entdeckung Amerikas
folgenden 120 Jahre brachten beim Silber eine noch außerordentlich
viel stärkere Vermehrung der Produktion als beim Golde. In den letzten
Jahren des 15. und in den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts
war die beträchtliche Steigerung ausschließlich durch deu Aufschwung
des europäischen, insbesondere des deutschen und österreichischen Silber-
bergbaus verursacht. Die neue Welt lieferte vor 1533 kaum irgend-
welche erheblichen Quantitäten Silber. In Deutschland brachte bis
ungefähr zur Mitte des 16. Jahrhunderts namentlich das sächsische Erz-
gebirge erheblich steigende Erträgnisse; die durchschnittliche Silber-
gewinnung Sachsens wird von Soetbeer für 1493 bis 1520 auf 12 860
Pfund (=1157 400 Silbermark), fUr 1545 bis 1560 auf 26 300 Pfund
(=2 367 000 Silhermark) veranschlagt; die durchschnittliche Silber-
produktion Deutschlands berechnet Soetbeer für die beiden Perioden
auf 19äO()UO und 3492 000 Mark. Die Silberproduktion in Böhmen
brachte namentlich in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts reiche Er-
trägnisse; die Joachimstaler Bergwerke standen damals auf ihrer Höhe.
Die Tiroler Bergwerke gaben schon seit 1470 für die damalige Zeit
ungewöhnlich reiche Erträgnisse. Im ganzen schätzt Soetbeer die
durchschnittliche jährliche Silbergewinnung des späteren Oesterreich-
Ungarn für di»- Periode 1521 bis 1544 auf 32OU0 kg = 5760000 Silber-
mark. In dieser Periode kamen, obwohl der ZuHuß von Silber aus
Amerika bereits begann, noch nahezu zwei Drittel der gesamten Silber-
produktiou auf Europa. Von insgesamt 90 200 kg lieferte Oesterreich-
H«l(ferl«h . Ua« Oeld OAufl 7
98 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Ungarn 32 000, Deutschland 15000, ganz Earopa zusammen 59000 kg.
Erst etwa seit 1570 zeigte die deutsche und österreichische Silber-
gewinnung wieder einen ausgesprocheneu liückgang.
Obwohl die europäische Silberproduktion zunächst noch eine weitere
Steigerung erfuhr, ist von 1545 an Amerika ausschlaggebend für die
Gestaltung der Weltproduktion von Silber geworden. Schon vorher
hatten die Plünderungen in Mexiko und Peru und die beginnende In-
angriffnahme von Silberbergwerken in Peru nicht unerhebliche Beträge
von Silber geliefert. Das entscheidende Ereignis aber war die Ent-
deckung der Silberminen von Potosi in Bolivia im Jahre 1545, der drei
Jahre später (1548) die Aufschließung der reichen Silberminen von
Zacatecas in Mexiko folgte. Eine technische Verbesserung der Silber-
gewinnuiig von großer Bedeutung, die Einführung des Araalgamations-
verfahrens (in Mexiko seit 1558, in Peru seit 1571), hat wesentlich
zur Steigerung der Silbergewiunung beigetragen, namentlich nachdem
in der Nähe der Silbermiuen von Potosi Quecksilberbergwerke entdeckt
worden waren.
Die Produktion von Potosi lieferte insbesondere von 1545 bis 1555
und dann von 1571 bis 1600 glänzende Erträgnisse, die beträchtlich
mehr als die Hälfte der gleichzeitigen Weltproduktion von Silber aus-
machten. Peru und auch Mexiko standen weit hinter Potosi zurück;
die europäische Silbergewinnung sank — obwohl sie erst in den letzten
drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine absolute Abnahme erfuhr —
zu einem minimalen Bruchteil der Weltproduktion herab.
Dieses Gesamtresultat steht fest, wenn auch in Einzelheiten die
Schätzungen von einander abweichen. Lexis nimmt für die Produktion
von Potosi, Peru und Mexiko durchweg niedrigere Zahlen an als
Soetbeer. Nach seinen Berechnungen würde z. B. die Silberge-
winnung von Potosi in der Zeit von 1545 bis 1600 insgesamt etwa
8 840 0Ü0 kg betragen haben, nach Soetbeer dagegen 11 053 000 kg.
Nach Soetbeer hat sich die durchschnittliche Silberproduktion
von 1493 bis 1620 auf die einzelnen Produktionsgebiete folgendermaßen
verteilt (die Lexis sehe Schätzung des Wertes der Gesamtproduktion
ist in Klammern beigefügt):
Jahre
Europa
Peru
Potosi
Mexiko
Gesamtproduktion ')
kg
kg
kg
kg
kg
1000 Mark«)
1493-1520
1521-1.)-I4
1545 — 1560
1561-1.580
1581 — 1600
1601 — 1620
47 000
59 000
62 000
48 500
41 300
27 400
27 300
48 000
46 000
46 000
103 400
183 200
151 800
254 300
205 900
3 400
15 000
50 200
74 HOO
81200
47 000
90 200
311 600
299 500
418 900
422 900
8 460 ( 8 250^
16 236 (12 300)
56 088 (46 250)
52 910 (46 000)
75 402 (61000)
76 122 (58 000)
^) Einschließlich der nicht besonders aufgeführten Silbergewinnung in den
unbedeutenderen Produktionsgebieten. *) Silbermark = Vieo kg Silber.
In dieser ersten Periode hat sich mithin die Silbergewinnung auch
nach der geringeren Lexis sehen Schätzung auf den sieben- bis achtfachen
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und WertTerhältnisse, § 4. 99
Betrag, nach der Soetbeer sehen Schätzung auf den neunfachen Betrag
gesteigert. Die Goldproduktion dagegen hat sich in jener Zeit zwar
auch vermehrt, aber nicht einmal ganz um die Hälfte. Der Anteil
des Goldes an der Produktion der beiden Edelmetalle sank dem Ge-
wichte nach von 11 Prozent in der Zeit 1493 bis 1520 auf 2 Prozent
in den zwei ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts.
2. Periode: 1621 — 1680. — Während die Goldgewinnung im Laufe
des 17. Jahrhunderts — nach einer vorübergehenden Stockung in den
20 er und 30 er Jahren — in beschleunigtem Tempo weiter anwuchs,
zeigte die Silberproduktion nach dem gewaltigen Aufschwünge des
16. Jahrhunderts einen Stillstand, ja sogar eine leichte Abnahme, Der
Rückschlag war hervorgerufen durch die beginnende Erschöpfung der
Minen von Potosi, deren durchschnittliche Produktion nach der
Soetbeer sehen Schätzung von 254 300 kg in 1581 — 1600 auf 100 500 kg
in 1661 — 1680 zurückging. Diese sehr erhebliche Abnahme wurde
in ihrer Wirkung zum größten Teile ausgeglichen durch die infoige
der AufschließuDg der Silberminen zu Pasco relativ hohe peruanische
Silberproduktion, die Soetbeer für das 17. Jahrhundert auf einen
Jahresdurchschnitt von 103 400 kg schätzt, und durch die weitere
allmähliche Steigerung der mexikanischen Silbergewiunung, die im
Durchschnitt der Jahre 1661 bis 1680 mit 102 000 kg die gleichzeitige
Produktion von Potosi zum ersten Mal überholte. Insgesamt zeigte die
jährliche Silbergewinnung von 1601 bis 1620 auf 1661 bis 1680 nach
der S oe tbe e r sehen Schätzung einen Rückgang von 422 U(jO kg =
76 122 000 Silbermark auf 337 000 kg = 60 660 000 Silbermark; nach
Lexis hat die Silbergewinnung von 1581 bis 1600 auf 1661 bis 1680
abgenommen von 61 auf 51 Millionen Silbermark.
3. Periode: 1681 — 1810. — Jn den letzten beiden Jahrzehnten
des 17. Jahrhunderts begann die Silberproduktion allmählich wieder
zu steigen ; vom Anfang des 18. Jahrhunderts an machte diese Steigerung
so rapide Fortschritte, daß sich die Silbergewinnung bis zum Beginne
des 19. Jahrhunderts mehr als verdoppelte.
Die einzelnen Produktionsgebiete hatten an dieser Entwicklung
einen sehr verschiedenartigen Anteil. Die Produktion von Potosi setzte
zunächst ihren Rückgang fort, und ihr Jahresdurchschnitt kam in der
Periode 1721 bis 174(J auf dem Tiefpunkte von 43 800 kg an (nach
Soetbeer). Die folgenden Jahrzehute dagegen brachten eine erneute
Steigerung, sodaß die Silbergewinnung von Potosi um die Wende des
18, und 19. Jahrhunderts wiederum nahezu 100 000 kg erreichte. Die
Produktion von Peru blieb bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts
hinein stabil und zeigte dann von etwa 176üan bis zum ersten Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts eine Steigerung um etwa die Hälfte. Auch die euro-
päische Silbergewinnung zeigte vom Ende des 17, Jahrhunderts an einen
neuen Aufschwung. Dazu kam von der Mitte des 18. Jahrhunderts
an Sibirien, dessen Bergwerke gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts
etwa 20 000 kg pro Jahr lieferten. Alles das trat jedoch vollständig
in den Hintergrund vor der diese ganze Periode beherrschenden
Steigerung der nu'xikanischen Silbergewinnung, die sich vom Ausgange
des 17. bis zum Beginne des 19. Jahrhunderts von etwa 110 000 kg auf
7*
lOO Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung' der Edelmetallverhältoiase,
etwa 550 üoO kg hob. lusgesiimt stieg der Jahresdurchscbuitt der Silber-
gewiüiiuug 1661 — 1680 auf 1801 — 1810 vou 337 000 kg auf 894 000
(Soetbeer). Die Steigerung der Silbergewinuung blieb zwar aufangs
hinter der gleichzeitigen Zunahme der Goldproduktiou (Brasilien)
ganz bedeutend zurück, sodaß sich der Anteil des Goldes am Gewichte
der Gold- und Silberproduktion von 2 Prozent in 1601 — 1620 auf
4,4 Prozent in 1741 — 1760 hob; während aber die Goldproduktiou
von 1760 an abzuflauen begann, setzte die Silbergewiunuug ihre außer-
ordentliche Steigerung ununterbrochen fort bis in das erste Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts hinein.
4. Periode: 1811 — 1830. — Die Zeit von 1811 bis 1830 brachte
einen ungewöhnlichen Tiefstand der gesamten Edelmetallgewinnuug.
Während die Goldgewinnung zunächst noch weiter zu fallen fortfuhr
und sich von lö20 an nur ganz langsam wieder erholte, zeigte die
SilbergewinuuDg plötzlich eine rapide Abnahme; in zwei Jahrzehnten
sank sie fast um die Hälfte, von 894 000 kg im Jahresdurchschnitt 1801
bis 1810 auf 460 000 kg im Jahrzehnt 1821 bis 1830. Die Ursache lag
hauptsächlich in den bei der Darstellung der Goldproduktion bereits
erwähnten politischen Verhältnissen der großen amerikanisehen Pro-
duktionsgebiete; der geregelte Bergbaubetrieb in Mexiko und Süd-
amerika ließ sich in jener Zeit der Unabhängigkeitskriege und der
inneren Wirreu nicht aufrecht erhalten.
]m Anschluß an die oben auf S. 98 gegebenen Zahlen ist in der
folgenden Uebersicht die Entwicklung der Silberproduktion und ihre
Verteilung auf die einzelnen Produktionsgebiete für die Periode von
1621 bis 1850 zusammengefaßt.
Durch-
■«chiüttlich
Europa
kg
Peru
kg
Bolivia
(Potosi)
kg
Mexiko
kg
Sibirien
kg
Gesamtproduktion
kg
1000 Mark
1621-
1641-
1661-
1681-
1701-
1721-
1741-
1761-
1781-
1801-
1811-
1821-
1831-
1841-
■40
■60
■80
1700
■20
■40
-60
-80
-1800
-10
■20
-30
-40
-50
27000
25500
27 000
30400
33300
46 200
55100
53100
58900
59400
57 700
60 200
65840
101600
103400
103400
103400
103400
103400
103400
103400
121600
128400
151300
88000
58000
90000
108000
172000
139200
100500
92 900
49100
43 800
58200
83000
98000
96500
49300
42300
I 61000
' 66000
88200
95 200
102100
110200
163800
230 800
301000
366400
562400
553 800
312000
264800
331000
420300
7 945
20140
20360
20150
22770
23260
20610
19515
393600
366300
337 000
341900
355600
431200
533145
652 740
879060
894150
540770
460560
596450
780414
70848
65 934
60 660
61542
64008
77616
95 966
117493
158 231
160947
97 339
82 901
107 606
140475
( 57 500) M
( 51500)
( 51000)
( 52 250)
( 63 000)
( 71000)
( 94000)
(116000)
(157 000)
(160000)
( 97 000)
( 82000)
(107 000)
(140000)
^' Die in Klammern beigefügten Zahlen entsprechen den Schätzungen von Lexis.
5. Periode: 1831 bis zur Gegenwart. — Während der 30er
Jahre des 19, Jahrhunderts trat eine neue Wendung in der Entwicklung
der Silberproduktion ein. Die Silbergewinnung im ehemals spanischen
3. Kapitel. EdelmetallprodnktioB und Wertverhältuisse. § 4. 101
Amerika Eahm nach der Beendigung der Unabhängigkeitskämpfe all-
mählich wieder einen größeren Umfang an, vor allem in Mexiko, das
gegen Ende der 60 er Jahre wieder den höchsten Stand seiner früheren
Produktion erreichte, um ihn im Laufe der folgenden Jahrzehnte um
ein Vielfaches zu übertreffen. Außerhalb der alten amerikanischen
Produktionsgebiete begann in den 30er Jahren Chile erhebliche und
rasch wachsende Mengen von Silber zu liefern. Dazu kam seit den
60 er Jahren ein Gebiet, das bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts über-
haupt kein Silber produziert hatte, das aber nun in rascher Entwicklung
an die Spitze aller Silberproduktionsländer trat: die Vereinigten Staaten.
Ihre Jahresproduktion von Silber betrug in den 50er Jahren durch-
schnittlich nicht viel mehr als 7000 kg. Infolge der Entdeckung von
Silbermiuen, die an Reichhaltigkeit selbst die Minen von Potosi über-
trafen, nahm die Produktion rapid zu; sie betrug in der ersten Hälfte
der 60er Jahre im Durchschnitt bereits 174000 kg, in der zweiten
Hälfte der 70er Jahre erreichte sie nahezu 1 Million kg und überholte
damit die Silbergewinnung aller anderen Länder. Bis in die zweite
Hälfte der 90 er Jahre haben die Vereinigten Staaten unbestritten die
erste Stelle behauptet. In den folgenden Jahren wurde jedoch die nord-
amerikauische Produktion von der mexikanischen eingeholt und schließ-
lich überflügelt. Für 1911 beziffert der amerikanische MUnzdirektor
die mexikanische Silbergewinnung auf 2458 000 kg, diejenige der Ver-
einigten Staaten auf 1879000 kg. Das Jahr 1914 brachte einen plötz-
lichen und scharfen Rückgang der mexikanischen Silbergewinnung bis
auf 857 000 kg. Seither hat sich die Gewinnung wieder auf mehr als
2 Millionen kg im Jahre 1920 gehoben.
Als neues Silberproduktionsland ist zu den alten Gebieten um die
Mitte der 80 er Jahre Australien hinzugekommen, dessen Minen schon
in den Jahren 1893 und 1894 über 100000 kg Silber geliefert haben.
Für 1910 gibt der amerikanische Münzdirektor die australische Pro-
duktion mit 670000 kg an. Damit war Australien an die dritte Stelle
aller Silberproduktionsländer getreten. Auch hier brachte das Jahr 1914
ein plötzliches Zusammenklappen der Silbergewinnung: von 564000 kg
im Jahre 1913 auf 111000 kg im Jahre 1914, dann wieder eiue Steigerung
auf 232000 kg im Jahre 1920.
Auch in Europa hat die Silbergewinnung einen nicht unbeträcht-
lichen Aufschwung erfahren; insbesondere die Silbergewinnung in Deutsch-
land hat sich von den 40 er Jahren an und besonders seit dem Beginn
der 60er Jahre in ungeahnter Weise entwickelt, sodaß Deutschland
bis zum Anfang des 20, Jahrhunderts den dritten Platz unter allen
Silberproduktionsländern behauptete; ein nicht unbeträchtlicher Teil
der deutschen Silberproduktion stammt allerdings aus importierten Erzen,
die in Deutschland verhüttet werden. Neuerdings ist die deutsche Silber-
gewitinung, auch wenn man die Verhüttung ausländischer Erze mit
einrechnet, außer von der australischen Produktion auch von derjenigen
Kanadas überholt worden. Auch in anderen europäischen Ländern,
namentlich in Spanien, ist der Silberbergbau erneut und mit Erfolg in
Angrifl' genommen worden.
102 Erstes Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Das Gesamtergebuis war, daß die Silberproduktion bis zur zweiten
Hälfte der 50er Jahre den Rückgang, den sie seit dem Beginn des
Die jährliche Silber Produktion der Welt 1876 — 192 0.
Jahre
Nach Soetbeer
Nach den Berichten des amerika-
nischen Münzdirektors
kg
1000 Mark
kg:
1000 Mark
1876
2 323779
364 833
2107 355
329000
1877
2 388612
386 956
1949567
316000
1878
2551364
395461
2 282 530
355 000
1879
2 507 507
381141
2313572
351000
1880
2479998
381920
2326386
360 000
1881
2 586700
395800
2457 830
378000
1882
2773100
418100
2 689582
413000
1883
2775100
416400
2 773655
416000
1884
2 910300
436500
2537 050
381000
1885
3036000
436800
2849392
410000
1886
3021200
405 700
2 901863
390000
1887
3324600
438800
2989793
395000
1888
3673300
477 200
3384932
429000
1889
4237000
534900
3739076
472 000
1890
—
—
3921996
554000
1891
—
—
4266498
569 000
1892
—
—
4763563
560000
1893
—
—
5146789
542 000
1894
—
—
5119947
439000
1895
—
—
5 209867
460000
1896
—
—
4885158
445000
1897
—
—
4989657
404 000
1898
—
—
5258210
419000
1899
—
_
5240429
424000
1900
—
—
5399299
452 000
1901
—
_
5382 369
436000
1902
—
—
5063566
362 000
1903
—
—
5216800
380000
1904
—
_
5108067
400000
1905
—
—
5359803
441000
1906
—
—
5133887
469000
1907
—
—
5729611
511000
1908
—
—
6318237
456 000
1909
—
—
6598721
464 000
1910
—
—
6896282
503 000
1911
—
—
7035548
513000
1912
—
—
6977002
579000
1913
—
—
6964361
568000
1914
—
—
4996141
373151
1915
—
5591101
391766
1916
—
—
5013310
464 704
1917
—
—
5417972
654 855
1918
—
—
6163870
819373
1919
—
—
5488634
830711
1920
—
—
5418 742
745 888
Jahrhunderts erlitten hatte, wieder einholte, indem sie im Durchschnitte
des Jahrfünfts 1856 bis 1860 den Betrag von 900000 kg überschritt;
vom Beginn der 70 er bis zur Mitte der 90er Jahre erfolgte dann der
I
3. Kapitel. Edelmetallproduktion und Wertverhältnisse. § 4.
103
gewaltige Aufschwung;, der die jährliche Silbergewionang von etwa
l^a anf mehr als 5 Millionen kg brachte; seither bewegt sich die jähr-
liche Silbergewinnung über 5 Millionen kg; sie hat im Jahre 1908
Die Silbergewinnung in den wichtigsten Produktions-
gebieten 1851 — 1920.
(1851 — 85 nach Soetbeer; 1896 — 1920 nach dem amerikanischen Münzdirektor.)
Perioden
bzw. Jahre
(durch-
Vereinigte
Staaten
Mexiko
Peru. Bolivia,
Chile
Australien
Deutschland»)
schnittlich)
ksr
*kfir
kg
kg
kg
1851-1855
8300
466100
218600
48 860
1856-1860
6 200
447 800
190400
—
61510
1861-1865
174000
473 000
191100
—
68320
1866-1870
301000
520900
229800
—
89125
1871-1875
564 800
601800
374700
—
143080
1876-1880
980 700
655 800
350 000
—
163 800
1881-1885
1137 600
750800
365 000
?
238 920
1886
1227000
794000
547 000
29403
318880
1887
1284000
904 000
412247
6422
366 960
1888
1424000
995 000
491000
120 308
405 910
1889
15o5000
1144000
456000
204523
402400
1890
1696000
1212 000
440603
258212
402 257
1891
1815000
1084000
476 404
311100
443840
1892
1976000
1229000
493000
418087
488000
1893
1867 000
1380000
873793
637 800
448100
1894
1540000
1463000
880000
562 263
442 800
1895
1733 662
1461008
939361
389102
392 000
1896
1830347
1422 315
418672
380 746
428400
1897
1675 582
1676925
437 878
369523
448100
1898
1693563
1765116
655 054
326379
480 600
1899
1703 720
1730089
669858
396266
467 600
1900
1693395
1786 887
697771
415014
415700
1901
1717 705
1793 692
803092
318256
403 800
1902
1726603
1872091
465 759
249 690
430600
1903
1689270
2193249
270592
301233
396300
1904
1794509
1891764
237356
452 926
389800
1905
1744 995
2023044
300184
467666
399800
1906
1757 944
1717738
328 262
432 640
393400
1907
1757 844
1901934
459 983
558292
386 900
1908
1631129
2 291260
478141
534218
407 200
1909
1702068
2 299 920
470117
508842
400600
1910
1777229
2219975
407 996
670165
420000
1911
1878675
2458241
401449
515658
439 600
1912
1983415
2321626
385737
458412
895 800
1913
2077807
2199186
385 755
563 873
765800
1914
2253657
856820
311163
111136
651100
1915
2 331604
1230 798
413375
133616
349400
1916
2314613
710370
472447
126386
319000
1917
2 231428
1088 647
467 060
311042
276100
1918
2109179
1944541
439089
309000
280300
1919
1763062
2049898
440334
223573
294300
1920
1721977
2073476
410459
232 307
—
zum ersten Male den Betrag von 6 Millionen Mark überschritten, um
im Jahre 1911 auf 7 Millionen kg anzukommen. Augenblicklich steht
die Silbergewinnung auf 5 bis 6 Millionen kg.
») Nach der Reichsstatistik.
1U4 Erstes Buch, II. Abschnitt. Die Gestaltnng der EdelmetallverhÄltnisse.
In noch höherem Grade als bei der jüngsten Steigerung der Gold-
produktion hat bei dieser glänzenden Entwicklung der Silbergewinnung
die Verbesserung der metallurgischen Technik mitgewirkt. Die dadurch
ermöglichte erhebliche Verringerung der Kosten der Silbergewinnung
machte den Abbau und die Verarbeitung geringhaltiger Erze in immer
größerem Umfange lohnend, obwohl — was besonders hervorgehoben
werden muß — der Preis des Silbers seit dem Beginn der 70 er Jahre
um mehr als die Hälfte gefallen ist. Bei dem weitverbreiteten Vor-
kommen des Silber namentlich in geringhaltigen Erzen ist der für das
Silber zu erzielende Preis die einzige wirksame Grenze für die Aus-
dehnung der Silberproduktion geworden.
Wie oben für das Gold, so seien hier für das Silber einige speziellere
Nachweisungen über die Produktion in den einzelnen Jahren von 1876 an
und über die Erzeugung in den einzelnen Ländern von 1851 an beigefügt.
Die Tabelle auf S. 104 gibt eine Uebersicht über die Entwicklung
der deutschen Edelmetallproduktion (nach der Reichsstatistik).
Ueber die Provenienz des in Deutschland gewonnenen Goldes und Sil-
bers seit 1896') sei folgende Aufstellung gegeben. Es wurde gewonnen:
Gold
Sil her
ans in- u.
aus in- u.
aus in-
aus aus-
ausländ.
ans in-
aus aus-
ausländ.
Jahre
ländischen
ländischen
Rück-
ständen
ländischen
ländischen
Rück-
ständen
Erzen
Erzen
und
Abfällen
Erzen
Erzen
und
Abfällen
k?
kff
k-
kir
k^
k?
1896
86
772
1629
183 252
200 053
45124
1897
112
715
1954
171048
241812
35208
1898
111
837
1899
173329
276 522
30 727
1899
112
486
2007
194188
236 532
36870
1900
99
506
2450
168349
195 698
51688
1901
90
420
2245
171777
197968
34051
1902
94
331
2239
178409
214048
38153
1903
106
344
2122
180374
168836
47 043
1904
97
361
2280
180 736
153266
55825
1905
100
663
31700
180978
162 018
56779^)
1906
121
640
3441')
177.831
156277
58834^)
1907
100
463
4119')
158261
165193
63079*)
1908
97
669
3991-')
154636
178809
73740^)
1909
104
559
4401
165876
167163
67 523
1910
95
542
3988
174092
156870
89041
1911
118
573
4277
155044
175397
109138
1912*)
118
—
—
155044
—
•. ;. _
1913*)
204
—
—
155044
—
_
1914*j
204
—
—
155044
-
—
^) Für die früheren Jahre enthält die Reichsstafistik keine derartigen Augabeu.
') Darunter aus in- und ausländischem Werkblei
Gold teilbar
*) 1 kg ») 951 kg
») 1 „ ») 376 „
^ 38 „ ") 3378 „
') — y. ») 210 „
♦) Neaere vergleichbare Zahlen liegen nicht mehr vor.
3, Kapitel. Edelmetallprodaktion und Wertverhältnisse. § 4. IQ.S
Die Gold- und Silberproduktion DeDtschlands
1851—1919.
Perioden
bzw. Jahre
(durch-
schnittlich)
1000 Hark
S i 1 b e r 1)
1000 Mark
1851-1855
14,2
89,6
1856-1860
20,4
56,9
1861-1865
32,4
90,4
1866-1870
100,4
280,1
1871-1875
284,4
779
1876
281,3
785
1877
307,9
858
1878
378,5
1056
1879
466,7
1302
1880
463,0
1292
1881
380,7 '
1063
1882
376,1 1
1051
1883
457,3 i
1278
1884
555,0
1551
1885
1378,4 '
3 855
1886
1473,0 i
4112
1887
1753,0
4894
1888
1793,0
5003
1889
1717,0
4794
1890
2277,0
6335
1891
2427,0
6 760
1892
2549,0
7 094
1893
2547,0
7 086
1894
3199,0
8916
1895
3547,0
9878
1896
2487,0
6916
1897
2781,0
7 737
1898
2847,0
7913
1899
3605,0
7 259
1900
3055,0
8523
1901
2755,0
7 688
1902
2664,0
7 431
1903
2572,0
7175
1904
2738,0
7 636
1905
3933,0
10974
1906
4202,0
11727
1907
4682,0
13071
1908
4758,0
13288
1909
5064,0
14145
1910
4625,0
12 919
1911
4967,0
13847
1912
43400
; 121343
1913
38700
! 108 056
1914
22900,0
I 64 096
2915
6200,0
17 358
1916
11300,0
1 33193
1917
1 1000,0
: 31067
1918
8300
' 24 355
1919
13200
! 98629
48860
61510
68330
89120
145000
139800
147600
167 700
177500
186000
186 990
214980
235 060
248110
309420
318880
366 960
405910
402 400
402 260
443 840
487 960
448090
442 820
391980
428430
448 070
480580
467 590
415735
403 796
430610
396253
389827
399775
393442
386 933
407185
400562
429003
439580
895 800
765800
651100
349 400
319000
276100
280300
294003
8795
11072
12180
15954
24929
21970
23812
25 390
26518
28608
28514
32763
35088
37 056
44138
42618
48074
51392
50740
56060
58 877
57075
46948
38504
34403
38872
36381
38157
37 832
4653
32519
30800
28897
30367
32 922
35 768
34655
29699
28137
30654
32133
74145
62480
52 407
30 665
39 883
45560
48734
173403
*) Seit 1912 eiBBchließUcb des Metallinhaltes der Präparate «iner Scbeideanstalt.
106 Erstes Buch. 11. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Um einen Ueberblick über die Beteiligung aller einzelnen Länder
an der Produktion von Gold oud Silber zu geben, sei für das Jahr
1920 die folgende, nach den Angaben des amerikanischen MUnzdirektors
zusammengestellte Tabelle mitgeteilt.
Edelmetallproduktion der Welt im Jahre 1920 in den
einzelnen Ländern.
(Nach dem „Report of the Direktor of the Mint on the Produktion of the precioas
metals in the calendar year 19^0", Washington 1921).
Län
der
Gold
Si
Iber
kg fein
Wert in
1000 Mark
kg fein
Wert in
1000 Mark
England
227
273
2177
6
23
15
633
762
6074
17
64
42
1555
373
435
21153
1555
4666
10887
467
10784
933
99265
3110
214
Frankreich
51
Oesterreich
60
Tscheche-Slowakei
Rußland
2 912
214
Griechenland
Italien
642
1499
Serbien
65
Norwegen
1484
Schweden ...
128
Spanien -
13664
Türkei
Europa
lerika
428
2 721
7 592
155183
21361
Ver. Staaten von An
Kanada ....
77019
23 854
22969
4514
5
1060
2708
1129
2080
8727
1952
12
752
214884
66 553
64084
12594
14
2 957
7 555
3150
5 803
24348
5446
33
2098
1721977
397 932
2073476
83981
622
124416
622
1089
249
14930
286043
124
237029
54775
Mexiko
285413
Zentralamerika
Argentinien ....
11560
86
Bolivien, Chile
Brasilien
17126
86
Ecuador
150
Guayana
34
Kolumbien
2055
Peru
39374
Venezuela
17
Amerika
Afrika
Australien
146 781
282715
35582
409519
788 775
99274
4705 641
38 479
232 307
647 705
5297
31977
China
4514
8303
13584
9841
12594
23165
37 899
27456
2177
162126
89288
33721
300
22316
Britisch-Indien
Uebrigea Asien . .
12290
4 642
36 242 j
101114
287312
39 548
Insgesamt
504041
1406274 5418742 7451
3. Kapitel. Edelmetallproduktion uud Wertverhältnisse. § 5. 107
§ 5. Das Wertverhältnis von Gold und Silber«
Nicht geringere Aufmerksamkeit als die Entwicklung der Pro-
duktion der beiden Edelmetalle verdient die Gestaltung des Wertver-
liältnisses von Gold und Silber. Insbesondere zum Verständnis der
Entwicklung der internationalen Währungsverhältnisse ist die Kenntnis
der Veränderungen der Wertrelation zwischen beiden Metallen eine ähn-
lich wichtige Voraussetzung, wie die Kenntnis der Wandlungen der
Edelmetallproduktion. Freilich besteht zwischen Edelmetallgewinnung
und Wertrelation in der Art ihres Verhältnisses zur Gestaltung der
universellen Währungverfassung ein bedeutsamer Unterschied. Die Edel-
metallproduktion ist in der Hauptsache von Faktoren abhängig, die mit
der Gestaltung der monetären Verhältnisse nichts zu tun haben, von
der Entdeckung neuer Lagerstätten und von technischen Fortschritten;
die Wertrelation von Gold und Silber dagegen steht, abgesehen von
der Einwirkung der Verschiebungen in der Edelmetallgewinnung, in
großem Umfange unter dem Einflüsse der Wandlungen, welche die
monetären Verhältnisse durchgemacht haben. Wie sich aus der Dar-
stellung der Geschichte der internationalen Währungsverfassung ergeben
wird, besteht ein komplizierter Kausalnexus zwischen Produktion, mone-
tärer Verwendung und Wertverhältnis der beiden Edelmetalle; die inter-
essantesten und wichtigsten Probleme der Entwicklung der universellen
Währungsverhältnisse von der Entdeckung Amerikas bis zum Ausbruch
des Weltkrieges liegen auf diesem Felde.
Daraus ergibt sich, daß zwar einerseits ein Ueberblick über die
Entwicklung der Wertrelation zu den Voraussetzungen für die Be-
schäftigung mit der Gestaltung der internationalen Währungsverhältnisse
gehört, daß aber andererseits die Ursachen der Veränderungen der
Wertrelation eine genügende Beleuchtung erst aus der Entwicklung der
Währungsverhältnisse selbst erhalten können. An dieser Stelle kann
deshalb nur die tatsächliche Gestaltung des Wertverhältnisses von Gold
und Silber dargestellt werden, während eine Untersuchung der Ur-
sachen zunächst noch vorbehalten bleiben muß.
Eine gedrängte Uebersicht über die Schwankungen der Wertrela-
tion von der grauen Vorzeit bis zur Gegenwart w^urde bereits oben
(S. 52fiF.) gegeben, als es sich darum handelte, die Schwierigkeit der
Vereinigung beider Metalle zu einem einheitlichen Systeme darzustellen.
Zur Ergänzung dieser Angaben für die neuere Zeit folgt hier zunächst
eine Tabelle, die das Wertverhältnis für dieselben Zeiträume, für die
oben die Edelmetallproduktion dargestellt worden ist, enthält. Auch
auf diesem Gebiete sind die grundlegenden Arbeiten in erster Reihe
von Soetbeer geliefert worden, der zu diesem Behufe für die Zeit
vor 1687 die in Münzgesetzen, in Rechenbüchern und in der Literatur
enthaltenen Anhaltspunkte benutzt hat; für die Zeit von 1687 au liefern
die regelmäßigen Notierungen des Gold- und Silberpreises der Ham-
burger Börse ein zuverlässiges Material. In neuerer Zeit wird den
Berechnungen des Wertverhältnisses meist der in London notierte Silber-
preis zugrunde gelegt.
I(i8 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelraetallverhältnisse.
Hinsichtlich der Zuverlässigkeit des für die frühere Zeit ermittelte»
Wertverhiiltnisses gilt ahnliches, wie für die Zifl'ern der Edelnietall-
prod uktion. Soetbeer selbst hebt hervor, daß trotz aller Vorsicht
und Sorgfalt bei der Auswahl und Verwertung des Materials seine
Anga ben nur als ungefähre Schätzungen zu betrachten sind, schon
deshalb, weil bei dem unvollkommenen Zustande der Verkehrsmittel
zu gleicher Zeit au verschiedenen Orten erhebliche Unterschiede sowie
am gleichen Orte rasch aufeinander folgende Schwankungen im gegen-
seitigen Werte der Edelmetalle vorkamen.
In der neueren Zeit sind die örtlichen Abweichungen des Wert-
verhältnisses auf ein Minimum reduziert. Für Einzeluntersuchungen
Das W e r t V e r h ä 1 1 n i s zwischen Silber u n d G o 1 d.
Dnrchschnittgzahlen für längere Perioden bzw. Jahre von 1501 — 1919.
1 kg Gold
1 kg Gold
Perioden
= wieviel kg
Perioden
= wieviel kg
bzw. Jahre
Silber
bzw. Jahre
Silber
1501-1520
10,75
1851 -- 1855
15,41
1521-1540
11,25
1856-1860
15,30
1541-1560
11,30
1861-1865
15,40
1561-1580
11,50
1866-1870
15,55
1581-1600
11,80
1871-1875
15,97
1601-1620
12,25
1876-1880
17,81
1621-1640
14,00
1881-1885
18,63
1641-1660
14,50
1886-1890
21,16
1661-1680
15,00
1891-1895
26,32
1681-1700
15,00
1896-1900
33,54
1701-1720
15,21
1901-1905
36,20
1721-1740
15,08
1906-1910
35,68
1741-1760
14,75
1911-1915
36,67
1761-1780
14,72
1916
30,11
1781-1800
15,09
1917
23,09
1801-1810
15,61
1918
21,00
1811-1820
15,51
1919
18,44
1821-1830
15,80
1920
20,27
1831-1840
15,75
1921
32,20
1841-1850
15,83
kommen außer den Londoner Notierungen heute vor allem die Notie-
rungen an der Newyorker, Hamburger und Pariser Börse in Betracht.
Ein Ueberblick Über die Gesamtentwicklung der Wertrelation von
Gold und Silber zeigt, daß vom Beginne des 16. Jahrhunderts an das
Silber im Verhältnis zum Golde erheblich und fast ununterbrochen im
Werte gesunken ist. Eine nennenswerte Ausnahme machen nur die
Perioden 1720 bis 1780 und 1850 bis 1865, in denen der Silberwert
im Verhältnis zum Goldwerte eine kleine und vorübergehende Steige-
rung erfuhr; schließlich die Jahre des Weltkrieges, die eine plötzliche
starke Erholung des Silberpreises brachten, eine Erholung, die aller-
dings heute schon zum größten Teil wieder verloren gegangen ist.
3. Kapitel. Edelmetallproduktion nud Wertverhältuisso. § 5. lo9
D ie Intensität der relativen Wertverringeruug des Silbers ist
jedoch in den einzelnen Zeitabschnitten sehr verschieden. Während
des ganzen 16. Jahrhunderts und in den ersten beiden Jahrzehnten des
17. Jahrhunderts bröckelte der Silberwert allmählich, aber ununter-
brochen ab; die Periode 1601 bis 1620 zeigte eine durchschnittliche
Wertrelation von 1 : 12,25 gegen 1 : 10,75 ein Jahrhundert zuvor; das
war eine Entwertung des Silbers um etwa 12 Prozent im Laufe von
100 Jahren, Es sei daran erinnert, daß in jener Zeit die Silberpro-
duktiou einen ganz außerordentlichen Aufschwung nahm, während die
Goldproduktion nur verhältnismäßig langsam anwuchs.
Die folgenden Jahrzehnte brachten eine erhebliche Beschleunigung
im Rückgange des Silberwertes; die Wertrelation war schon 1621 bis
1640 1 : 14, sie ging auf 1 : 15 in den 40 Jahren 1661 bis 1700 und
auf 1 : 15,21 in der Periode 1701 bis 1720. Wie wenig die Produktions-
rerhältnisse allein entscheidend sind für die Gestaltung des gegen-
■eitigen Wertes der beiden Metalle, zeigt sich in dieser Periode ganz
besonders deutlich. Diese Entwertung des Silbers um nahezu 20 Pro-
zent vollzog sich bei stockender und abnehmender Silbergewiunung
und zunehmender Goldproduktiou; der Anteil des Goldes am Gewichte
der Gesamtproduktion stieg in jener Zeit von 2 Prozent auf 3,5 Prozent.
Von 1720 an begann der Silberwert wieder etwas zu steigen.
1761 bis 1780 war die durchschnittliche Relation 1 : 14,72. In dieser
ersten Periode der Unterbrechung des WertrUckganges des Silbers wies
die Goldproduktion infolge der Entdeckung Amerikas eine sehr erheb-
liche Steigerung auf, durch die — trotz der gleichzeitigen Steigerung
der Silbergewinnung — der Anteil des Goldes am Gewichte der Ge-
samtproduktion zeitweise (1741 bis 1760) auf 4,4 Prozent erhöht
wurde.
Mit der Abnahme der Goldgewinnung bei einer vorläufig noch
weiter steigenden Silberförderung begann der Silberwert um die Neige
des 18. Jahrhunderts abermals zu sinken; die Wertrelation hielt sich
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im großen Ganzen zwischen
1 : 15,5 und 1 : 16, mit einer namentlich gegen Ende dieser Periode
hin deutlich hervortretenden Tendenz zur weiteren Verringerung des
Silberwertes.
Mit der Entdeckung der kalifornischen Goldfelder trat die Ent-
wicklung in eine neue Phase. Die Wertrelation erfuhr eine ausge-
sprochene Verschiebung zuungunsten des Goldes und zugunsten des
Silbers. Die durchschnittliche Relation des Jahrfünfts 1856 bis 1860
war 1 : 15,30, und im Jahre 1859 ging die Wertrelation auf dem Lon-
doner Markte zeitweise bis auf 1 : 15,03 zurück, während sie im Jahre
1848 vorübergehend 1 : 16,12 gewesen war. Der Gewichtsanteil des
Goldes au der Gesamtproduktion der Edelmetalle hob sich in den
50 er Jahren auf mehr als 18 Prozent.
Schon in der zweiten Hälfte der 60 er Jahre trat jedoch abermals
ein Umschwung ein. und mit den 70 er Jahren begann der rapide und
unaufhaltsame Preissturz des Silbers. In zwei Jahrzehuten verlor da«
weiße Metall ungefähr die Hälfte seines Wertes. Im Jahre 1909 waren
erst etwa 40 kg Silber soviel wert wie 1 kg Gold.
110 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetal Iverhältnisse.
Die Zeit, in der sich diese auffallende Entwicklung, deren Ursachen
in der Zeit des Kampfes nm Gold- oder Doppelwährung heftig um-
stritten waren, vollzog, war charakterisiert durch folgende Merkmale:
1. Hinsichtlich der Produktionsverh.ältnisse. — Bis zur Mitte der
80 er Jahre ging die Goldproduktion zurück bei erheblich steigender
Silbergewinnung; in den folgenden Jahren nahm zwar die Goldpro-
duktiou wieder zu, aber die Silberförderung stieg bis etwa 1893 in
noch viel höherem Maße, sodaß der Anteil des Goldes am Gewichte
der Gesamtproduktion wieder bis auf 4,8 Prozent im Durchschnitt der
Periode 1886 bis 1895 zurückging. Von 1894 an zeigte allerdings die
Goldproduktion eine wesentlich stärkere Zunahme als die Silberge-
wiiuuiiig, ohne daß dadurch eine nachhaltige Erholung des Silberpreises
bewirkt worden wäre.
2. Hinsichtlich der monetären Verhältnisse. — Seit dem Beginn der
70 er Jahre hat sich in der Währungsverfassung der Kulturwelt eine
gewaltige Verschiebung vollzogen. Fast alle Länder, die für den Welt-
verkehr in Betracht kommen, haben dem Silber ihre Münzstätten ver-
schlossen und die Goldwährung mehr oder minder vollständig durch-
geführt. Die Verwendung des Silbers zu Geldzwecken ist mithin
beschränkt worden, während der Gebrauch des Goldgeldes eine sehr
erhebliche Ausdehnung erfahren hat.
Diese Andeutungen müssen hier genügen, um die Gestaltung der
Wertrelation mit der Gesamtentwicklung in Beziehung zu setzen.
In Anbetracht der Wichtigkeit der Vorgänge seit der Mitte des
19. Jahrhunderts sind in der Tabelle auf S. 111 und 112 die Londoner
Silbernotierungen und das sich daraus ergebende durchschnittliche
Wertverhältnis für die Zeit von 1840 bis 1921 zusammengestellt. Da-
zu ist folgendes zu bemerken:
Die Londoner Silbernotierung lautet auf pence (d) pro Unze Standard
Silber (oz. st.) Das Standard Silber ist ^'/^^ fein. Aus einer Unze
Standard Gold von ^7i2 l^^cinheit werden andererseits 3 Pfd. Sterl. 17 sh.
10 Va d = 934,5 d geprägt. Daraus ergibt sich, wenn man die Londoner
Notierung des Silberpreises = a setzt, zur Berechnung des Wertver-
hältnisses zwischen der feinen Unze Silber und der feinen Unze Gold
folgender Kettensatz:
X Unzen feines Silber
11 Unzen feines Geld
1 Unze Standard Gold
a pence
40 Unzen Standard Silber
12-934,5-3 7
Danach ist x = — — — ;
11 - 40 - a
942,995454 . .
1 Unze feines Gold
12 Unzen Standard Gold
934,5 pence
1 Unze Standard Silber
37 Unzen feines Silber.
Man muß mithin die konstante Zahl 942,995454 .... mit dem
Londoner Silberpreise dividieren, um die Kelationszahl zu ermitteln.
Diese Berechnung hat allerdings einen nahezu festen Londoner Gold-
3. Kapitel. Edelmetallproduktion and WertverhältniBse. § 5,
111
preis, wie er von den 20 er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis in den
Weltkrieg hinein tatsächlich bestand, zur Voraussetzung. Für die Zeit
vom Beginn des Weltkrieges an muß die Berechnung den jeweiligen
Stand des Goldpreises berücksichtigen, oder, soweit für diesen angesichts
der Beschränkungen des freien Goldhandels keine Anhaltspunkte vor-
liegen, den Kars des amerikanischen Dollars, der sich im großen Ganzen
ungefähr auf der Goldparität gehalten hat.
Der Londoner Silberpreis und das sich daraus ergebende
Wertverhältnis zwischen Silber und Gold 1848 — 1921.
Niedrigster
Höchster
Durchschnittl.
Durchschnittl.
Wertverhältuia
1 kg Gold
Jahre
Silberpreia
(penc
.e pro Unze Standard)
= X kg Silber
1848
SS'/s
60
59V,
15,85
1849
591/2
60
5974
15,76
1850
59V2
61V,
61 Vi«
15,44
1851
60
6178
61
15,46
1852
5978
617«
60V.
15,58
1853
60^8
6178
61V,
15,33
1854
60 '/s
6178
61V,
15,33
1855
60
61^8
617,6
15.38
1856
60'/,
62Vi
617,9
15,38
1857
61
62%
6 17,
15,27
1858
6O7,
6178
617,6
15,38
1859
6 174
627,
62V,6
15,19
1860
61 Vi
6278
61"/,6
15,29
1861
607«
6178
60'7i,
15,51
18H2
61
62V8
6I7..
15,34
1863
61
6 17*
6178
15,36
1864
6O7«
62V,
6178
15,86
18H5
60 Va
6178
61 7,6
15,44
1866
eoVs
6^V,
eiVs
15,41
1867
60»/«
61 V*
607,6
15,57
1868
60 Vg
61V,
60V,
15,58
1869
60
61
607,6
15,59
1870
60'/^
6OV4
607,8
15,57
1871
607.»
61
607,
15,58 •
1872
59'/*
61V8
607,,
15,63
1873
5778
59 '7i«
5974
15,93
1874
57V4
597,
587,6
16,16
1875
55'/,
5778
5678
16,64
1876
467,
58 V,
5274
17,75
1877
53 V*
58V4
54 '7,6
17,20
1878
49»/,
55 V4
527,,
17,92
1H79
4878
53«/4
517*
18,39
1880
51»/8
527«
527,
18,05
1881
507«
6279
51 'V,.
18.25
1882
50
527«
517s
18,20
18H3
50
51 7i»
507.6
18,64
1884
49Va
517«
507«
18,61
1885
467.
50
487,
19,41
112 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edeluietallverh<nisse.
Jahre
Niedriüfsier
Höchster
Durchschnittl.
Silberpreie
(pence pro Unze Standard)
Durchschnittl.
Wertverhältuis
1 kg Gold
= X kg Silber
1886
42
47
45V8
20,78
18M7
43V«
47V.
44V,
21,10
1888
41'/g
44Vi«
42V,
22,00
18Si)
42
44»/8
42^7,«
22,10
1890
*^3^,.
54'/«
47'V,6
19,75
1891
43V,
48Vs
45Vi6
20,92
1892
37 Vs
43»/,
39'Vi6
23,72
1893
30V,
38V4
35V,
26,49
1894
27
31»/,
28^Vifl
32,56
1895
27Vi6
31Ve
29V,
31,60
1896
29»/,
31^%
30»/,
30,59
1897
23^/,
29"/,,
27V,.
34,20
18w8
25
28V,6
26'Vie
35,03
1899
26Vh
29
27'/,«
34,36
1900
27
30»/,,
28Vi
33,33
1901
24^^'le
29V,6
27Vi«
34,68
1902
21"/u
26V8
24Vi«
39,15
1903
21^Vl6
28V2
24»/,
38,10
1904
24'/,«
28'/i,
26V8
35,70
1905
25'/i,
30V,6
27»/:,
33,87
1906
29
33V,
30V,
30,54
1907
24V4
32Vi,
30V,e
31,24
1908
22
27
24»»/3,
38,64
1909
23Vi,
24V,
23^V32
39,74
1910
23V,6
2«Vi
24"/„
38,22
1911
23^Vi6
26V,
24"/,,
38,33
1912
2öV,
29'V,e
28V,e
33,62
1913
26Vi,
29«/,
27 V, 6
34,19
1914
22V.
27V*
25 V*
37,37
1915
22^/.fl
27V4
23V,
41,35
1916
26"/,,
37Vs
31V8
30,80
1917
35>V,6
55
40'V,6
23,67
1918
42 V,
49V,
47'Vs2
20,31
1919
47^4
79V8
57V,,
18.82
1920
8«V«
38V,
61"/,,
20,80
1921
43»/«
30V,
36V,
31,90
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauche
der Edelmetalle von 1493 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
§ 1. Die Entnicklang von der Entdeckung Amerikas bis znm Ende
des 18. Jahrhunderts.
In den beiden Jahrhunderten vor der Entdeckung Amerikas über-
wog in den europäischen Kulturstaaten, soweit es sich aufgrund der
lückenhaften Anhaltspunkte beurteilen läßt, der Gebrauch des Gold-
geldes. Die fortgesetzte Verschlechterung der SilbermUnzen soll iu
4, Kapitel. Die Wandlungen iin monetäreu Gebrauch der Edelmetalle. §1. 113
jener Zeit dazu geführt haben, daß sich der Großhandel immer mehr
der wahrscheinlich vom Orient nach Italien gebrachten und von dort
über ganz Europa bis nach England vordringenden GoldraUnzeu bediente.
Mau hat sogar davon gesprochen, daß in jener Periode in den wich-
tigsten Kulturstaaten die „Goldwährung" geherrscht habe. Das Wort
„Goldwährung" darf in diesem Zusammenhange natürlich nicht als die
Bezeichnung eines bestimmten Währungssystems aufgefaßt werden; denn
die Goldwährung in diesem Sinne und die Währungssysteme überhaupt
sind ja, wie im ersten Abschnitte gezeigt wurde, erst viel später ent-
standen. Die Geldverfassung der damaligen Zeit charakterisiert sich
vielmehr als Sortengeld, und der Ausdruck „Goldwährung" kann hier
nur besagen, daß innerhalb dieses Kahmens der tatsächliche Gebrauch
von Goldgeld vorherrschend war.
Wie weit die herkömmliche Begründung dieses Zustandes durch
die Verschlechterung der Silbermünzen zutreffend ist, muß hier dahin-
gestellt bleiben. Nur zur Ergänzung sei auf einen Umstand aufmerksam
gemacht, der aus der späteren Entwicklung eine besondere Beleuchtung
erhält, nämlich auf die Tatsache, daß es, wie oben (S. 84 und 97) aus-
führlich dargelegt worden ist, überaus wahrscheinlich, ja man kann
sagen durchaus sicher ist, daß in jener Periode die Goldproduktion im
Verhältnis zur Silberproduktion beträchtlich größer war als vom An-
fang des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Noch für die Zeit
von 1493 bis 1520 stellte sich nach der Soetbeerscheu Statistik der
Auteil des Goldes am Gewichte der gesamten Edelmetallproduktion auf
11 Prozent, während er in der Folgezeit bis unter 2 Prozent herabging.
Dem Werte nach entfielen auf das Gold in dem genannten Zeiträume
57 Prozent, während sich sein Auteil im 16. und 17. Jahrhundert zeit-
weise unter 20 Prozent ermäßigte. Schon im Jahre 1419 hatten aber
die Portugiesen das Kap Bojador an der Westküste Afrikas umsegelt,
und der Goldstaub gehörte zu den wichtigsten Waren, welche die
portugiesischen Schiffe von den Küsten Afrikas nach Europa brachten.
Wenn man ferner erwägt, daß bereits im letzten Viertel des 15. Jahr-
hunderts die deutsche Silberproduktion einen sehr erheblichen Auf-
schwung zeigte, während von der Goldgewinnung eine ähnlich große
Zunahme nicht berichtet wird, so erscheint der Schluß gerechtfertigt,
daß in dem Jahrhundert vor 1493 der Anteil der Goldproduktion noch
erheblich bedeutender war, als ihn die Ziffern für die Periode 1493
bis 1520 ausweisen. Für eine Zeit, in der das Geldwesen noch nicht
in feste Formen gegossen ist, in denen vielmehr der Verkehr alles als
Geld benutzt, was sich ihm als geeigneter Geldstoff darbietet, läßt ein
Uebervviegen der Goldproduktion allein schon einen überwiegenden Ge-
brauch von Goldgeld als natürlich erscheinen.
Mit der Hervorhebung des vorherrschenden Goldgebrauchs sind je-
doch die Geldverhältnisse zur Zeit der Entdeckung Amerikas noch nicht
genügend charakterisiert. Es muß außerdem erwähnt werden, daß der
Gebrauch des metallischen Geldes überhaupt damals noch ein be-
achränkter war, daß die Naturalwirtschaft in den weitesten Schichten
noch nicht durch die Geldwirtschaft verdrängt war, wenn auch die
letztere während des Mittelalters erhebliche Fortschritte gemacht hatte.
Uelfferioh, Dai ä»ld. 8
114 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltimg der Edelmetallverhältnisse,
Eine weitere Ausdehnunp des Geldgebraucbs erschien aus der
gesamten wirtschaftlichen Entwicklung heraus notwendig. Aber erst
durch den gewaltigen Strom von Edelmetall, der sich von 1520 an
über die alte Welt ergoß, wurde der enorme Fortschritt der Geldwirt-
schaft, der die neue Zeit auszeichnet, möglich gemacht.
Wenn wir sehen, daß weitaus der größte Anteil an der Steige-
rung der Edelmetallproduktion wahrend des 16. und 17. Jahrhunderts
auf das Silber entfiillt. so muß es als eine notwendige Folge erscheinen,
daß in jener Zeit das Silber das Gold aus seiner beherrschenden
Stellung als Geldmetall verdrängte. Diese Entwicklung hatte schon
vor der Entdeckung der neuen Welt und ihrer Silberschätze begonnen
mit der Steigerung der Silbergewinnung in Sachsen, Böhmen und Tirol.
Die fortgesetzte \ erschlechterung der Goldmünzen mag auch dieses Mal
den l'mscliwung begünstigt und den Verkehr für die Aufnahme der neuen
großen Sil bei münzen, die damals aufkamen, günstig gestimmt haben.
Das entscheidende Moment war aber auch in diesem Falle sicherlich
die große Zunahme der Silbergewinnung in Verbindung mit dem Um-
stände, daß das Silber damals in viel höherem Grade als das Gold dem
wichtigsten monetären Bedürfnisse der Zeit entsprach. Dieses Bedürfnis
war die Ausdehnung des Metallgeldgebrauches von den Höhen des Groß-
verkehrs auf die bisher noch von der Naturalwirtschaft beherrschten
unteren Schichten der Volkswirtschaft. Für den Großhandel war das
Gold ein ebenso geeignetes, ja ein tauglicheres Geld als das Silber;
für den mittleren und kleineu Verkehr aber, für alle die weiten Kreise,
die nunmehr der Geldwirtschaft neu erschlossen wurden, war bei der
Kleinheit aller wirtschaftlichen Verhältnisse das Gold ein viel zu kost-
barer Geldstoff; nur das Silber konnte hier Eingang finden.
Die Produktionsverhältnisse der Edelmetalle und die wirtschaft-
lichen Bedürfnisse der Zeit wirkten also vereint dahin, dem Silber
wieder die vorherrschende Stellung im Geldwesen zu verschaffen. Aber
eben deshalb wirkten diese beiden Momente in einer anderen Beziehung
einander entgegen, nämlich in Hinsicht auf den Wert des Geldes
gegenüber den übrigen Gütern im allgemeinen und auf das gegen-
seitige Wertverhältnis der beiden Edelmetalle im besonderen.
Es ist hier noch nicht der Platz zu einer genaueren Untersuchung
der Faktoren, die den Wert der Edelmetalle bestimmen. Einer
solchen bedarf es auch nicht, um zu erweisen, daß außerordentliche
Veränderungen in der Produktion der Edelmetalle, durch die inner-
halb weniger Jahrzehnte der Umfang des gesammten Edelmetallvorrates
stark beeinflußt wird, für die Wertbewegung der Edelmetalle von
Bedeutung sind. Es ist a priori wahrscheinlich, daß die vom Anfang
des 16. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts eingetretene Vermehrung
der gesamten Edelmetallproduktion auf das Siebenfache den Wert des
Edelmetallgeldes gegenüber den übrigen Gütern herabzudrücken ge-
eignet war und daß speziell die Vermehrung der Silberproduktion
auf das Neunfache bei einer Steigerung der Goldgewinnung um nicht
ganz die Hälfte das Wertverhältnis der beiden Metalle zuungunsten
des Silbers beeiuflussen mußte.
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 1. 115
In der Tat haben eich beide Wahrscheinlichkeiten verwirklicht,
aber nicht entfernt in einem Maße, das der Größe der Veränderungen
in der Edelmetallproduktion entsprochen hätte.
Zur Illustration der Entwicklung des Geldwertes gegenüber den
übrigen Gütern in der hier in Betracht kommenden Periode mögen die
folgenden Zahlen dienen, die Rogers für England als effektive Durch-
schnittspreise ermittelt hat:
In den Jahren
1541—1582
In den Jahren
1583—1642
In den Jahren
1643—1702
Weizen
13 sh. 61/2 d
8 „ 53/, „
5 „ 5V, „
1 „ 7 „
2 „ 8 „
26 „ 23/, „
3 „ 4V3 „
3 „ 3 „
36 sh. 1 d
19 „ 93/, „
12 „ 5 „
2 „ 5V3 „
4 „ 9V, „
33 „ IIV4 „
4 „ 23/, „
4 „ 10 „
41 sh. IIV4 d
22 „ 2V4 „
15 „ 27, „
3 „ 57, „
6 „ 1 „
Gerste
Hafer
Rindfleisch
Butter
Eisen
Lohn der Maurergesellen . . .
Lohn der laudw. Arbeiter . . .
38 „ 10 „
6 . 73/, „
6 n 43/, „
Zweifellos wäre die Geldwertverringerung und die ihr entsprechende
Preisrevolution eiue beträchlich stärkere gewesen, wenn nicht das starke
Bedürfnis nach einer Ausdehnung der Geldwirtschaft den großen Massen
neuen Metalls ein weites Verwendungsfeld gesichert hätte. Weil die
vermehrte Produktion einem starken wirtschaftlichen Bedürfnisse ent-
gegenkam, übte sie nicht ihre volle Wirkung auf den Wert des Edel-
metallgeldes aus. Weil aber dieses starke wirtschaftliche Bedürfnis
sich ausschießlich auf das Silbergeld erstreckte, weil das weite Feld,
das in jener Zeit der Geldwirtschaft neu erschlossen wurde, nur für
das für kleinere Zahlungen geeignete Silber Verwendung hatte, deshalb
erscheint die Einwirkung der veränderten Produktionsverhältnisse auf
die Wertrelation der beiden Metalle in noch viel höherem Grade ab-
geschwächt, als die Einwirkung auf den Geldwert schlechthin. Durch
die rasch fortschreitende Ausdehnung der Geldwirtschaft auf die unteren
Schichten der Volkswirtschaft gewann das Silber gegenüber dem Golde
so sehr an Bedeutung und Verwendbarkeit innerhalb des Geldwesens,
daß trotz der vielfach stärkeren Vermehrung der Silbergewiunung nur
eine rchitiv geringfügige Aenderung der Wertrelation zugunsten des
Goldes eintrat, eine Verschiebung von 1 : 10,75 auf 1 : 12,25. —
Die Periode von etwa 1620 an zeigte in den wesentlichsten Punkten
eine umgekehrte Tendenz. Bei abnehmender Silbergewiunung fuhr die
Goldproduktion fort zu steigen. Gleichzeitig wuchs aus verschiedenen
Gründen die monetäre Nachfrage nach Gold. Die europäische Welt
wurde damals durch langwierige und verheerende Kriege heimgesucht,
und in solchen unsicheren Zeiten ist das Gold, weil es leichter zu
transportieren und zu verbergen ist, stets mehr gesucht als das Silber.
Von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an kam hinzu der Auf-
schwung des internationalen Verkehrs und die Vergrößerung der Um-
sätze. Dadurch wurde in ähnlicher Weise, wie in der vorhergehenden
Periode durch die Ausdehnung der Geldwirtschaft nach unten hin für
8*
116 Erstes Buch. 11. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
das Silber, so jetzt für das Gold ein weiteres Verwendungsgebiet und
eine stärkere Nachfrage geschaffen. Denn je mehr der internationale
Verkehr wächst, bei dem es sieh um die Versendung beträchtlicher
Summen auf große Entfernungen handelt, und je größer die Umsätze
auch im liilandsverkehr werden, desto stärker wird das Bedürfnis nach
Zahlungsmitteln, die in kleinem Volumen einen hohen Wert repräsentieren;
und in dieser Beziehung ist das Gold dem Silber weit überlegen. Nur
aus dieser Zunahme der Goldnachfrage läßt es sich erklären, daß von
1620 an das Gold gegenüber dem Silber erheblich im Werte stieg,
während gleichzeitig der Anteil des Goldes an der Gesamtproduktion
der beiden Metalle eine nicht unwesentliche Steigerung aufwies. Das
Wertverhältnis zwischen Silber und Gold ging von 1 : 12,25 in der
Periode 1601 bis 1620 auf 1 : 14 im Durchschnitt der folgenden 20 Jahre,
und es hob sich bis auf 1:15,21 im Durchschnitt der Jahre 1701 bis
1720. Das war die stärkste Veränderung der Relation seit dem Be-
ginn des Mittelalters, und sie ist auch späterhin nur übertroffen worden
durch die Silberentwertung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
Die Möglichkeit, daß der große Silberzufluß aus der neuen Welt,
der von 1545 an begonnen hatte, seinen Einfluß auf das Wertverhältnis
der beiden Metalle erst von etwa 1620 an in vollem Umfange ausübte,
nachdem sich die jährliche Neuproduktion allmählich zu großen Massen
aufgestaut hatte, soll bei der Erklärung des ungewöhnlichen Rückgangs
des Silberwertes nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Gänzlich
abzulehnen sind dagegen die Versuche, den Umschwung in der Wert-
relation aus den Einflüssen der staatlichen Münzgesetzgebung zu er-
klären, also daraus, daß in der in Frage stehenden Periode die Gold-
münzen in staatlichen Verordnungen gegenüber den Silbermünzen fort-
gesetzt höher tarifiert worden seien. Der ursächliche Zusammenhang
ist vielmehr der umgekehrte. Jeder Kenner der damaligen monetären
Verhältnisse weiß, daß in jener Zeit die staatlichen Tarifierungen von
Gold- und Silbermünzen nicht nur auf das Wertverhältnis der unge-
prägten Metalle ohne Einfluß waren, sondern daß sie nicht einmal den
Wert der geprägten Münzen zu fixieren vermochten. Die Münzen waren
vielmehr der schwankenden Bewertung des freien Verkehrs unterworfen,
und die häufigen Aenderungen der offiziellen Tarifierungen der Münzen
wurden dadurch hervorgerufen, daß die offizielle Bewertung nicht mehr
im Einklang mit der tatsächlichen Bewertung stand. Weit entfernt,
die Ursache der veränderten Bewertung der beiden Metalle im freien
Verkehr zu sein, waren mithin die Veränderungen der gesetzlichen
Tarifierung damals die Wirkung des veränderten Marktwertes der
Edelmetalle.
Während in dem Jahrhundert von 1620 bis 1720 die Wirkung der
Produktionsverhältnisse auf das Wertverhältnis beträchtlich überboten
wurde durch Verschiebungen in der monetären Nachfrage nach Gold
und Silber, übte in den folgenden Jahrzehnten die reiche Goldausbeute
Brasiliens einen sichtbaren Einfluß aus. Die Wertrelation begann eine
Veränderung zuungunsten des Goldes zu zeigen. Während sie in dem
Jahrzehnt 1701 bis 1710 durchschnittlich 1:15,27 gewesen war, stellte
sie sich 1751 bis 1760 auf 1 : 14,56. Außer der ungewöhnlichen Stei-
4. Kapitel. Die Wandlangen im monetärea Gebraach der Edelmetalle. § 1. 117
gerong der Goldgewinnung mag za dieser Veränderung der Umstand
beigetragen haben, daß der sich immer mehr entwickelnde Verkehr
mit Indien fortgesetzt große Mengen von Silber absorbierte.
Abgesehen von der Einwirkung auf das Wertverhältnis, die sich
bald als vorübergehend herausstellte, hatte die große Steigerung der
Goldprodnktion die dauernde Folge, daß in dem Lande, das immer mehr
die Führung in der wirtschaftlichen Entwicklung übernahm, nämlich
in England, der vorwiegende Gebrauch des Goldgeldes sich einbürgerte.
Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte das Gold in der englischen
Zirkulation gegenüber dem Silber erheblich an Boden gewonnen. Be-
günstigt worden war diese Entwicklung, wie oben in anderem Zu-
sammenhange dargelegt wurde, durch den schlechten Zustand des Silber-
geldes und nach der Silbermünzreform von 1695 durch das Verhalten
der öffentlichen Kassen, welche die Goldmünze, die Guinea, zu einem
höheren Werte in Zahlung nahmen, als der Marktrelation zwischen
Silber und Gold entsprochen hätte. Bis zum Jahre 1717 war aller-
dings der Privatverkehr nicht an den Kurs der öffentlichen Kassen
gebunden; wenn trotzdem die Guinea auch im Privatverkehr zu einem
im Verhältnis zur Marktrelation der beiden Metalle zu günstigen Kurse
in Zahlung genommen wurde, so war das nur möglich aufgrund der
Tatsache, daß die vorgeschrittene englische Volkswirtschaft für das
Goldgeld ein sich immer mehr erweiterndes Verwendnngsfeld bot. In
den Jahren 1717 und 1718 wurde dann formell ein Doppelwährungs-
system eingeführt; die Guinea erhielt einen festen, auch für den Privat-
verkehr verbindlichen Kurs von 21 Schilling, und dieser Kurs ent-
sprach einem Wertverhältnisse von 1 : 15,2. Tatsächlich hatte England
damals schon einen fast ausschließlichen Goldumlauf, und da die neue
gesetzliche Relation für das Gold gegenüber der Marktrelation immer
noch zu günstig war, ist auch in der Folgezeit der englischen Zirku-
lation fast ausschließlich Gold zugeflossen. Von 1701 bis 1816 wurden
für mehr als 9ü Millionen Pfd. Sterl. Goldmünzen geprägt. Silber-
münzen dagegen nur für 908 200 Pfd. Sterl.^).
Bemerkenswert ist, daß die englische Doppelwährung nicht die
Wirkung hatte, den gegenseitigen Marktwert der Edelmetalle in Ueber-
einstimmung zu setzen mit der gesetzlichen Relation. Vielmehr ent-
fernte sich das Wertverhältnis der beiden Metalle auf dem Markte in
den auf die formelle Einführung der Doppelwährung folgenden Jahr-
zehnten immer weiter von dem gesetzlichen Wertverhältnisse. Der von
Soetbeer für das Jahrzehnt 1711 bis 1720 berechnete Durchschnitt
von 1 : 15,15 kam der gesetzlichen Relation der englischen Doppel-
währung 1 : 15,2 sehr nahe; aber späterhin veränderte sich die Markt-
relation bis auf 1 : 14,56 im Durchschnitt des Jahrzehnts 1751 bis 1760.
England hatte eben in jener Zeit kein Silber abzugeben; es hatte nur
einen spärlichen und abgenutzten Silbernmlauf. infolgedessen ver-
mochte es der relativen Wertsteigernng des Silbers nur insoweit ent-
gegenzuwirken, als es einen großen Teil des neuproduzierten Goldes
') Kalkraaun, Eni^Iands Uebergfanuf zur Goldwährunj^. Straßbure^ 1895.
S. 64, 65; Lexis, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Bd. V. S. 39.
118 Erstes Buch. II. Abschnitt, Die Gestaltung der Edelmetallverhältuisse.
bereitwillig aufnahm und dadurch den Einfluß der Steigerung der
Goldproduktion auf den relativen Goldwert einigermaßen paralysierte.
Der gewaltige Aufschwung der englischen Volkswirtschaft während
des 18. Jahrhunderts machte eine starke Vermehrung der Geldzirku-
lation überhaupt und — bei der Größe der Umsätze — speziell des
Goldumlaufs dringend wünschenswert.
Auch auf die monetären Verhältnisse der übrigen Länder scheint
die vermehrte Goldgewinnung um die Mitte des 18. Jahrhunderts einen
gewissen Einfluß ausgeübt zu haben. Eine Zunahme der Goldzirkulatiou
scheint damals fast überall eingetreten zu sein, namentlich in den
wirtschaftlich am meisten entwickelten Ländern wie Frankreich.
Während jedoch in diesen Ländern der mit dem letzten Drittel
des 18. Jahrhunderts einsetzende neuerliche Umschwung in den Pro-
duktionsverhältnissen der Edelmetalle wieder zu einem fast ausschließ-
lichen Silberumlaufe zurückführte, hat England den einmal gewonnenen
Goldumlauf auch gegenüber den Wandlungen in der Produktion und im
Wertverhältuisse der Edelmetalle sich dauernd zu sichern verstanden,
und zwar durch Maßnahmen, die auf die Einführung der Goldwährung
hinausliefen und die bereits in dem Kapitel über die Entstehung der
Goldwährung genauer dargestellt worden sind. Die rasche Abnahme der
Goldproduktion nach der Erschöpfung der brasilianischen Goldfelder
führte in Verbindung mit der fortgesetzt steigenden Silbergewinnung von
neuem zu einer Verschiebung des Wertverhältnisses zuungunsten des
Sil'uers. In der zuzeiten Hälfte der 90 er Jahre kam die Marktrelation
auf einem Punkte an, der die Ausprägung von Silber auf der Lon-
doner Münzstätte und das Einschmelzen der englischen Goldmünzen
lohnend erscheinen ließ. Da aber die Ersetzung des vorhandenen
Goldumlaufs durch einen vorwiegenden Silberumlauf in England der
Regierung und dem Parlamente nicht wünschenswert erschien, wurde
die Einstellung der bisher formell freien Silberprägung verfügt (1798).
Bei der Entwicklungsgeschichte der Geldsysteme hat uns dieser Vor-
gang interessiert, weil er der erste Schritt zur Ausbildung der Gold-
währung, zur wirksamen Zusammenfassung von Gold- und Silbermünzen
in einem Systeme war. An dieser Stelle haben wir seine Bedeutung
für den tatsächlichen Umfang der monetären Verwendung der Edel-
metalle, insbesondere des Silbers zu würdigen.
Die Sperrung der englischen Münze für das Silber im Jahre 1798
war die erste „Demonetisation" des Silbers. Wenn man den Vorgang
nach seiner rein formalen Seite hin betrachtet, so wurde dem Silber
ein großes und wichtiges Verwendungsgebiet verschlossen, und es liegt
deshalb nahe, von einer künstlichen Beschränkung der Silbernachfrage
vermittelst der Münzgesetzgebung zu sprechen. Die Münzgesetzgebung
erscheint hier zum ersten Male als unmittelbar bestimmend, in welchem
Umfange die beiden Metalle zu Geldzwecken verwendet werden sollen,
und sie scheint dadurch einen direkten Einfluß auf den gegenseitigen
Wert der beiden Metalle zu gewinnen. Damit taucht die große Streit-
frage auf, die später die „Währungsfrage" in großem Umfange be-
herrschen sollte: ob die Münzgesetzgebung die Ursache der Silbereut-
4. Kapitel. Die Wandlangen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 1. 119
Wertung gewesen sei, und ob durch die Münzgesetzgebung der Silber-
wert wieder hergestellt und befestigt werden könne.
Zur richtigen Beurteilung der Bedeutung, die der Einsteilung der
englischen Silberpräguug zukommt, sind vor allem folgende Momente
zu beachten:
Die Maßnahme, die in formeller Beziehung eine entscheidende
Aenderung der englischen Münzverfassung bedeutete, war in tat-
sächlicher Beziehung lediglich eine Aufrechterhaltnrig des bestehenden
Zustaudes. Der vorhandene Goldumlauf wurde gegenüber der Gefahr
einer Verdrängung durch das billiger werdende Silber sichergestellt,
und wie schon bisher, so mußte sich nun auch in Zukunft die englische
Nachfrage nach Geld ausschließlich auf das Gold richten. Der bestehende
Zustand wurde durch die Sperrung der Silberprägung gesichert, weil
er den Bedürfnissen des Verkehrs entsprach und weil nach der all-
gemeinen Ansicht eine Verdrängung des Goldumlaufs durch einen Silber-
umlauf den Interessen des englischen Verkehrs entgegen gewesen wäre.
Durch die Feststellung dieses Verhältnisses wird die Annahme, die Nach-
frage nach Silber sei durch die Sperrung der englischen Silberprägung
künstlieh beschränkt worden, in das richtige Licht gesetzt. Die am
Ende des 18. Jahrhunderts durch den Rückgang des Silberwertes ent-
stehende Möglichkeit der Silberverwertung durch Ausprägungen in der
Londoner Münzstätte war nur eine durch die automatische Wirkung
des bestehenden üoppelwährungssystems geschaffene Absatzmöglichkeit,
nicht aber eine auf den wirklichen Bedürfnissen des lebendigen Ver-
kehrs beruhende Nachfrage nach silbernen Zahlungsmitteln. Der
Gesetzgebungsakt, der die Einstellung der Silberprägung verfügte,
hat also nicht eine wirklich vorhandene Silbernachfrage künstlich be-
schränkt; er war vielmehr lediglich der Ausdruck der Tatsache, daß
der englische Verkehr für die eindringenden Silbermengeu keine Ver-
wendung hatte. Die Gesetzgebung war also nicht die letzte Ursache
für die dauernde Beschränkung des Silbergebrauchs im englischen
Verkehr und für die daraus sich ergebenden Wirkungen auf das Wert-
verhältnis von Silber und Gold; die Gesetzgebung war vielmehr nur
das Instrument, durch das sich die Bedürfnisse des \'erkehrs, die
sich früher unmittelbar in der wechselnden Bewertung von Gold- und
Silbermünzen äußern konnten, Geltung verschafften. Die Sperrung der
Silberprägung hat nicht die Nachfrage nach Silber zu Geldzwecken
beschränkt; vielmehr wurde, weil die Bedürfnisse des englischen Geld-
verkehrs sich nicht auf das Silber, sondern auf das Gold richteten, die
Einstellung der Silberprägung verfügt.
Die entscheidende Bedeutung des ganzen Vorgangs liegt darin, daß
zum ersten Male ein großes Land, und zwar dasjenige Land, welches
in der wirtschaftlichen Entwicklung die erste Stellung einnahm, sich
weigerte, das Silber in beliebigen Mengen, wie sie die jeweilige Pro-
duktion lieferte, in seinen Geldumlauf aufzunehmen; daß vielmehr eine
den gegebeneu Unterschieden zwischen Gold und Silber entsprechende
verschiedene Behandlung der beiden Metalle eintrat, indem das Silber
auf die Sphäre der kleinen Zahlungen, für die das Gold zn wertvoll
ist. beschränkt wurde, während die Sphäre der größeren Zahlungen,
120 Erstes Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverh<nisse.
fUr die das Silber als zu schwer und unbequem erschien, ausschließlich
dem Golde vorbehalten wurde. Diese Beschränkung^ des Silberg;elde8
auf einen bestimmten Kreis war gleichzeitig der erste und wichtigste
Schritt zur Herstellung eines einheitlichen aus Gold- und SilbermUuzen
bestehenden Geldsy.«tems, So fand in der Goldwährung gleichzeitig
die bisher noch niemals vollkommen gelungene Zusammenfassung von
Gold- und Silbermllnzen, wie auch die den Bedürfnissen eines ent-
wickelten Verkehrs entsprechende Begrenzung des Silberumlaufs eine
zweckentsprechende Verwirklichung.
g 2. Die Entiricklnngr bis zn den kalifornischen Goldfanden.
Außerhalb Englands war im 18. Jahrhundert und in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das Bedürfnis nach einem vor-
wiegenden Goldumlaufe noch nicht vorhanden. Die kleineren wirtschaft-
lichen Verhältnisse boten für das Silber noch ein breites Verwendungs-
feld, und wenn auch das um die Mitte des 18. Jahrhunderts in
größeren Mengen eindringende Gold keineswegs ungern vom Verkehr
aufgenommen wurde, so hat doch, als die Abnahme der Goldproduktion
eintrat, während die Silberproduktion zu steigen fortfuhr, der Verkehr
ohne merklichen Widerstand auf das Gold verzichtet. Der gemein-
schaftliche Zag der Entwicklung des Geldwesens auf dem europäischen
Kontinente in den letzten Jahren des 18. und in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts ist die Tatsache, daß das Silbergeld zur fast aus-
schließlichen Herrschaft kam, so verschieden auch die formelle Geldver-
fassung in den einzelnen Ländern war.
In Deutschland war in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts aus dem Chaos des Sortengeldes heraus die Parallelwährung
hervorgegangen und zur Anerkennung gelangt. In dem MUnzedikte
Friedrichs des Großen vom 14. Juli 1750, das für die spätere Ent-
wicklung des deutschen Münzwesens grundlegend geworden ist — es
führte den Taler mit einem Feingehalte von ^|^^ Köln. Mark Silber ein,^
aus dem später unsere Reichsmark hervorgegangen ist, — in diesem
MUnzedikte wurde zwar der Wert der neuen preußischen Goldmünze,
des Friedrichsdor, auf 5 Taler in Silber festgesetzt und die genaue
Beobachtung der „Proportion zwischen Gold und Silber" befohlen
(Ziffer 11 des Edikts). Aber dasselbe Edikt enthielt bereits die Be-
stimmung (Ziffer 5), daß alle Verschreibungen auf Goldmünzen in
Friedrichsdor, alle Verschreibangen auf Silbermünzen in Silberkurant-
geld konvertiert und dementsprechend bezahlt werden sollten. Gold-
und Silbermünzen konnten sich mithin als Zahlungsmittel gegenseitig
nicht vertreten, und damit war die Festsetzung einer festen Relation
zwischen Gold- und Silbermünzen ihrer wesentlichsten Bedeutung ent-
kleidet. Schon aufgrund des Edikts von 1750 charakterisierte sich
mithin die preußische MUnzverfassung nicht als eine Doppelwährung,
sondern als eine formell freilich nicht ganz konsequent durchgeführte
Parallelwährung. Der Verkehr beobachtete das Verhältnis 1 Friedrichs-
dor = 5 Silbertaler von allem Anfang an nicht. Die Relation war
für das Gold zu ungünstig, und der Friedrichsdor erhielt sofort ein
Aufgeld gegenüber seinem gesetzlichen Werte in Silbergeld. In der
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. §2. 121
Folgezeit wurde das feste Verhältnis zwischen Gold- nnd Silbergeld
auch formell preisgegeben; in einem Reskripte vom 30. Juli 1764 wurde
ein „Agio" zwischen dem Friedrichsdor und dem Siiberkurantgeld bis
zur Höhe von 5 Prozent verstattet und die Aufnahme des jeweiligen
Kurses des Friedrichsdor in den Kurszettel erlaubt. Schließlich be-
stimmte ein Patent vom 2. Februar 1787, daß die Goldmünzen kein
durch Gesetz bestimmtes Verhältnis zum Silberkuraut haben sollten,
sondern „die Bestimmung des Agios" sollte „lediglich der Konkurrenz
überlassen bleiben".
In Oesterreich ging die Entwicklung nach derselben Richtung;
durch ein Edikt vom 21. Februar 1786 hob Kaiser Josef „alle wegen
Belegung der Geldsorten mit einem Agio ehemals erlassenen Verbote
und Strafgesetze" auf. Auch in den übrigen deutschen Territorien
verzichtete man darauf, ein festes Wertverhältnis zwischen Gold und
SilbermUuzen durchzusetzen. So tarifierte ein im Jahre 1765 zwischen
den wichtigsten süddeutschen Staaten vereinbarter Münzvertrag den
Dukaten auf 2 Gulden 10 Kreuzer des 20 Guldenfußes, gestattete aber
den vertragenden Staaten, „das Aufgeld deren 10 Kreutzer entweder
in totum oder in tantum abzubrechen".
Innerhalb dieser formellen Parallelwährung hatte jedoch das Silber-
geld von Anfang an entschieden das Uebergewicht. Das Silbergeld nahm
im Umlaufe einen viel größeren Raum ein als das Gold. Es erschien
ferner in der allgemeinen Auffassung als das eigentliche Landesgeld,
während die Goldmünzen immer mehr als bloße „Handelsmüuzen" an-
gesehen wurden. Das kommt deutlich darin zum Ausdruck, daß nur das
Silbergeld als unveränderliche Werteinheit angesehen wurde, während
das Goldgeld einen schwankenden Kurs, ein veränderliches Aufgeld gegen-
über seinem gesetzlichen Normalwerte erhielt. Wie bereits erwähnt,
wurde im Jahre 1764 die Aufnahme des Friedrichdor in den Kurszettel
gestattet, und der süddeutsche Münzverein von 1765 bestimmte, daß
Veränderungen in der offiziellen Tarifierung von Gold- und Silbermünzen
„niemalen in der Erhöhung des Silbers (als bey dem der 20-Guldenfaß
ohnabänderlich beyzubehalten ist), sondern alleinig in der Erniedrigung
des Goldes gesucht werden sollen". Dieser Auffassung entsprach es,
daß man unter Zahlungsverträgen, die auf Geld ohne nähere Zusatz-
bestimmungen lauteten, Zahlungsverpflichtungen auf Silbergeld verstand.
In Preußen bestimmte das Gesetz vom 29. März 1764, das nach den
Wirren des Siebenjährigen Krieges wieder eine geordnete Geldver-
fassung herstellte, daß V'erschreibungen auf „Courant" oder auf Geld
schlechthin in Silberkuraut zu zahlen seien, in Friedrichsdoren nur
dann, wenn ausdrücklich Gold oder Friedrichsdor bedungen.
In England hatte sich ein Jahrhundert früher das System der
Parallelwährung mit einem schwankenden Kurse der Goldmünzen als
unhaltbar gezeigt; es war geradezu unerträglich geworden, nachdem
der Goldunilauf den größeren Teil der Zirkulation ausmachte, und des-
halb war im Jahre 1718 ausdrücklich durch ein Gesetz jede weitere
Veränderung des Kurses der Guinea untersagt worden. In Deutsch-
land dagegen lagen die Verhältnisse anders. Bei dem geringeren Volks-
wohlstande und den kleineren Umsätzen genügte das Silber noch in der
122 Erstes Blich. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Ansprüchen des Verkehrs in
durchaus befriedip:ender Weise, und das Fehlen eines stärkeren Gold-
unilaufs wurde nicht als lästig; empfunden. Da aber das Goldi^eld nur
in beschränkten Mengen vorhanden war und im Verkehr eine nur
nebensächliche Holle spielte, erschienen auch die Kursschwankungen
des Goldireldes als erträglich, zumal da der deutsche Verkehr bei
der herrschenden Miinzzersplitterung daran gewöhnt war, mit Kurs-
Teränderungen zahlreicher umlaufender Münzsorten zu rechnen.
Freilich hat der schwankende Kurs der Goldmünzen in der Folge-
zeit dazu beigetragen, daß der goldene Teil der deutschen Parallel-
währung immer mehr verkrüppelte. Da Münzen, von denen niemand
weiß, wieviel sie am nächsten Tage gelten, nicht gern in Zahlung
genommen werden, konnte das Goldgeld in sich Deutschland nicht ein-
bürgern. Die zur Ausprägung gelangten deutschen Goldmünzen wurden
daher, wie später die Ergebnisse der Einziehung bei der deutschen
Münzreform zeigten, in sehr viel stärkerem Umfange eingeschmolzen
und exportiert als die Silbermüuzen, Auch der Rückgang der Gold-
produktion hat w^esentlich dazu beigetragen, daß der deutsche Gold-
umlauf in seiner Entwicklung zurückblieb. Das Goldwährungsland
England zog einen erheblichen Teil des neuen Goldes an sich, und
Deutschland sah sich, ebenso wie die meisten anderen Kontiuentalstaaten,
zur Ergänzung seines Geldumlaufs immer mehr auf das iSilber angewiesen.
So glitt das deutsche Geldwesen unmerklich von der Parallel-
währung zur reinen Silberwährung hinüber.
In Preußen wurde im Jahre 1830 dem Silbergeide die Fähigkeit
beigelegt, bei Zahlung^en an die öffentlichen Kassen, die in Gold fest-
gelegt waren, den Friedrichsdor zu dem festen Satze von ö^g Taler
zu vertreten. Im folgenden Jahre erhielt der Friedrichsdor zum gleichen
Satze Kassenkurs für das Silbergeld, Gleichzeitig ging der preußische
Staatshaushalt völlig zur Silberrechnung über. Alle Forderungen und
Leistungen, die bis dahin auf Gold gestellt waren, wurden zum Satze
von 52/g Taler pro Friedrichsdor in Silbergeld umgerechnet.
Der süddeutsche Münzvereiu von 1837, der südlich der Maiulinie end-
lich geordnete Geldverhältnisse schuf, tat der Goldmünzen überhaupt mit
keinem Worte Erwähnung; ebenso verhielt sich der Dresdener Münz-
vertrag von 1838, der sämtliche Zollvereinsstaaten umfaßte. Deutlicher
als durch dieses stillschweigende Ignorieren konnten die Goldmünzen nicht
als außerhalb der eigentlichen Geldverfassung stehend bezeichnet werden,
Ihren formellen Abschluß fand die Entwicklung zur Silberwährung
in dem Wiener Münzvertrage von 1857. In den Verhandlungen, die
diesem Vertrage vorausgingen, wurde für Deutschland zum ersten Male
die Währungsfrage aufgerollt. Als im November 1854 in Wien die
im preußisch -österreichischen Handelsvertrage von 1853 verabredete
MUnzkonferenz zusammen trat, hatten die Verhältnisse der Edelmetall-
produktion durch die Entdeckung der kalifornischen und australischen
Goldfelder bereits eine völlige Umwälzung erfahren. Oesterreich stellte
den Antrag, das neu zu schaffende deutsche Geldwesen auf der Basis
der Goldwährung zu begründen, um dadurch den Anschluß Deutsch-
lands an den Weltverkehr, in dem das Gold vorherrsche, zu ermög-
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebraucli der Edelmetalle. § 2. 123
liehen. Aber die Vertreter der deutschen Stauten lehnten es ab, auf
dieser Grundlage zu verhandeln; sie begründeten ihr Verhalten folgender-
maßen: es habe große Bedenken, alle auf bestimmte Quantitäten Silber
lautenden Zahlungsverbindlichkeiten nach einem mehr oder minder will-
kürlichen Verhältnis in solche umzuwandeln, welche in Gold erfüllt
werden könnten, und das besonders in einer Zeit, in welcher noch eine
weitere Entwertung des Goldes in Aussicht stehe oder wenigstens all-
gemein befürchtet werde, in welcher aber jedenfalls der Goldwert noch
manche Schwankung und Krisis werde durchmachen müssen, ehe er
einen auch nur annähernden Grad von Festigkeit und Dauer erlangen
werde.
Die Meinungsverschiedenheit zwischen Oesterreich und den deutschen
Staaten schien unüberbrückbar, und infolgedessen wurden die Verhand-
lungen bis zum Jahre 1856 unterbrochen. Oesterreich entschloß sich
in der Zwischenzeit, auf die Goldwährung zu verzichten, und so kam
am 24. Januar 1857 der Wiener Münzvertrag aufgrund der reinen
Silberwährung zustande. In förmlich demonstrativer Weise prokla-
mierte der Vertrag das „Festhalten an der reinen Silberwährung". Die
Prägung aller bisherigen Goldmünzen wurde untersagt, und an ihrer
Stelle wurden zwei „Vereins-Handels-Goldmünzen" eingeführt, die
„Krone" und die „halbe Krone" im Feingehalt von 10 bzw. 5 g. Um
jedoch die Silberwährung gegenüber dieser Goldmünze völlig intakt zu
halten, wurde vorgeschrieben, daß der Wert der Krone in Landes-
silberwährung nicht fixiert werden dürfe, sondern dem freien Spiel
von Angebot und Nachfrage überlassen bleiben müsse. Auch sollte
diesen Münzen kein dauernder und fester Kassenkurs beigelegt werden
dürfen; solche Tarifierungen sollten höchstens für sechs Monate Gültigkeit
haben und dann aufgrund des durchschnittlichen Börsenkurses er-
neuert werden. Den alten Landesgoldmünzen, deren weitere Prägung
untersagt wurde, gestand man allerdings auch fernerhin noch einen
festen Kassenkurs zu; aber die Regierungen sollten darauf Bedacht
nehmen, diese Münzen allmählig zu beseitigen.
Auch die außerhalb des Zollvereins stehenden deutschen Staaten
hatten Silberwährung mit der einzigen Ausnahme der freien Stadt
Bremen, in welcher eine Goldwährung bestand.
Die Sitte der Goldzahlung in bestimmten Fällen und Geschäfts-
zweigen hat sich in den einzelnen deutschen Gebieten in verschiedener
Stärke erhalten, am meisten in Hannover und Braunschweig; in diesen
Staaten haben auch weitaus die stärksten Goldprägungen stattgefunden.
Aber auch hier war das Silber das vorherrschende Zahlungsmittel und
das eigentliche Landesgeld.
Im ganzen sind in den Staaten des heutigen Deutschen Reiches
soweit Nachweisungen vorliegen, in dem Zeiträume von 1764 bis 1871
ausgeprägt worden (nach Abzug der Wiedereinziehungen):
Goldmünzeu 530,9 Millionen Mark
SilberkurantmUnzen 1714,7 „ „
Silberscheidemünzen 83,6 „ „
Davon befanden sich zur Zeit des Beginns der Münzreforra noch
in Umlauf:
] 24 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Goldmünzen 95 Millionen Mark
SilberkorantraUnzen 1456 „ „
Silberscheidemünzen 79 „ „
Die Ausprägung von Silbermünzen war mithin nur etwa dreimal
80 stark wie die Ausprägung von Goldmünzen; die letzteren vermochten
sich jedoch aufgrund der geschilderten Verhältnisse so wenig im Ver-
kehr zu halten, daß der tatsächliche Golduralauf Deutschlands im
Jahre 1871 nur den 16. Teil des Silberumlaufs ausmachte. —
Während in Deutschland die Entwicklung der Parallelwährung
zu einem fast ausschließlichen Silberuralaufe und schließlich zur gesetz-
lichen Proklamierung der Silberwährung führte, kam Frankreich
innerhalb eines Doppelwährungssystems zu einer vorwiegenden Silber-
zlrknlatiou. bis die kalifornischen Goldfunde einen Umschwung herbei-
führten.
In Frankreich beharrte man während des 17. und 18. Jahrhunderts
bei den Versuchen, den gegenseitigen Wert der Gold- und SilbermUuzen
durch gesetzliche Tarifierungen zu fixieren. Diese Tarifierungen wurden
häufig geändert; denn da sich die Edelmetalle den Verordnungen nicht
fügten, mußten sich die Verordnungen nach den Schwankungen der
Marktrelation von Gold und Silber richten, wenn anders man nicht
auf die Münzen des einen oder des anderen Metalls gänzlich ver-
zichten wollte.
Was den tatsächlichen Zustand des französischen Geldumlaufs
anlangt, so erscheint es sicher, daß die starke brasilianische Gold-
produktion das Goldgeld beträchtlich vermehrt hat. In den letzten
Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ist dann, entsprechend der Abnahme
der Goldgewinnung und der Steigerung der Silberproduktion, ein Um-
.schwung eingetreten. Die Verschiebung der Marktrelation zugunsten
des Goldes führte zur Einschmelzung und zum Export der nunmehr
in der gesetzlichen Relation unterwerteten Goldmünzen, und dieser
Vorgang gab den Anlaß zu einer neuen Tarifierung, die in der Folge-
zeit von der größten Bedeutung geworden ist. Auf Veranlassung des
Ministers Calonne erschien unter dem 30. Oktober 1785 eine „D6claration
du Koi portant fiiation de la valeur de Tor relativement ä l'argent etc.",
in welcher eine Verringerung des Feingehaltes der Goldmünzen bei
gleichbleibendem Nennwerte vorgeschrieben wurde; das der neuen Be-
messung des Feingehaltes zugrunde gelegte Wertverhältnis von Silber
und Gold war 1 : 15,5. Diese Tarifierung ist später von der Gesetz-
gebung der Kepublik beibehalten worden, als diese durch das Gesetz
vom 7. Germinal des Jahres XI (28. März 1803) das französische Geld-
wesen aufgrund der Frankenrechnung neu ordnete.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß in dem französischen
Münzgesetz von 1803 der Grundsatz der Doppelwährung mit einer
dauernd festen Tarifierung beider Metalle keineswegs präzis ausge-
sprochen ist. Das Gesetz begründete die französische Münzverfassung
vielmehr der Form nach auf das Silber, indem es erklärte: „Fünf
Gramm Silber von »/j^ Feinheit bilden die Münzeinheit", Das Gold
kam nur snbsidiär hinzu in der Form, daß das Gesetz vorschrieb: „Es
werden Goldstücke von 20 und 50 Frs. geprägt". Der ursprüngliche
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebraach der Edelmetalle. § 3. 125
Entwurf enthielt sogar den ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Gold-
stücke (nicht aber die Silberstücke) eventuell in ihrem Feingehalte
geändert werden könnten. Eine solche Aenderung ist jedoch niemals
erfolgt, und da den Goldmünzen und SilbermUnzen in gleicher Weise
der Charakter als gesetzliches Zahlungsmittel zukam und sie sich bei
den Zahlungsleistungen gegenseitig zu ihrem Nennwerte vertreten konnten,
da ferner beide Metalle gegen eine mäßige Münzgebühr frei ausprägbar
waren, ist das französische Müuzsystem des Jahres 1803 als eine
Doj)pelwährung zu bezeichnen.
Das Wertverhältnis von 1 : 15,5 war, als es von Calonue ein-
geführt wurde, für das Gold erheblich zu günstig gegriffen. Die Ent-
wertung des Silbers jedoch, die im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts
begann und in England zur Einstellung der freien Silherprägung führte,
brachte am Anfange des 19. Jahrhunderts, zur Zeit als das Münzgesetz
von 1803 erlassen wurde, das Marktverhältnis in annähernde Ueber-
einstimmung mit der gesetzlichen Relation der französischen Doppel-
währung.
Der Rückgang des relativen Silberwertes setzte sich jedoch in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fort. Die weitere Abnahme der
Goldproduktion, die sich bis in die 20 er Jahre hinein erstreckte, wirkte
zusammen mit der erfahrungsgemäß in kriegerischen Zeiten steigenden
Golduachfrage. Vom zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts au zeigte
allerdings der Anteil des Goldes au der Produktion beider Edelmetalle
eine Zunahme, und auch das Wertverhältnis zeigte eine vorübergehende
Veränderung zugunsten des Silbers. Der Goldbedarf Englands, das am
Ende des 18. Jahrhunderts in die Papiergeldwirtschaft geraten war und
nunmehr durch umfangreiche Goldbeschaffungen die Wiederaufnahme
der Barzahlungen vorbereitete, führte jedoch bald zu einer neuen
Steigerung des relativen Goldwertes. Dazu kam als ein immer wich-
tigeres Moment die großartige Entwicklung des internationalen Verkehrs,
innerhalb dessen der englische Goldsovereign in großem Umfange an
die Stelle des spanischen Silberpiasters trat.
Diese Ursache bewirkte, daß trotz der nachhaltigen Steigerung
der Goldgewinnung von den 20er Jahren an das Wertverhältuis auf
dem Markte für das Gold dauernd günstiger war, als die gesetzliche
Relation in Frankreich. Namentlich in den 40 er Jahren zeigte sich
eine ausgesprochene Tendenz zur weiteren Verringerung des Silber-
wertes. Der Londoner Silberpreis sank im Jahre 1848 bis auf 587a ^»
entsprechend einem Wertverhältuis von 1:16,12. Auch auf der Pariser
Börse ging der Goldpreis fortgesetzt in die Höhe. Gold und Silber
wurden dort in Promillen „prime" und „perte" auf den Münzpreis ge-
handelt. Der Aufschlag für Gold überstieg bereits im Jahre 1847 zeit-
weise die Höhe von 20 Promille. Aus dem durchschnittlichen Gold-
und Silberpreise des Jahres 1848 ergibt sich ein Wertverhältnis von
1 : 15,94. Zeitweise stieg in jenem Jahre infolge der politischen Wirreu
der Aufschlag für Gold auf 65 Promille, während der höchste Aufschlag
für Silber nur 3 Promille betrug; das sich daraus ergebende Wert-
f erhältnis ist 1 : 16,66.
126 Erstes Buch. II, Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallyerhältiiisse.
Die Folge war, daß die große Vermehrang, welche die französische
Zirknlatiou iu jener Periode erfuhr, ausschließlich auf das Silber entfiel,
während der Goldumlauf durch Einschmelzung und Export immer mehr
zusammenschrumpfte. Von 183Ü bis 1847 (für die frühere Zeit existieren
keine Zahlen) weist die französische Handelsstatistik eine überwiegende
Ausfuhr von Gold auf. In 13 von den 18 Jahren war eine Mehrausfuhr von
Gold zu verzeichnen. Insgesamt betrug der Ausfuhrüberschuß von Gold
73 Millionen Frs. Dazu kommen die Beträge, die heimlich oder unter
falscher Deklaration ausgeführt worden sind, und der ganze industrielle
Goldverbrauch in Frankreich selbst. In der gleichen Zeit fand ein
ununterbrochener Zufluß von Silber statt, der sich (nach Abzug der
gleichzeitigen Ausfuhr) auf 1692 Millionen Frs, stellte.
Die Silberpräguiigen auf den französischen Münzstätten beliefen
sich von 1820 bis 1850 auf 3186,5 Millionen Frs,, die gleichzeitigen
Goldprägungen dagegen nur auf 483,4 Millionen Frs.; von 1842 bis
1847 wurden nur für 17,3 Millionen Frs, Goldmünzen geschlagen bei
einer gleichzeitigen Silberprägung von 427,8 Millionen Frs, Die Zahlen
der Goldausfuhr zeigen, daß die gleichzeitigen Einschmelzungen von
Goldmünzen die Ausprägungen beträchtlich überwogen haben. Das
Goldgeld, das in Zirkulation blieb, erhielt ein Aufgeld, Die goldnen
Zwanzigfraukeustücke notierten an der Pariser Börse ein Aufgeld, dessen
Höchstbetrag in normalen Zeiten zwischen etwa 10 und 20 Promille
schwankte und das in der Verwirrung des Jahres 1848 sogar bis auf
120 Promille stiegt).
Gegenüber den Schwankungen der Marktelation von Gold und
Silber gelang es mithin der französischen Doppelwährung weder die
Goldmünzen einwandfrei in das Geldsystem einzufügen, noch die beiden
Metalle gleichberechtigt im Umlaufe zu erhalten. Gegen die Mitte des
19. Jahrhunderts bestand die französische Zirkulation aus einem durch-
aus überwiegenden Silberumlaufe und einem geringen Vorrate von Gold-
münzen mit schwankendem Aufgelde. Auch hier ist also das Silber in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder zur nahezu ausschließ-
lichen Herrschaft gelangt.
Aehnlich wie in Frankreich entwickelten sich die Verhältnisse in
denjenigen Ländern, welche das französische Frankensystem adoptierten,
in Belgien, in der Schweiz und in Italien; nur daß in diesen
Ländern die Silberwährung ausdrücklich anerkannt wurde. So nahm
das belgische Münzgesetz vom 5. Juni 1832 den Silberfranken als
Münzeinheit an, ohne die Prägung von Goldfranken anzuordnen oder
zuzulassen. —
Die Vorherrschaft des Silbers auf dem europäischen Kontinente
während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der feste Glaube
an die Dauer dieses Zustandes wird am besten charakterisiert durch
eine münzpolitische Maßregel, zu der die Niederlande sich im
Jahre 1847, am Vorabend der gewaltigen Umwälzung der Edelmetall-
und Währungsverhältnisse, entschlossen.
^) Vgl. Lexis, Art. „Doppelwährung" im Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften, 3. Aufl., Bd, III, S, 562,
4. Kapitel. Die ■Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 2. 127
Von allen mitteleuropäischen Staaten hatten in der ersten Hälfte
des 19, Jahrhunderts die Niederlande allein einen auseliulichen Gold-
umlauf. Durch ein Gesetz vom 28. September 18 IG hatten sie eine
Doppelwährung angenommen, der eine Relation von 1 : 15,873 zugrunde
lag. in dieser Relation war das Gold im Verhältnis zur Marktrelation
zu hoch bewertet, Die Folge davon war, daß in Holland ausschließ-
lich Gold und überhaupt kein Silbergeld geprägt wurde. Wenn trotz-
dem die Einziehungen gelegentlich der holländischen Münzreform um
die Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 94 Millionen Fl. in Silber und nur
50 Millionen Fl. in Gold ergaben, so kam das daher, daß die alten Silber-
münzen zu stark abgenutzt waren, als daß sie die Einschnielzuiig und
den Export gelohnt hätten, während umgekehrt von dem Goldgelde,
das ausschließlieh den Verkehr mit dem Auslande vermittelte, stets erheb-
liche Beiträge wieder abflössen. Von 1816 bis 1847 waren 172 Millionen
Fl. in Gold ausgemünzt worden, von denen, wie oben erwähnt, 1847
nur noch 50 Millionen Fl. vorhanden waren. Trotz der starken Gold-
prägungen galt in der öffentlichen Meinung das Silber nach wie vor
als das eigentliche Geld, das den Sitten und Gebräuchen des Landes
am meisten entspreche. Die Erkenntnis, daß bei dem bestehenden
Wertverhältnis die Zulassung des Goldes eine nachhaltige Verbesserung
des Silberumlaufs unmöglich mache, hat schließlich eine gegen das Gold
gerichtete Münzgesetzgebung hervorgerufen.
Nach langwierigen Verhandlungen kam am 26. November 1847
ein MUnzgesetz zustande, das anstelle der formell bestehenden
Doppelwährung eine reine Silberwährung einführte. In der Durch-
führung dieses Gesetzes wurde im Jahre 1850 das umlaufende Gold-
geld eingezogen und unter erheblichen Kosten durch einen Silberum-
lauf ersetzt.
Deutlicher als durch diese holländische Münzreform konnte die
allgemeine Auffassung, daß für absehbare Zeit das Silber das Geld-
metall des europäischen Kontinents sein werde, nicht zum Ausdruck
gebracht werden.
Im Gegensatze zu der geschilderten Entwicklung in den europä-
ischen Staaten vollzogen sich die Dinge in den Vereinigten Staaten
von Amerika.
Die amerikanische Geldverfassung beruhte ursprünglich auf dem
Gesetze vom 2. April 1792. Dieses Gesetz bestimmte, daß der verhältnis-
mäßige Wert von Gold und Silber in allen Münzen der Vereinigten
Staaten 15:1 sein sollte, daß die Gold- und Silbermünzen gesetzliches
Zahlungsmittel bei jeder Art von Zahlung sein sollten und daß die
Münzanstalten für jedermann unentgeltlich Gold- und Silbermiinzen
ausprägen sollten. In diesen Bestimmungen war die Doppelwährung
formell in vollendeterer Weise proklamiert, als vorher in England und
später in Frankreich.
Das Wertverhältnis von 15 : 1 entsprach bei seiner Einführung
ungefähr der Relation auf dem Weltmarkte. Aber der Rückgang des
relativen Silberwertes, der in England die Veranlassung zur Begründung
der Goldwährung gab, während er in Frankreich zu einem über-
128 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
wiegenden Silberumlaufe führte, erzeugte bald eine Differenz zwischen
der Marktreiation und dem Wertverbältnisse des amerikanischen Münz-
gesetzes. Infolgedessen gewann auch in den Vereinigten Staaten der
Silberumlauf die ausschließliche Herrschaft. Die wenigen Goldmünzen,
die sich im amerikanischen Umlauf hielten, bekamen ein Auf-
geld, das in den 20 er Jahren des 19. Jahrhunderts bis auf 5 Prozent
stieg. Der größte Teil des amerikanischen Geldumlaufs bestand aus
fremden Sibermüuzeu, namentlich aus spanischen Piastern, die zu einem
gesetzlich festgestellten Kurse zirkulierten.
ßei der frühzeitigen Entwicklung der amerikanischen Volkswirt-
schaft und bei den lebhaften Verkehrsbeziehungen zu England wurde
der Gokiumlauf nur ungern vermißt. Um die Schaffung und Erhaltung
eines Goldumlaufs zu ermöglichen, wurde durch ein Gesetz vom 28. Juni
183-4 der Feingehalt des Golddoilar so weit verringert, daß das Wert-
verhältuis der amerikanischen Doppelwährung sich auf 1 : 16 stellte.
Damit war die gesetzliche Relation wieder in leidliche Ueberein-
stimmuug mit dem Wertverhältnisse auf dem Markte gebracht, und
während einiger Jahre hielten sich Gold- und Silberprägungen unge-
fähr die Wage. Vom Beginne der 40 er Jahre an gewannen jedoch
die Goldprägungen das Uebergewicht, und der von 1848 an eintretende
Kückgaug des Goldwertes bewirkte, daß sich einheimische Silbermünzen
bald nur noch mit Aufgeld im Verkehr hielten und daß neben ihnen
zahlreiche ausländische Silbermünzen, die mit schwankendem Kurswerte
umliefen, den Dienst von Scheidemünzen versahen.
So hatte sich schließlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts über-
all ein stark überwiegender Umlauf des einen oder des anderen der
beiden Edelmetalle herausgebildet, und zwar ebenso sehr in den Ländern
mit gesetzlicher Doppelwährung, wie in den Ländern, deren Gesetz-
gebung die einfache Währung — sei es die Goldwährung oder Silber-
währuug — sanktioniert hatte.
Bei dieser Verteilung der beiden Metalle herrschte das Silbergeld
unbedingt vor auf dem europäischen Kontinente und in dem größten
Teile der außereuropäischen Welt, namentlich in den großen Staaten
Asiens, in Vorder- und Hinteriudien, in China und Japan. Neben
England hatten nur einige kleinere Staaten, wie Portugal, ferner die
Vereinigten Staaten von Amerika und englische Kolonien, wie Kanada
nnd Australien, einen überwiegenden, aber an sich anbedeutenden
Goldumlauf.
Diese ungleiche Teilung der Welt in Gold- und Silberländer schien
durch den Stand der Edelmetallproduktion für längere Zeit festgelegt
zu sein. Die geringfügige Vermehrung des Weltgoldbestandes durch
die damalige Goldproduklion ließ — von einem Uebergang zur Gold-
währung gar nicht zu reden — einen ausgiebigeren Gebrauch des Goldes
zu Geldzwecken selbst dort unmöglich erscheinen, wo die Doppelwäh-
rung Gold und Silber formell auf gleichem Fuße behandelte. So sehr
auch gerade in den 30er und 40 er Jahren des 19. Jahrhunderts der
aus der steigenden Verwendung der Dampfkraft hervorgegangene Auf-
schwung alier wirtschaftlichen Verhältnisse eine stärkere Verwendung
von Goldgeld für die Länder des europäischen Kontinents als wünschens-
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 3. 129
wert erscheinen ließ: praktische Folgen für die internationalen Wäh-
rungsverhältnisse und für die MUnzpolitik der einzelnen Staaten konnten
sich daraus nicht ergeben, solange nicht genug Gold vorhanden war,
um den Platz des Silbers im Geldumlaufe auszufüllen.
§ 3, Die kalifornischen und australischen Goldfunde und ihre Wirkung
auf den Edelmetallmarkt.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts bewirkte ein Zusammentreffen
verschiedener Ereignisse eine vollständige Umwälzung sowohl in den
Produktions- als auch in den Nachfrageverhältnissen der beiden Edel-
metalle.
Die enorme Zunahme der Goldgewinnung infolge der Entdeckung
der Goldfelder in Kalifornien und Australien ist bereits dargestellt
worden. In den zwei Jahrzehnten von 1850 bis 1870 wurde Gold pro-
duziert im Gewicht von nahezu 4 Millionen kg und im Werte von
fast 11 Milliarden Goldniark. Diese Vermehrung des Weltgoldvorrates
war größer als im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts der Gold-
uralauf in Deutschland, Frankreich und England zusammen genommen,
der insgesamt nur etwa 10 Milliarden Goldmark erreichte. Der Kultur-
welt war auf einen Schlag das Material für eine erhebliche Ausdehnung
lies Gebrauches von Goldgeld zur Verfügung gestellt, und das in einer
Zeit, in der ein glänzender Aufschwung der Produktions- und Traus-
porttechuik überall auf wirtschaftlichem Gebiete die Verhältnisse ins
Kiesenhafte wachsen ließ, in der durch die Vergrößerung der Umsätze
und die Steigerung des Verkehrs ein wertvolleres und deshalb be-
quemeres Zahlungsmittel als das Silber immer mehr als ein dringendes
Bedürfnis erschien.
Gleichzeitig mit dem enormen Neuangebot von Gold trat eine be-
trächtliche Steigerung der Nachfrage nach Silber ein und zwar zur
Versendung nach Asien. Der Bedarf war teilweise verursacht durch
große indische Silberanleihen, die zu Eisenbahnbauten, zur Bekämpfung
der häufig wiederkehrenden Hungersnot und zur Unterdrückung des
großen Eingeborenenaufstandes von 1857 aufgenommen wurden. Zum
anderen Teil lag der Grund der vermehrten Silberverschiffungen in der
gesteigerten indischen Ausfuhr. Vor allem machte der amerikanische
Bürgerkrieg für einige Jahre die Zufuhr von Baumwolle aus den Süd-
staaten der Union unmöglich, und die europäische Baumwollindustrie
sah sich dadurch genötigt, Ersatz in der indischen Baumwolle zu suchen.
Indiens Mehrausfuhr von Waren entwickelte sich in jener Zeit folgender-
maßen:
Mehrausfuhr von Waren
Durchschnittlich pro Fiskaljahr (1000 Rupien)
18-10;41 - 1849/50 65 170
1850/51 — 1859/60 88 240
1860/61—1864/65 254 110
1865/66-1869/70 201000
Aufgrund dieser Verhältnisse nahm die Silberausfuhr nach Indien
einen gewaltigen Umfang an. In einzelnen Jahren überstieg Indiens
Helfferioh. Da« Otld.
130 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Nettoeiufuhr von Silber die gesamte gleichzeitige Neuproduktion der
Erde, wie sich ans nachstehender Zusammstellung ergibt.
Ueberschnß der
Perioden
Silber-
Mehreinfuhr
von Silber
Silberproduktion
produktion
in Indien
über die indische
(Durohschnittl.)
Silbereinfuhr
kg
1000 Rupien
kg^)
kg
1841— 18Ö0
780 415
15 325
163 900
616 515
1851 — 1855
886 115
21846
233 650
65 y 465
1856—1860
904 990
100 725
1 077 380
- 172 390
1861—1865
1 101 150
99 680
1066 100
35 050
1866—1870
1 339 085
94 290
1 008 450
350 050
In der zweiten Hälfte der 50er Jahre hat Indien etwa 172 000 kg
Silber pro Jahr mehr absorbiert, als gleichzeitig neu produziert wurde,
und auch in der ersten Hälfte der 60 er Jahre blieb für die Welt
außerhalb Indiens nur ein ganz unbedeutender Teil (etwa 3,2 Prozent)
der Silberproduktion verfügbar. Ihren höchsten Betrag erreichte die
indische Mehreiufuhr von Silber im Fiskaljahre 1865/66 mit
186 687 000 Kupien = etwa 2 Millionen kg Silber bei einer Welt-
produktion von nur etwa 1,2 Millionen kg. Die folgenden Jahre
brachten dann eine rasche und starke Abnahme der indischen Silber-
nachfrage.
Die gesteigerte Goldgewinnung und die vermehrte Silbernachfrage
bewirkten zunächst einen Umschwung im Wertverhältuisse der beiden
Edelmetalle. Während seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Silber-
wert gegenüber dem Werte des Goldes eine im großen Ganzen sinkende
Tendenz gezeigt hatte, fing er jetzt an in die Höhe zu gehen. Die
Notierung des Silbers in London zeigte eine steigende Bewegung
(vgl. Tabelle auf S. 112). Der Durchschnittspreis des Jahres 1859 war
62 7]6 d, das entsprechende Wertverhältnis 1 : 15,19. Der höchste Silber-
preis war 62'/^ d, entsprechend einem Wertverhältnisse von 1 : 15,03.
Die Steigerung des Silberwertes übertrug sich auf Frankreich. Von
1850 an zeigte die bisher nur unbedeutende „prime" auf Silber eine
beträchtliche Steigerung, und anstelle des Aufschlags auf Gold wurde
während längerer Zeiträume „perte" notiert. Der Silberpreis erreichte
seinen höchsten Stand im Laufe des Jahres 1864 mit 38 Promille
Prämie; aus dieser Notierung und dem gleichzeitigen Goldpreise ergab
sich ein Wertverhältnis von 15,15 : 1.
Sowohl auf dem Londoner Silbermarkte als auch in Paris selbst
sank mithin das Gold gegenüber dem Silber beträchtlich unter die der
französischen Doppelwährung zugrunde liegende Relation.
§ 4. Die iLUsdehnung des Goldumlanfs und ihre Bückwirkung
auf den Wert der Edelmetalle.
Die nächste Folge des Umschwunges im Wertverhältnisse der Edel-
metalle war eine entsprechende Umwälzung im französischen Müuz-
umlaufe. Im Gegensatz zu den bisherigen Verhältnissen wurde es
1) 93,5 Kupien = 1 kg Silber.
4. Kapitel, Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. §4. 131
lohnend, Gold zur Ausprägung nach den französischen Münzstätten zu
bringen und Silbergeld einzuschmelzen und zu exportieren. Die Gold-
prägungen nahmen vom Jahre 1851 einen gewaltigen Umfang an,
während die Silberausralinzungen zeitweise bis zur völligen Bedeutungs-
losigkeit zusammenschrumpften. Von 1851 bis 1866 betrugen die fran-
aösischeu Goldprägungen 56ü8 Millionen Frs., die Silberkurantprägungen
nur 268,6 Millionen Frs. Der höchste Jahresbetrag der Goldausmün-
zungen fällt auf das Jahr 1859 mit 702,7 Millionen Frs. Die geringste
Silberkurantprägung fand statt im Jahre 1864: mit 160840 Frs. Wäh-
rend der zehn Jahre 1857 bis 1866 wurde insgesamt nur für
35,1 Millionen Frs. Silberkurantgeld geprägt.
Diese Zahlen erhalten ihre Ergänzung durch die Statistik des
französischen Edelmetallverkehrs. Folgende Uebersicht veranschaulicht
den Umschwung, der sich hier vollzog:
Gold
Silber
Jahre
Mehreinfuhr | Mehrausfuhr
Mehreinfuhr | Mehrausfuhr
Millionen Frs.
Millionen Frs.
1830—1847
_
73
1692
1848-1851
146
—
609
—
1852—1864
3 377
—
—
1726
1865—1870
1630
—
562
—
Während in der Periode 1830 bis 1847 bei starkem Silberzuflusse
Gold überwiegend exportiert worden war, brachte die Uebergangszeit
1848 bis 1851 eine Mehreinfuhr von Gold bei einem immer noch starken
Silberzuflusse. Die Periode 1852 bis 1864 wies Jahr für Jahr eine
beträchtliche Mehrausfuhr von Silber auf, die sich insgesamt auf
1'/^ Milliarde Frs. belief. Gleichzeitig erfolgte eine außerordentlich
itarke Einfuhr von Gold. Die letztere setzte sich in den Jahren 1865
bis 1870 noch fort, während infolge des damals sich bereits bemerkbar
machenden neuen Rückganges des Silberwertes auch wieder Silber in
größeren Mengen nach Frankreich gebracht wurde.
Die starken Silberexporte der Jahre 1852 bis 1864 zehrten in
Verbindung mit dem industriellen Verbrauche von Silber den größeren
Teil der französischen Silberzirkulation auf. Das eindringende Gold bot
dafür cluen überreichlichen Ersatz. So verwandelte sich binnen weniger
Jahre der fast ausschließliche Silberumlauf in einen stark überwiegen-
den Goldumlauf, dank der automatischen Wirkung der französischen
Doppelwährung, die, sobald der Silberwert über die Relation von
1 : 15,5 stieg, das Gold zuströmen und das Silber abfließen ließ.
Zweifellos hat das französische Geldwesen in jener Zeit einer
völligen Umwälzung der Edelmetallproduktion und -Verteilung einen
ausgleichenden Einfluß auf das Wertverhältnis der Metalle ausgeübt.
Dadurch, daß Frankreich der gesteigerten Silbernachfrage den größten
Teil des eignen großen Silberumlaufes zur Verfügung stellte und
daß es anstelle des abfließenden Silbers das neu produzierte Gold in
großen Massen aufnahm, wirkte es der Veränderung des Wertverhält-
nisses zuungunsten des Goldes und zugunsten des Silbers entgegen.
9*
132 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse,
Während der Gewichtsanteil des Goldes au der Produktion beider Edel-
metalle von etwa 3 Prozent auf mehr als 18 Prozent stieg, ging der Londoner
Silberpreis in seiner größten Spannung von öS'/g d auf 62'/^ d in die
Höhe, d. h. der Goldpreis des Silber stieg nur um etwa 7,3 Prozent.
Wir haben es hier jedoch nicht mit einer Wirkung zu tun, die
das Doppelwährungssystem an sich und unter allen Umständen ausüben
muß. Die Betätigung dieser ausgleichenden Wirkung war vielmehr an
ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden. Erstens daran, daß Frank-
reich, als die Umwandlung in den Verhältnissen des Edelmetallmarktes
begann, einen großen Silberumlauf angesammelt hatte, den es im Aus-
tausch gegen das neue Gold der gesteigerten Silbernachfrage zur Ver-
fügung stellen konnte; wäre anstelle der Steigerung der Goldproduktiou
und der Silbernachfrage eine ähnliche Steigerung der Silbergewinnung
und des Goldbedarfs getreten, dann wäre die französische Doppelwährung,
da sie mit Silber gesättigt und arm an Gold war, gänzlich außerstande
gewesen, den Einfluß dieser Verhältnisse auf die Wertrelation der beiden
Metalle zu brechen. Die zweite Voraussetzung war, daß der Uebergang
von einer Silber- zu einer Goldzirkulation den Interessen des fran-
zösischen Verkehrs entsprach und daß infolgedessen Frankreich den
Austausch von Silber gegen Gold ruhig über sich ergehen ließ. Wo
die automatischen Wirkungen der Doppelwährung den Bedürfnissen des
Verkehrs widersprochen haben, dort hat nirgends die Rücksicht
auf ihre ausgleichende Wirkung auf das Wertverhältnis der Edelmetalle
die Gesetzgebung davon abgehalten, über die Doppelwährung den Stab
zu brechen. So hat England im Jahre 1797, als ihm die Doppel-
währung einen Silberumlauf anstelle seines Goldumlaufs zu bringen
drohte, durch die Sperrung der Silberprägung die Doppelwährung be-
seitigt, und ebenso hat sich später Frankreich verhalten, als bei dem
neuen Preisrückgange des Silbers die Doppelwährung seinen kaum
gewonnenen Goldumlauf bedrohte.
Wie sehr um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem europäischen
Kontinente der Boden für das Goldgeld durch die allgemeine wirtschaft-
liche Entwicklung vorbereitet w^ar, zeigt sich daran, daß nicht nur in
Frankreich, wo das Gold aufgrund der Doppelwährung ohne weiteres Ein-
gang fand, sich eine umfangreiche Goldzirkulation bildete, sondern auch in
Ländern, deren Münzverfassung formell für das Gold keinen Raum hatte.
Zunächst drangen die neuen französischen Goldmünzen in den-
jenigen Ländern ein, welche das Frankensystem auf der Basis der reinen
Silberwährung angenommen hatten, in Belgien, der Schweiz und Italien.
Ueberall befreundete sich der Verkehr sofort mit dem Golde, und, weit
entfernt, Maßregeln gegen das Goldgeld zu verlangen, das die nationale
Geldverfassung bedrohte, verlangte und erreichte die öffentliche Meinung
tiberall seine gesetzliche Zulassung. Auch in Deutschland nahm der
Umlauf ausländischer Goldmünzen, namentlich französischer Zwanzig-
frankenstücke, in jener Zeit stark überhand, unbeschadet der im Wiener
Münzvertrag von 1857 feierlich proklamierten Silberwährung.
Diese Gegenwirkungen gegen die starke Vermehrung der Gold-
gewinnung wurden in der ersten Zeit nach den kalifornischen Gold-
funden vielfach übersehen. Obwohl der Verkehr überall das neue Gold
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 5. 133
bereitwillig aufnahm, fehlte es nicht au Leuten, die diese Umwälzung
mit groben Bedenken ansahen. Der französische Nationalökonom
Michael Chevalier prophezeite eine beträchtliche Entwertung des
Goldes als unausbleibliche Folge der Goldfunde und riet, das in seinem
Werte bedrohte Metall als Geldstoff abzuschaffen und zur reinen Silber-
währung überzugehen. Aehnliche Stimmen ließen sich selbst in England
vernehmen. Nur wenige erkannten bereits damals, daß die vermehrte
Goldgewinnung zu einer stärkeren Verwendung des Goldes als des
tauglicheren und dem modernen Verkehr besser entsprechenden Geld-
stoffes führen und dadurch von selbst jeder starken Entwertung ent-
gegenwirken werde. Der erste, welcher diese Ansicht vertrat, bereits
in den fünfziger Jahren, war der Deutsche Adolf Soetbeer.
Der Gang der Dinge hat Soetbeers Auff'assung bestätigt. Nie-
mand dachte im Ernst daran, dem eindringenden Golde in ähnlicher
Weise die Tür zu schließen, wie England am Ende des 18. Jahrhunderts
dem Silber. Allgemein wurde der Goldumlauf gegenüber dem schweren
und unbequemen Silbergeide als eine Wohltat empfunden, und in dieser
Tatsache, nicht in dem formalen Mechanismus der französischen Doppel-
währung, ist der tiefere Grund dafür zu erblicken, daß der Wert von
Gold und Silber unter dem Einflüsse der veränderten Produktionsver-
hältnisse nicht weiter auseinanderging.
Im Verhältnis zu den übrigen Gütern hat allerdings das Gold
infolge der gewaltigen Produktionssteigerung eine gewisse Entwertung
erfahren, die sich bis zum Jahre 1873 erstreckte. Die meisten Waren-
preise haben in jener Zeit, trotz der Verbesserung und Verbilligung
der Produktion und des Transports durch technische Fortschritte, eine
wesentliche Steigerung aufgewiesen. Nach der Statistik des Londoner
„Economist" ist die Durchschnittszahl (index number) aus 22 wichtigen
Warenpreisen von 1845— 50 bis 1873 von 100 auf 134 Prozent ge-
stiegen. Aber infolge der Verknüpfung mit dem Schicksale des Goldes
hat gleichzeitig auch das Silber ungefähr in dem gleichen Maße an
Kaufkraft verloren. Das zeigt sich darin, daß nicht nur die in London
nach Goldgeld berechneten Warenpreise eine Steigerung erfuhren,
fiondern daß auch die Preise in Silberwährungsländern sich nach derselben
Richtung entwickelten. Na3h einer Statistik, die Soetbeer aufgrund
der hamburgischen Preise aufgestellt hat, ist die Verhältuiszahl von 100
in den Jahren von 1847—50 auf 127,75 im Jahre 1871, dem letzten
Jahre der deutschen Silberwährung gestiegen. Die vermehrte Gold-
produktion hat mithin schon damals ihren Einfluß nicht nur auf den
Wert des Goldes, sondern auch auf den Wert des für Indien stark
gefragten Silbers ausgeübt, da das neue Gold für die europäischen
Länder einen willkommenen Ersatz für das Silber darstellte und mithin
das Silber in großem Umfange entbehrlich machte.
§ 5. Die Maßregeln der DoppeliriUirnnsrsländer zur Erhaltung
eines aasreichenden Silbernmlanfs.
Der Fortschritt, welcher in der Ersetzung des Silberumlaufes durch
eine Goldzirkulation bestand, war allerdings nicht ganz frei von ge-
wissen unangenehmen Nebenwirkungen. Wo die Doppelwährung für
134 Erstes Buch. U. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelinetallyerhältnisse.
das Eindringen des Goldes einen gesetzlichen Boden gew.ährte, nahm
die Verdrängung des Silbers einen solchen Umfang an, daß sich bald
ein emptindlicher Maugel an Silbermünzeu für den kleinen Verkehr
fühlbar machte. Am frühesten zeigte sieh das — wie bereits erwähnt
— in den Vereinigten Staaten, deren Doppelwährung das Gold noch
wesentlich höher bewertete, als die Doppelwährung Frankreichs. Dann
machten sich dieselben Mißstände in Frankreich und den übrigen
Ländern der Frankenrechnung geltend. Sowohl diesseits als auch
jenseits des Ozeans stellte sich die Notwendigkeit ein, Maßregeln zu
treffen, um das Silber in dem für die kleineren Zahlungen notwendigen
Umfange im Verkehr zu halten,
Zuerst gingen die Vereinigten Staaten mit einer Aenderung ihres
Müuzgesetzes vor. Die Münzverfassuug Englands zeigte den Weg.
Durch ein Gesetz vom 21. Februar 1853 wurden die Silbermünzen
vom ^/j Dollarstück abwärts in Scheidemünzen verwandelt. Ihr Fein-
gehalt wurde soweit verringert, daß er einem Wertverhältnisse von
1 : 14,88 zwischen Silber und Gold entsprach, ihre Prägung wurde in
die Hand der Regierung gelegt und ihre Zahlungskraft auf Beträge
bis zu 5 Dollar beschränkt. Das S)'stem der Doppelwährung wurde
jedoch durch diese Maßregel nur modifiziert, aber noch nicht ganz
verlassen: das Eindollarstück blieb formell als frei ausprägbare Kurant-
münze, als „Standard Dollar", bestehen. Tatsächlich wurde allerdings
von dem Prägerechte für Silber nur ein ganz geringfügiger Gebrauch
gemacht. In dem ganzen Zeiträume von 1834 bis 1873 wurden insgesamt
nur 8 Millionen Dollar in silbernen Eindollarstücken ausgemünzt, und
selbst diese geringe Summe fand ihre Verwendung wohl ausschließlich
als Handelsmünze im Verkehr mit Ostasien.
Zu Beginn der 60 er Jahre sahen sich die Frankenländer zu ähn-
lichen Maßregeln gedrängt. Schon im Jahre 1851 hatte die fran-
zösische Regierung eine Kommission eingesetzt, die aufgrund der
veränderten Produktionsverhältnisse die Münzfrage untersuchen sollte.
Sie zeitigte kein brauchbares Ergebnis. Eine zweite im Jahre 1857
berufene Kommission wußte nur den unannehmbaren Vorschlag zu
machen, die Silberausfuhr durch einen hohen Zoll oder durch Verbote
zu erschweren. Zu praktischen Maßnahmen kam es in Frankreich
erst, nachdem die übrigen Frankenländer den Anstoß dazu gegeben
hatten.
Der erste Schritt zur Erhaltung des für den Kleinverkehr unent-
behrlichen Silbergeldes geschah in der Schweiz. Dort wurden vom
Jahre 1860 an die kleineren Silbermünzen als unterwertige Scheide-
münzen ausgeprägt, zwar im gleichen Gewichte, wie bisher, aber in
einer Feinheit von ^/j,, gegen */,o. Italien folgte diesem Beispiele und
reduzierte die Feinheit seiner Silbermünzen vom Zweifrankenstücke ab-
wärts auf 835 Tausendteile. Endlich im Jahre 1864 fing auch Frank-
reich an, seine 50- und 20-Centimesstücke im Feingehalte von 835
Tausendteilen auszumünzen.
Im Anschluß an diese Maßregeln begannen Verhandlungen zwischen
den einzelnen Frankenländern, deren Münzumlauf damals schon zum
großen Teil ein gemeinschaftlicher war. Das Ergebnis war der so-
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 6. 135
genannte Lateinische Münzvertrug vom 23. Dezember 1865, der
Frankreich, Belgien, die Schweiz und Italien umfaßte. Das MUnz-
system als solches blieb in diesem Vertrage unverändert. Die einzelnen
Staaten sicherten sich die gegenseitige Annahme ihrer Münzen an
ihren öflfeutlichen Kassen zu. Hinsichtlich des Silbergeldes wurde be-
fchlosseu, die Münzen vom ZweifrankenstUcke abwärts als Scheide-
münzen in einer Feinheit von 835 Tausendteilen auszuprägen, und
zwar ausschließlich für Rechnung der beteiligten Staaten und in einem
Höchstbetrage von 6 Frs. pro Kopf der Bevölkerung; die Zahlungs-
kraft dieser Scheidemünzen wurden auf 50 Frs. beschränkt.
Das silberne Fünffrankenstück, der sogenannte Fünffrankentaler,
blieb — ebenso wie in Amerika der Standard Dollar — als frei aus-
prägbare Kurantmünze erhalten; die gesetzliche Doppelwährung blieb
mithin bestehen, wenn auch die Prägung von Fünffraukenstücken zur
TöUigen Bedeutungslosigkeit herabsank.
Belgien, die Schvs^eiz und Italien hatten bei den Verhandlungen
über den Münzvertrag den sofortigen Uebergang zur Goldwährung ver-
langt; aber in Frankreich arbeiteten einflußreiche Kreise, namentlich
die Haute Finance und die Bank von Frankreich, für die Erhaltung
der Doppelwährung, und die französische Regierung widersetzte sich
deshalb dem Verlangen der übrigen Münzbundstaaten.
Sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für die Länder des
Lateinischen Mlinzbundes schuf die Doppelwährung mit Silberscheide-
münzen befriedigende Verhältnisse, solange das Wertverhältnis der Edel-
metalle die formell fortbestehende freie Silberpräguiig praktisch nicht
zuließ. Unter dieser Bedingung brachte das System alle Vorteile der
reinen Goldwährung: einen überwiegenden Goldumlauf und einen hin-
reichenden Siiberumlauf für den kleinen V^erkehr.
Ein Umschwung im Wertverhältnisse zugunsten des Goldes mußte
die Lage ändern. Sobald das Silber wieder unter den ihm beigelegten
Wert zurückging und damit die Silberprägung wieder anfing lohnend
zu werden, entstand für die Länder mit der modifizierten Doppelwäh-
rung dieselbe Frage, vor die sich England am Ende des 18. Jahr-
hunderts gestellt sah und die es ohne Besinnen mit der Preisgabe des
Doppelwährungssystems löste: die Frage, ob sie den überwiegenden
Goldumlauf durch das Silber wieder verdrängen lassen wollten.
Aber diese eigentlich entscheidende Frage stand vorläufig noch
im Hintergrund. Ehe sie praktisch wurde, traten Ereignisse ein, di«
ihre schließliche Lösung stark beeinflußten und beschleunigten. In-
zwischen wendeten sich die Interessen des Tages mit Eifer einem Pro-
bleme zu, dessen bisher rein theoretische Erörterung durch den Abschluß
des Lateinischen Münzbundes seiner Verwirklichung nahe gerückt schien:
der Idee einer WeltmUnzeinheit.
§ 6. Weltmilnzbnnd und internationale ^Yährungsfrage,
Der Gedanke einer WeltmUnzeinheit ist fast so alt, wie die Ver-
schiedenheit der Münzverfassungen der einzelnen Länder. Gewisse ganz
auf der Oberfläche liegende Vorteile, die Er.^parung der Umwechslung
und der Umrechnung usw., daneben die ideale Vorstellung eines Zu-
136 Erstes Buch, U.Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
sanimengeheDS der ganzen Menschheit in einer wichtigen Einrichtung^
haben ihm stets Anhänger verschafft. Besonders nahe mußte der Ge-
danke eines Weltmünzbundes in einer Zeit liegen, in der die Mensch-
heit noch unter dem frischen und vollen Eindrucke des gewaltigen Fort-
schrittes stand, der aus der Erleichterung des Verkehrs von Nation
zu Nation hervorgegangen war. Nachdem die Errungenschaften der
modernen Technik die Ueberwindung des trennenden Raumes erleichtert
and so die natürlichen Schwierigkeiten des internationalen Verkehrs
wesentlich vermindert hatten, war man bestrebt, auch die künstlichen
Hindernisse zu beseitigen. Unter der lebhaften Mitwirkung Napo-
leons 111. war in den Handelsverträgen mit England, dem Zollverein
und anderen Staaten die bisherige Politik der Absperrung preisgegeben
worden. Ebenso wie durch die Herabsetzung der Zollschranken wollte
man den internationalen Güteraustausch fördern durch die Einführung
eines universellen Maß- und Gewichtssystems und durch die Begründung
einer Weltmünzeinheit. In der Tat ist es den Franzosen gelungen,
ihrem metrischen Maß- und Gewichtssysteme eine nahezu universelle
Verbreitung zu geben. In der Münzfrage jedoch stießen diese kosmo-
politischen Bestrebungen auf große Schwierigkeiten.
Der eifrigste Förderer des Gedankens eines WeltmUnzbundes inner-
halb der französischen Regierung war de Parieu, Vizepräsident und
später Präsident des Staatsrates. Für ihn war der Lateinische Münz-
bund nur eine Vorstufe für die erstrebte WeltmUnzeinheit. Im Texte
des Lateinischen Müuzvertrags selbst war dieser Gedanke zum Ausdruck
gebracht. Der Artikel 12 des Vertrags lautete:
„Das Recht zum Beitritte zur gegenwärtigen Uebereinkunft ist
jedem Staate vorbehalten, der ihre Verbindlichkeiten übernehmen und
das VereinsmUnzsystem in betreff der Gold- und Silbermünzen ein-
führen will."
Außerdem teilte Frankreich den Vertrag sofort nach seinem Ab-
schlüsse den Regierungen der wichtigeren Staaten mit und forderte sie
lum Beitritte auf.
Der Erfolg des französischen Vorgehens entsprach nicht der be-
geisterten Aufnahme, den der Abschluß des Lateinischen Münzvertrags
bei der kosmopolitisch gestimmten öffentlichen Meinung der meisten
Kulturstaaten gefunden hatte. Nur Griechenland trat der Münzunion
formell bei; der Kirchenstaat, Spanien und Rumänien nahmen auf dem
Wege der autonomen Gesetzgebung, ohne sich dem Münzvertrage an-
luschließen, das Frankensystem an. Bei allen übrigen Regierungen
stieß die Aufforderung Frankreichs auf große Bedenken, die teilweise
aus der Rücksicht auf das eigne, seit langer Zeit eingebürgerte MUnz-
eystem der betreffenden Länder hervorgingen. Namentlich der Umstand,
daß die Lateinische Münzunion aufgrund der Doppelwährung errichtet
war, veranlaßte die fremden Regierungen fast allgemein zu einer großen
Zurückhaltung, und es zeigte sich, daß eine befriedigende Entschei-
dung der Währungsfrage die erste Voraussetzung für einen Weltmünz-
bund sei.
Die französiche Regierung suchte die Schwierigkeiten zu über-
winden, indem sie anläßlich der Pariser Weltausstellung von 1867
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 6, 137
einen großen internationalen Meinungsaustausch Über die WeltmUnze
veranstaltete. Auf der von ihr berufenen internationalen MUnzkonferenz
waren 19 europäische Regierungen und außerdem die Vereinigten
Staaten von Amerika offiziell vertreten, Zwar hatte die Konferenz
nur den Charakter einer unverbindlichen Besprechung; sie sollte keine
Beschlüsse von praktischer Tragweite fassen, sondern nur die Grund-
lage für weitere diplomatische Verhandlungen liefern. Aber trotzdem
gewähren ihre Verhandlungen einen interessanten und wichtigen Ein-
blick in die Stellung der verschiedenen Regierungen zur Münzfrage,
in ihre Beurteilung der münzpolitischen Situation und in ihre münz-
politischen Absichten, namentlich soweit die Währungsfrage in Be-
tracht kommt.
In bezug auf die Weltmünzeinheit selbst kam es nur zu Beschlüssen
ganz allgemeinen Inhalts. Es wurde empfohlen, bei künftigen Münz-
reformen in Ländern, die noch nicht das Frankensystem angenommen
hätten, das goldene Fünffrankenstück als „döuominateur commun", als
„gemeinsamen Nenner" anzunehmen, d. h. eine Rechnnngseinheit, die
in einem einfachen Verhältnisse zu dieser Münze stehe, dem Münz-
systeme zugrunde zu legen. Aber die wichtigsten Staaten, namentlich
England, die deutschen Staaten und Holland, machten sofort weitgehende
Vorbehalte, indem sie erklärten, daß sie mit Rücksicht auf ihre wohl-
bewährten und in den Volksgewohnheiten eingewurzelten Systeme ihren
Beitritt zu einem internationalen MUnzsystem nicht in sichere Aussicht
stellen könnten.
Während man in bezug auf das internationale Münzsystem über
das „non liquet" nicht hinauskam, herrschte in bezug auf die Währungs-
frage nahezu völlige Einstimmigkeit. Es fanden umfangreiche Verhand-
lungen darüber statt, aufgrund welchen Währungssystems eine Welt-
münzeinheit errichtet werden könne; und diese Frage wurde mit allen
Stimmen gegen die eine der Niederlande dahin entschieden, daß weder
die Silberwährung, noch die Doppelwährung, sondern nur die reine
Goldwährung in Betracht komme.
Dieser Beschluß brachte als übereinstimmende Meinung der auf
der Konferenz vertretenen Regierungen zum Ausdruck, daß die Gold-
währung das Währungssystem der Zukunft sei. Die dem Beschlüsse
vorausgegangenen Verhandlungen ließen keinen Zweifel darüber be-
stehen, daß die bereits im Besitz der Goldwährung befindlichen Staaten
unter keinen Umständen gesonnen waren, die Goldwährung wieder
preiszugeben, daß ferner die in absehbarer Zeit vor der Not-
wendigkeit einer Geldreform stehenden Länder die Goldwährung als
die Grundlage ihres künftigen Geldwesens anstrebten. Die englische
Regierung erklärte auch in der Folgezeit auf das bestimmteste, daß sie
unbedingt bei der Goldwährung bleiben werde und daß jede Münz-
einigung mit einem Doppelwährungslande ausgeschlossen sei. Belgien,
die Schweiz und Italien, die schon bei der Begründung des Lateinischen
Mlinzbundes die Goldwährung als Grundlage gefordert hatten, vertraten
nach wie vor dieselbe Meinung. Oesterreich hatte bereits im Jahre
1854, beim Beginn der Verhandlungen über den Wiener MUnzvertrag,
den Uebergang zur Goldwährung verlangt; sein Vertreter auf der Pariser
138 Erstes Buch. II, Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Konferenz vertrat dieselbe Forderung und schloß wenige Tage nach
Schluß der Konferenz mit Frankreich eine Präiiniinarkonvention über
Oesterreichs Beitritt zur MUnzunion ab, die als Vorbedingung für beide
Teile ausdrücklich den Uebergang zur Goldwährung festsetzte. Die
Vereinigten Staaten von Amerika, die damals ebenso wie Oesterreich
Papierwährung hatten, zeigten sich gewillt, ihr Geldwesen auf der Basia
der Goldwährung wiederherzustellen. Das Gold war vor dem Bürger-
kriege, der die Ausgabe von Papiergeld mit Zwangskors veranlaßt hatte,
das fast ausschließliche Zahlungsmittel gewesen, und die Tatsache des
formellen Fortbestehens der Doppelwährung war geradezu in Vergessen-
heit geraten. Das zeigte sich auch während der Papiergeldperiode
darin, daß die Zölle in Gold erhoben wurden und daß die Auszahlung
der Zinsen der Nationalschuld in Gold erfolgte. Ueber das Doppel-
währungssystem urteilte der Vertreter der Vereinigten Staaten auf der
Pariser Konferenz folgendermaßen:
„Die Gesetzgeber und das Volk der Vereinigten Staaten haben
genugsam die Erfahrung gemacht, wenn nicht durch Studium, so doch
durch die Praxis, daß das System der Doppelwährung nicht nur eine
Unklugheit, sondern eine Unmöglichkeit ist."
Zurückhaltender sprachen sich bei aller Anerkennung der Vorzüge
der Goldwährung nur die deutschen Vertreter und diejenigen der
skandinavischen Staaten aus. Der preußische Delegierte erklärte, nicht
zu wissen, wann und wie in Preußen der Uebergang von der Silber-
währung zur Goldwährung stattfinden könne, und die skandinavischen
Vertreter machten den Uebergang zur Goldwährung abhängig vom Ver-
halten Deutschlands, auf das sie handelspolitisch am meisten ange-
wiesen waren.
Der einzige Staat, der sich dem Uebergange zur Goldwährung
grundsätzlich abgeneigt zeigte, waren die Niederlande. Ihr Vertreter
erklärte die Doppelwährung theoretisch für die vollkommenste Münz-
verfassung, aber trotzdem stimmte er für eine Doppelwährung nur unter
der Voraussetzung, daß ein allgemeiner Münzverein auf dieser Grund-
lage zustande käme. Eine isolierte Doppelwährung hielt er für
undurchführbar. Eine universelle Doppelwährung aber war, wie sich
auf der Konferenz zeigte, gänzlich aussichtslos.
Diese große internationale Aussprache über die Währungsfrage
ist ein bleibendes Dokument für die damalige Zeitströmung, die sich
völlig zugunsten der Goldwährung gewendet hatte. Man hat die Be-
deutung dieser Aussprache späterhin herabzusetzen versucht mit der
Behauptung, die Pariser Konferenz habe sich nicht für die Goldwährung
entschieden, sondern nur dafür, daß die Münzeinheit auf Grundlage der
Goldwährung erreicht werden sollte^); nachdem später die Münzeinigungs-
bestrebungen sich als aussichtslos gezeigt hätten, sei auch der Beschluß
der Pariser Konferenz zugunsten der Goldwährung gegenstandslos ge-
worden; man könne deshalb aus diesem Beschlüsse nicht folgern, daß
eine starke Strömung zugunsten der Goldwährung in der Kulturwelt
vorhanden gewesen sei.
^) Vgl. die Drucksachen Nr. 14 und 20 der deutschen Silberkommission von 1894.
4. Kapitel. Die Wandlungen im monetären Gebrauch der Edelmetalle. § 6. 139
Bei dieser Argumentation wird der Inhalt der Verhandlungen über
den Beschluß gänzlich ignoriert; aus diesen Verhandlungen geht, wie
oben gezeigt wurde, deutlich hervor, daß die Vertreter der einzelnen
Staaten die Goldwährung nicht lediglich als Mittel zum Zweck einer
Münzunion betrachteten, sondern daß sie die Goldwährung an sich für
das vollkommenste Geldsystem ansahen und daß sie ganz ohne KUck-
sicht auf ein etwaiges Zustandekommen des Weltraünzbundes gewillt
waren, die Goldwährung, wo sie bestand, festzuhalten, wo sie nicht
bestand, auf ihre Einführung Bedacht zu cehmen. Es wird außerdem
übersehen, daß die Goldwährung ihrer Natur Dach nicht lediglich
Mittel zum Zweck eines Weltmüuzbundes sein konnte, ein Mittel, das
durch die Aussichtslosigkeit jenes Zweckes seinen Wert verloren hätte.
Der wichtigere Teil der von einem Weltmünzbunde zu erwartenden
Vorteile war bereits auf dem Boden der bloßen Währungsgleichheit zu
erreichen, und deshalb war kein Grund vorhanden, nach dem Scheitern
der Weltmüuzidee auch auf eine Währungsgleichheit zu verzichten.
Das Votum der Pariser Konferenz, daß die Münzeinheit nur auf
Grundlage der Goldwährung erreichbar sei, besagte gleichzeitig, daß
auch eine Währungsgleicbheit für die Kulturvölker nur auf Grundlage
der Goldwährung durchgeführt werden könne.
Wenn man mit einem raschen Blicke die Entwicklung der fol-
genden Jahrzehnte überfliegt, dann sieht man, daß die Tatsachen dieser
Auflassung Recht gegeben haben. Nichts hat in den letzten Jahrzehnten
vor dem Ausbruch des Weltkrieges so sehr zur Ausbreitung der Gold-
währung beigetragen, als die immer enger werdende Verkettung der
handelspolitischen und finanziellen Interessen der Völker, die eine
Währungsgleichheit gebieterisch verlangte.
Alles in allem geben die Pariser Verhandlungen davon Zeugnis,
wie sehr die Goldfunde nicht nur die tatsächlichen Verhältnisse des
Geldumlaufs in der Kultnrwelt, sondern auch die währungspolitischen
Ansichten in kurzer Zeit umgewandelt hatten. Von der Demonetisation
des Goldes in den Niederlanden im Jahre IS-il, die gewissermaßen
den Glauben an die Silberwährung besiegelte, bis zur Pariser Konferenz
von 1867, welche die Goldwährung als das System der Zukunft pro-
klamierte, — eine kurze Spanne von zwei Jahrzehnten! Das Ueber-
handnehmen der Goldzirkulation in großen Gebieten und die Wandlung
der währungspolitischen Auflassung hatte den Boden vorbereitet für eine
neue Aera der Münzgesetzgebuug, als deren Aufgabe es sich darstellte,
den Goldumlauf, wo er bestand, ohne durch die gesetzliche Goldwährung
gesichert zu sein, dauernd zu erhalten, und dem Goldgelde dort, wo es
infolge der bestehenden Münzverfassung bisher keinen Eingang hatte
finden können, Eingang zu verschaffen.
Es fehlte nur noch der Anstoß, um den Stein ins Hollen zu bringen.
Wie die Dinge in der zweiten Hälfte der 60 or Jahre lagen, mußte
man erwarten, daß dieser Anstoß von Frankreich ausgehen werde.
Frankreich hatte in der mUnzpolitischen Entwicklung die Führung über-
nommen; sein Ehrgeiz, einen Weltmünzbund unter französischer Hege-
monie zustande zu bringen, mußte es weiter vorwärts drängen; nach
der Kichtuug der Goldwährung schon deshalb, weil nach den Erklärungen
140 Erstes Blich. II, Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
der Pariser Konferenz die Goldwährnng die unerläßliche Vorbedingung-
für einen WeltniUnzbund war.
Sobald aber Frankreich endgültig die Doppelwährung preisgab
und die Goldwährung annahm, war für die Länder der europäischen
Kultur die Währungsfrage praktisch entschieden. Daß die Schweiz,
Belgien und Italien sich einem solchen Schritte ohne weiteres ange-
schlossen hätten, war sicher. Gegenüber diesen Staaten, gegenüber
England und seinen wichtigsten Kolonien und gegenüber dem fast aus-
schließlich auf Gold beruhenden Welthandel wären Deutschland, Holland
und Skandinavien mit ihrer Silberwährung in eine währungspolitische
Isolierung geraten.
Er war für Deutschland eine günstige Fügung, daß es nicht vor
diese Eventualität gestellt wurde und daß in Frankreich die Anhänger-
schaft der Doppelwährung immer noch stark genug war, um dort ein
entschlossenes Vorgehen zu verzögern. Noch im März 1867, einige
Monate vor der internationalen Konferenz, hatte sich eine Kommission
mit 5 gegen 3 Stimmen für die Beibehaltung der Doppelwährung ent-
schieden. Nun wurde im Jahre 1868 eine neue Münzkommission be-
rufen, die eine umfangreiche Enquete veranstaltete und Gutachten der
Handelskammern, der Generalstenereinnehraer und der Bank von Frank-
reich einholte. Letztere beharrte noch immer auf dem Standpunkte
der Doppelwährung; aber von 66 Handelskammern erklärten sich 45,
von 91 Steuereinnehmern 69 für die Goldwährung. Die Enquete-
kommission selbst empfahl mit 17 von 23 Stimmen die Beseitigung des
Silberkurantgeldes, mindestens aber die sofortige Einstellung oder Be-
schränkung der Ausprägung silberner Fünffrankenstücke und die Bc-
ichränkung ihrer Zahlungskraft auf Beträge bis zu 100 Frs.
Der doppelwährungsfreundliche Finanzminister Magne unterwarf
sich jedoch nicht den Beschlüssen der Enquetekommission, sondern
setzte es durch, daß die Frage an ein neues Forum zur nochmaligen
Beratung verwiesen wurde, nämlich an den Conseil Sup6rieur du Commerce,
de l'Agriculture et de l'lndustrie. Dieser Conseil begann seine Ver-
handlungen im November 1867 und beendete seine Arbeiten erst im
Juli 1870, nach Ausbruch des Krieges mit Deutschland; er vernahm
eine große Anzahl von Sachverständigen aller Länder und aller Parteien
und gab sein Schlußvotum mit beträchtlicher Mehrheit zugunsten der
Goldwährung ab.
Aber jetzt war die Zeit für eine französische Initiative auf dem
Gebiete des Geldwesens vorüber. Der Krieg machte zunächst jede
Maßregel unmöglich, und in seinen Folgen brachte er eine Umwälzung
der Verhältnisse, durch welche die Führung auch auf währungspoli-
tischem Gebiete von Frankreich an Deutschland überging.
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform.
§ 1. Der Znstand des dentscheu Geldwesens vor der Reform.
Die deutsche Geldreform nimmt in der neueren Entwicklung des
Geldwesens eine so hervorragende Stellung ein, daß es sich schon
daraus rechtfertigt, sie an dieser Stelle etwas eingehender zu behandeln.
5, Kapitel. Dio deutsche Geldreform. § 1. 141
Die Verhältnisse, aus denen die Bestrebungen nacli einer Re-
form des deutschen Geldwesens ursprünglich herv^orgegangen waren,
hatten allerdings mit der internationalen Entwicklung des Geldwesens
nichts zu tun, sondern waren durchaus nationaler Natur. Der von
alters her am meisten beklagte Mißstand im deutschen Geldwesen war
die Vielheit der in den einzelnen Territorien geltenden Münzsysteme,
sowie die Mannigfaltigkeit und der schlechte Zustand der einzelnen
Münzsorten, die teilweise aus längst abgeschafften Prägesystemen her-
rührten.
Zur Zeit der Münzreform bestanden im neuen Deutschen Reiche
noch sechs verschiedene MUnzsysteme: die Talerwährung im größten
Teile von Nord- und Mitteldeutschland, die Guldenwährung in den süd-
deutschen und einigen mitteldeutschen Staaten, die Frankenwährung
in den neu erworbenen Reichslanden, die Lübische Währung in den
Freien Städten Hamburg und Lübeck, die auf Feinsilber begründete
Bankowährung für den hamburgischen Großhandel, die Talergold-
währung in Bremen. Die Talerwährung selbst zerfiel in verschiedene
Systeme, in das preußische, das den Taler in 30 Silbergroschen zu
12 Pfennigen einteilte, während der Groschen in Sachsen und einigen
mitteldeutschen Staaten nur zu 10 Pfennigen gerechnet wurde, und
während man in Mecklenburg nach Talern zu 48 Schillingen rechnete.
Noch schlimmer als diese Vielheit von Münzsystemen war das
Chaos des Münzumlaufs. Bei der Einführung eines neuen Prägesystems
war meist nicht darauf Bedacht genommen worden, die umlaufenden
Stücke des alten Münzfußes zu beseitigen, und so hatten die deutschen
MUnzsysteme von anderthalb Jahrhunderten im deutschen Münzumlaufe
ihre Niederschläge hinterlassen. Dazu kamen das Papiergeld von
21 deutschen Staaten und die Noten von 31 deutschen Banken, außer-
dem eine Fülle ausländischen Metall- und Papiergeldes.
Am schlimmsten lagen in dieser Beziehung die Verhältnisse in
Sudwestdeutschland. Die dort herrschende Münzverwirrung kann kaum
drastischer dargestellt werden als durch ein Dokument, das Ludwig
Bamberger gelegentlich einer Rede über die Notwendigkeit der
deutschen Münzeinigung am 5. Mai 1870 dem Zollparlamente vorlegte.
Er sagte:
„Ich habe hier ein sogenanntes Bordereau, d. h. die spezifizierte
Aufstellung von Geldsorten, womit ein Handeltreibender eine seinem
Bankier überschickte Sendung begleitet. Das Bordereau, welches ich
ihnen hier vorzeige, lautet über 15834 Gulden und datiert vom
19. Dezember 1869; ich habe es mir aus den Briefen eines Bankhauses
herausgenommen. Es enthält also die Münzen, aus denen diese
15834 Gulden zusammengesetzt waren, und damit Sie verstehen, welche
Bedeutung das hat, muß ich sagen: die Sendung kam aus einem kleinen
Landstädtchen der Provinz Rheinhessen. Es ist dies eine kleine Stadt
von 3 — 4000 Seelen mit einem einzigen Gasthans, welches nicht etwa
die Fremden der Merkwürdigkeit wegen besuchen; es ist eine Zahlung,
hervorgegangen aus Pacht- und Kaufzielen der Bauern, aus verkauftem
Weizen, Gerste, Hülsenfrüchten und dergleichen Abtragungen, die aus
den einzelnen umliegenden Dörfern in diese kleine Landstadt gebracht
142 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmctallverhältnisse.
and durch Vermittlung eines Handeltreibenden einkassiert wurden. Was
aus den Taschen der Bauern zusammengeflossen ist, ist folgendes: die
Summe von 15834 Gulden bestand aus Doppelttaleru, Kronentalern,
2^/,-GuldenstUcken, 2-GuldenstUeken, 1-GuldenstUckeu, ^/a-Guldenstiickeo,
Vs'j V«-» Vi2" JRtnchstalern, 5-Franken-, 2-Franken-, 1 -Fraukenstücken;
dann kommt das Gold: Pistolen, doppelte und einfache Friedrichsdor,
^/g-Sovereigns, russische Imperialen, Dollars, Napoleons, holländische
Wilhelmsdor, österreichische und württembergische Dukaten, hessische
10-Guldenstücke und schließlich noch ein Stück dänisches Gold."
Auf diesem Gebiete der Einheitlichkeit des Münzsystems und der
Ordnung der Zirkulationsmittel tat Abhilfe am frühesten und am
dringendsten not, und hier setzten von Anfang an die Reformbestrebungen
ein. Aber so groß auch die Einigkeit in der Anerkennung dieses
Mißstandes war, so gering war die Einigkeit im Zusammenwirken zu
einer durchgreifenden Reform. Die einzelnen deutschen Staaten und
Fürsten wachten ängstlich über ihrer Souveränität, und gerade das
„MUnzregal" wurde stets als eines der wichtigsten Souveränitätsrechte
angesehen, von dem nichts preisgegeben werden dürfe. Dadurch war
vor der ReichsgrUndung eine einheitliche Ordnung des deutschen
Geldwesens unmöglich gemacht. Alles, was sich erreichen ließ, waren
Münzverträge zwischen den Staaten des Zollvereins, die gewisse einheit-
liche Grundsätze für die Münzprägung enthielten und den Taler und
Doppeltaler zur Vereinsmünze mit gesetzlicher Zahlungskraft im ganzen
Vereinsgebiete machten. Im Jahre 1837 hatten sich die süddeutschen
Staaten bereits zu einem Müuzvereiue zusammengeschlossen, der die
Guldenwährung einheitlich regelte; 1838 folgte ein Münzvertrag zu
Dresden zwischen den sämtlichen Staaten des Zollvereins. Der wich-
tigste dieser Verträge war der Wiener Münzvertrag vom 24. Januar 1857,
der auch Oesterreich mit einbezog. Da Oesterreich jedoch aus seiner
Papierwährung nicht herauskam, wurde der Münzverein mit diesem
Staate nur insoweit wirksam, als eine Anzahl von Vereinstalern mit
gesetzlicher Zahlungskraft für das ganze Vereinsgebiet auch in Oesterreich
geprägt wurde. Nach dem Kriege von 1866 schied Oesterreich aus
dem Münzvereine aus.
Neben der Münzzersplitterung war ein großer Mißstand des
deutschen Geldwesens der Mangel eines ausreichenden und geordneten
Goldnmlaufs, ein Fehler, der in der deutschen Währungsverfassung
begründet war und sich mit dem Fortschreiten der wirtschaftlichen
Entwicklung und der Vergrößerung des Volkswohlstandes immer mehr
fühlbar machte. Das Fehlen eines ausreichenden Goldumlaufs be-
günstigte, da die Silbermünzen für jede größere Zahlung zu unbequem
waren, ein starkes Ueberhandnehraen des Umlaufs papierner Geldzeichen.
Namentlich die kleineren deutschen Staaten machten sich diese Verhält-
nisse zu nutzen und brachten große Mengen von Papiergeld in den
Verkehr, meist in Scheinen, die auf ganz kleine Beträge, bis herab zu
1 Taler, lauteten und für deren Sicherstellung entweder überhaupt
keine oder nur ungenügende Vorkehrungen getroffen waren, Aehnlich
verhielten sich die meisten Notenbanken, die durch die Ausgabe un-^
gedeckter Banknoten möglichst hohe Gewinne zu erzielen suchten.
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 2. 143
Da man dem Pablikum unmöglich zumuten konnte, sich mit dem
lästigen Silber abzuschleppen, erschien als die einzige Möglichkeit, das
bedrohliche Uebermaß von Papiergeldzeichen einzuschränken, die Schaffung
eines den Bedürfnissen des gesteigerten und verfeinerten Verkehrs
entsprechenden Umlaufs von Goldmünzen.
Nach der gleichen Richtung hin wirkte die bereits geschilderte
Entwicklung der internationalen Währungsverhältuisse. Ueberall hatte
der Gebrauch von Goldgeld eine bedeutende Zunahme erfahren, überall
zeigten sich — wie insbesondere auf der Pariser Münzkonferenz von
1867 hervortrat — in wachsender Stärke Bestrebungen, den Gold-
umlauf, wo er von selbst Boden gefaßt hatte, durch die gesetzliche
Einführung der Goldwährung dauernd festzuhalten und ihm dort, wo
er sich infolge der bestehenden Münzgesetze nicht einbürgern konnte,
durch die Einführung der Goldwährung Eingang zu verschaffen. Es
zeigte sich immer deutlicher, daß ein Beharren bei der Silberwähruug
Deutschland währungspolitisch isolieren mußte.
Sowohl in Rücksicht auf den eignen Geldumlauf, als auch in
Rücksicht auf die internationale Gestaltung der Währungsverhältnisse
mußte deshalb neben der Müuzeinigung die Herstellung eines Gold-
umlaufs als das wichtigste Ziel der deutschen Münzreform erscheinen.
§ 2. Die Reformbestrebnngen.
Das Verlangen nach einer deutschen Münzeinheit, das nahezu
ebenso alt war, wie die deutsche Münzzersplitterung, war durch die
vor der Reichsgründung in den Müuzvereinen erzielten Erfolge keines-
wegs befriedigt. So groß auch der Fortschritt war, den namentlich
der Wiener Münzvertrag von 1857 durch seine einschneidenden Be-
utimmungen über die Scheidemünzen und durch die Erhebung des
Eintalerstücks zur Vereinzmünze herbeiführte, so blieb doch selbst
innerhalb des Zollvereiusgebietes eine Trennung nach z^wei Landes-
währungen — Talerwährung und süddeutsche Guldenwährung — ,
innerhalb des Münzvereins (einschließlich Oesterreichs) sogar eine drei-
fache Verschiedenheit der Landeswährungen bestehen. Dazu kam, daß
nur die Vereinsmünzen ohne Unterschied der Münzstätten, aus denen
sie hervorgingen, gesetzliches Zahlungsmittel im ganzen Vereinsgebiete
sein sollten; diesen allerdings war die unbedingte gesetzliche Zahlungs-
kraft in einer so prägnanten Weise beigelegt, daß ihnen für die künf-
tige Entwicklung — ganz abgesehen davon, daß sie mit den wichtigsten
Kurantmünzen des wichtigsten Teiles des Vereinsgebietes identisch
waren — ein Uebergewicht über das Landeskurantgeld gesichert schien;
Zahlungsverträge, die anf Landeskurantgeld lauteten, sollten nach Art. 8
des Wiener Vertrags in VereinsraUnzen erfüllt werden können, während
Zahlungsverträge, die auf Vereinsmünzen gestellt wurden, aussciiließ-
lich in VereinsmUnzen zu erfüllen sein sollten. Dagegen hatten hin-
sichtlich der LandesmUnzen die einzelnen Staaten während der Ver-
handlungen über den Vertrag ausdrücklich die Uebernahme auch nur
der Verpflichtung abgelehnt, die Münzen der mitvertragenden Staaten
in ihrem Gebiete wenigstens nicht zu verbieten. Aber die Bedeutung
des Landeskur'antgeldes gegenüber den Vereinsmünzen ist infolge der
144 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallrerhältnisso.
Erklärung des EintalerstUckes zur VereinsmUnze — neben dem schon
seit dem MUnzvertrage von 1838 zur Vereinsniilnze erhobenen Doppel-
talerstück — und durch die den VereinsmUnzen beigelegten rechtlichen
Qualitäten seit 1857 sehr zurückgegangen. Die Prägeziffern sind dafür
ein sprechender Beweis. Von 1838 bis 1857 wurden im Gebiete des Zoll-
vereins nur wenig mehr als 50 Millionen Taler in Vereinsmünzen
(Doppeltalerstücken) ausgeprägt, während gleichzeitig allein an Kurant-
mUnzen süddeutscher Währung eine Summe von etwa 80 Millionen
Taler zur AusmUuzung gelangte. Dagegen wurde 1857 bis 1871 in
den Zoll Vereinsstaaten an Vereinsmünzen (Ein- und Zweitalerstücken)
eine Summe von 229 Millionen Taler geprägt, während die gleichzeitigen
Ausmünzungen von Landeskurantgeld der Taler- und der süddeutschen
Guldenwähruug nur ß^j^ Millionen Taler betrugen; davon kamen etwa
2 Millionen auf die Laudeskurantmünzen der Talerwährung (Yg- und
*/g-Talerstücke) und 4^1^ Millionen Taler auf die Laudeskurantmünzen
der Guldenwährung. Die in dem Wiener Münzvertrage aufrechterhaltene
süddeutsche Guldenwährung war mithin nahe daran, durch die Vereins-
mUnzen erdrückt zu werden; von der gesamten Kurantausmünzung der
Guldenstaaten selbst entfielen in der Zeit vom Wiener Vertrage bis
zur deutschen Münzreform nur etwa 8,4 Prozent auf die Landesmünzen,
dagegen 91,6 Prozent auf die Vereinsmünzen.
Wenn auch diese aus der unentrinnbaren wirtschaftlichen Not-
wendigkeit hervorgehende Entwicklung eine allmählich immer weiter
fortschreitende Annäherung an das Ziel der völligen Gemeinschaft der
deutschen Umlaufsmittel in Aussicht stellte, so lag darin doch immerhin
nur ein geringer Trost für diejenigen, welche im täglichen Verkehr
die Mißstände der Münzzersplitterung empfanden. Der Wiener Vertrag
war nur halbe Arbeit, und gerade deshalb regte er ganz besonders das
Verlangen an, daß in der Frage der deutschen Müuzeinigung ganze
Arbeit getan werden möchte.
Zu der Forderung der Münzeinigung traten vom Ausgang der
50 er Jahre an mit wachsender Stärke die Bestrebungen auf Einführung
der Goldwährung. Die münztechnischen Vorzüge der Goldwährung
hatten bereits in den 30 er Jahren des 19. Jahrhunderts einen kenntnis-
reichen und eifrigen Vertreter in dem verdienstvollen Nationalökonomen
J. G. Hof f m a n n.^) Aber damals hatten solche Erörterungen in An-
betracht der oben geschilderten Verhältnisse der Edelmetallproduktion
lediglich theoretische Bedeutung; für einen münztecbnisch noch so
gerechtfertigten Uebergang zur Goldwährung fehlte das wesentlichste:
das Gold. Erst der gänzliche Umschwung der Edelmetallproduktion
von 1848 an hat einerseits die Bahn zur Goldwährung freigemacht,
während andererseits die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung eine
solche W^ährungsänderung immer mehr als eine Notwendigkeit er-
scheinen ließ. Die Entwicklung der internationalen Währungsverfassung
und die liücksicht auf den inneren Geldumlauf, in dem mangels
') Von seinen Arbeiten kommen hier insbesondere in Betracht: „Drei Aufsätze
über dag Münzwesen". Berlin 1832; ,,Die Lehre vom Gelde als Anleitung zu
gründlichen Urteilen über das Geldwesen". Berlin 1838; „Zeichen der Zeit im
<ieut8chen Münzwesen, als Zugabe zu der Lehre vom Gelde". Berlin 1841.
s.
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 2. 145
eines bequemen Zahlungsmittels das Papier bedrohlich überhand nahm,
wirkten zusammen, um neben der Münzeinigung die Herstellung eines
ausreichenden und geordneten Goldumlaufes als das wichtigste Ziel
einer deutschen Müuzreform erscheinen zu lassen.
Ueber den Weg, auf welchem dieses letztere Ziel erreicht werden
konnte, herrschte jedoch in der öflentlichen Meinung anfänglich noch
große rnklarlieit. Der erste deutsche Haudelstag, der 1861 in Heidel-
berg versammelt war und sich mit der Münzfrage beschäftigte, hielt
die Münzeiuiguug für eiu so dringendes Bedürfnis, daß ihre Verwirk-
lichung nicht durch eine Verkettung mit der VVährungsfrage erschwert
werden dürfe. Der dritte Handelstag, der im Jahre 1865 in Frank-
furt a. M. stattfand, zeigte bereits einen beträchtlichen Umschwung der
Meinungen. Das Bedürfnis nach der Schaffung eines Goldumlaufs
wurde fast einhellig als dringend anerkannt, aber über die Art und
Weise, wie das Goldgeld dem deutschen Münzsjsteme eingefügt werden
sollte, herrschte noch große Meinungsverschiedenheit. Man einigte
sich auf einen Beschluß, der die Prägung einer Goldmünze im Fein-
gehalte des .Zwanzigfrankenstücks verlangte; dieser Münze sollte ein
fester, falls sich aber die Regierungen dazu nicht entschließen könnten,
wenigstens ein von Zeit zu Zeit veränderlicher Kassenkurs beigelegt
werden. Der Vorschlag wollte nur ein Auskunftsmittel zeigen, das
gleichzeitig „zur Anbahnung der Goldwährung" dienen sollte.
in den folgenden Jahren zog die von Frankreich ausgehende Be-
wegung zugunsten eines Weltmünzbundes auch die deutschen Keform-
bestrebungen in ihre Kreise. Der Abschluß des Lateinischen Münz-
bundes und die glanzvolle Pariser Münzkonferenz von 1867 gaben dem
Gedanken einer Weltmünze eine besondere Flugkraft. Gleichzeitig
wirkten die \'erhandlungen der Pariser Konferenz aufklärend in der
Währungsfrage. Die Wirkung in Deutschland zeigte sich auf dem
Volkswirtschaftlichen Kongresse von 1867 und dem Deutschen Handels-
tage von 1868, die beide gleichzeitig mit der deutschen Münzeinheit
den Anschluß an das Frankensystem und den Uebergang zur Gold-
währung verlangten. Auch der Norddeutsche Reichstag faßte im Juni
1868 eine Resolution, die ein Münzsystem forderte, das „möglichst viele
Garantien einer Erweiterung zu einem allgemeinen MUuzsysterae aller
zivilisierten Länder biete"; ein Jahr später wurde vom Zollparlamente
eine gleichlautende Resolution beschlossen.
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß weder England noch die
Vereinigten Staaten geneigt waren, das französische Münzsystera anzu-
nehmen. Frankreich selbst zögerte, die auf der Pariser Konferenz von
seiner eignen Regierung und allen anderen Staaten mit Ausnahme der
Niederlande anerkannte Voraussetzung für einen internationalen Münz-
bund, nämlich den Uebergang zur gesetzlichen Goldwährung, zu ver-
wirklichen. Dazu kam schließlich der deutsch-französische Krieg; an-
gesichts des blutigen Ringens zweier mächtiger Kulturvölker mußte die
Idee einer internationalen Münzverbrüderung verblassen. Man begann
Vorteile und Nachteile einer Münzgleichheit mit dem Auslande praktisch
abzuwägen und kam zu dem Schlüsse, daß die wichtigsten Vorteile
durch die auf dem Boden der Goldwährung zu erstrebende Währungs-
Helf (erioh, Das Geld. 10
146 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse
gleichheit erreicht werden könnten, während eine Gleichheit des Müuz-
sjstems und infolgedessen eine Gemeinschaft des MUnzumlaufs für
Deutschland nicht nnr eine lästige Umrechnung aus dem bisherigen
Gelde nötig gemacht hätte, sondern auch in anderen Beziehungen zu
großen Bedenken Anlaß gab. Namentlich die in jener Zeit in die
OeÖentlichkeit gedrungenen Mitteilungen über die Ungenauigkeit der
französichen Ausmünzungen und das Fehlen von Vorschriften über die
Erhaltung der Vollwichtigkeit der französischen Münzen ließen es nicht
wünschenswert erscheinen, mit Frankreich in eine völlige Münzgemein-
schaft zu treten.
Ohnedies war die Aufgabe der deutschen Münzeinigung und des
gleichzeitigen Uebergangs zur Goldwährung groß genug, und alles sprach
dagegen, die Lösung durch das Streben nach einer schon durch
das Verhalten Englands und Amerikas aussichtslosen internationalen
Münzeinigung noch mehr zu erschweren.
§ 3. Die Bedeutung des französichen Krieges und der Beichsgründung
für die Währungsfrage.
Die staatsrechtlichen Voraussetzungen für eine ganz Deutschland
umfassende Münzreform wurden erst durch die Gründung des Reiches
geschaffen. Zwar hatte bereits die Verfassung des Norddeutschen
Bundes die Ordnung des Münz-, Papiergeld- und Bankwesens der Gesetz-
gebung des Bundes unterstellt; aber solange Süddeutschland noch außer-
halb der Bundesgemeinschaft stand, konnte nur auf dem schwerfälligen
Wege von Verträgen mit den einzelnen süddeutschen Staaten eine ein-
heitliche Reform durchgeführt werden. Gleichwohl beschloß der Bundes-
rat im Frühjahr 1870 eine Enquete über die bei der Münzfrage in
Betracht kommenden Verhältnisse zu veranstalten, und das Zollparlament
faßte eine Resolution, welche die verbündeten Regierungen ersuchte,
die Münzreform als eine gemeinsame Angelegenheit des Zollvereins zu
behandeln und deshalb die geplante Enquete auch auf Süddeutschland
zu erstrecken.
Die Regierung des Norddeutschen Bundes war geneigt, diesen
Wunsch zu erfüllen, aber die Resolution wurde überholt durch die all-
gemeine politische Entwicklung. Die Fragebogen für die Enquete
waren ausgearbeitet und lagen zur Versendung bereit, als der Krieg
mit Frankreich ausbrach, dessen Folgen die Bedingungen für eine
deutsche Geldreform gänzlich veränderten.
Vor dem Kriege stand Frankreich, wie oben dargestellt wurde,
am Ende langer und eingehender Erhebungen über die Währungsfrage,
die ganz entschieden zugunsten der Goldwährung ausgefallen waren.
Die Einführung der Goldwährung bot damals in Frankreich keinerlei
Schwierigkeiten. Da Frankreich ganz überwiegend Goldgeld und nur
wenig Silbergeld im Umlauf hatte, bedurfte es nur eines Gesetzes, das
die freie Silberprägung aufhob und die Zahlungskraft der silbernen
Fünffrankstücke beschränkte. In Deutschland dagegen genügte zur
Einführung der Goldwährung nicht ein bloßes Gesetz, sondern der vor-
handene Silberumlauf, der den Betrag von 500 Millionen Taler nicht
unbeträchtlich überstieg, mußte zum größten Teile beseitigt und durch
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 4. 147
einen Goldumlauf ersetzt werden. Durch die Schließung der französischen
Münzstätten für das Silber mußte dieses Metall nach der allgemeinen
Annahme eine gewisse Entwertung erfahren; und je stärker das Silber
gegenüber dem Golde im Werte zurückging, desto schwieriger und
kostspieliger mußte für Deutschland die Umwandlung seines Silber-
umlaufs in einen Goldumlauf werden.
Der Ausgang des Krieges kehrte die Lage um.
Frankreich w^urde durch die Folgen des Krieges daran gehindert,
in der Währnngsfrage den so eingehend vorbereiteten entscheidenden
Schritt zu tun. Infolge des Krieges hatte die Bank von Frankreich
die Einlösung ihrer Noten einstellen müssen; w^enn die französische
Regierung auf die möglichst rasche Wiederaufnahme der Barzahlungen
hinarbeiten wollte, dann durfte sie sich die Mittel dazu nicht durch
die Einstellung von Silberprägungen beschränken. Einen ähnlichen
Zwang übte die Kriegskostenentschädigung aus. Da Frankreich zur
Zahlung der Kontribution auch silberne Fünffrankenstücke verwenden
durfte, erleichterte es sich die Abtragung, wenn es möglichst viel Silber
zur Ausprägung annahm. An eine Aufhebung der Silberprägung und
einen Uebergang zur Goldwährung war also für Frankreich vorläufig
nicht mehr zu denken.
Umgekehrt wirkte der Ausgang des Krieges für Deutschland.
Die Gründung des Reiches beseitigte das letzte staatsrechtliche
Hindernis, das bisher die Münzreform erschwert und verzögert hatte.
Die Kriegsentschädigung löste die Frage, woher Deutschland das zur
Goldwährung nötige Gold nehmen sollte ; die fünf Milliarden brachten,
soweit sie nicht in effektivem Golde, sondern in Wechseln, Bank-
anweisungen usw. eingingen, hinreichend Mittel, um Gold zu Präge-
zwecken auf ausländischen Märkten anzukaufen.
Die ungewöhnliche Gunst des Augenblicks wurde in Deutschland
mit Energie und Geschick ausgenutzt. Die im Jahre 1870 beschlossene
Enquete unterblieb, da die Reichsregierung jetzt die Münzfrage für hin-
reichend geklärt und die Zeit für zu kostbar hielt, als daß noch eine
zeitraubende Enquete am Platze gewesen wäre. Nach der jahrelangen
öffentlichen Diskussion über die Münzreform war die Enquete in der
Tat überflüssig, und die fast gleichlautenden Beschlüsse einer freien
Kommission von Reichstagsmitgliedern, die im Juni 1871 zusammen-
trat, und des im August 1871 zu Lübeck tagenden Volkswirtschaft-
lichen Kongresses konnten mit Recht als der Ausdruck der nahezu
einmütigen öffentlichen Meinung erscheinen. Diese Beschlüsse ver-
langten die Einführung eines einheitlichen, sich von der Talerwährung
ableitenden Münzsystems mit dezimaler Einteilung auf Grundlage der
Goldwährung.
§ 4. Die Eiostellang der prenssischen Silberprägungen.
Noch ehe die Gesetzgebung des neuen Reiches Gelegenheit hatte,
sich mit der M Unzfrage zu befassen, geschah seitens der preußischen
Regierung ein währungspolitiach höchst bedeutsamer Schritt. Durch
die französische Kontribution wurde auf dem gesamten internationalen
10*
148 Erstes Buch. II. Abschnitt Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Geldmärkte eine starke Nachfrage uach Zahlungsmitteln für Deutsch-
land hervorgerufen, und im Hinblick auf die an die Reichsregieruug
zu leistenden Zahlungen wurden große Beträge von Silber nach Deutsch-
land geschickt und bei den deutschen Münzstätten zur Ausprägung
eingeliefert. Die deutschen Staaten hatten zwar Silberwährung, aber
das freie Prägerecht für Silber war gesetzlich nicht festgelegt; freie
Silberprägung bestand vielmehr nur tatsächlich, und zwar in der Form,
daß die deutschen Münzstätten das ihnen angebotene Silber zu einem
ötYentlich bekannt gemachten, wenig hinter dem Ausmüuzungswerte
zurückbleibenden und innerhalb enger Grenzen veränderlichen Preise
ankauften. Jm zweiten Quartal des Jahres 1871 exportierte nun England
allein für nahezu 2 Millionen Pfd. Sterl. Silber nach Deutschland, und den
deutschen Münzstätten wurden trotz der Herabsetzung ihres Ankaufs-
preises, die einer Erhöhung ihrer Prägegebühr gleichkam, fortgesetzt
große Mengen von Silber zur Ausprägung gebracht. Der starke
Silberzufluß jener Zeit erklärt sich daraus, daß Deutschland durch
die von Frankreich zu zahlende Kriegskostenentschädigung gewisser-
maßen Gläubiger der ganzen Welt geworden war. Auf allen Märkten
wurden für französische Rechnung Zahlungsmittel für Deutschland
gesucht. Namentlich die Londoner Banken stellten Wechsel auf
Deutschland zur Verfügung und suchten für deren Deckung durch die
Versendung von Edelmetall nach Deutschland zu sorgen. Da Deutsch-
land damals noch Silberwährung hatte, kam als Edelmetallrimesse
ganz vorwiegend das Silber in Betracht, das ohnehin in jener Zeit —
infolge der Zunahme der Produktion und infolge des Nachlassens des
Silberbedarfs für Indien — dem Londoner Markte wieder in größeren
Mengen zur Verfügung stand.
Der starke Silberzufluß kam der deutschen Regierung in einem
Augenblicke, in dem sie mit dem Plane der Herstellung eines Goldum-
laufs umging, natürlich sehr ungelegen. Zwar war ein Beschluß
darüber, ob der erstrebte Goldumlauf im Wege der reinen Goldwährung
oder im Wege der Doppelwährung hergestellt werden sollte, noch nicht
gefaßt, die Reichsregierung wollte vielmehr ausdrücklich diese Entschei-
dung bis zum Erlasse eines definitiven Münzgesetzes offen halten. Aber
die durchschlagende Logik der Tatsachen sprach deutlich genug: wollte
man wirklich einen ansehnlichen Goldumlauf herstellen, dann mußte
man jedem weiteren Anschwellen des Silberumlaufs entgegenwirken.
Nachdem die Berliner Münze mit der Herabsetzung des Ankaufs-
preises für Silber bis auf 29 Taler 23 Sgr. (bei einem Münzfuß von
30 Taler auf das Pfund fein) keine Verminderung der Silbereinliefe-
rungen zu bewirken vermocht hatte, wurde seitens der preußischen Re-
gierung die gänzliche Einstellung des Silberankaufs verfügt. Vom 3. Juli
1871 an kaufte die Berliner Münze kein Silber mehr von Privaten an.
Bei der alle anderen deutschen Münzstätten weit überragenden
Bedeutung der Berliner Münzanstalt war dieser Schritt gleichbedeutend
mit der Aufhebung der freien Silberprägung. Der endgültigen Ent-
scheidung in der Frage, ob Doppelwährung oder Goldwährung, war
damit im Drange der Notwendigkeit vorgegriffen. In jenem Akte, der
den Charakter einer Defensivmaßregel trug, kam bereits klar die Er-
I
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 5. 149
kenutnis zum Vorschein, die das Prinzip der Doppelwährung ablehnt,
uänilich die Erkenntnis, daß die Schaffung und Erhaltung eines Gold-
umlaufs und die unbeschränkte Prägung für Silber nicht miteinander
vereinbar sind.
§ 5. Die Eeformgesetzgebung.
Im Oktober 1871 wurde dem Bundesrate der Entwurf eines Ge-
setzes, betrefl'end die Ausprägung von Heichsgoldmünzen, vorgelegt. Wie
schon der Titel besagt, war mit dem Entwürfe noch nicht eine end-
gültige Regelung des deutschen Geldwesens erstrebt, sondern zunächst
nur die Schafiung von Reichsgoldmünzen, die zwar als Grundlage für
die künftige einheitliche deutsehe Münzverfassung dienen sollten, die
aber in die bestehende Münzverfassung nur provisorisch eingefügt werden
konnten. In den Händen des Reichstags ist das Gesetz weit über seine
ursprüngliche Bedeutung hinausgewachsen; es wurden ihm Bestimmungen
eingefügt, welche die wichtigsten der für ein definitives Münzgesetz vor-
behaltenen Entscheidungen vorweg nahmen.
Trotz erheblicher Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten
in einzelnen Punkten, namentlich in der Frage der staatsrechtlichen
Ordnung des deutschen Münzwesens, konnte das Gesetz, betreflfend die
Ausprägung von Reichsgoldmünzen, schon Jim 4. Dezember 1871 ver-
kündigt werden.
Das Gesetz machte die Mark, die in 100 Pfennige eingeteilt wird,
zur Rechnungseinheit des neuen MUnzsystems. Die Mark wurde dem
dritten Teile des Talers gleichgesetzt, und ihr Wert in den Münzein-
heiten der übrigen deutschen Laudeswährungen wurde entsprechend
diesem Verhältnisse zum Taler bestimmt. Die Mark selbst wurde defi-
niert als der zehnte Teil einer Reichsgoldmünze, von der 139 Va Stück
aus dem Pfunde feinen Goldes ausgebracht werden; neben dem Zehn-
markstück wurde ein Zwanzigmarkstück im Feingehalte von 3 Pfund
Feingold geschaffen. Die Ausprägung anderer Münzen des neuen Systems
wurde noch nicht angeordnet.
Die bloße Schafi"ung einer Reichsmünze machte auch bei einem
als Provisorium gedachten Gesetze eine Anzahl weiterer Vorschriften
notwendig.
Bei dem Charakter des Reichs als Bundesstaat mußte zunächst
die Frage entstehen: wer soll die Reichsmüuzen prägen, das Reich oder
die Einzelstaaten, und was für ein Gepräge sollen die Reichsmünzen
tragen? Eine mächtige Strömung ging dahin, daß für alle Zukunft in
Fragen des Münzwesens das Reich die einzige Instanz bilden dürfe,
daß mithin die gesamte das Münzwesen betreffende Verwaltungstätig-
keit, Prägung, Einziehung usw., nur Sache des Reiches sein dürfe.
Die cinzclstaatliehen Regierungen dagegen und die Partikularisten im
ganzen Reiche wollten die Prägetätigkeit und alle damit zusammen-
hängenden Rechte und Pfiichten im Gegensatz zu der ausdrücklich dem
Reiche übertragenen MUnzgesetzgebuug den Einzelstaateu vorbehalten.
Schon im Bundesrate kam es in dieser Frage zu einem Kompromisse
150 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltuug der Edelmetallverhältnisse.
zwischen beiden Forderungen, der allerdings mehr nach der partiku-
laristischen Seite hinneigte; der Reichstag hat jedoch die wichtigsten
liestimmungen ihres partikularistischen Charakters entkleidet und die Frage
der staatsrechtlichen Ordnung des MUnzwesens der Sache nach — wenn
auch unter Konzessionen in der Form — in unitarischem Sinne entschieden.
Nach den Vorschriften des Gesetzes vom 4. Dezember 1871, die
später durch das MUnzgesetz von 1873 für sämtliche Reichsmünzen eine
Ergänzung erfuhren, übt das Reich die Münzprägung nicht selbst aus;
die Ausprägung von Reichsmünzen geschieht vielmehr auf den Münz-
stätten derjenigen Bundesstaaten, die sich dazu bereit erklärt haben.
Aber die Ausprägung geschieht auf Kosten und auf Anordnung des
Reichs, Der Reichskanzler bestimmt unter Zustimmung des Bundesrates
die auszumünzenden Beträge, die Verteilung dieser Beträge auf die ein-
zelnen Müuzsorten und Münzstätten sowie die den letzteren für die
Prägung jeder einzelnen Müozgattung gleichmäßig zu gewährende Ver-
gütung; ebenso versieht er die Münzstätten mit dem Prägemetall, das
für die ihnen zugewiesenen Ausmünzungen erforderlich ist. Auch das
\'erfahren bei der Ausprägung wird vom Bundesrate festgestellt und
unterliegt der Beaufsichtigung von Seiten des Reichs. Das den Einzel-
staaten vorbehaltene Prägerecht entbehrt mithin jeder selbständigen Be-
deutung; es erstreckt sich lediglich auf die Ausführung von Anord-
nungen, die vom Reiche ausgehen.
Eine formelle Konzession wurde den Einzelstaaten auch bei der
Festsetzung des Gepräges der Reichsmünzen gemacht. Es wurde be-
siimmt, daß die Reichsgoldmünzen auf der einen Seite den Reichsadler
und die Inschrift „Deutsches Reich", auf der anderen Seite das Bildnis
des Landesherren bezw. das Hoheitszeichen der Freien Städte mit einer
entsprechenden Umschrift tragen sollten. Im Reichstage wurde der
Versuch gemacht, den Landesherren das RecTit, die Reichsmünzen mit
ihrem Bildnisse versehen zu lassen, zu nehmen und nur das Bildnis des
Kaisers zuzulassen; aber kein geringerer als Fürst Bismarck selbst
warnte dringend davor, in dieser Frage „einen politisch in hohem Grade
verstimmenden Druck auf die Bundesgenossen auszuüben".
Die Sorge für die Aufrechterhaltung der Vollwichtigkeit des Münz-
uralaufs, die Einziehung abgenutzter Reichsmünzen sowie die zur Durch-
führung der Münzreform notwendige Einziehung der Landesmünzen sollte
nach dem im Bundesrate festgestellten Entwürfe Sache der Einielstaaten
sein. Der Reichstag hob jedoch diese Bestimmungen auf und übertrug
auch diese Angelegenheiten in richtiger Erkenntnis der Gemeinschaft-
lichkeit des zu schaffenden Geldwesens der Zentralgewalt.
Der Feingehalt der durch das Gesetz vom 4, Dezember 1871 ein-
geführten Reichsgoldmünzen wurde in der Weise bestimmt, daß ein
Wertverhältnis von 1 : 15,5 zwischen Silber und Gold angenommen
wurde. Da der Taler nach seinem gesetzlichen Feingehalte ^/go Pfund
Silber enthielt, mithin die Mark, als Ya Taler, ^90 Pfand Silber darstellte,
ergibt sich für das Zehnmarkstück ein Feingehalt von lOX ^ _ =
.OQ p - Pfund Gold. Das Wertverhältnis von 1 : 15,5 wurde gewählt, weil
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 5. 151
es ungefähr dem durchschnittlichen Wertverhiiltnisse seit dem Beginn
des 18. Jahrhunderts entsprach, weil es ferner zur Zeit der Beratung
des Gesetzes mit dem auf dem Edelraetallmarkte tatsächlich bestehenden
übereinstimmte, und schließlich, weil es die Grundlage des Miinzsystems
der Länder der Lateinischen Münzunion war.
Der ursprüngliche Entwurf wollte die ReichsgoldmUnzen vorläufig
nur in der Weise in die bestehenden Geldsysteme einfügen, daß er
ihnen keinen gesetzlichen Kurs zu einem bestimmten Nennwerte, sondern
nur einen Kassenkurs gab, der erforderlichenfalls noch sollte geändert
werden können. Schon im Bundesrate wurde jedoch der Kassenkurs
durch den vollen gesetzlichen Kurs ersetzt.
In einem anderen Punkte hat erst der Reichstag durchgegriffen.
Im Reichskanzleramte und im Bundesrate stimmte man zwar darin
überein, daß nur die Goldwährung als das Endziel der deutschen Münz-
reform in Betracht kommen könne; gleichwohl betrat man nur zögernd
den Weg, der zu diesem Ziele führte. Da man sich, obwohl innerlich
entschlossen, doch noch die Wahl zwischen Doppelwährung und Gold-
währung offen halten wollte, wurde in dem Gesetzentwurfe keinerlei
Bestimmung über die Einstellung der Silberprägung getroffen; man be-
gnügte sich vielmehr im Bundesrate mit einer protokollarischen Ueber-
einkunft, in der sich die Einzelregierungen gegenseitig zusagten, von
der Ausmünzung von Silberkurantgeld bis auf weiteres Abstand nehmen
zu wollen. Der Reichstag zog jedoch die Konsequenzen aus der Wahr-
nehmung, daß an die Schaffung und Erhaltung eines Goldumlaufs bei
gleichzeitiger Vermehrung des deutschen Silbergeldes nicht zu denken
sei; er fügte in das Gesetz einen Paragraphen ein, der die weitere
Ausprägung von Silberkurantgeld, abgesehen von Denkmünzen, untersagte.
Mit diesem Schritte war die Entscheidung über die künftige Währungs-
verfassung Deutschlands, die der Entwurf des Gesetzes einem endgültigen
Münzgesetze vorbehalten wollte, zugunsten der Goldwährung gefallen.
Auch in einem anderen auf dem Gebiete der Währungsverfassung
liegenden Punkte ging der Reichstag über den vom Bundesrate be-
schlossenen Entwurf hinaus. Der Bundesrat hatte nur hinsichtlich der
Landesgoldmünzen eine Bestimmung über die Einziehung getroffen, über
die Einziehung von Landessilbermünzen enthielt er nichts. Der Reichstag
ergänzte diese Bestimmung dadurch, daß er dem Reichskanzler die Er-
mächtigung erteilte, die Einziehung der bisherigen Silberkurantmünzen
der deutschen Bundesstaaten anzuordnen. Damit war bereits die Absicht
einer Einschränkung der deutschen Silberzirkulation auf das bei einer
Goldwährung zulässige Maß ausgesprochen.
Durch das Gesetz vom 4. Dezember 1871 waren also, trotz der
Beibehaltung seines bescheidenen Titels, die Grundlagen für die neue
deutsche Münzverfassung geschaffen.
Die Reformgesetzgebung wurde in allen wesentlichen Punkten ab-
geschlossen durch das MUnzgesetz vom 9. Juli 1873.
Das Gesetz proklamierte in seinem ersten Artikel die reine Gold-
währung formell als das Endziel der Münzreform und ordnete die Ver-
fassung dieser „Reichsgoldwährung" in allen ihren Einzelheiten.
152 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Außer den Zwanzig- und Zehnmarkstücken, deren Prägung bereits
in dem Gesetze vom 4. Dezember 1871 verfügt worden war, schuf das
Gesetz von 1873 eine dritte Keichsgoldmünze, das Fünfmarkstück (Art. 2).
Diese Münze hat sich freilich nicht bewährt. Es wurde an solchen
Stücken nur ein geringer Betrag (ca. 28 Millionen Mark) ausgeprägt;
durch die MUnznovelle vom 1. Juni 1900 ist ihre Einziehung und
Außerkurssetzung angeordnet worden.
Die Ausprägung der Goldmünzen für private Rechnung wurde im
Prinzip freigegeben durch folgende Bestimmung in Art. 12 des Münz-
gesetzes :
„Privatpersonen haben das Recht, auf denjenigen Münzstätten,
welche sich zur Ausprägung auf Reichsrechnung bereit erklärt haben,
Zwanzigniarkstücke für ihre Rechnung ausprägen zu lassen, soweit
diese Münzstätten nicht für das Reich beschäftigt sind."
„Die für solche Ausprägungen zu erhebende Gebühr wird vom
Reichskanzler mit Zustimmung des Bundesrats festgestellt, darf aber
das Maximum von 7 Mark auf das Pfund Feingold nicht übersteigen."
Gemäß diesem Artikel erfolgte am 8. Juni 1875 eine Bekannt-
machung des Reichskanzlers, in der die Prägegebühr auf 3 Mark für
das Pfund Feingold normiert wurde.
Eine wichtige Ergänzung hat das freie Prägerecht für Gold er-
fahren durch § 14 des Bankgesetzes vom 14, März 1875. Dort wurde
der Reichsbank die Verpflichtung auferlegt, Barrengold zum festen
Satze von 1392 Mark für das Pfund fein gegen ihre Noten umzu-
tauschen. Der Satz 1392 Mark pro Pfund fein entspricht dem Ans-
münzungswerte des Pfundes Feingold von 1395 Mark abzüglich der
Prägekosten von 3 Mark. Da bei der Reichsbank der Umtausch von
Gold gegen Noten Zug um Zug erfolgt, während bei den Münzstätten
die efiektive Ausprägung abgewartet werden muß, ist die Einlieferung
von Gold bei den Münzstätten mit einem Zinsverluste verbunden.
Infolgedessen ist der Reichsbank die gesamte Vermittlung der Privat-
prägungen zugefallen.
Neben den frei ausprägbaren und volles gesetzliches Zahlungs-
mittel darstellenden Goldmünzen, die als der Grundstock und die Haupt-
masse des neuen deutschen Geldumlaufs gedacht waren, schuf das
Münzgfcsetz ein System von Scheidemünzen aus Silber, Nickel und Kupfer.
Für die Silbermünzen wurde, da sie nur als Scheidemünzen vor-
gesehen waren, mit Absicht ein geringerer Feingehalt angesetzt, als
dem Gehalte der bisherigen Silberkurantmüuzen und der dem Währungs-
wechsel zugrunde gelegten Relation von Silber und Gold entsprach.
Ihr Feingehalt wurde auf ^/j^^ Pfund pro 1 Mark bestimmt (Art. 3 § 1),
während der bisherige Dritteltaler ^/g^ Pfund Feinsilber enthalten hatte.
Der Münzfuß der Gold- und SilbermUnzen ergab so ein Wertverhältnis
von 13,95 : 1, während der Uebergang zur Goldwährung aufgrund einer
Relation von 15,5:1 stattfand. Die Unterwertigkeit der Silberscheide-
münzen gegenüber den bisherigen Kurantsilbermünzen und der Relation
des Währungswechsels stellt sich mithin auf lU Prozent,
Die Zahlungskraft der Reichssilbermünzen wurde auf Beträge bis
zu 20 Mark, die der Nickel- und Kupfermünzen auf Beträge bis zu
f). Kapitel. Die deutsche Geldieform. § ö, 15-J
1 Mark beschränkt; von Reichs- und Landesksisseu dagegen sind die
Keichssilbermünzen, nicht aber auch die Nickel- und Kupfermünzen,
bis zu jedem Betrage in Zahlung zu nehmen (Art, 9).
Ferner zog das MUuzgesetz eine Grenze für die Ausmünzung von
Scheidemünzen, indem es vorschrieb, daß der Gesamtbetrag der Keichs-
silbermünzen bis auf weiteres 10 Mark, der Gesamtbetrag der Nickel-
und Kupfermünzen 2^2 Mark pro Kopf der Reichsbevölkerung nicht
übersteigen sollte (Art. 4). In der Münznovelle vom 1. Juni 1900 ist
die Grenze für die Reichssilbermünzen, entsprechend dem inzwischen
gewachsenen Bedarf e an Silbergeld, auf 15 Mark, in der Münznovelle
vom 16. Mai 1908 auf 20 Mark pro Kopf der Reichsbevölkerung er-
weitert worden.
Schließlich suchte man dem Nennwerte der uuterwertigen Scheide-
münzen dadurch eine besondere Stütze zu geben, daß dem Reiche die
N'erpflichtung auferlegt wurde, an bestimmten, vom Bundesrat zu be-
zeichnenden Kassen gegen Reichssilbermünzen in Beträgen von min-
destens 200 Mark und gegen Nickel- und Kupfermünzen in Beträgen
von mindestens 50 Mark auf Verlangen Reichsgoldmünzen zu verab-
folgen (Art. 9, Abs. 2).
Mit diesen Vorschriften war das künftige Münzwesen in strenger
Uebereiustimmung mit den Prinzipien der reinen Goldwährung geordnet.
Aber diese neue Ordnung konnte nicht mit einem Schlage an die Stelle
der vorhandenen Münzverfassung gesetzt werden. Die erforderlichen
Prägungen von Reichsmünzen beanspruchten eine Reihe von Jahren,
und nur in dem Maße, wie diese Prägungen fortschritten und wie die
neuen Münzen in den Verkehr gelangten, konnten die umlaufenden
Landesmünzen eingezogen und außer Kurs gesetzt werden. Es war
Aufgabe des Münzgesetzes, neben der Ordnung des künftigen Münz-
wesens Bestimmungen zu treffen, die den Uebergang von den bestehenden
Landeswährungen zur Reichswährung regelten. Vor allem wurden die
Modalitäten der Einziehung und Außerkurssetzung der Landesmünzen
festgesetzt; dem Bundesrate wurde die Befugnis zur Außerkurssetzung
der Landesmünzen und zur Feststellung der hierfür erforderlichen Vor-
schriften erteilt; es wurde die Veröffentlichung der Außerkurssetzung
in den für die Veröffentlichung von Landesverordnungen bestimmten
Blättern und im Reichsanzeiger vorgeschrieben; ferner wurde bestimmt,
daß eine Außerkurssetzung erst eintreten dürfe, wenn eine Einlösungs-
frist von mindestens vier Wochen festgesetzt und mindestens drei Monate
vor ihrem Ablaufe öffentlich bekannt gemacht sei (Art. 8). Ein Termin
für die Vollendung der Einziehung der sämtlichen Landesraünzen
wurde nicht bestimmt; es wurde in dieser Beziehung nur vorgeschrieben,
daß bei jeder Ausgabe von Reichssilbermünzen ein dem Nennwerte nach
gleicher Betrag von umlaufenden groben Landessilbermünzen eingezogen
werden sollte (Art. 4, Abs. 2), eine Bestimmung, die nach 1879 nicht
mehr genau innegehalten worden ist.
Weil sich ein bestimmter Zeitpunkt für die gänzliche Beseitigung
der Landessilbermünzen, namentlich der Taler, nicht absehen ließ, und
weil man andererseits den Uebergang aus den Landeswährungen in
Iü4r Erstes Blich. II. Abschuitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
die ueue einheitliche Ordnung nicht von der Beseitigung des letzten
Talers abhängig macheu wollte, wurde in dem Gesetze ein Uebergangs-
stadium vorgesehen, das im Gegensatz zu der als Endziel aufgestellten
„Keichsgoldwahrung" als „Keichswährung" bezeichnet wurde. In diesem
Uebergangsstadium sollte bereits nach Mark gerechnet werden und alle
Zahlungsverpflichtungen sollten, statt auf das frühere Landesgeld, auf
Keiehsmünzeu lauten; aber anstelle der Reichsgoldmünzen sollten auch
die noch nicht völlig beseitigten Kurautmünzen der Talerwährung ge-
setzliches Zahlungsmittel bis zu jedem Betrage sein. Der Zeitpunkt
des Inkrafttretens der Keichswährung sollte durch eine mit Zustimmung
des Bundesrates zu erlassende kaiserliche Verordnung bestimmt werden
(Art. 2, Abs. 2); er ist durch eine Verordnung vom 22. September 1875
auf den 1. Januar 1876 festgesetzt worden. Aus der Reichswährung
sollte sich nach den Intentionen des Münzgesetzes die Reichsgold-
währung durch die allmähliche Beseitigung des Silberkurantgeldes von
selbst entwickeln.
Im Anschluß au die eigentliche Münzgesetzgebung wurde der
Papiergeld- und Bankuotenumlauf geregelt.
Der enge Zusammenhang, der zwischen den Mißständen auf dem
Gebiete des eigentlichen Münzwesens und auf dem Gebiete der papiernen
Zirkulation bestand, ist bereits bei der Darstellung des Zustandes des
deutschen Geldwesens vor der Reform betont worden. In der Erkenntnis
dieses Zusammenhanges hegten sowohl die Regierungen der meisten
Einzelstaaten als auch die Mehrheit des Reichstags den Wunsch, die
Ordnung der papiernen Uralaufsmittel in unmittelbarem Anschlüsse an
die Reform der metallischen Umlaufsmittel zu erledigen. Wenn sich
trotzdem die Vorlage von Gesetzentwürfen über das Papiergeld und^^die
Notenbanken verzögerte, so lag die Ursache in Meinungsverschieden-
heiten zwischen den Verbündeten Regierungen über wichtige Punkte
der angestrebten Reform, insbesondere über die Art der den Einzel-
regierungen für die Einziehung ihres Papiergeldes zu gewährenden Er-
leichterungen und Entschädigungen und über die Frage der Umwandlung
der Preußischen Bank in eine Reichsbank. Es war bekannt geworden,
daß ein Bankgesetzentwurf, der die Schaffung einer Reichsbank ent-
hielt, bereits im Jahre 1872 ausgearbeitet worden war und sogar bereits
die Unterschrift des Reichskanzlers trug, als er im letzten Augenblicke
an dem Widerstände des preußischen Finanzministers Camphauseu
scheiterte.
Um einen Druck auf die Regierungen zur möglichst schleunigen
Erledigung der Papiergeld- und Bankfrage auszuüben, fügte der Reichs-
tag dem Münzgesetze einen Artikel bei, der gewisse einschneidende
Bestimmungen über Staatspapiergeld und Banknoten traf. In der Fassung,
in der dieser Artikel 18 in der zweiten Lesung angenommen wurde,
schrieb er vor, daß bis spätestens zum 1. Januar 1875 alle nicht auf
Reichswährung lautenden Zettel — einerlei ob Noten oder Staatspapier-
geld — eingezogen werden sollten; von diesem Termine an sollten nur
noch solche papiernen Umlaufsmittel geduldet werden, die auf Reichs-
währung in Beträgen von mindestens 100 Mark lauteten.
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 5. 155
Da die Existeuzfähigkeit namentlich des kleiustaatlicheu Papier-
geldes wesentlich darauf beruhte, daß es in kleinen Abschnitten, die
erfahrungsgemäß seltener als große Abschnitte zur Einlösung präsentiert
werden, ausgegeben war, da außerdem der vorgeschriebene Termin
sehr knapp anberaumt war, sah sich der Bundesrat in der Tat ver-
anlaßt, sich sofort mit der Materie zu befassen. Die Meinungsverschieden-
heiten waren aber auch jetzt innerhalb des Bundesrats noch so groß,
daß es nicht gelang, bis zur dritten Lesung des Münzgesetzes zu einer
Einigung zu kommen. Da der Reichstag sich nicht mit unverbindlichen
Erklärungen zufrieden geben wollte, unterbrach er die dritte Lesung
des Münzgesetzes, bis die Regierung imstande wäre, bestimmte Vor-
schläge hinsichtlich des Staatspapiergeldes zu machen.
Im Bundesrate einigte man sich nun im Prinzip darüber, das
Staatspapiergeld durch ein Reichspapiergeld, die Reichskassenscheine,
zu ersetzen, die behufs Erleichterung der Einziehung des Staatspapier-
geldes an die Einzelstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung verteilt
werden sollten. Ein Gesetzentwurf kam jedoch nicht zustande, da
Bayern auf der gleichzeitigen Regelung der Papiergeld- und Bankfrage
bestand, und da Bismarck aus politischen Gründen eine Majorisierung
Bayerns vermeiden wollte. Aber auf der Grundlage des Gedankens
der Schaffung eines Reichspapiergeldes kam es schließlich unmittelbar
vor Schluß der Reichstagssession doch noch zu einer Einigung zwischen
den Verbündeten Regierungen und dem Reichstage über die Formulierung
des viel umstrittenen Artikel 18 des Münzgesetzes. Hinsichtlich der
Banknoten blieb es bei der ursprünglichen Bestimmung, nur daß der
Termin für die Einziehung der nicht auf Reichswährung lautenden
Noten und für die Beseitigung der auf weniger als 100 Mark lautenden
Notenabschnitte auf den 1. Januar 1876 verschoben wurde. Hinsicht-
lich des Staatspapiergeldes dagegen wurde bestimmt:
„Das von den einzelnen Bundesstaaten ausgegebene Papiergeld ist
spätestens bis zum 1. Januar 1876 einzuziehen und spätestens sechs Monate
vor diesem Termine öffentlich aufzurufen. Dagegen wird nach Maßgabe
eines zu erlassenden Reichsgesetzes eine Ausgabe von Reichspapiergeld
stattfinden. Das Reichsgesetz wird über die Ausgabe und den Umlauf
des Reichspapiergeldes sowie über die den einzelnen Bundesstaaten zum
Zwecke der Einziehung ihres Papiergeldes zu gewährenden Erleichte-
rungen die näheren Bestimmungen treffen."
Das im Schlußartikel des Münzgesetzes in Aussicht gestellte
Reichsgesetz wurde unter dem 30. April 1874 als Gesetz, betreffend die
Ausgabe von Reichskassenscheineu, verkündigt. Es entsprach in allen
wesentlichen Punkten der bereits im Juni 1873 im Bundesrat erzielten
prinzipiellen Einigung. Als Normalbetrag der Ausgabe von Reichs-
kassenscheinen wurde die Summe von 120 Millionen Mark*), 3 Mark
pro Kopf der damaligen Bevölkerung, festgesetzt; die 120 Millionen
Mark waren zur Verteilung an die Einzelstaateu behufs Erleichterung
der Einziehung des Staatspapiergeldes bestimmt; aber die Verteilung
hatte nach Maßgabe der Bevölkerung an sämtliche Bundesstaaten zu
') Im Jahre 19l;3 ist der Ilüchstbctrag auf 240 Millioueu Mark, im Laufe
des Krieges auf 3G0 Millionen Mark erhöht worden.
156 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
erfolgen, einerlei ob sie Staatspapiergeld ausgegeben hatten oder nicht.
Andererseits war damals nach amtlichen Feststellungen ein Gesamt-
betrag von 184 Millionen Mark Staatspapiergeid im Umlauf; nament-
lich eine Anzahl von Kleinstaaten hatte erheblich mehr als 3 Mark
pro Kopf ihrer Bevölkerung an Papiergeld ausgegeben, und der auf
sie entfallende Anteil von Keichskassenscheinen wurde nicht als eine
ausreichende Erleichterung erachtet. Infolgedessen wurde bestimmt,
dalJ denjenigen Staaten, deren Papiergeldausgabe ihren Anteil au den
Keichskassenscheinen überschreite, zwei Drittel des überschießenden
Betrags als Vorschuß aus der Reichskasse zu überweisen sei, und zwar,
soweit die Bestände der Reichskasse die Gewährung dieser Vor-
schüsse in barem Gelde nicht gestatteten, gleichfalls in Reichskassen-
scheinen; der Reichskanzlei wurde ermächtigt, Reichskassenscheine
über den Betrag von 120 Millionen Mark hinaus bis zur Höhe der zu
gewährenden Vorschüsse anfertigen zu lassen und in Umlauf zu setzen.
Die Vorschüsse sollten innerhalb 15 Jahren, vom 1. Januar 1876 an
gerechnet, in gleichen Jahresraten zurückgezahlt werden.
Da Vorschüsse in Metallgeld nicht gewährt worden sind, hat sich
die anfängliche Ausgabe von Reichskassenscheinen auf 174 Millionen
Mark gestellt, und dieser Betrag ist plangemäß bis zum Jahre 1892 auf
120 Millionen Mark, den gesetzlich vorgesehenen Normalbetrag redu-
ziert worden. Es ist mithin zunächst nur eine ganz geringe Ein-
schränkung des Papierumlaufs mit der Ersetzung des Landespapier-
geldes durch Reichskassenscheine bewirkt worden, und erst im Laufe
von 15 Jahren ist der Betrag des umlaufenden Papiergeldes auf
etwa zwei Drittel des bei Beginn der Münzreform ausgegebenen
Betrags eingeschränkt worden. Der unmittelbare Vorteil der Reform,
soweit sie das staatliche Papiergeld betraf, lag mithin weniger in der
nahezu allgemein für erstrebenswert gehaltenen Verringerung des Papier-
umlaufs, als in der Einheitlichkeit und Ordnung des neuen Papiergeldes,
Reichskassenscheiue und Banknoten sollten sich nach der Absicht
der Reformgesetzgebung keine Konkurrenz machen. Während für die
Notenbanken auch späterhin bis zum Jahre 1906 das in Artikel 18
des Münzgesetzes ausgesprochene Verbot der Ausgabe von Abschnitten
zu weniger als 100 Mark aufrecht erhalten wurde, wurden für die
Reichskassenscheiue Abschnitte zu 50, 20 und 5 Mark gewählt. Nach-
dem jedoch die Reichsbank zur Ausgabe kleiner Noten autorisiert
worden w^ar, wurde durch ein Gesetz vom 5. Juni 1906 bestimmt,
daß die Reichskassenscheiue nur noch auf 5 Mark und 10 Mark lauten
sollten. Solche Abschnitte gehören durchaus in eine Sphäre des Zah-
lungsverkehrs, die bei den auf metallischer Grundlage beruhenden
Geldsystemen im allgemeinen von den metallischen Zirkulations-
mitteln ausgefüllt wird; allerdings gibt es auch innerhalb dieser Sphäre
gewisse Zwecke, zu denen ein papieruer Zettel brauchbarer ist als ein
metallisches Geldstück (Versendung in Briefen usw.).
Ueber die rechtlichen Qualitäten der Reichskassenscheine ist folgen-
des zu bemerken.
Im Privatverkehr sollte ein Zwang zu ihrer Annahme nicht statt-
finden. Dagegen schrieb das Gesetz vor, daß sie bei allen Kassen
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 5. 157
des Reichs und der Bundesstaaten zu ihrem Nennwerte in Zahlung zu
nehmen seien; sie hatten mithin einen sogenannten „Kassenkurs", Ferner
wurde die Reichshauptkasse verpflichtet, die Reichskassenscheine für
Rechnung des Reichs jederzeit auf Erfordern gegen bares Geld einzu-
lösen. Ein Fonds zur Einlösung der Reichskassenscheine wurde jedoch nicht
geschaffen; vieiraehr wurde de facto die Einlösungsverpflichtung des Reichs
durch die Reichsbank wahrgenommen. Das Bankgesetz vom 14. März 1875
hat der Reichsbank die Führung der Kassengeschäfte des Reichs übertragen ;
gemäß dieser Bestimmung übertrug eine Bekanntmachung des Reichskanz-
lers vom 29. Dezember 1875 die Wahrnehmung der Zentralkassengeschäfte
des Reichs auf die Reichsbankhauptkasse, die unter der Benennung „Reichs-
hauptkasse" diese Geschäfte zu führen hat. Die Reichshauptkasse ist mit-
hin nichts anderes als eine Abteilung der Reichsbankhauptkasse.
Die Zweckmäßigkeit der Einlösungsverpflichtung und die Vorent-
haltung des gesetzlichen Kurses wurde namentlich von Bamberger
lebhaft angefochten. In kritischen Lagen werde sich die Einlösbarkeit
nicht aufrecht erhalten lassen, und der gesetzliche Kurs werde ver-
liehen werden müssen, sobald infolge entstehenden Mißtrauens die
Scheine nicht mehr freiwillig genommen würden. Die in Rede stehenden
Bestimmungen böten deshalb nur eine scheinbare Sicherheit, sie seien nur
ein „gemaltes Fenster". Aber diese zutreffenden Argumente vermochten
bei der allgemeinen Stimmung, die sich an Kautelen gegenüber den
papiernen Umlaufsmitteln nicht genug tun konnte, nicht durchzudringen.
Den Abschluß des großen Gesetzgebungswerkes der deutschen
Geldreform bildete das Bankgesetz vom 14. März 1875. Es regelte die
Banknotenausgabe, den Banknotenumlauf, den Geschäftskreis der Noten-
banken usw. Es ordnete ferner die Umwandlung der Preußischen
Bank in eine Reichsbank an, der die Aufgabe der Regelung und Ueber-
wachung des deutschen Geldumlaufs zugewiesen wurde.
Es seien hier nur die wesentlichsten Punkte hervorgehoben, die
sich unmittelbar auf den Banknotenumlauf beziehen.
Die Befugnis zur Ausgabe von Banknoten kann nur durch Reichs-
gesetz erworben oder über den bei Erlaß des Bankgesetzes zulässigen
Betrag der Notenausgabe hinaus erweitert werden.
Banknoten durften nach dem Gesetze vom 14. März 1875 nur auf
Beträge von 100, 200, 500 und 1000 Mark oder von einem vielfachen
von 1000 Mark ausgefertigt werden. Erst ein Gesetz vom 20. Februar
1906 hat die Reichsbank — nicht auch die Privatnotenbanken —
autorisiert, auf 50 Mark und 20 Mark lautende Noten auszugeben.
Eine Verpflichtung zur Annahme von Banknoten bei Zahlungen,
die gesetzlich in Geld zu leisten sind, fand nach den Bestimmungen
des Bankgesetzes nicht statt und konnte auch für Staatskassen durch
Landesgesetz nicht begründet werden; dagegen waren die Kassen des
Reichs und der Einzelstaaten im Wege von Vervvaltungsverordnungen
zur Annahme der Reichsbanknnten angewiesen worden. Die Banknovelle
vom L Juni 19(i9 hat den Reichsbaiikuoten gesetzliche Zahlungskraft
auch im Privatverkehr beigelegt. Die Noten der übrigen Notenbanken, der
sogenannten Privatuotenbauken, werden von den Reichs- und Staatskassen
158 Erstes Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnssie.
nicht im ganzen Reiche, sondern nur innerhalb eines beschränkten
Umlanfsgebietes angenommen.
Den Banken wurde die Verpflichtung auferlegt, ihre Noten sofort
auf Präsentation zum vollen Nennwerte einzulösen und nicht nur an
ihrem Hauptsitze, sondern auch an ihren Zweiganstalten jederzeit zam
vollen Nennwerte in Zahlung zu nehmen. Die Einlösung hatte, wie
die Banknovelle vom 1. Juni 1909 ausdrücklich vorschrieb, in „deutschen
Goldmünzen" zu erfolgen.
Die Notenausgabe der einzelnen Banken ist teilweise darch Gesetz
oder Statut auf einen bestimmten Maximalbetrag beschränkt, teilweise
ist eine direkte Grenze nicht gezogen; so hat die Reichsbank das Recht,
,,nach Bedürfnis ihres Verkehrs" Noten auszugeben; dagegen wurde z. B.
das Notenrecht der Bayerischen Notenbank auf einen Betrag von
70 Millionen Mark begrenzt. Indirekt wurde die Notenausgabe be-
schränkt durch die Vorschrift der sogenannten Dritteldeckung und durch
das System der Notensteuer. Die erstere Vorschrift verlangte, daß die
Banken für den Betrag der von ihnen in Umlauf gesetzten Noten jeder-
zeit mindestens ein Dritteil in kursfähigem deutschen Gelde und in
Reichskassenscheinen oder in Gold in Barren oder ausländischen Münzen,
das Pfund fein zu 1392 Mark gerechnet, bereit hielten. Das System
der Notensteuer besteht darin, daß einer jeden Notenbank ein bestimmter
Betrag für die ihren Barvorrat übersteigende Notenausgabe zugewiesen
wurde, bei dessen Ueberschreitnng von der Mehrausgabe 5 Prozent
jährlich an die Reichskasse zu zahlen sind. Dadurch sollten die Banken
dahin geführt werden, daß sie mit ihrer durch Barvorrat nicht gedeckten
Notenausgabe innerhalb der Grenzen des ihnen zugewiesenen Kon-
tingents blieben. Die Summe der steuerfreien Kontingente ist durch
das Bankgesetz auf 385 Millionen Mark bemessen worden; davon hat
die Reichsbank allein 250 Millionen Mark erhalten, mit der Maßgabe,
daß ihr die Kontingente der auf ihr Notenrecht verzichtenden Banken
zuwachsen sollten. Im Jahre 1900 waren von den 32 Privatnotenbanken,
die zur Zeit des Erlasses des Bankgesetzes bestanden, nur noch sieben vor-
handen, und das steuerfreie Notenkontingent der Reichsbank war auf
293,4MillionenMark angewachsen. DieBanknovellevomT.Juni 1899hat das
steuerfreie Kontingent der Reichsbank auf450Millionen Mark erhöht. Diesem
sind in der Folgezeit weitere 22829000 Mark durch den Verzicht der Frank-
furter Bank, der Bank für Süddeutschland (Darmstadt) und der Brauii-
schweigischen Bank auf die Notenrechte zugewachsen. Die Banknovelle vom
I.Juni 1909 hat das steuerfreie Kontingent der Reichsbauk auf 550 Millionen
Mark normiert, mit der Maßgabe, daß es an den vier auf die Quartals-
wenden fallenden Ausweistagen 750 Millionen Mark betragen solle.
Die Reichsbank unterscheidet sich von den Privatnotenbanken
nicht nur durch die Größe aller ihrer Verhältnisse, ihres Grundkapitals
und Reservefonds, ihres Metallvorrates, ihres Notenumlaufs usw. und
durch ihr sieh über das ganze Reich erstreckendes Filialennetz, sondern
auch dadurch, daß die wichtige Aufgabe der Regelung des Geldumlaufs
ausschließlich von ihr erfüllt wird.
Bis zu der Zeit, in der alle Verhältnisse des deutschen Geldwesens
durch den Weltkrieg eine völlige Veränderung erfahren haben, über-
5. Kapitel. Die deatsche Geldreform. § 6. 159
wachte und regulierte sie die auswärtigen Beziehungen des deutschen
Geldwesens. Sie war einerseits infolge der Bestimmungen über den Gold-
ankauf die Vermittlerin zwischen der Verkehrswelt und den Münzanstalten
und zog auf diese Weise in erster Reihe alles vom Auslande kommende
und zu monetären Zwecken bestimmte Gold an sich; sie war anderer-
seits das Reservoir, auf das der Goldbedarf für ausländische Zahlungen
in erster Reihe sich angewiesen sah. Auf die sich durch ihre Kassen
vollziehenden internationalen Goldströmungen übte sie ihrerseits durch
ie Handhabung ihrer Diskontpolitik, gelegentlich auch durch andere,
kleinere Mittel einen regulierenden Einfluß aus.
Was den inländischen Geldumlauf anlangt, so benutzte die Reichs-
bank ihre Notenausgabe vor allem zu dem Zwecke, den Geldumlauf
den Schwankungen der Geldnachfrage anzupassen, während andererseits
auch auf diesem Gebiete ihre Diskontpolitik auf den Geldbedarf selbst
regulierend einwirkte.
Ferner ist die Reichsbank infolge ihrer zahlreichen Filialen die
gegebene Instanz für die örtliche Regulierung des Geldumlaufs inner-
halb des Reichsgebietes. Durch Gesetz und Verordnungen wurden ihr
in dieser Beziehung eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt, so die
Umwechslung von Reichsscheidemünzen gegen Goldgeld, die Einlösung
von Reichskassenscheinen usw. In der Praxis ging die Reichsbank
jedoch weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus, indem sie im
allgemeinen einerseits Zahlung in allen beliebigen Geldsorten annahm,
andererseits ihre Zahlungen in den gewünschten Geldsorten leistete.
Dadurch setzte sie den Verkehr instand, alle überflüssigen Beträge
bestimmter Sorten an ihre Kassen abzustoßen und sich aus ihren Kassen
mit den benötigten Sorten zu versehen.
§ 6. Die Durchführung der Geldreform.
Mit der Münz-, Papiergeld- und Bankgesetzgebung war nur ein Teil der
schwierigen Aufgaben der Geldreform gelöst. Der zweite Teil fiel der Ver-
waltungstätigkeit der Reichsregierung zu; diesehatte dieReichswährung und
Goldwährung aus dem Gesetzbuche heraus zum wirklichen Leben zu führen.
Die der Reichsverwaltung zufallende Aufgabe war ihrer Art und
ihrem Umfange nach bisher ohne Vorgang. Während England bei seinem
Uebergange zur Goldwährung nur den tatsächlichen Zustand, der sich
unter der gesetzlichen Doppelwährung herausgebildet hatte, festgehalten
und formell sanktioniert hatte, war in Deutschland der fast ausschließliche
Silberumlauf durch einen Goldumlauf zu ersetzen. Die Frage, woher
das Gold, war durch die Kriegskostenentschädigung wenigstens teil-
weise gelöst; aber die Frage, wohin mit dem Silber, bestand in un-
verminderter Schwere fort. Die Ergebnisse der Silbereinziehung haben
gezeigt, daß damals etwa 1530 Millionen Mark Silbergeld in Deutschland
vorhanden waren; davon konnten bei der damaligen Bevölkerung nicht
viel mehr als 450 Millionen Mark als Silberscheideniünzen beibehalten
werden. Dergroüe Rest von etwa 1080 Millionen Mark war, den Intentionen
der Reformgesetzgebung entsprechend, gegen Gold zu veräußern. Dieser
Betrag stellte etwa sechs Millionen kg Silber dar, während die da-
malige Jahresproduktion von Silber sich auf etwa zwei Millionen kg belief.
I(i0 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Bei der Abstoßung dieses Silherqnautams hatte die Ilegiernng
keine geringe Verantwortung; denn bei der gewaltigen Masse, um die
es sieh handelte, bedeutete der geringste rreisuntersciiied eine DitFerenz
von Millionen; schon in ihrem eignen finanziellen Interesse mußte sich
deshalb die Regierung davor hüten, durch ihre Verkäufe einen allza
starken Druck auf den Silberniarkt auszuüben.
Es ist deshalb begreiflich, daß die Ueichsregierung nur zögernd
mit den Silberverkäufen vorging.
Wäre die französische Milliardenzahlung nicht dazwischen ge-
kommen, dann hätte die Regierung die Mittel zur Goldbeschaffung im
wesentlichen aus den Erlösen der Silberverkäufe gewinnen müssen;
so aber konnte sie die Goldbeschaffung und -Ausprägung unabhängig
von den Silberverkäufen betreiben, und von dieser Möglichkeit wurde
im größten Umfange Gebrauch gemacht. Nicht nur das effektiv ein-
gehende Gold wurde in Reichsgoldmünzen umgeprägt, auch die übrigen
Eingänge der Kontribution, Wechsel, Bankanweisungen usw., wurden zu
einem großen Teile zum Ankaufe von Gold auf dem Londoner Markte
benutzt. Erst von 1875 an wurden die Goldankäufe ausschließlich aus
den Mitteln bewirkt, die der Reichsregierung aus ihren Silberverkäufen
in London zuflössen.
Wie groß die damals vor sich gehende Verschiebung im inter-
nationalen Golduralaufe war, geht aus folgenden Zahlen hervor.
Das Reich hat aus der Kontribution fremde Goldmünzen im Be-
trage von 220 Millionen Mark unmittelbar erhalten. Es hat ferner
— teilweise aus den übrigen Eingängen der Kontribution, teilweise aus
den Erlösen der Silberverkäufe — von 1871 bis 1879 für etwa 1260 Mil-
lionen Mark Gold beschafft. In Summa hat es also in diesen neun
Jahren für 1480 Millionen Mark Gold vom Auslande erhalten. Dazu
kam von 1875 an eine nicht unbeträchtliche private Goldeinfuhr. Bis
zum Schlüsse des Jahres 1879 waren ReichsgoldmUnzen im Betrage von
1719 Millionen Mark ausgeprägt, davon etwa 89 '/2 Millionen Mark
aus den eingezogenen deutschen Landesgoldmünzen. Auf die einzelnen
Jahre verteilte sich die Goldbeschaffung des Reichs und die Goldaus-
münzang folgendermaßen:
Jahre
Goldbeschaffung
des Reichs
Ausprägung von
Reichs-
goldmünzen
Mark
Mark
1871 und 1872
523 976 336 >)
421474 130
1873
516 835 953')
594 362 890
1874
318 219
93 507 380
1875
100 974 011
166 420 850
1876
53 655 681
159 424 280
1877
166 086 223
112 539 475
1878
91953 155
125 130 790
1879
27 314 325
46 387 060
1480 613 913
1 719 245 855
^) Ausschließlich der eingezogenen Landesgoldmünzen, aber einschließlich der
Auf die französische Kontribution eingezahlten fremden Goldmünzen.
5. Kapitel, Die deutsche Geldreform. § 6.
161
Auch die Verteilung des den deutschen Münzstätten überlieferten
Prägegoldes auf Goldbarren und die einzelnen MUnzsorteu ist nicht
ohne Interesse. Im ganzen wurde den Münzstätten von 1871 bis 1879
«ine Geldmenge von 1172731 Pfund fein überv^iesen. Darunter waren
647 557 Pfund fein in Barren
391976 „ „ „ Frauken und Napoleondor
49 770 „ „ „ russischen Goldmünzen
37 532 „ „ „ Dollars und Eagles
3040-4 „ „ „ Sovereigus
12823 „ „ „ spaniscbeu Isabelliuen,
der Rest in diversen Goldmünzen von geringerer Bedeutung.
Freilich hat zeitweise eine gewisse Reaktion gegen diese gewaltige
Uebertragung von Goldgeld nach Deutschland stattgefunden; namentlich
in den Jahren 1874 und 1875 sind nicht unerhebliche Beträge von
Gold aus Deutschland wieder abgeflossen. Aber es blieb doch eine
beträchliche Vermehrung des deutschen Goldgeldbestandes übrig, die
•ich nach genauen Berechnungen für die Zeit vom Beginn der Reform
bis 1879 auf rund 1300 Millionen Mark beziffern dürfte.
Weniger energisch ging die Reichsregierung mit der Abstoßung
des durch die großen Goldausprägungen überflüssig werdenden Silber-
geldes vor. Das Bestreben, durch möglichste Schonung des Silber-
marktes den Preis des Silbers vor einem starken Rückgange zu be-
wahren, vereinigte sich mit einer beträchtlichen Unterschätzung der
Menge des abzustoßenden Silbergeldes. Die zur Einziehung gelangen-
den Landessilbermünzen wurden bis zum Jahre 1876 vorwiegend zur
Umprägung in Reichssilbermünzen verwendet, nur zum kleineren Teile
wurde das Silber verkauft.
Wohl trieben die Männer, welche den Verlauf der Dinge sicheren
Blickes voraussahen, vor allem Bamberger und Soetbeer, die Re-
gierung unaufhörlich zur Eile an; wohl wurden späterhin, namentlich
im Jahre 1877, günstige Konjunkturen zu großen Verkäufen benutzt;
aber die anfängliche übertriebene Zurückhaltung rächte sich dadurch,
daß in den späteren Jahren bei einem immer stärkeren Rückgänge des
Silberpreises die Verkäufe immer größere Verluste ergaben.
Auf die einzelnen Jahre verteilte sich die Ue berweisuug von Prägesilber
an die deutschen Münzstätten und der Verkauf von Silber folgendermaßen:
UebervveisuDg
von
Jahre
Prä{?esilber au die
deutschen Müuz-
Silberverkäufe
stätten
Pfund fein
Pfund fein
1873
83 177
39 BOG
1874
574 484
770 300
1875
1 232 898
215 000
1876
2 197 734
1 313 600
1877
172 236
2 9(ii) 400
187H
10 557
1 387 500
1879
—
377 800
4 271 U8G
7 102 900
Hei f f er iob, Das Ueld.
11
162 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltnng der Edelmetall Verhältnisse.
Außerdem haben die Haraburgische Bank in der ersten Hälfte des
Jahres 1873 etwa '/a Millionen Pfand Feinsilber, die Preußische bzw.
Reichsbank von 1871 bis 1876 etwa 4:^0000 Pfund Feinsilber verkauft.
Während dieser Verkäufe ging der Silberpreis erheblich zurück,
und die zunächst übergroße Zurückhaltung der Reichsregierung ver-
fehlte somit ihren eigentlichen Zweck. Zu Anfang der 70er Jahrestand
der Silberpreis in London auf etwa 61 d pro Unze Standard, in den
ersten Monaten des Jahres 1879 schwankte er um 50 d; das waren
etwa 150 Mark pro kg Feinsilber, während — von der Abnutzung und
unterwertigen Ausprägung ganz abgesehen — erst 180 Mark in alten
SilbermUnzen ein Kilogramm Feinsilber enthielten. Bis zum Frühjahr
1879 hatte die Reichsregierung im ganzen etwa 3^4 Millionen kg Silber
verkauft und dabei einen Verkaufsverlust von 72 Millionen Mark erlitten.
Man schätzte damals von sachverständiger Seite die noch vorhandenen
Taler auf etwa 475 Millionen Mark und berechnete, daß man bei deren Ver-
äußerung einen weiteren Verlust von 90— lOOMillionenMark erleiden werde.
Der Rückgang des Silberpreises selbst, der zahlreiche Interessen
verletzte, wurde vielfach auf die deutschen Silberverkäufe zurückgeführt,
obwohl diese, so bedeutend sie an und für sich waren, gegenüber den
übrigen für den Silbermarkt maßgebenden Faktoren nur im Jahre 1877
erheblich ins Gewicht fielen.
Die übertriebene Vorstellung von der Einwirkung der deutschen
Silberverkäufe auf die Entwertang des Silbers und die großen Verluste,
die bei der Fortsetzung der Silberverkäufe zu erwarten waren, veran-
laßten im Mai 1879 den Reichskanzler, die Einstellung der Silberver-
käufe anzuordnen.
Diese Maßregel, welche die planmäßige Durchführung der Reform
unterbrochen hat, ist späterhin nicht wieder rückgängig gemacht worden.
Nur der im Jahre 1879 im Besitze des Reichs verbliebene kleine Rest
von Silberbarren, ergänzt durch die Einschmelzuog von etwa 1^^ Millionen
Mark Vereinstalern, ist in den Jahren 1885 und 1886 an die ägyptische
Regierung, die damals in Berlin Silbermünzen herstellen ließ, verkauft
worden. Außerdem ist im Jahre 1892 ein Abkommen mit Oesterreich-
Ungarn abgeschlossen worden, nach dem dieser Staat von den in
Deutschland umlaufenden österreichischen Talern einen Betrag von
26 Millionen Mark zur Einschmelzung übernahm. Dadurch hat sich
der Bestand an Talern, der im Jahre 1879 zurückblieb und damals etwa
475MillionenMark betragen haben mag, um 27V2MillionenMark verringert.
Dagegen ist der Talerbestand immer mehr aufgezehrt worden
dadurch, daß die fortschreitende Zunahme der Reichsbevölkerung und
des Verkehrs eine entsprechende Vermehrung der Prägung von Reichs-
silbermünzen möglich und notwendig gemacht hat und daß als Material
für diese Prägungen nach den münzgesetzlichen Vorschriften nicht etwa
neu angekauftes Barrensilber, sondern nur der vorhandene Talerbestand
verwendet werden konnte. Bereits bis zam Erlaß der Münznovelle vom
vom 1. Juni 1900 hatte sich der Talerrest bis auf etwa 360 Millionen
Mark verringert. Seither hat aufgrund der Erhöhung der Kopfqaote
für die Ausgabe von Reichssilbermünzen und des weiteren Zuwachses
der Reichsbevölkerung die Umprägung der Taler in Reichssilbermünzen.
j
5. Kapitel. Die deutsche Geldreform. § 6. 163
ßolche Fortschritte gemacht, daß dnreh Bekanntmachung vom 27. Jani
1907 die noch umlaufenden Taler mit Wirkung vom 1. Oktober 1907
an außer Kurs gesetzt werden konnten; die Einlösungsfrist ist am
30. September 1908 abgelaufen. Durch die inzwischen erlassene MUnz-
novelle vom 19. Mai 1908, die das Kontingent für die Reichssilber-
münzen auf 20 Mark pro Kopf der Reichsbevölkerung erhöhte und die
als Ersatz für den Taler ein Dreimarkstück als Reichssilbermünze,
mithin als Scheidemünze, einführte, war inzwischen der Materialbedarf
für die Prägung von Reichssilbermünzen so gewachsen, daß die Finanz-
verwaltuug zum Ankaufe von Barrensilber übergehen mußte. Der
Prägegewinn war nach der Bestimmung der erwähnten Münznovelle zur
Deckung der außerordentlichen Ausgaben des Reichs und zunächst zur
Verstärkung der Betriebsmittel der Reichshauptkasse zu verwenden.
Durch die Außerkurssetzung des Talers ist die deutsche Geld-
reform überhaupt erst zum formellen Abschlüsse gelangt. Am 1. Ok-
tober 1907 ist die „Reichswährung" zu der im ersten Artikel des
Münzgesetzes von 1873 vorgesehenen „Reichsgoldwährung" geworden.
Wohl war dem Bundesrate durch ein Gesetz vom 6. Januar 1876
die Befugnis erteilt worden, die Taler zu Scheidemünzen gleich den
Reichssilbermünzen zu erklären. Von dieser Befugnis ist jedoch niemals
Gebrauch gemacht worden, und die Taler waren deshalb bis zum 1. Ok-
tober 1907 neben den Reichsgoldmünzen gesetzliches Zahlungsmittel
bis zu jedem Betrage, obwohl ihr Silbergehalt infolge der immer weiter
vorgeschrittenen Silberentwertung bei einem Silberpreise von 23 d schließ-
lich nur noch 1,15 Mark wert war. Das Prinzip der Goldwährung war
in diesem Punkte durchbrochen, Wohl war auch vor dem 1. Oktober
1907 das feste Wertverhältnis zwischen dem deutschen Gelde schlecht-
hin und dem Golde vorhanden, in der Weise, daß der Wert einer Mark stets
mit ganz geringen Schwankungen dem Werte von Pfund Feingold ent-
XO%jO
sprach; aber die Goldmünzen waren nicht allein volles gesetzliches Zahlungs-
mittel, sondern sie teilten sich in diese Eigenschaft mit den Silbertalern.
Man nannte deshalb unsere Geldverfassung eine „hinkende Goldwährung".
Erst die Außerkurssetzung der Taler hat mit dem letzten Reste
des ehemaligen Silberkurantgeldes diesen Zustand beseitigt und an die
Stelle der „hinkenden Goldwährung" die „reine Goldwährung", an die
Stelle der „Reichswährung" die „Reichsgoldwährung" gesetzt.
Ueber die tatsächliche Gestaltung des deutschen Geldumlaufs seit
dem Beginne der Münzreform bis zum Ausbruche des Weltkrieges
mögen folgende Zahlen Aufschluß geben.
Ausprägung von Reichsmünzen seit 1871 bis Ende
März 1914 abzüglich der wieder eingezogeneu Beträge.
1. Goldmünzen Mark
20-Mark8tücke 4412 752 600
lO-Markstücke 706 672 400
Mark
2. Silbermünzen 1 158 991 000
3. Nickel- u. Kupfer-
münzen 132 791500
Sa. der Goldmünzen 5 119 425 UUO
Von den Goldmünzen dürfte nach Abzug der für industrielle
Zwecke eingeschmolzenen und auf ausländischen Münzstätten um-
11*
164: Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
geprägten Stücke im Jahre 191-4 noch ein Betrag von etwa 3,4 Mil-
liarden Mark vorhanden gewesen sein. Dem Bestände an Reichsgold-
miinzen ist der monetären Zwecken dienende Vorrat an Goldbarren und
fremden Goldmünzen hinzuzurechnen. Im Durchschnitt des Jahres 1914
lagen in der Keichsbank als Notendeckung allein 421 Millionen Mark
au Goldbarren und fremden Goldmünzen. Der monetäre Goldvorrat
Deutschlands würde sich demnach für die Zeit des Kriegsausbruchs
auf rund 3S20 Älillionen Mark berechnen. Bei den Keichssilberraüuzen
wird man in Berücksichtigung der Abgänge durch Verschleuderung usw.
einen Bestand von rund IIUO Millionen Mark annehmen dürfen. Die
Taler kamen seit ihrer Außerkurssetzung nicht mehr in Betracht. Setzt
man für die Nickel- und Kupfermünzen 120 Millionen Mark ein, so
erhält man für das Jahr 1914 einen Gesamtvorrat an Metallgeld von
rund 5i»40 Millionen Mark, von dem rund 380Ü Millionen Mark, also
rund drei Viertel, auf das Gold kommen.
Was die papiernen Zirkulationsmittel anlangt, so entfiel ein fest-
stehender Betrag von 120 Millionen Mark auf die Reichskassenscheine.
Die durchschnittliche Notenausgabe der Keichsbank hat im Jahre 1913
1958,2 Millionen Mark, die der Privatnotenbanken 148,8 Millionen Mark
betragen, der gesamte deutsche Notenumlauf stellte sich mithin auf
2107 Millionen Mark, die gesamte Papiergeldausgabe auf 2227 Millionen
Mark. Der durch Metall nicht gedeckte Notenumlauf betrug jedoch bei
einem Metallbestande der deutschen Notenbanken von insgesamt 1420,6
Millionen Mark nur 686,4 Millionen Mark; rechnet man dazu die 120
Millionen Mark Reichskassenscheine, für die eine Deckung nicht vor-
handen war, so ergibt sich ein Betrag von 806,4 Millionen Mark un-
gedeckter Papierscheine. Die Bestände der Reichsbank und der Privat-
notenbanken an Reichskassenscheiuen und an „Noten anderer Banken"
stellten sich auf 83,4 Millionen Mark, sodaß der tatsächlich umlaufende
Betrag ungedeckten Papiergeldes sich auf 723 Millionen Mark belief.
Das ungedeckte Papier machte mithin im Durchschnitt des Jahres 1913
etwa 14,3 Prozent des Metallgeldvorrates, etwa 19 Prozent des Gold-
vorrates und etwa 12^2 Prozent des rund 5760 Millionen Mark be-
tragenden Gesamt-Geldumlaufes aus.
Weitaus der größte Teil der deutschen Umlaufsmittel bestand mithin
zur Zeit des Kriegsausbruches aus Gold und goldgedeckten Papierscheinen.
Welche Wandlungen sich seit dem Beginne der Münzreform und
seit ihrem verfrühten Abschlüsse im Jahre 1879 in der Größe und der
Zusammensetzung des deutschen Metallgeldbestandes vollzogen haben,
ergibt sich aus der folgenden üebersicht:
Zeitpunkt
Goldg
Mill.
M.
eld
Silbergeld
Mill. 0/
M. '"
Nickel
Kupfer
Mill.
M.
- u.
geld
0/
/o
Gesamter
Metallbe-
stand
Mill. M.
1. Beginn d. Münzreform .
2. Ende 1879
3. Ende März 1914 . . .
245
1530
3 820
12,4
62,5
78,0
1 735 87,4
875 35,7
1 100 21,8
3,6
45,0
120,0
0,2
1,8
0,2
1985
2 450
5 040
Zunahme 3 gegen 1 . .
Zunahme 3 gegen 2 . .
-1-4 155
4-2 290
— 635 1 —
+ 225 1 —
+ 96,4
+ 75
-1-3615
-1-2 590
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. §1. 165
G, Kapitel. Die Ausbreitung der Ooldwülirunj?
und die Silberentwertung- von der deutsclien (Jeldreform
bis zur Gegenwart.
§ 1. Die Gestaltung der internationalen ^Yährungsverfassung
in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts.
Indem Deutschland sich im Jahre 1871 entschloß, von der Silber-
währuug znr Goldwährung iiberzujjeheu, hat es als erster Staat die
Folgerung aus der durch das kalifornische und australische Gold be-
wirkten Aenderung der internationalen Währungsverhältnisse gezogen.
Seit Jahren hatte man die Annahme der Goldwährung in den wich-
tigsten Staaten eifrig erörtert; Deutschland machte nun von der durch
den Krieg geschafieneu Gunst des Augenblicks Gebrauch, um zuerst
zu handeln und sich in dem als unvermeidlich erscheinenden Prozesse
der Umwandlung der Währungsverfassuug einen Vorsprung vor den
übrigen Nationen zu sichern.
Wenn die Annahme richtig war, aufgrund deren Deutschland
sich in erster Reihe zum Uebergange zur Goldwährung entschlossen
hatte, dann konnte Deutschland auf der eingeschlagenen Bahn nicht
lange allein bleiben. In der Tat fand es bald genug Nachfolger.
Bereits im Jahre 1872 betraten die skandinavischen Königreiche
Schweden, Norwegen und Dänemark den von Deutschland
eingeschlagenen Weg, getreu dem von ihrem Vertreter auf der Pariser
Münzkonferenz von 1867 aufgestellten Grundsatze, daß sie ihren Ueber-
gang zur Goldwährung von dem Verhalten Deutschlands abhängig
machen müßten. Die drei Staaten, die bisher, wie Deutschland, Silber-
währung hatten, beschlossen durch einen Vertrag vom 18. Dezember 1872
die Einführung eines gemeinsamen Münzsystems, das auf der Gold-
währung beruhen sollte. Der Uebergang von der Silberwährung zur
Goldwährung wurde von 1873 bis 1876 von den einzelnen Staaten
selbständig durchgeführt. Bei der Kleinheit des Münzumlaufs waren
weder erhebliche Silberabstoßungen noch größere Goldbeschaflfungen
notwendig.
Im ganzen haben Schweden und Norwegen für etwa 22 Millionen
Mark, Dänemark für etwa 17 Millionen Mark Silber auf den Markt
gebracht. —
In den Niederlanden^) erstattete im Dezember 1872 eine zur
Prüfung der Münzfrage eingesetzte Kommission ihren Bericht, der zu
dem Schlüsse kam, daß die Silberwährung für Holland unhaltbar ge-
worden sei. Entsprechend dem Standpunkte, den das Königreich auf
der Pariser Konferenz von 1867 eingenommen hatte, wurde die inter-
nationale Doppelwährung für die theoretisch beste Währungsverfassung
erklärt; aber diese sei praktisch aussichtslos, falls sich nicht Deutsch-
land noch nachträglich für die Doppelwährung entscheiden sollte. Um
den Weg zur Doppelwährung und zur Goldwährung in gleicher Weise
offen zu halten, empfahl die Kommission die vorläufige Annahme der
') Vi,'!. K a I k m a n n, Hollands Geldwesen im 19. Jahrhundert, in Schmollers
Jahrbuch, XXV. 4.
166 Erstes Bnch. 11. Abschnitt. Die Gestaltung der EdelmetalWerhültnigse.
Doppehviihrnnfr mit der Maßpibe, daß die Silberpriigung beschränkt
oder aufgehoben werden könnte.
Die Niederländische Hank stellte daraufhin ihre Silberaukäufe
ein (im Dezember 1872). Die holländische Regierung ließ sich durch
ein Gesetz vom 21. Mai 1873 die Ermächtigung zur Einstellung der
^Silberpräguug erteilen und machte von dieser Befugnis sofort Gebrauch.
Wie die deutschen, so waren jetzt auch die holländischen Münzstätten
dem Silber verschlossen, und zwar zunächst ohne daß die Ausprägung
von Goldmünzen verfügt worden wäre. Ein Gesetzentwurf, der die
Einführung eines goldenen ZehnguidenstUckes nnd die Demonetisation
des Silbers vorschlug, also den formellen Uebergang zur Goldwährung,
wurde am 2. März 1874 von der zweiten Kammer der Generalstaaten
verworfen. Aber die Silberprägung blieb mit einer kurzen Unter-
brechung eingestellt. Die Befugnis zur Einstellung der Silberprägung
war der Regierung zunächst nur provisorisch bis zum 1. Mai 1874
erteilt worden; von diesem Zeitpunkte an stand die Utrechter
Münze dem Silber wieder offen, und dieses strömte sofort in großen
Beträgen herbei. Bis Ende November 1874 waren 32 Millionen Silber-
gulden zur Ausprägung gelangt. Nunmehr wurde durch ein Gesetz
vom 3. Dezember 1874 abermals die Einstellung der Silberprägung
verfügt.
Da nun weder Gold noch Silber in holländisches Geld umgewandelt
werden konnte, trat bei dem günstigen Stande der holländischen Zahlungs-
bilanz ein beträchtliches Steigen der holländischen Valuta ein, das sich
in einem ungewöhnlichen Rückgänge der Wechselkurse auf das Ausland
äußerte. Der niederländische Handel wurde dadurch in seinen Kalku-
lationen gestört, die großen Forderungen an das Ausland, die Holland
besaß, erschienen in niederländischem Gelde entwertet. Um diesem
unerwünschten Zustande ein Ende zu machen, gab es nur ein Mittel :
die Verbindung der holländischen Valuta mit dem Golde vermittelst der
Freigabe der Goldprägung.
Unter dem Drucke dieser Notwendigkeit kam das Gesetz vom
6. Juni 1875 zustande, das ein goldenes Zehnguldenstück schuf und
dessen Ausprägung für private Rechnung gestattete. Die Silberprägung,
die bisher nur provisorisch gesperrt worden war, wurde durch ein
Gesetz vom 9. Dezember 1877 endgültig eingestellt. Das umlaufende
Silbergeld wurde jedoch nicht deraonetisiert. Durch ein Gesetz vom
27. April 1884 wurde der Regierung wenigstens die Befugnis erteilt,
im Falle eines ungewöhnlichen Rückgangs der holländischen Valuta
Silbergulden bis zum Betrage von 125 Millionen einzuschmelzen und
gegen Gold zu verkaufen. Infolge der günstigen Zahlungsbilanz Hollands
hat sich der Kurs des holländischen Geldes seither stets auf seiner
Goldparität gehalten.
In Niederländisch-Indien wurde durch ein Gesetz vom 28. März 1877
dieselbe Münzverfassung eingeführt, wie sie das Mutterland besaß.
Wenn auch durch diese Maßregeln kein Silbergeld eingezogen
und auf den Markt gebracht wurde, so bedeutete doch die Einstellung
der Silberprägungen für Holland und seine Kolonien eine weitere,
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. § 1. 167
nicht unerhebliche Einschränkung der Verwertungsgelegenheit für das
weiße Metall. —
Während die Niederlande durch die Notwendigkeit, ihre Valuta
gegenüber derjenigen der wichtigsten Handelsvölker stabil zu erhalten,
halb gegen ihren Willen vom Silber zum Golde gedrängt wurden, voll-
zog sich in den Vereinigten Staaten von Amerika die entscheidende
Wandlung ohne jeden derartigen äußeren Zwang.
Die amerikanische Union befand sich seit dem Bürgerkriege in
einer Papiergeldwirtschaft; ihre Valuta war also ohnedies eine schwan-
kende, und Aenderungen in der metallischen Grundlage des Geldwesens
waren bis zur Herstellung der Barzahlungen ohne unmittelbare prak-
tische Bedeutung. Auch während der Papiergeldperiode wurde jedoch
das Gold in entschiedener Weise vor dem Silber bevorzugt; das Gold
war seit der Aenderung des Doppelwährungssystems in den Jahren 1834
und 1853 in der öffentlichen Auffassung immer mehr die Grundlage
des amerikanischen Geldwesens geworden, und als gegen Ende der
60 er Jahre die Beseitigung der Papiergeldwirtschaft ins Auge gefaßt
wurde, dachte kaum mehr jemand an die Rückkehr zur Doppelwährung.
Im Jahre 1869 wurde im Schatzamte der Entwurf zu einer Re-
vision sämtlicher Münzgesetze ausgearbeitet. In diesem Entwürfe war
der Silberdollar als frei ausprägbare Kurantmünze beseitigt und die
Zahlungskraft der sämtlichen Silbermünzen auf Beträge bis zu 5 Dollar
beschränkt. Da später die Behauptung aufgebracht worden ist, die
Beseitigung des Standarddollars sei in das Münzgesetz heimlich ein-
geschmuggelt worden, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß die
Beseitigung bereits im ersten Entwürfe enthalten war, daß der dem
Entwürfe beigegebene Bericht auf diese Beseitigung ausdrücklich hin-
wies und daß bei den Debatten über den Entwurf die Aufhebung der
freien Silberprägung und die Beschränkung der Zahlungskraft des
Silbergeldes mehrfach nach Für und Wider erörtert wurde. Der Ent-
wurf, dessen Beratungen wiederholt unterbrochen wurden, erhielt am
12. April 1873 Gesetzeskraft^).
Das Gesetz fand damals wenig Beachtung, da es praktisch zunächst
alles beim alten ließ. Die Papierwährung blieb vorläufig noch bestehen.
Silber war schon lange nicht mehr für private Rechnung geprägt
worden, und der Standard-Silberdollar, dessen Zahlungskraft beschränkt
wurde, gehörte im Umlaufe zu den größten Seltenheiten, Erst die
starke Entwertung des Silbers in den Jahren 1875 und 1876 hat die
Aufmerksamkeit der Silberinteressenten auf das Gesetz von 1873
gelenkt. —
Von besonderer Wichtigkeit in dem Kreise der währungspolitischen
Entscheidungen jener Zeit waren die Maßnahmen der zum Latei-
nischen Münzbunde gehörigen Länder, insbesondere Frankreichs.
In Frankreich war ja vor dem Kriege die Währungsfrage am
meisten erörtert worden. Während die übrigen Staaten des MUnz-
bundes schon seit dessen Begründung für die Goldwährung eingetreten
*) Vgl. insbesondere Prager, Die Währunggfrage in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika, 1897.
1(J8 Er>tcs Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltunj; der IMelmetallverhältuisse.
waren, hatte das Doppel\vährnng:ssystem in Frankreich noch eifrige
Anhänger, und man kann sagen, daÜ es allein deren Widerstand war,
der vor dem Kriege von 187i) die Entscheidung der internationalen
Wiihrungsfrage zugunsten der Goldwährung verhinderte. Jedenfalls
wäre ohne die Dazwischenkunft des Krieges die Entscheidung in der
Währungsfrage auf fran/üsischem Hoden gefallen.
Der Krieg und seine Folgen macliten es Frankreich für einige
Zeit unmöglich, aktiv in die Entwicklung einzugreifen. Das fran-
zösische MUnzsystem selbst war gestört durch die Einstellung der Noten-
einlösung seitens der Bank von Frankreich. Durch den Zwangskurs
der Hanknoten wurde der Zudrang von Metall zu den französischen
Münzstätten während der Jahre 1871 und 1872 stark beeinträchtigt
und damit auch die Wirkung des in jener Zeit eintretenden neuen Um-
schwungs im Wertverhältnisse der Edelmetalle.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß für Frankreich die letzte
Nötigung zu einer währungspolitischen Entscheidung fehlte, solange
das Wertverhältnis der beiden Metalle sich so stellte, daß eine Ver-
drängung des französischen Goldumlaufs durch die frei ausprägbaren
silbernen Fünffrankentaler nicht in Frage kam. Seit der Mitte der
sechziger Jahre nun war gleichzeitig mit der Abnahme des Silber-
bedarfs für Asien ein leichter Rückgang des Silberpreises eingetreten.
Während noch im Juni 1866 auf dem Londoner Markte ein durchschnitt-
liches Wertverhältnis von 1 : 15,19 bestand, näherte sich in der Folge-
zeit das Wertverhältnis auf dem Markte immer mehr der Relation der
französischen Doppelwährung. Im Durchschnitt des Jahres 1867 war
es bereits für das Silber etwas ungünstiger, als der französischen Relation
entsprach (1 : 15,57), und das weiße Metall wurde von nun an wieder
in größeren Heträgen zur französischen Münze gebracht. Während in
den vier Jahren von 1863 bis 1866 insgesamt nur für wenig mehr all
1 Million Frs. Silberknrant ausgemünzt worden war, stellten sich die
Prägungen in den Jahren 1867 bis 1870 auf 259,6 Millionen Frs.; aller-
dings überwogen auch in diesem Zeiträume die Goldprägungen mit
828,2 Millionen Frs. die Silberprägungen noch ganz beträchtlich.
Infolge des Zwangskurses der Noten der Bank von Frankreich
schrumpften die Prägungen sowohl von Gold als auch von Silber in
den Jahren 1871 und 1872 stark zusammen; sie betrugen
an Silberkurantgeld an Goldmünzen
1871 4 710 905 Frs. 50 169 880 Frs.
1872 389 190 „ —
Inzwischen war die Verschiebung im Wertverhältnisse der Edel-
metalle zuungunsten des Silbers beträchtlicher geworden. Gegen Ende
1872 betrug die nach dem Londoner Silberpreise berechnete Relation
1 : 15,85, und sie ging im dritten Quartal 1873 bis auf 1 : 16.
Dadurch und durch den Rückgang des Agios auf Metallgeld in
Frankreich begann die Ausprägung von Silber auf den Münzstätten
der Lateinischen Münzunion in hohem Grade lohnend zu werden. In
Frankreich allein zeigte das Jahr 1873, in dem überhaupt kein Gold
geprägt wurde, eine Ausmünzung von Silberknrant im Betrage von
154,6 Millionen Frs., obwohl vom September an die Silberprägung keine
6, Kapitel. Aasbreitwng der Goldwährung und Silberentwertung. § 1. 169
uübeschränkte mehr war. In der ganzen Lateinischen MUnzunion er-
reichten die Silberprägangen in diesem Jahre den Betrag von
808,5 Millionen Frs.
Damit war die mit dem Doppelwährungssysterae verbundene Gefahr
der Umkehr za einem überwiegenden Silberamlaufe plötzlich in die un-
mittelbarste Nähe gerückt, und die Länder des Lateinischen MUnzbundes
waren nunmehr zu einer Entscheidung darüber gezwungen, ob sie diese
Wirkung ihres Währungssystems hinnehmen oder ihr Währungssystem
der Erhaltung eines vorwiegenden Goldumlaufs opfern wollten.
Um die Mitte des Jahrhunderts, als sich im Wertverhältnis der
Edelmetalle eine Verschiebung nach der umgekehrten Richtung vollzog,
hatte in Frankreich außer einigen Theoretikern niemand daran gedacht,
den vorhandenen Silberumlauf durch eine Aussperrung des herbei-
strömenden Goldes zu schützen. Alles, was man getan hatte, war, daß
man schließlich das für den kleinen Verkehr notwendige Quantum von
Silbergeld durch seine Ausprägung als unterwertige Scheidemünze dem
Umlaufe sicherte. Jetzt aber zeigte man sich nicht gewillt, den durch
diese Passivität entstandenen Goldumlauf gegen das eindringende Silber
preiszugeben. Die öflfentliche Meinung, namentlich in den Kreisen des
Handels und der Industrie, verlangte die Einstellung der Silberprägungen,
und obwohl in jener Zeit sowohl in Frankreich als auch in Belgien
die Finanzminister bekannte Anhänger des Doppelwährungssystems
waren, sahen sich die Regierungen zu einem Eingreifen veranlaßt.
Anfang September 1873 beschränkte der belgische Finanzminister
M a 1 u die Prägung von Fünffrankentalern auf der Brüsseler Münze
auf 150 000 Frs. pro Tag, während sie vorher etwa 300 000 Frs. pro
Tag erreicht hatte. Um dieselbe Zeit, am 6. September 1873, wurde
die Pariser Münze angewiesen, mit ihren täglichen Silberausmünzungen,
die den Betrag von 750 000 Frs. erreicht hatten, 200 000 Frs. nicht
zu überschreiten; der Münze in Bordeaux wurde ein Höchstbetrag von
80 000 Frs. zugewiesen.
Die Schweiz prägte damals keine eignen Münzen. Auf ihre An-
regung trat im Januar 1874 eine Konferenz der Münzbundstaaten zu-
sammen, um über die Lage zu beraten und Beschlüsse zu fassen. Die
Schweiz verlangte die völlige Einstellung der Silberprägung, aber die
Konferenz ging nicht so weit; sie begnügte sich damit, durch die
Konvention vom 31. Januar 1874 den einzelnen Münzbundstaaten Höchst-
beträge für die Ausprägung von Fünffrankentaleru zuzuteilen, im
ganzen 140 Millionen Frs. Für die folgenden Jahre wurden ähnliche
Kontingentierungen festgesetzt (durch Konventionen vom 5. Februar 1875
und 6. Februar 1876). Mitte 1876 wurde endlich sowohl in Frank-
reich als auch in Belgien die Ausmünzung von Silberkurantgeld grund-
sätzlich eingestellt, nur das von den französischen Münzanstalten gegen
Münzscheine bereits angenommene Silber wurde in den nächsten Jahren
noch ausgeprägt. Aufgrund eines Abkommens vom 5. November
1878 wurde schließlich die Einstellung der Silberprägung für das ge-
samte Gebiet des Lateinischen Münzbuudes verfügt.
170 ErstCBBuch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Imnierhiu •« areu die SilberkiirautpräguDgen der Lateiuischen Müdz-
uuioD auch in deu Jahreu 1874 bis 1879 nicht unbedeutend, wie sich
aus folgender Zusammenstellung ergibt.
Jahre
Frankreich
Belgien
Italien
Schweiz
Griechenland
Zusammen
1874
59 996 010 12 000 000
60 000 000
7 978 250
__
139 974 260
1875
75 000 000
14 904 705
50 000 000
—
5 988 995
145 893 700
1876
52 661 315
10 799 425
31 951715
—
9 429 345
104 841 800
1877
16 464 285
—
22 048 285
—
44 525
38 557 095
1878
1821420
—
9 000 000
—
—
10 821420
1879
—
—
20 000 000
—
—
20 000 000
Summe
L^05 943 030
37 704 130
193 000 000
7 978 250
16 462 865
460 088 275
Eine Abstoßung von Silbergeld hat in den Staaten der Lateinischen
Miinzüuion ebensowenig stattgefunden, wie in den Niederlanden und in
den Vereinigten Staaten. Die vorhandenen Fünffraukeutaler im Betrage
von mehreren Milliarden Frs. blieben als Kurantgeld im Umlauf. Aber
bei der günstigen Zahlungsbilanz Frankreichs hielten sich die Fiinf-
frankeutaler, trotz des Fortschreitens der Silberentwertung, auf der
ihnen beigelegten Goldparität, ebenso wie in Holland die Silbergulden
und in Deutschland die Taler. Seit 1878 konnte eine Vermehrung
des französischen Münzumlaufs nur durch einen Zufluß von Gold ein-
treten, und ein solcher Zufluß hat tatsächlich in starkem Umfange
stattgefunden, sodaß der Betrag des Silberkurantgeldes im Verhältnis
zum gesamten Münzumlaufe immer mehr an Bedeutung verloren hat.
Mit der gänzlichen Einstellung der Silberkurantprägungen des
Lateinischen Müuzbundes war das Schicksal des Silbers als Münzmetall
für die Länder der europäischen Kultur besiegelt. Selbst in dem
Papierwährungslande Oesterreich-Ungarn wandte man sich vom
Silber ab, als um die Wende der Jahre 1878 und 1879 durch den Rück-
gang des Silberpreises bei relativ stabilem Kurse des österreichischen
Papierguldens gegenüber dem Gelde der Goldwährungsländer das Auf-
geld des Silberguldens verschwand und die Ausprägung von Silber-
gulden infolgedessen wieder anfing lohnend zu werden. Obwohl die
Münzstätten gesetzlich zur Ausprägung von Silber für private Rechnung
verpflichtet waren, wurden sie im Frühjahr 1879 durch eine Anweisung
des Finanzministeriums beauftragt, kein Silber mehr zur Ausmünzung
anzunehmen. Da alle bedeutenden Handelsvölker ihr Geldwesen auf
die Basis des Goldes gestellt hatten, konnte für Oesterreich eine Rück-
kehr zur ursprünglichen Silberwährung nicht mehr in Betracht kommen. —
Auch in Rußland wurde in jener Zeit aus denselben Gründen während
des Fortbestehens der Papierwährung die freie Prägbarkeit des Silber-
rubels aufgehoben.
So vollzog sich innerhalb weniger Jahre eine tiefgehende Aenderung
in der internationalen Währungsverfassung. Dem Silber, das während
der 50 er und 60 er Jahre in großen Massen nach Asien abgeflossen
war, wurde, als es in den 70 er Jahren wieder in den europäischen
Geldumlauf einzudringen begann, von einem Staate nach dem andern,
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silborentwertung. § 2. 171
selbst von Papierwährangsländern, die Tür verschlossen. L u d \t i g
Bamberger bezeichnete diesen welthistorischen Vorgangdamais treffend
als die „Entthronung eines Weltherrschers". Alle bedeutenden Staaten
europäischer Kultur sperrten das Silber, das seit Jahrtausenden gleich-
berechtigt mit dem Golde als Geld gedient hatte, von ihren Münzstätten
aus; nur Asien, Mexiko und einige mittel- und südamerikanische
Staaten blieben dem Silber noch offen.
§ 2. Die währungspolitische Entwicklung von 1878 bis 1893.
Wir haben gesehen, wie sich vom Beginn der 70 er Jahre an
Schlag auf Schlag in einer Reihe der wichtigsten Kulturstaaten die
gegen das Silber gerichteten währungspolitischen Maßregeln folgten. In
dieser Entwicklung trat gegen Ende der 70er Jahre eine Ruhepause
ein, die länger als ein Jahrzehnt andauerte.
Der Stillstand erklärt sich aus verschiedenen Gründen.
Zunächst war die Sperrung der Münzstätten für das Silber in
allen bedeutenderen Staaten europäischer Kultur mit den Maßregeln
der 70 er Jahre vollständig abgeschlossen. In allen wichtigen Ländern
europäischer Kultur, die überhaupt ein auf metallischer Basis geordnetes
Geldwesen besaßen, war die Goldwährung oder wenigstens eine Gold-
valuta zur Durchführung gekommen. Die Länder, welche noch außer-
halb der Goldvaluta standen, waren teilweise finanziell nicht imstande,
ein geordnetes Geldwesen herzustellen und aufrecht zu erhalten; so Ruß-
land, Oesterreich-Uugaru, Spanien, zahlreiche südamerikanische Staaten.
Teilweise waren sie noch unberührt von den Bedürfnissen, die in
den Ländern europäischer Kultur eine Begrenzung des Silberumlaufs
und einen vorwiegenden Goldumlauf als wünschenswert hatten er-
scheinen lassen; so die Silberwähruugsländer Asiens.
Der zweite Grund des plötzlich eingetreteneu Stillstandes war die
Abnahme der Goldproduktion, die sich von der zweiten Hälfte der
70 er Jahre an fühlbar machte. Es sei daran erinnert, daß die durch-
schnittliche jährliche Goldgewinnung in den 50 er und 60 er Jahren
nahezu 200 000 kg betragen hatte und daß die Goldproduktion bis zum
Jahre 1883 unter 150 000 kg zurückging. Diese Abnahme wurde als
eine dauernde Erscheinung aufgefaßt. Gerade in jener Zeit erschien
das oben erwähnte Werk von Eduard Sueß über „Die Zukunft
des Goldes", das aufgrund einer geologischen Hypothese eine dauernde
Abnahme der Goldproduktiou in Aussicht stellte.
Verstärkt wurde die Wirkung des Rückgangs der Goldgewinnung
speziell für die europäischen Staaten durch gewisse Verschiebungen in
der internationalen Goldbewegung. Während die Vereinigten Staaten
bisher den größten Teil ihrer Goldproduktion an Europa abgegeben
hatten, begannen sie vom Ende der 70er Jahre an, nachdem sie die
Barzahlungen aufgenommen hatten, Gold in zeitweise erheblichen Be-
trägen an sich zu ziehen; eine Reihe überaus günstiger Ernten setzte
sie dazu instand. Gleichzeitig ging Indiens Goldeinfuhr beträchtlich
iii die Höhe. Wie sehr durch alle diese Verhältnisse die Goldversorgung
der Welt außerhalb der Vereinigten Staaten und Indiens vorübergehend
beeinträchtigt wurde, ergibt sich aus folgender Uebersicht.
172 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der EdelnietallverhältDisse.
Perioden
(Jahres-
durchschnittei
Gold-
gewinntinng
der Welt
Gold-
gewiunang
der Vereinigt,
Staaten
1000 M.irk
Gold-
gewinnung
nnCerhalb der
Vereinigten
Staaten
1000 Mark
Mehraatfuhr
Tou Gold
ans den
Vereinigten
Staaten
1000 Mark
Mehreinfnhr
von Gold
in Indien
Von der jährl.
Goldproduktion
für die Welt
außerhalb dar
Verein. Staate«
ond IndienB
▼erfQgbar
1000 Mark
1871—1875
1876-1880
1881—1885
1886— 18110
1891— 18i)5
1^96—1900
1901 — 190:)
1906—1910
485 200
481 000
432 300
467 700
685 600
1 080 000
1 854 000
1819 900
166 000
178 700
134 100
140 100
157 900
273 000
336 600
399 100
319 200
312 300
298 200
327 600
527 700
807 000
1 017 800
1 420 800
-f 161 000
— 47 200
— 84 400
-f 14 800
4-160 200
— 106 000
-f 5 800
— 65 300
43 900
10 500
77 100
43 800
17 900»)
98 000»)
129 000')
211 8U0')
436 300
254 600
136 700
298 600
670 000
603 000
894 000
143 700
Wenn man in Erwägnng zieht, vrie dringend notwendig die Aus-
dehnung des Goldumlaufs damals in jenen Ländern war, die ihre Münz-
stätten dem Silber verschlossen hatten und sich teilweise in einem recht
schwierigen Uebergangszustande befanden, dann wird man verstehen,
daß durch die Abnahme der Goldgewinnung und namentlich des für
die Welt außerhalb der Union und Indiens verfügbaren jährlichen Gold-
zuwachses die Ausdehnung der Goldwährung über die Staaten mit
Silberwähruug und mit zerrütteten Währungsverhältnissen von der zweiten
Hälfte der 70er Jahre an bis zum Beginn der 90 er Jahre des vorigen
Jahrhunderts beträchtlich erschwert wurde.
Dazu kam schließlich die Macht der mit dem Silberwerte wirklich
oder vermeintlich verbundenen Interessen, Der Rückgang des Silber-
preises stellte sich dar als eine Schädigung des Silberbergbaus. Ferner
wurden durch die Silberentwertung betroffen die zahlreichen Besitzer
von Wertpapieren, die auf Silberwährung lauteten (österreichische,
mexikanische Anleihen usw.) Schließlich erschütterte die Silberent-
wertung die Wechselkurse zwischen Gold- und Silberwährungsländern
in einer bisher unerhörten Weise. Bisher hatten sich bei der relativen
Stabilität des Wertverhältnisses von Gold und Silber die Schwankungen
der Wechselkurse zwischen Gold- und Silberwährungsländern innerhalb
verhältnismäßig enger Grenzen bewegt. Der starke Preissturz des
Silbers zerriß nun diese annähernde Festigkeit und führte zu einem
Rückgänge der Silbervaluteu, dessen Ende sich nicht absehen ließ.
Alle Kulturstaateu wurden durch diese Wirkungen der Silber-
entwertung in Mitleidenschaft gezogen. Die Schädigung des Silber-
bergbaus traf in erster Linie die Vereinigten Staaten, nach ihnen vor
allem Deutschland. Auch am Besitze von Wertpapieren, die auf Silber-
währung lauteten, war Deutschland stark beteiligt. Die Erschütterung
der Silbervaluten brachte ein Moment der Unsicherheit in den Welt-
verkehr, namentlich in den Verkehr mit dem asiatischen Osten, durch
welches England am schwersten betroffen wurde. Außerdem wurden
die engen finanziellen Beziehungen, die England mit seinem indischen
Reiche verbanden, durch die Silberentwertung sehr gestört. Dazu
^) Zuzüglich der indischen Goldproduktion.
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. §2. 173
kamen dann noch die Interessen derjenigen, welche ans einer Geld-
entwertung Vorteil zu ziehen hofften und denen das Silber gerade
wegen seiner Entwertung das Ideal eines Geldstoffes war (so den
amerikanischen „Inflationisten"). Schließlich fiel ins Gewicht der un-
interessierte Glaubenseifer der theoretischen Anhänger des bimetallisti-
•chen Systems.
In Anbetracht dieser Verhältnisse ist es erklärlich, daß lebhafte
Bestrebungen zur Wiederherstellung des Silberwertes hervortraten. Es
entstand die bimetallistische Agitation, deren Ziele die „Rehabilitierung
des Silbers" war. Die Münzstätten der Kulturwelt sollten dem Silber,
um seinen Wert wieder auf den alten Stand zu bringen, von neuem
ohne jede Beschränkung, ebenso wie dem Golde, geöffnet werden; das
Silber sollte als Geldmetall wieder in seine Gleichberechtigung mit
dem Golde eingesetzt werden.
Dort, wo stets die materiellen Interessen sich am brutalsten geltend
gemacht haben und wo gleichzeitig die Interessen am Silberbergbau
den größten Umfang hatten, in den \' ereinigten Staaten, kam es am
frühesten zu einer starken Bewegung zugunsten des Silber; dort
allein hat die Silberpartei große positive Erfolge erzielt, und von dort
aus ist auch in der Folgezeit stets wieder der Anstoß für eine inter-
nationale bimetallistische Agitation ausgegangen.
Ihr eigentliches Ziel, die Wiederherstellung der freien und unbe-
•chränkten Silberprägung, hat allerdings die silberfreundliche Bewegung
nirgends erreicht. Abgesehen von der radikalen Silberpartei in den Ver-
einigten Staaten, deren Einfluß sich niemals voll durchsetzen konnte, galt
es überall als ausgemacht, daß die Wiederaufnahme der freien Silber-
prägung aufgrund eines Doppelwährungssystems nur dann Erfolg
haben könne, wenn sie gemäß einer internationalen Vereinbarung von
den wichtigsten Kulturstaaten gleichzeitig durchgeführt werden w^ürde.
Aber alle Versuche, ein solches internationales Uebereinkommen herbei-
zuführen, sind gescheitert.
Im August 1878 trat auf Einladung der Vereinigten Staaten eine
internationale Münzkonferenz zusammen „zum Zweck einer internatio-
nalen Vereinbarung über ein bimetallistisches Geldsystem und Sicher-
stellung eines festen Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber".
Deutschland hatte die Beschickung der Konferenz abgelehnt, England
hatte die Einladung erst nach einigem Zögern angenommen. Es zeigte
sich alsbald, daß eine Einigung über eine internationale Doppelwährung
nicht zu erzielen war, und alles, was schließlich zustande kam, war
eine gänzlich nichtssagende Resolution des Inhalts, daß die MUnz-
anfgabe des Silbers ebensogut wie diejenige des Goldes aufrecht er-
halten werden müsse; daß aber die Wahl des einen oder des anderen
der bt'iden Edelmetalle oder der gleichzeitige Gebrauch beider nach
der besonderen Lage eines jeden Staates geschehen müsse.
Nachdem Deutschland im Jahre 1879 seine Silberverkäufe ein-
gestellt hatte, wurde ein neuer Versuch zur internationalen Regelung
der Währungsfrage gemacht. Im Jahre 1881 ließen die Vereinigten
Staaten zusammen mit Frankreich abermals Einladungen zu einer
Münzkouferenz nach Baris ergehen. Diesmal war auch Deutschland
174 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
vertreten, nnd zwar in der Person des späteren Staatssekretärs des
Reichsschatzamtes, des Freiherrn von T h i e 1 m a n n.
Die Konferenz wurde am 19. April 1881 eröffnet. Eine Anzahl
von Staaten erklärte sich für den Bimetallismus, aber nur im Falle
der Beteiligung Englands und Deutschlands. Aber sowohl England
als auch Deutschland stellten höchstens kleine Konzessionen an das
Silber in Aussicht und gaben gleichzeitig die bestimmteste Erklärung
ab, daß sie das Prinzip der Goldwährung nicht aufgeben könnten. Nach
ergebnislosen Beratungen vertagte sich die Konferenz im Juli 1881 bis
zum April 1882, um diplomatischen Verhandlungen von Kabinett zu Ka-
binett Kaum zu geben; als aber auch auf diesem Wege nichts erreicht
wurde, ließ mau die ganze Angelegenheit stillschweigend einschlafen.
In der Folgezeit wurden die Regierungen Englands und Deutsch-
lands, bei denen man den Hauptwiderstand erblickte, durch eine starke
bimetallistische Agitation bearbeitet, jedoch gleichfalls ohne Erfolg.
Trotzdem unternahmen die Vereinigten Staaten, gedrängt durch die
fortgesetzte Verschlechterung ihres eignen infolge der gleich zu be-
sprechenden Silbergesetze geschwächten Geldumlaufs, im Jahre 1891
abermals einen Versuch, die europäischen Staaten zu einer gemein-
samen Aktion zugunsten des Silbers zu bestimmen. Auf ihre Einladung
hin trat in Brüssel im Jahre 1891 aufs neue eine internationale Konferenz
zusammen, deren einziger Erfolg war, daß sie deutlicher noch als die
früheren ähnlichen Veranstaltungen die gänzliche Ausichtslosigkeit des
internationalen ßimetallismus dartat. Wie wir sehen werden,
sind bald darauf wichtige Konsequenzen aus dieser Aussichtslosigkeit
gezogen worden.
Wenn auch in dieser Weise die auf die Wiederherstellung der
freien Silberprägung gerichteten Bestrebungen ihr eigentliches Ziel
verfehlten, so gelang es ihnen immerhin, die währungspolitische Ent-
wicklung während der 80 er Jahre in einem gewissen Schwebezustande
zu erhalten und wenigstens einige positive Maßregeln zweiter Ordnung
zugunsten des Silbers durchzusetzen.
In Deutschland war zwar die Einstellung der Silberverkäufe weniger
auf die Bewegung zugunsten des Silberwertes als auf die großen Verluste
bei den Silberverkäufen zurückzuführen. Aber die Silberagitation hatte
wenigstens den Erfolg, daß sie eine Wiederaufnahme der Silberverkäufe
verhinderte und die Welt über die Zukunft der deutschen Währungs-
verfassung in Zweifel setzte.
In den meisten übrigen Staaten, namentlich in denen des Lateinischen
Münzbundes, gelang es der bimetallistischen Agitation, jeden Schritt,
der über die Einstellung der freien Silberprägung hinausging, zu ver-
hindern, vor allem jede Abstoßung überflüssiger Silbermengen.
Positive Erfolge erreichte die Silberbewegung in dem Lande, von
welchem sie eigentlich ihren Ausgang genommen hatte und das durch
die Bedeutung seines Silberbergbaues am meisten an einer Hebung und
Befestigung des Silberwertes interessiert war, in den Vereinigten Staaten
von Amerika. Die sogenannte Bland-Bill vom 28. Februar 1878 wies
das Schatzamt an, monatlich 2 — 4 Millionen Dollar Silber anzukaufen
und in Standarddollar mit voller gesetzlicher Zahlungskraft ausprägen
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährtmg und Silberentwertung. §2. 175
'in lassen. Die Bland-Bill blieb bis 1890 in Kraft; während ihrer
Wirksamkeit wurden Silbermengen von etwa 9 Millionen kg im Werte
Ton mehr als 300 Millionen Dollar in Standarddollar ausgeprägt. Durch
die Sherman-Bill vom 14. Juli 1890 wurden die Siiberankäufe des
Schatzamtes beträchtlich erhöht. Die monatlichen Ankäufe wurden auf
4^/2 Millionen Unzen Feinsilber normiert; gegen dieses Silber, das
zum größten Teile nngeprägt aufbewahrt werden sollte, hatte das Schatz-
amt Schatznoten auszugeben. Die Sherman-Bill blieb bis zum Sommer 1893
in Wirksamkeit. Während ihrer dreijährigen Dauer kaufte das Schatz-
amt etwa 5Y4 Million kg Silber zum Preise von etwa 156 Millionen
Dollar an, beträchtlich mehr als ein Drittel der gleichzeitigen Welt-
produktion von Silber. —
Alle die geschilderten Verhältnisse, die Abnahme der Goldproduktion,
die Ungunst der Goldverteilung und die silberfreundliche Bewegung
wirkten zusammen, um von 1879 — 1893 jede weitere entscheidende
Veränderung der internationalen Währungsverfassung zuungunsten des
Silbers zu verhindern. Die Staaten, die im Laufe der 70 er Jahre zur
Goldwährung oder wenigstens zur Goldvaluta übergegangen waren, be-
hielten beträchtliche Mengen von Silberkurantgeld zurück; so Deutsch-
land im Jahre 1879 etwa 475 Millionen Mark in Talern, so die Latei-
nische Union etwa 3 Milliarden Frs. in Fünffrankenstücken, so Holland
seinen ganzen Kurantguldenbestand. Oesterreich- Ungarn hat auch nach der
Aufhebung der freien Silberprägung im Jahre 1879 noch umfangreiche
Silberprägungen auf Staatsrechnung vorgenommen; Spanien hat von
1876 bis 1892 noch 640 Millionen Frs, in silbernen Füufpesetastücken
ausgeprägt; in Indien wurden Jahr für Jahr Silberausmünzungen im
Werte von 130 — 140 Millionen Mark vorgenommen, und dazu kamen
schließlich die enormen Siiberankäufe und Siberprägungen der Union.
Alles in allem haben in den zwei Jahrzehnten von 1873 bis 1893
durchschnittlich pro Jahr ganz erheblich stärkere Silberausmünzungen
stattgefunden, als in irgendeiner früheren Zeit. Nur in den Staaten
des europäischen Kontinents hat die monetäre Silberverwertung eine
beträchtliche Einschränkung erfahren. Nach Le xis^) haben die Silber-
ausmünzungen in Europa, den Vereinigten Staaten und Indien im Jahres-
durchschnitt betragen (nach dem alten Silberwerte gerechnet):
1851—60 163 Millionen Mark
1861—70 340 „ „
1887—91 479
Bei der letztgenannten Ziflfer ist die mit der Ausprägung gleich-
bedeutende Hinterlegung von Barrensilber in den Vereinigten Staaten
aufgrund der Sherman-Bill nicht mit in Rechnung gezogen. Die
erhebliche Silbereinfuhr Chinas, die zum großen Teile aus mexika-
nischen Piastern bestand, ist in keiner der oben gegebenen Ziffern mit
in Anschlag gebracht. Die nachweisbare Gesamtprägung von Silber
betrug, immer nach Lexis, von 1876 bis 1893 nach dem alten Wert-
verhältnis 9800 Millionen Mark, von denen etwa 400 Millionen Mark,
') Art. „Silberund Silberwährung" im Haudwörterbnch der Staatswissenschafteu,
3. Aufl. Bd. Vn. S. 517.
176 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Eilelmetallverhältuisse.
die anf Umprägaugeu alter Münzen in deutsche und skandinavische
Scheidemünzen kommen, abzuziehen sind, während auf der anderen Seite
die Hinterlegungen von Barrensilber in den N'ereinigten Staaten hin-
zugerechnet werden müssen.
Trotz dieser gewaltigen Silberprägungen und trotzdem vom Ende
der 70 er Jahre an bis zum Jahre 1893 die internationale Währiings-
verfassung keine weitere Veränderung zuungunsten des Silbers erfuhr,
gelang es doch den für die Wiederherstellung des Silberwertes wirken-
den Kräften nicht, auch nur den weiteren Fortschritten der Silber-
entwertung Einhalt zu gebieten. Die Einstellung der deutschen Silber-
verkäufe im Mai 1879 erfüllte nicht die auf diese Maßregel vielfach
gesetzte Erwartung; die Silberprägungen, welche durch die Bland-Bill von
1878 in den \'ereiuigten Staaten angeordnet wurden, haben kaum irgend-
eine sichtbare Einwirkung auf den Silberpreis ausgeübt; auch die vom
Anfang der 80 er Jahre an wieder steigende Silbereinfuhr Indiens ver-
mochte nicht, den weiteren Rückgang des Silberpreises aufzuhalten.
Der durchschnittliche Londoner Silberpreis stand 1878 auf 52'-'/^^ d,
1879 auf 51 ^|^ d pro Unze Standard; er stieg im Jahre 1880, wohl
hauptsächlich infolge der Einstellung der deutschen Silberverkäufe, auf
52^/^ d, erreichte aber damit noch nicht einmal wieder sein Niveau
von 1878; dann ging er langsam zurück bis auf 50^/g und 50^4 d in
den Jahren 1883 und 1884, kam also schon damals auf einem tieferen
Stande an als in irgendeinem Jahre während der Durchführung der
deutschen Münzreform. Von 1885 an machte die Silberentwertung,
trotz der Fortdauer der amerikanischen Silberankäufe und Silber-
präguugen, geradezu rapide Fortschritte; der durchschnittliche Silberpreis
des Jahres 1889 war nur noch 42^^/jg d, der niedrigste Silberpreis in
diesem Jahre war 42 d. Die gewaltige Steigerung der amerikanischen
Silberankäufe durch die Sherman-Bill bewirkte, daß im August
1890 der Silberpreis bis auf 54^/gd in die Höhe schnellte. Aber diese
spekulative Preissteigerung brach rasch wieder zusammen; bereits im
November 1890 sank der Preis wieder auf 47^8 d; im Jahre 1891
wurde der niedrigste Silberpreis mit 4372 d, im Jahre 1892 mit 3778 ^
notiert, und in der ersten Hälfte des Jahres 1893 machte der Preis-
rückgang noch weitere Fortschrittte. Der Preis stand beträchtlich tiefer
als vor dem Erlaß der Sherman-Bill, und seit dem Jahre 1879 hatte
die Silberentwertung, obwohl die internationale Währungsverfassung
in jener Zeit keine wesentliche Aenderung erfahren hatte, sich um etwa
25 Prozent verschärft.
Mit dem Jahre 1893, in dem die Sherman-Bill aufgehoben und
die freie Silberprägung in Indien eingestellt wurde, begann ein neuer starker
Preissturz, so daß im Jahre 1902 das durchschnittliche Wertverhältnis etwa
1:39 war. Vom Jahre 1904 an haben der russisch-japanische Krieg und
seine Nachwirkungen eine erhebliche Zunahme der Silbernachfrage hervor-
gerufen, sodaß zeitweise eine nicht unerhebliche Steigerung des Silber-
preises eintrat. Aber das Jahr 1908 wies bereits wieder ein durch-
schnittliches Wertverhältnis von 1 : 38,67, das Jahr 1909 sogar ein solches
von 1 : 39,74, auf. Die folgenden Jahre brachten eine leichte Hebung
des Silberpreises, die aber in den Jahren 1914 und 1916 wieder verloren
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. § 3. 177
giug. Das durchschnittliche Wertverhältnis des Jahres 1915 war mit
1 : 39,84 das ungünstigste, das für das Silber jemals zu verzeichnen war.
Der Weltkrieg hat auch auf dem Edelraetallmarkte revolutionierend
gewirkt. Vom Jahre 1915. an zeigte das Silber auf dem Londoner
Markte geradezu sensationelle Preissteigerungen, die schließlich im Jahre
1919 mit einer Notierung von 79^8 d für die Unze Standard ihren
Höhepunkt erreichten. Darüber näheres weiter unten.
§ 3. Die Ursachen der Silberentwertung.
Die Tatsache der starken Entwertung des Silbers gegenüber
dem Golde wurde in der Schilderung der Entwicklung der internationalen
Währungsverfassung verzeichnet, ohne daß auf die P'eststellung der
Ursachen dieser in der Geschichte der Edelmetalle bisher unerhörten
Erschütterung des Wertverhältnisses der beiden Metalle eingegangen
worden wäre. Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der
internationalen Edelmetall- und Währungsverhältnisse würde jedoch
der Vollständigkeit entbehren, wenn hier eine Erörterung der Ursachen
dieser gewaltigen Verschiebung des Wertverhältnisses und namentlich
des Zusammenhangs zwischen der veränderten Münzgesetzgebung und
der Silberentwertung unterbliebe.
Eine weit verbreitete Ansicht geht dahin, daß ausschließlich die
Aenderungen der Münzgesetzgebung, die zuerst in den 70er Jahren
ond später von 1893 an erfolgten, die Entwertung des Silbers hervor-
gerufen hätten. Vor allem habe die Aufhebung der französischen
Doppelwährung die Entwertung des Silbers überhaupt erst ermög-
licht, während die große Stabilität des Wertverhältnisses in den
ersten sieben Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ausschließlich der Wirk-
samkeit der französischen Doppelwährung zu danken gewesen sei. Den
Anstoß zu der verhängnisvollen Entwicklung habe der deutsche Wäh-
rungswechsel gegeben, der die übrigen Kulturstaaten gezwungen oder
wenigstens veranlaßt habe, sich gleichfalls vom Silber abzuwenden. Der
deutsche Währungswechsel selbst wurde mitunter als die Tat eines ver-
blendeten Doktrinarismus, als ein Willkürakt aufgefaßt, der eben so
gut hätte unterbleiben können; und von allem, was dann folgte, sollte
der Satz gelten: Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fort-
zeugend immer Böses muß gebären.
Ohne weiteres ist zuzugeben, daß die Beschränkung und die gänz-
liche Einstellung der freien Silberprägung in einer großen Anzahl von
Kulturstaaten eine erhebliche Verkleinerung des Verwendungsgebietes
für Silber bedeutete, die sich namentlich in den 70 er Jahren, vor der
Bland-Bill und vor dem neuen Aufschwünge des indischen Silberbedarfs,
fühlbar machen mußte. Auch die spätere starke Ausdehnung der
Silberprägungen in Amerika und Asien vermochte keinen ausreichen-
den Ersatz zu bieten für den Wegfall der freien Prägbarkeit in den
Ländern europäischer Kultur. Wohl wurde der grüßte Teil des neuen
Silbers der monetären Verwendung zugeführt; aber das war auf dem
gegenüber der Zeit vor 1870 geographisch kleineren und an volks-
wirtschaftlicher Bedeutung hinter Europa zurückstehenden Gebiete
nur möglich unter einer beträchtlichen Minderung des Silberwertes.
Uelfferioh, Das Geld. 12
178 Erstes Bach. II. Abschnitt, Die Gestaltung der Edelmetallverh<nisse.
Andererseits aber haben wir gesehen, daß gerade der Rückgang
des Silberpreiees der Grnnd war, der in einer Anzahl von wichtigen
Ländern, so in den Niederlanden, in den Staaten des Lateinischen
MUnzbundes nnd in Oesterreich-Ungarn, die Einschränkung oder völlige
Einstellung der Silberprägung herbeigeführt hat.
Das Verhältnis von Silberentwertung und MUnzgesetzgebung ist
mithin kein einseitiges; die Ausschließung des Silbers von den Münz-
stätten war nicht lediglich Ursache der Silberentwertung, sondern die
Einstellung der Silberprägungen ging selbst vielfach auf die Silberent-
wertung als auf ihre wesentliche Ursache zurück; es lag mithin eine
Wechselwirkung vor. Diese Wechselwirkung mochten diejenigen, welche
die Wandlungen der MUnzgesetzgebung als Willkürakte ansehen, als
einen circulus vitiosus betrachten: die Münzgesetzgebung verschuldete
die Silberentwertung, und die Silberentwertung veranlaßte wieder ein
weiteres Umsichgreifen der silberfeindlichen Gesetzgebung.
Eine Betrachtung der geschichtlichen Vorgänge wird uns darüber
belehren, ob wirklich in der gesamten währungspolitischen Entwick-
lung der letzten fünf Jahrzehnte vor dem Weltkriege ein solcher fehler-
hafter Zirkel vorliegt.
Wir haben die Währungsverhältnisse der Welt in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer gewissen Stabilität gesehen; erst
die von den kalifornischen Goldfunden eingeleitete Umwälzung der
Produktionsverhältnisse der Edelmetalle hat neues Leben in den Ent-
wicklungsprozeß gebracht.
Das neugewonnene Gold wurde von den Ländern, die sich bisher
tiberwiegend des Silbers bedient hatten, bereitwillig als Geldstoff auf-
genommen; denn die wirtschaftliche Entwicklung hatte den vermehrten
Gebrauch von Goldgeld wünschenswert gemacht. Die vermehrte Pro-
duktion fand mithin ihr Gegengewicht an einem starken Verkehrsbedarfe
und an einer vermehrten monetären Verwendung. Daß die Länder
mit Doppelwährung die Verdrängung ihres bisherigen Silberumlaufs
durch das neue Gold ruhig geschehen ließen, daß die Länder mit
Silberwährung, vor allem Deutschland, sich einen Goldumlauf zu ver-
schaflen wünschten, war die einfache Folge der unbestreitbaren Tat-
sache, daß für den größeren Teil des modernen Verkehrs das Gold
ein tauglicherer Geldstoff ist als das Silber, Das vermehrte Angebot
eines tauglicheren Verkehrsmittels hat nun die notwendige Wirkung,
die Nachfrage nach dem weniger tauglichen zu vermindern, ja selbst
einen Teil der bisher verwendeten weniger tauglichen Verkehrsmittel
freizusetzen. Mit anderen Worten: die starke Vermehrung der Gold-
produktion mußte das Bedürfnis des Verkehrs nach Silbergeld ein-
schränken und damit die Tendenz zu einer Entwertung des Silbers
schaffen. Wie wenig dieser Zusammenhang eine Konstruktion ex post
ist, wird dadurch bezeugt, daß diese Ansicht schon zu einer Zeit aus-
gesprochen wurde, als die Umwälzungen in der Währungsgesetzgebung
und die Silberentwertung noch nicht eingetreten waren. Soetbeer
schrieb in der Hamburger Börsenhalle vom 15. Juli 1869: „Wie paradox
es anfangs vielleicht lauten mag, es liegt doch eine gewisse Wahrheit
darin, daß im großen nnd ganzen genommen und auf die Dauer die
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährang und Silberentwertnng. § 3. 179
aüßerordeatliche Steigernng der Goldprodoktion mehr auf die Wertver-
ringerung des Silbers als des eignen Produkts ihre Wirkung äußern muß."
Und die Rolle der MUnzgesetzgebung in diesen ans der allgemeinen
wirtschaftlichen Entwicklung und den Produktionsverhältnissen der Edel-
metalle resultierenden Vorgängen?
Die Münzgesetzgebung ist, wie bereits in einem früheren Abschnitte
gelegentlich der Sperrung der englischen Silberprägung im Jahre 1798
ausgeführt wurde, lediglich das Instrument, durch das in unserer
modernen Rechts- und Wirtschaftsordnung der Geldumlauf den An-
sprüchen und Bedürfnissen des Verkehrs entsprechend gestaltet wird.
Ebenso wie in England im Jahre 1798 durch die Einstellung der freien
Silberprägung nicht etwa eine wirkliche Verkehrsnachfrage nach Silber
künstlich beschränkt, sondern wie durch diesen Akt nur eine den
lebendigen Verkehrsbedürfnissen widersprechende Verdrängung des
Golduralaufs durch einen Silberumlauf verhindert wurde, — ebenso
hat die Münzgesetzgebung in den Staaten des europäischen Kontinents,
nachdem die Goldfaude die Mittel zu einer den modernen Verkehrs-
bedürfnissen besser entsprechenden Gestaltung der Zirkulation geliefert
hatten, überall dort eingreifen müssen, wo sich das Gold nicht auto-
matisch an Stelle des Silbers setzen konnte oder wo der einmal ge-
wonnene Goldumlauf durch eine spätere gegenteilige Wirkung der
Münzverfassung aufs neue durch das Silber bedroht erschien.
Solange der starke indische Silberbedarf der 50 er und 60er Jahre
große Silberraengen aus Europa nach Asien führte, vollzog sich für
die Staaten mit Doppelwährung die Verminderung des Silberumlaufs
und die Ausdehnung des Goldumlaufs ganz von selbst. Ein Eingreifen
der Gesetzgebung war nur insoweit notwendig, als es sich um die Er-
haltung der unbedingt notwendigen kleinen Silbermünzen handelte; im
großen Ganzen aber wirkte das bimetaliistische System in diesem Falle
in einer den Wünschen und Bedürfnissen des Verkehrs entsprechenden
Weise. Deutschlands Bedürfnis nach einem Goldumlaufe dagegen konnte
nur befriedigt werden durch eine Abscbafifung der gesetzlich bestehen-
den Silberwährung und den Uebergang zur Goldwährung. Auch für
die Doppelwährungsländer mußte — ganz unabhängig von Deutsch-
lands Vorgehen — ein Eingreifen der Gesetzgebung nötig werden, so-
bald der außerordentliche Silberbedarf für den Osten nachließ und
dazu noch eine starke Vennehrung der Silberproduktion kam. Mit
dem Eintreten dieser Möglichkeiten mußte sich die Frage entscheiden,
ob das Silber den Teil seines monetären Absatzgebietes in Europa, den
68 an das Gold verloren hatte, wieder würde gewinnen können.
Wie wenig damals ein wirklicher Verkehrsbedarf nach mehr Silber
in Europa existierte, das zeigte sich während der 70 er Jahre besonders
aufi'ailend in Deutschland, und zwar darin, daß der deutsche Verkehr,
nachdem die Preußische Bank bzw. die Reichsbank die Zahlungen in
Gold aufgenommen hatte, fortgesetzt große Beträge von Silbergeld im
Austausch gegen Goldgeld an die Reichsbank abgab. Von Mitte 1875
bis Mitte 1879 hat der deutsche Verkehr etwa 735 Millionen Mark
Silbergeld an die Reichsbank abgestoßen und etwa 696 Millionen Mark
Goldgeld aus der Bank entnommen. Hier, wo der freie Verkehr sich
12*
180 Erstes Buch, 11. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
nach seinen wirklichen Bedürfnissen aus dem Metallvorrate der Zentral-
bank versorjren konnte, trat es deutlich zutage, daß nicht nur kein weiterer
Verkehrsbedarf nach Silber, sondern daß sogar ein beträchtlicher Ueber-
schuß an Silbergeld über den Verkehrsbedarf hinaus vorhanden war.
Es waren nnthin nicht die Miinzgesetze, welche die Nachfrage nach
Silber für Geldzwecke in einer für den Wert des weißen Metalls entscheiden-
den Weise verringerten, sondern der wirkliche Sachverhalt war folgender:
Die gesteigerte Produktion und Verwendung des Goldes als des
tauglicheren und im Verkehr beliebteren Zirkulationsmittels hatte den
Bedarf der europäischen Staaten an Silbergeld wesentlich eingeschränkt;
um den Silberumlauf auf einen dem veränderten Verkehrsbedarf annähernd
entsprechenden Umfang wirksam zu beschränken, dazu war die Ein-
stellung der freien Silberprägung und der Uebergang zur Goldwährung
notwendig, und zwar für Silberwährungsläuder von vornherein, für
Doppelwährungsländer von demjenigen Momente an, in welchem infolge
von Veränderungen in Angebot und Nachfrage auf dem Silbermarkte
ihren Münzstätten wieder größere Silbermengen zuflössen. —
Die Faktoren außerhalb der MUnzgesetzgebung, die um die Wende
der 60 er und 70 er Jahre, den für das Schicksal des Silbers entschei-
denden Umschwung auf dem Silbermarkte herbeiführten, waren in der
Hauptsache folgende:
1. Die Steigerung der Silberproduktion von 1,1 Millionen kg im
Durchschnitt der Jahre 1861 bis 1865 auf 2 Millionen kg im Durch-
schnitt der Periode 1871 bis 1875 und 2,5 Millionen kg im Durchschnitt
der Periode 1876 bis 1880.
2. Die Verringerung des indischen Silberbedarfs von mehr als
100 Millionen Rupien im Durchschnitt der Jahre 1855 bis 1865 auf
etwa 71 Millionen Rupien im Durchschnitt der Jahre 1866 bis 1869
und etwa 35 Millionen Rupien 1870 bis 1876.
Das Zusammenwirken dieser beiden Faktoren prägte sich darin
aus, daß von der Mitte der 60er Jahre an, wie die folgende Uebersicht
ausweist, fortgesetzt größere Silbermengen für die europäische Kultur-
welt verfügbar blieben.
Perioden
(Jahresdurch-
schnitte)
Silberproduktion
Mehreinfuhr von Silber in
Indien
Ueberschuß der
Silberprod.über
d.ind, Mehreinf.
kg
1000 Rubinen
kgO
kg
1856-1860
904 990
100 725
1 077 380
— 172390
1861—1865
1101 150
99 680
1 066 100
35 050
1866—1870
1 339 085
94 290
1 008 450
330 635
1871—1875
1 969 425
30 6:31
327 600
1641825
1876-1880
2 450 252
70 542
754 440
1695 812
1881—1885
2 808 400
60 806
650 330
2158 070
1886-1890
3 387 532
96 351
1 030 500
2 357 032
1891—1895
4 901 333
96 600
1158 661
3 742 672
1896—1900
5 154 551
64 800
1 004 398
4 150 153
1901—1905
5 226 121
113 600
1991426
3 234 695
1906—1910
6 135 348
236 969
2 523 736
3611612
1911—1915
6 312 831
103 916
911 406
5 401 425
') 93,5 Rupien = 1 kg Silber.
6. Kapitel. Ausbreitung: der Goldwährang and Silbereutwertnng. § 3. 181
Während Indien von 1855 bis 1860 beträchtlich mehr Silber ab-
sorbierte, als gleichzeitig produziert wurde, stieg der Ueberschuß der
Silberproduktiou über den indischen Bedarf von 331000 kg im Jahr-
fünft 1866 bis 1870 in den beiden folgenden fünfjährigen Perioden auf
1642000 kg und 1696 000 kg.
Der Rückgang der Silberverschiflfungen nach Indien hatte seine
Ursache zum Teil in dem Wegfall der ungewöhnlichen Verhältnisse,
welche die außerordentlichen Verschiffungen während der 50 er und
60 er Jahre veranlaßt hatten, vorwiegend aber darin, daß die Zahlungen
in Gold, die Indien nach England zur Verzinsung von Anleihen, zur
Auszahlung von Gehältern und Pensionen usw. zu leisten hatte, sich
rapid vermehrten. Die Mittel für diese in England zu leistenden Gold-
zahluugen wurden und werden heute noch aufgebracht durch die Be-
gebung der sogenannten India-Councilbills auf dem Londoner Markte.
Die Councilbills sind Wechsel, die vom Indischen Rate in London auf
die indische Finanzverwaltung gezogen werden und in Bombay, Kalkutta
oder Madras in indischer Währung zahlbar sind.
Diese Councilbills oder Schatzwechsel waren als Zahlungsmittel
für Indien besser verwendbar als das Silber. Ihre Versendung machte
geringere Kosten und bedingte keinen Zinsverlust; die Möglichkeit ihrer
telegraphischen Uebertragung machte sie besonders brauchbar in Fällen
eines plötzlichen und starken Geldbedarfs in Indien und gestattete außer-
dem die Vermeidung von Kursverlusten, denen Silber und gewöhnliche
Wechsel auf Indien infolge des langen Zeitraumes zwischen Ankauf in
London und Verwendung in Indien ausgesetzt waren. Deshalb war die
Größe des Angebots von Schatzwechseln für die Silbernachfrage und
der Kurs, zu welchem sie begeben wurden, für den Silberpreis von
großem, oft sogar von entscheidendem Einflüsse,
Es traf sich nun, daß gerade in der für das Silber kritischen Zeit
die Begebungen von Schatzwechseln infolge der steigenden Verschuldung
Indiens an England einen großen Umfang annahmen. Während sich die
jährlichen Begebungen im Durchschnitt der 50 er Jahre auf 21,8 Millionen
Rupien belaufen hatten, stellten sie sich in der zweiten Hälfte der
60er Jahre schon auf 55,2 Millionen Rupien, um 1870 bis 1875
auf 12 Millionen, 1876 bis 1880 auf mehr als 150 Millionen Rupien
zu steigen. Zeitweise überstieg ihr Betrag den Wert der gesamten
englischen Silberausfuhr.,
Auf diese Weise nahmen die Councilbills auf Kosten des Silbers
unter den Rimessen für Indien einen immer größeren Raum ein, wie
folgende Ziffern beweisen:
Durchschnittlich
Indiens Mehreinfuhr
von Silber
1000 Rui.ien
Begebungen von
C'ouncilbills
lOUO Rupien
18()5/66— 186i»/70
1870 71 -1874/7:')
94 290 ')') 200
•iO(i31 120 840
Abnahme 63 Gj9
Zunahme 65 640
Wenn die starke Abnahme des indischen Silberbedarfs und die
gleichzeitige Steigerung der Silberproduktiou an sich schon hingereicht
182 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelnietallverhältnisse.
hätten, um die europäischen Staaten, namentlich die Länder der Latei-
nisoheu Doppelwährung, zu einer Entscheidung darüber zu zwingen, ob
sie das Silber in ihrem Geldumlaufe wieder zur Vorherrschaft kommen
lassen wollten, — so mußte die Notwendigkeit dieser Entscheidung
allerdings in hohem Grade beschleunigt werden durch das Vorgehen
irgendeines bedeutenden Staates, der sich dem Silber verschloß oder
gar einen Teil seines bisherigen Silberumlaufs auf den Markt brachte.
Eine solche Beschleunigung hat die deutsche MUnzreform herbei-
geführt; aber auch nur eine Beschleunigung der Entwicklung, nicht die
Entwicklung selbst. Durch die Feststellung der Tatsache, daß die
gegen das Silber gerichtete Mlinzgesetzgebung nur das Mittel war,
durch das der Geldumlauf den Bedürfnissen des Verkehrs entsprechend
gestaltet w^urde, ist allein schon die Frage beantwortet, ob es sich bei
den entscheidenden Aenderungen der MUuzgesetzgebung um Willkürakte
handelte oder um Maßnahmen, die wirtschaftlichen Bedürfnissen ent-
sprachen; und die Frage, w^elchen Anteil die deutsche Münzreform und
die Aufbebung der französischen Doppelwährung an den Ursachen der
Silberentwertung haben, ist damit auf die ihr zukommende bescheidene
Bedeutung zurückgeführt. Wenn die gegen das Silber gerichtete Münz-
gesetzgebung der europäischen Staaten in ihrer Gesamtheit nur die
Wirkung einer tiefer liegenden gemeinsamen Ursache war, dann ist es
müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob der eine oder der
andere Staat den Anstoß zu der ganzen Entwicklung gegeben oder zu
der Entwertung des Silbers mehr als die anderen beigetragen hat.
Immerhin ist es nicht überflüssig, speziell die Wirkung der. Be-
seitigung der französischen Doppelwährung und die Stellung der deutschen
Münzreform in dem Kreise der zur Entwertung des Silbers zusammen-
wirkenden Faktoren zu erörtern.
Die französische Doppelwährung soll während ihres Bestehens von
1803 bis 1873 ein stabiles Wertverhältnis zwischen Gold- und Silber-
münzen gesichert haben; es wurde behauptet, nur die Aufhebung der
freien Silberprägung in den Staaten der Lateinischen Münzunion habe
überhaupt eine Silberentwertung möglich gemacht.
Es erscheint zunächst auffallend, daß gerade der französischen
Doppelwährung eine solche Wirkung zugeschrieben wurde. Vom Jahre
1717 bis 1798 bestand in England ein Doppelwährungssystem; aber
trotzdem England in jener Zeit eine bedeutendere Stellung im inter-
nationalen Geld- und Edelmetallverkehr einnahm als Frankreich zur
Zeit des Bestehens seiner Doppelwährung, hat niemand der englischen
Doppelwährung eine ähnliche Wirkung auf das Wertverhältnis der Edel-
metalle zugeschrieben, wie sie vielfach für die französische Doppel-
währung vindiziert worden ist. Die Tatsache, daß während der ganzen
Zeit des Bestehens des englischen Doppelwährungssystems das Wert-
verhältnis auf dem ofi'enen Markte für das Silber ein günstigeres war,
als die gesetzliche englische Relation, steht gegen jede Anzweiflung fest.
Hier hat also das Doppelwährungssystem die ihm zugeschriebene
Wirkung nicht ausgeübt; wenn tatsächlich während des Bestehens der
französischen Doppelwährung sich das Marktverhältnis mit der gesetz-
lichen Relation gedeckt hätte, so würde sich aus dem Versagen der
6, Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. § 3. 183
englischen Doppelwährung der Schluß ergeben, daß die behauptete
Wirkung nicht eine mit Notwendigkeit aus dem Systeme sich ergebende
sein kann.
Aber die Behauptung selbst, die französische Doppelwährung habe
das Wertverhältnis der beiden Edelmetalle auf der Keiation von 1 : 15,5
stabilisiert, ist nicht ganz zutrefl'end.
Wie bereits dargestellt wurde, zeigte der Silberpreis in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine sinkende Tendenz; in London sank
der Preis der Unze Standard Silber im Jahre 1848 bis auf 58^/^ d,
entsprechend einem Wertverhältnis von 1 : 16,12 zwischen Silber und
Gold. In den Jahren der Steigerung der Goldgewinnung trat die um-
gekehrte Bewegung ein; der Londoner Silberpreis stieg bis auf 62,75 d,
entsprechend einem Wertverhältnis von 1:15,03. Die Spannung stellt
sich auf 7 ^4 Prozent.
Mau hat eingewendet, daß diese Schwankungen auf dem Londoner
Markte nur durch die Kosten des Transports von Gold und Silber
zwischen London und Paris entstanden seien. Wenn in Paris das
Wertverhältnis der beiden Edelmetalle sich in genauer Uebereinstimmuug
mit der gesetzlichen Relation befunden hätte, so habe in London,
falls Silber nach Paris versendet werden sollte, das Silber um die
Transportkosten billiger sein müssen; umgekehrt, wenn London Silber
aus Paris beziehen wollte, so habe der Siberpreis in London um die
Transportkosten höher sein müssen, als dem französischen Wertver-
hältnisse entsprochen hätte.
Dieser Einwand hätte jedoch nur dann eine Berechtigung, wenn
wirklich auf dem Pariser Edelmetallmarkte sich das Wertverhältuis
der beiden Edelmetalle auf dem Satze von 1 : 15,5 erhalten hätte.
Aber diese Voraussetzung trifft nicht zu. Wir haben fortlaufende
Notierungen des Preises von Gold- und Silberbarren auf dem Pariser
Markte, und diese Notierungen ergeben, daß Schwankungen statt-
fanden zwischen 1:16,66 und 1:15,15. Die Schwankungen der
Jahresdurchschnitte stellen sich auf 1 : 15,94 bis 1 : 15,33. Die Spannung
der Jahresdurchschnitte war in Paris etwas kleiner als in London, die
größte Spannung der einzelnen Kurse dagegen war in London kleiner
als in Paris.
Die Tatsache, daß Schwankungen um das gesetzliche Wertver-
hältnis auch in Paris selbst stattfanden, und zwar ungefähr in dem-
selben Umfange wie in London, steht mithin fest. Die Erklärung dieser
Schwankungen um den Satz des französischen Wertverhältnisses durch
die Kosten des Transports von und nach dem Auslände ist also hinfällig.
Erschwerend kommt in Betracht, daß unter der Herrschaft der
französischen Doppelwährung sich nicht nur das ungemünzte Metall von
der gesetzlichen l{elation entfernte, sondern daß in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts auch das geprägte Goldgeld ein Agio auf seinen
Nennwert notierte. Das französische Doppelwährungsgesetz vermochte
also nicht einmal Schwankungen im Wertverhältnisse zwischen den
französischen Gold- und Silber m U nzen zu verhindern. Von einer Be-
herrschung des Wertverhältnisses der ungeprägten Metalle kaun
erst recht keine Rede sein.
1S4 Erstes Buch. IL Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältuisse.
An dieser Tatsache vermag: auch der Umstand nichts zu ändern,
daß sich die Schwankungen des Wertverhältuisses innerhalb verhältnis-
mäßig: eniTcr Grenzen hielten. So gut eine Prämie von 6 ^a Prozent
auf Goldbarren und ein Aufgeld von 12 Prozent auf goldene Zwanzig-
frankenstiicke entstehen konnte, so gut eine Prämie von 3*/^ Prozent
auf Silber aufkommen konnte, ebensogut hätte die Abweichung von
dem gesetzlichen "Wertverhältnisse, wenn sich die maßgebenden Faktoren
weiter zuungunsten des einen oder des anderen Metalls verändert hätten,
beträchtlich größer werden können.
Wenn darauf hingewiesen wurde, daß die Abweichungen von der
gesetzlichen französischen Relation in keinem Verhältnis zu der außer-
ordentlichen Umwälzung der Edelmetallproduktion, wie sie durch die
Goldfunde der 50 er Jahre hervorgerufen worden ist, gestanden hätten,
so ist zuzugeben, daß die Wirksamkeit der französischen Doppelwährung
tatsächlich den Einfluß dieser Umwälzung auf das Wertverhältnis beträcht-
lich abgeschwächt hat. Aber diese Wirkung war an ganz bestimmte
Vorbedingungen geknüpft, die bereits oben bei der Darstellung der
Geschichte der französischen Doppelwährung präzisiert wurden. Diese
Vorbedingungen waren, daß der französische Münzumlauf, als die enorme
Steigerung der Goldproduktion und der Silbernachfrage für Indien ein-
trat, ganz mit Silber gesättigt war, daß ferner der Uebergang von einem
Silber- zu einem Goldumlaufe den Bedürfnissen des Verkehrs entsprach.
Als zu Beginn der 70 er Jahre eine neue Umkehr des Wertver-
hältnisses stattfand, war die erste der beiden Vorbedingungen ebenfalls
gegeben: Frankreich und die übrigen Länder der Lateinischen Münz-
union hatten einen großen Vorrat von dem in seinem relativen Werte
steigenden Metalle. Unter diesen Verhältnissen war die französische
Doppelwährung an sich abermals imstande, dem Weltmarkte große
Beträge des im Werte steigenden Metalls zur Verfügung zu stellen,
das im Werte sinkende Metall aufzunehmen und dadurch ausgleichend
auf die Veränderung des Wertverhältnisses zu wirken. Wie lange
die französische Doppelwährung gegenüber der gewaltigen Steigerung
der Silberproduktion und den anderen auf eine Entwertung des Silbers
hinwirkenden Faktoren imstande gewesen wäre, die Silberentwertung
hintan zu halten, ist eine Frage für sich.
Aber die zweite Vorbedingung, welche bei dem Umschwünge der
50 er Jahre für die Wirksamkeit der französischen Doppelwährung
gegeben war, fehlte diesmal. Die Wirksamkeit der Doppelwährung
hätte diesmal den Münzbundstaaten nicht einen tauglicheren anstelle
eines weniger tauglichen Geldstoffes, das Gold anstelle des Silbers,
gebracht, sondern umgekehrt das Silber anstelle des Goldes. In den
fünfziger Jahren kostete es Frankreich kein Opfer, sein Doppelwährungs-
system ausgleichend auf die Veränderung des Wertverhältnisses wirken
zu lassen; die automatische Wirkung des Doppelwäbrungssystems
brachte ihm sogar eine Verbesserung seines eignen Geldumlaufs. Zu
Beginn der 70 er Jahre dagegen hätten die Staaten der Lateinischen
Münzunion, um ihre Doppelwährung dieselbe Wirkung ausüben zu
lassen, ihren Goldumlauf aufgeben müssen, und um diesen Preis
waren sie nicht gewillt, sich um die Stabilität des Wertverhältnisses
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwertung. §3, 185
der Edelmetalle verdient zq machen. Münzgesetz und VerkehrsbedUrfnis
kamen hier in Konflikt, und da der Verkehr nicht für die Münzgesetze,
sondern die Münzgesetze für den Verkehr da sind, mußte in diesem
Konflikte das Verkehrsbedürfnis siegen: die Doppelwährung wurde durch
die Einstellung der freien Silberprägung beseitigt.
Die Stellung der deutschen Münzreform unter den währungs-
politischen Maßregeln jener Zeit und ihr Anteil an der Silber-
entwertung ist dadurch gleichfalls bereits in gewissem Grade
aufgeklärt. Die Darstellung, daß der deutsche Währungswechsel
die Ursache der Preisgabe der französischen Doppelwährung ge-
wesen sei, steht in Widerspruch mit der von derselben Seite
vertretenen Ansicht, daß das Bestehen der französischen Doppel-
währung eine Entwertung des Silbers nicht zugelassen haben würde;
denn unmöglich werden konnte die Aufrechterhaltung der Doppel-
währung nur durch eine starke Abweichung des tatsächlichen von
dem gesetzlichen Wertverhältnisse, im vorliegenden Falle durch eine
beträchtliche Entwertung des Silbers, die ja angeblich, solange die
Doppelwährung bestand, gar nicht eintreten, also auch nicht durch die
deutsche MUuzreform hervorgerufen werden konnte.
Auch der Einwand, Frankreich habe sich gegen das von Deutsch-
land abgestoßene Silber verteidigen müssen, ist nicht stichhaltig. Denn
einmal hat Deutschland mit seiner Silberabstoßung erst im Oktober 1873
begonnen, als die Beschränkung der freien Silberprägung in Frankreich
und Belgien bereits erfolgt war. Ferner lag für Frankreich und die
übrigen Staaten des Lateinischen MUnzbundes nur dann eine Veran-
lassung vor, sich gegen das deutsche Silber zu verteidigen, wenn man
eine Vermehrung des Silberumlaufs überhaupt nicht wollte, wenn man
also zwischen Silber und Gold den Unterschied machte, dessen Bestehen
die bimetallistische Theorie nicht gelten lassen will. Wollte aber die
französische Münzunion sich das Silber fernhalten und sich ihren Gold-
umlauf sichern, dann mußte sie — ganz unabhängig von der deutschen
MUnzreform — durch das Steigen der Silberproduktiou und die Ab-
nahme der indischen Silbernachfrage zur Einstellung der freien Silber-
präguug gedrängt werden, nur daß die Notwendigkeit eines solchen
Schrittes vielleicht erst einige Jahre später hervorgetreten wäre.
Nicht nur in bezug auf das Verhalten der Lateinischen Münzunion,
sondern auch in bezug auf die sämtlichen gegen das Silber gerichteten
wälirungspolitischen Maßregeln, die auf die deutsche Münzreform folgten,
heißt es das Verhältnis von Ursache und Wirkung umdrehen, wenn mau
den deutschen Währungswechsel als den Grund für die Einstellung der
Silberprägungen in den anderen Staaten bezeichnet. Die Währungsfrage
war Jahre laug vor der deutschen Müuzreform in der interniitionaien
Oetfentlichkeit diskutiert worden; in der ganzen Kulturwelt war das aus-
gesprochene Bestreben zutage getreten, die Goldwährung, wo sie tatsäch-
lich bestand, gesetzlich festzuhalten, und sie einzuführen, wo sie nicht
bestand. Die Umstände fügten es, daß Deutschland als erster Staat in
den Umwandlungsprozeß eintreten und sich dadurch relativ günstige
Bedingungen sichern konnte. Daß die anderen Staaten dem Vorgehen
Deutschlands folgten, war mithin lediglich eine Bestätigung der richtigen
186 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der EdelmetallverhältuisBe.
Voraussicht, aufgrund deren Deutschland sich zur Goldwährung ent-
echlossen hatte.
Der tiefere Grund fllr die sogenannte „Demonetisation" und für die
Entwertung des Silbers ist mithin zu suchen in einem Verdikte des
Verkehrs über den Gebrauchswert des Silbers als Geldstoff. Nachdem
aus dem Kreise der zahlreichen Güter, welche anfänglich als Geld
fungiert hatten, die beiden Edelmetalle wegen ihrer besonderen Taug-
lichkeit zu diesem Zwecke allein als Geldstoff übrig geblieben waren,
nachdem Gold und Silber Jahrtausende laug neben einander Gelddienste
geleistet hatten, ist schließlich innerhalb der Kulturwelt im Laufe einer
kurzen Spanne Zeit der an Tauglichkeit zurückstehende dieser beiden
Stoffe von dem tauglicheren verdrängt worden, weil die Edelmetall-
gewiunung plötzlich das tauglichere Metall der Kulturwelt in viel
grülieren Mengen zur Verfügung gestellt hat.
Die den Bedürfnissen des Verkehrs entsprechende Beschränkung
des Silbergeldes innerhalb des gesamten Geldumlaufs war gleichzeitig,
wie im ersten Abschnitte dieses Buches dargestellt wurde, die Voraus-
setzung für die Herstellung eines einheitlichen Geldsystems aus beiden
Edelmetallen. Nur bei einer beschränkten Ausgabe von Silbermünzen
war es möglich, dem Silbergeide einen von seinem eignen Stoße unab-
hängigen, von dem Goldgelde abgeleiteten und dadurch mit dem Werte
des Metalles Gold verknüpften Wert beizulegen. So hat die Aus-
dehnung der Goldwährung und die Beschränkung der Silberprägung
nach zwei Seiten hin den Bedürfnissen des modernen Geldverkehrs
Rechnung getragen.
§ 4. Die währungspolitiscbe Entwicklaug von 1893
bis zum Weltkrieg.
Der unaufhaltsam erscheinende Rückgang des Silberpreises hat
in Verbindung mit einer neuerlichen Steigerung der Goldproduktion im
letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, eine zweite Reihe von
währungspolitischen Maßregeln hervorgerufen, die sich als die Fort-
setzung der in den 70er Jahren eingetretenen Umwälzung darstellen.
.Je stärker die Silberentwertung wurde, desto mehr verringerten
sich die Aussichten auf die angestrebte Rehabilitation des Silbers, desto
fester wurde in der ganzen Welt die Ueberzeugung, daß das
Silber seine Rolle als ein mit dem Golde gleichberechtigtes Geld-
metall ausgespielt habe und daß die Währungsgleichheit mit den
wichtigsten Haudelsvölkern nur auf der Grundlage des Goldes zu er-
reichen sei. Der letztere Gesichtspunkt hat selbst asiatische Staaten,
wie Indien und Japan, für welche vom Gesichtspunkte des inneren
Verkehrs aus das Silber in weit größerem Umfange verwendbar ist als
das Gold, in ihrer Währungspolitik ausschlaggebend beeinflußt.
Die schon seit der Mitte der 80 er Jahre wieder in der Zunahme
begriffene Goldproduktion hat von 1890 an einen Umfang angenommen,
der alles bisher dagewesene, selbst die kalifornische und australische
Periode, weit hinter sich läßt. Von 415 Millionen Goldmark im Jahre
1883 stieg die Goldgewinnung auf etwa 500 Millionen Goldmark im
Jahre 1890; im Jahre 1895 betrug sie bereits 834 Millionen Goldmark,
6. Kapitel. Ausbreitang der Goldwährung und Silberen twertung. § 4. 187
im Jahre 1899 hat sie deu Betrag von 1287 Millionen Goldmark, im
Gewichte von etwa 461000 kg erreicht und im Jahre 1913 ist sie auf
768000 kg im Werte von rund 2143 Millionen Goldmark angekommen. In
den zehn Jahren 1851 bis 1860 betrug die durchschnittliche Jahres-
produktion von Gold etwa 560 Millionen Goldmark im Gewicht von
200 000 kg; der Wert der durchschnittlichen Jahresproduktion von Gold
und Silber zusammen belief sich damals auf etwa 720 Millionen Gold-
mark. Die Goldproduktion des Jahres 1913 war also fast viermal so
groß wie diejenige der Glanzzeit der kalifornischen und australidchen
Goldfunde, und sie war dem Werte nach dreimal so groß wie die
damalige Gold- und Siiberproduktion zusammen.
Vom Beginn des Jahres 1891 an bis zum Ende des Jahres 1900
sind für etwa 8,9 Milliarden Mark, in den dreizehn Jahren von 1901
bis 1913 sind für etwa 22 Milliarden Mark Gold produziert worden,
gegen nicht ganz 10 Milliarden in den zwei Jahrzehnten 1871 bis
1890. Der zu Geldzwecken dienende Goldvorrat der Welt wurde für
das Jahr 1890 auf etwa 15 Milliarden Mark geschätzt. Von der Neu-
gewinnung dürften im Jahrzehnt 1891 bis 1900 etwa 300 Millionen
Mark pro Jahr in der Industrie Verwendung gefunden haben; es blieben
von der Goldgewinnung dieses Jahrzehnts für Geldzwecke verfügbar
rund 6 Milliarden Mark. Dadurch hätte der Goldgeldbestand der Welt
von 1890 bis 1900 eine Vermehrung von 15_auf mehr als 21 Milliarden
Mark, d, h. um nahezu die Hälfte, erfahren.
Für die späteren Jahre bis zum Kriegsausbruch ist der stark zu-
nehmende industrielle Goldverbrauch auf etwa 500 Millionen Mark im
Jahresdurchschnitt zu veranschlagen; also für die 13 Jahre 1900 bis
1913 auf 6,5 Milliarden Mark. Durch die gleichzeitige Neugevvin-
Dung von Gold in Höhe von 22 Milliarden Mark wird also der monetäre
Goldbestand der Welt um w^eitere 15,5 Milliarden Mark, also auf
36,5 Milliarden Mark gestiegen seiu^).
Wie die großen Goldfuude der 50er Jahre, so hat auch diese noch
gewaltigere Vermehrung des Goldvorrats eine starke Ausdehnung des
monetären Goldverbrauchs zur Folge gehabt. Die Steigerung der Gold-
gewinnung hat — in einigen wichtigen Staaten zusammen mit einer
Besserung der Finanzlage während einer langen Friedeuszeit — den
Uebergang großer Wirtschaftsgebiete zur Goldwährung oder wenigstens
zu einer der Goldwährung nahekommenden Währungsverfassung er-
möglicht, einen Uebergang, der infolge der fortgesetzten Silberentwertung
doppelt dringlich erschien.
Zunächst haben Oesterreich-Ungarn und Rußland darauf
Bedacht genommen, die Goldwährung einzuführen, und sie haben zu
diesem Zwecke einen großen Teil des neuen Goldes in den Kassen
ihrer Finanzverwaltungen und ihrer Zentralbanken angesammelt. Ruß-
land allein hat von 1891 bis 1899 eine Mehreinfuhr von Gold im Be-
trage von etwa 1,8 Milliarden Mark zu verzeichnen gehabt, gleichzeitig
*) Der aniPrikani«cne Münzdirektor kommt in der Tat aufgrund von
Schätzungen des monetären Goldbestandes der tinzelnen Länder für Ende 1913
auf einen monetären Weltvorrat an Gold in Höhe von 36,5 Milliarden Mark; vgl.
die Uebersicht auf S. 193.
lÖ8 Erstes Buch, II. Abschuitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
eine eigne Goldproduktiou von etwa 9150 Millionen Mark. Oesterreich-
rnjrarn hat von 1891 bis 1900 für etwa 530 Millionen Mark Gold
mehr ein- als ausgeführt. Kußlands Uebergang zur Goldwährung wurde
vom Jahre 1894 an schrittweise durch eine lieihe von Verwaltungs-
maßnahmen des Finanzministeriums und von Gesetzen durchgeführt;
er ist zum Abschluß gekommen durch das Gesetz vom 7./19. Juni 1899.
in Oesterreich-Uugarn ist durch ein Gesetz vom 2. August 1892 die
Goldwährung im Prinzip angenommen worden, aber zu ihrer vollen
Durchfuhrung durch die Aufnahme der Barzahlungen seitens der Oester-
reichisch-Ungarischen Bank ist es nicht gekommen.
Von direktem Einflüsse war die Silberentwertung für die währungs-
politischeu Maßregeln Indiens, Japans und der Vereinigten Staaten.
Indien hat jährlich große Beträge in Gold zu zahlen, teils an
Zinsen für Goldauleihen, teils an Gehältern und Pensionen für britisch-
indische Beamte. Die zu diesem Zwecke stattfindenden Councilbill-
Begebungen haben von 1890 an etwa 16 Millionen Pfd. Sterling jährlich
betragen. Da Indiens Einnahmen in Silber eingingen, wurde bei dem
Fortschreiten der Silberentwertung ein immer größerer Teil der Ein-
künfte durch die Goldausgaben verschlungen. Eine feste Beziehung
zwischen dem indischen Gelde und der englischen Goldwährung erschien
deshalb schon zur Vermeidung eines Zusammenbruchs der indischen
Finanzen notwendig. Um eine solche feste Beziehung herzustellen,
mußte der Wert der indischen Münzeinheit, der Rupie, unabhängig
gemacht werden von dem sich entwertenden Silber. Nachdem die
Brüsseler Münzkonfereuz die Aussichtslosigkeit eines internationalen
Zusammenwirkens zur Hebung und Befestigung des Silberwertes dar-
getan hatte, geschah der entscheidende Schritt am 26. Juni 1893 durch
die Einstellung der freien Silberprägung. Man hatte dabei ins Ange
gefaßt, den Kurs der Rupie auf 16 d englischer Währung zu befestigen,
und dieses Ziel ist durch die Sperrung der Silberprägnng in wenigen
Jahren erreicht worden, obwohl der Wert des Silbergehaltes der Rupie
bis auf 12 d und w^eniger herabging. Indien sammelte allmählich
einen beträchtlichen Goldschatz an, der zur Aufrechterhaltung des
der Rupie beigelegten Goldwertes dienen sollte. Durch ein Gesetz
vom 15. September 1899 wurde der englischen Hauptgoldmünze, dem
Sovereign, gesetzliche Zahlungskraft zu 15 Rupien (entsprechend einem
Rupienwerte von 16 d) beigelegt. Damit hatte Indien hinkende Gold-
währung n)it freilich stark überwiegendem. Silberumlauf, Aber der
Silberumlauf war nicht mehr beliebig vermehrbar, und der Wert des Geldes
war von seinem Silbergehalte losgelöst und zu einem bestimmten Gold-
quautura in Beziehung gesetzt. Die Goldeinfuhr Indiens hat von 1896
an erheblich zugenommen. Der Ueberschuß über die Goldausfuhr ein-
schließlich der eignen Goldproduktion, hat in dem Jahrzehnt 1896
bis 1905 etwa 1135 Millionen Mark betragen.
Japan hat nach Beendigung des Krieges mit China eine Reform
seines Geldwesens vorgenommen. Es hat die von China gezahlte Kriegs-
entschädigung benutzt, um sich das zum Uebergange zur Goldwährung
nötige Gold zu verschaffen. Die Goldwährung wurde eingeführt durch
6. Kapitel. A-usbreitung der Goldwähnmg und Silberentwertung. § 4. 189
ein Gesetz vom 29. März 1897. Bei der Durchführung des Gesetzes wurde
ein Teil des zirkulierenden Silbergeldes eingeschmolzen und verkauft.
Die Vereinigten Staaten schließlich sahen sich bereits im
Jahre 1893 genötigt, ihre silberfreundliche Politik aufzugeben. Nach-
dem die Brüsseler Konferenz von 1892 resultatlos auseinander gegangen
war, nachdem auf die Einstellung der indischen Silberprägung ein
neuer scharfer Preisrückgang des Silbers erfolgt und um dieselbe Zeit
eine panikartige Beunruhigung über das Schicksal der mit Silber über-
füllten amerikanischen Währung entstanden war, wurde der Kongreß
im Sommer 1893 zu einer außerordentlichen Session einberufen, in
der die Aufhebung der Sherman-Bill beschlossen wurde. In den
folgenden Jahren gab es heftige Kämpfe zwischen den Parteien, die
sich auf der einen Seite für freie Silberprägung, auf der anderen für
die Goldwährung erklärten. Seine schärfste Zuspitzung erfuhr dieser
Streit bei der Präsidentschaftswahl im November 1897, bei welcher
der Kandidat der Freisilberleute Bryan gegen Mc. Kinley unterlag.
Mc. Kinley, der aus innerpolitischen Gründen den Anhängern des
Silbers entgegenkommen wollte, schickte zwar nach seinem Amtsantritte
im Jahre 1898 eine Kommission nach Europa, die sich um ein inter-
nationales Abkommen zugunsten des Silbers bemühen sollte. In Europa
hatte sich inzwischen die bimetallistische Agitation nach dem heftigen
Preissturze des Silbers im Jahre 1893 von neuem erhoben und nament-
lich in Deutschland einen großen Umfang angenommen. Graf Caprivi
hatte im Jahre 1894 eine Kommission „behufs Erörterung von Maß-
regeln zur Hebung und Befestig-ung des Silberwertes" berufen, und
am 15. Februar 1895 hatte sich der Reichskanzler Fürst Hohenlohe
bereit erklärt, mit den Verbündeten Regierungen über die Zweck-
mäßigkeit eines Meinungsaustausches in der Währungsfrage mit
fremden Regierungen in Unterhandlungen zu treten. Eine Anfrage des
deutschen Reichskanzler in London, ob die englische Regierung even-
tuell bereit sei, die indischen Münzstätten wieder für das Silber zu
öffnen — ein Schritt, der als erste Vorbedingung für alle weiteren
silberfreundlichen Maßregeln erscheinen mußte — , wurde jedoch negativ
beantwortet, und aufgrund dieser Antwort beschloß der Bundesrat am
23. Januar 1896, der Resolution des Reichstags vom Februar 1895,
welche die Einberufung einer internationalen Münzkonferenz verlangte,
keine Folge zu geben. Bald darauf (am 17. März 1896) erklärte die
englische Regierung im Unterhause, daß nach der einstimmigen Ansicht
des Kabinetts eine Preisgabe der Goldwährung für England unmöglich
sei, daß sie aber, wenn mehrere ausländische Staaten die freie Silber-
prägung wieder herstellten, die Oeffnung der indischen Münzstätten und
andere kleinere Konzessionen an das Silber in Erwägung zu ziehen
bereit sei.
So war die Lage, als im Jahre 1898 die amerikanische Silber-
gesandtschaft nach Europa kam. Sie fand in Frankreich, wohin sie
sich zunächst wendete, bei dem Kabinett Mölinc das weiteste Entgegen-
kommen. Gemeinschaftlich mit Frankreich wurden die Verhandhingen
in London fortgesetzt. Frankreich sowohl als auch die Union erklärten
sich bereit, die Silberprägung auf Grundlage des alten Wertverhält-
190 Erstes Buch. II, Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
nisses von 1 : 15,5 freizugeben, ^vobei die Freigabe der Silberprägnng
in allen anderen Staaten, auch in England, als wünschenswert bezeichnet
wurde. Nachdem England dieses Ansinnen kurzer Hand abgelehnt
hatte, wurden andere Propositionen gemacht, deren wichtigste die
Wiedereröffnung der indischen Münzstätten für das Silber war; außer-
dem sollte England dem Silber in seiner eignen Zirkulation einen
breiteren Kaum gewahren und sich zu jährlichen Silberankäufen von
bestimmter Höhe verpflichten.
Das englische Kabinett gab die Entscheidung über die Oeffnung
der indischen Münzstätten in die Hand der indischen Regierung selbst.
Diese sprach sich in einem ausführlich begründeten Entschlüsse gegen
die Wiederherstellung der freien Silberprägung aus. Die Einstellung
der Silberprägung habe ihren Zweck, den Rupienknrs auf 16 d zu be-
festigen, nahezu erreicht, es liege mithin in den indischen \"erhältnissen
kein Grund vor, die erfolgreiche Maßregel wieder rückgängig zu machen.
Ein auf Frankreich und die Vereinigten Staaten beschränkter Bimetallis-
mus biete keine ausreichende Sicherheit für die Befestigung des Wert-
verbältnisses, ein Fehlschlag des geplanten Experiments müsse aber
die Lage Indiens aufs neue außerordentlich verschlimmern. Außerdem
müsse, nachdem sich die indischen Verhältnisse dem gesunkenen Silber-
werte und Kupienkurse angepaßt hätten, eine so pöltzliche und starke
Erhöhung des Silberpreises, wie sie in der von Frankreich und Amerika
proponierten Relation liege, für die gesamte indische Volkswirtschaft die
verhängnisvollsten Wirkungen haben.
Mit dieser Antwort war das Schicksal der Verhandlungen end
gültig entschieden.
Die Bewegung zugunsten der Wiederherstellung der freien Silber-
prägnng und der internationalen Doppelwährung ist in der Folgezeit
allmählich eingeschlafen.
Die Vereinigten Staaten haben sich mit den gegebenen Verbält-
nissen abgefunden. Sie haben darauf Bedacht genommen, ihren Gold-
vorrat erheblich zu stärken, und das ist ihnen dank ihrer günstigen
Handelsbilanz in größtem Umfange gelungen. Während sie in den
sämtlichen Jahren von 1889 bis 1896 eine Mehrausfuhr von Gold zu
verzeichnen hatten, betrug der Ueberschuß der Goldeinfuhr in den drei
Jahren 1897 bis 1899 etwa 200 Millionen Dollar. Wenn auch alles
in allem in dem Jahrzehnt 1891 bis 1900 die Ausfuhr von Gold um
etwa 270 Millionen Mark die Einfuhr überwog, so stand dieser Mehr-
ausfuhr doch eine gleichzeitige eigne Goldproduktion im Werte von etwa
2,1 Milliarden Mark gegenüber, sodaß sich der Gesamtzuwachs der
Vereinigten Staaten an Gold während des genannten Jahrzehnts auf
etwa 1,8 Milliarden Mark berechnet. In den dreizehn Jahren 1901
bis 1913 sind in den Vereinigten Staaten per Saldo rund 360 Millionen
Mark Gold zugeflossen, was zusammen mit einer eignen Goldproduktion
in Höhe von 4850 Millionen Mark einen Goldzuwachs von 5210 Millionen
Mark ergibt.
Auch gesetzlich haben die Vereinigten Staaten die Konseqnenzen
aus der währungspolitischen Weltlage gezogen: eine Bill vom 14.März 1900
6. Kapitel. Ausbreitung der Goldwährung und Silberentwicklnng. §4. 191
hat den Golddollar formell als die Währungeeinheit der Vereinigtea
Staaten proklamiert.
Die Töllige Aendernng der währnngspolitischen Situation fand einen
prägnanten Aosdrock in internationalen Verhandlungen, die im Jahre
1903, aach diesmal wieder auf Betreiben der Vereinigten Staaten,
geführt worden.
Durch ein Gesetz vom 3. März 1903 wurde in den Vereinigten
Staaten eine Kommission eingesetzt, die entsprechend einer von den
Regierongen Mexikos und Chinas ausgegangenen Anregung sich mit
der Frage der Schafifong eines festen Wertverhältnisses zwischen dem
Gelde der Goldwährongsländer und der Länder mit Silberumlauf be-
fassen sollte („to bring about a fixed relationship between the moneys
of the goldstandard countries and the present silver using couutries").
Das Programm dieser Kommission sprach also nicht mehr von der
„Hebung und Befestigung des Silberwertes"; das Metall Silber und
sein Schicksal traten vielmehr in den Hintergrund gegenüber dem
Interesse an stabilen Wechselkursen zwischen den Goldwährungsländern
und den noch vorhandenen Silberländern,
Gewiß hatten die Valutadifferenzen zwischen Gold- und Silber-
ländern auch im Währungsstreite der vergangenen Jahrzehnte und auf
den sich mit der Wiederherstellung des Silberwertes und dem
Bimetallismos befassenden Münzkonferenzen eine große Rolle gespielt.
Aber der Unterschied war, daß man früher in der Befestigong des
Wertverhältuisses zwischen Silber ond Gold, die nor im Wege des in-
ternationalen Bimetallismos erreichbar sein sollte, das einzige Mittel zur
Beseitigung der Valutaschwankungen gesehen hatte, während man jetzt
ganz bewußt auf Festlegung des Silberwertes und Bimetallismus ver-
zichtete. Daß auch bei einem solchen Verzichte eine Stabilität der
Wechselkurse zwischen Gold- und Silberländern zu erreichen war, hatte
inzwischen das Beispiel Indiens schlagend gelehrt.
Die amerikanische Kommission besuchte zusammen mit einer mexi-
kanischen Kommission Paris, London, den Haag, Berlin und Petersburg
ond verhandelte dort, unter Mitwirkong der diplomatischen Vertreter
Chinas, das im übrigen die Wahrong seiner Interessen der amerikanischen
Union überlassen hatte, mit den von den betreffenden Regierongen be-
stellten Vertretern. Es kam der Kommission dabei mehr aof eine das
Problem klärende Aossprache mit den Sachverständigen der ver-
schiedenen Länder an, als auf die Herbeiführung von Beschlüssen von
unmittelbarer praktischer Tragweite. Insbesondere lehnten es die
amerikanischen und mexikanischen Mitglieder überall ausdrücklich ab,
die Goldwährongsländer zu irgendwelchen Aenderungen ihrer Münz-
gesetzgebung zugunsten des Silbers oder zu Silberankäufen über den
effektiven Verkehrsbedarf hinaus veranlassen zu wollen. Die Aussprache
hatte das Ergebnis, daß allgemein die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit
einer Stabilisierung der Valota der Länder mit Silberomlaof aof einer
Goldbasis anerkannt wurde; auch hinsichtlich der Mittel, durch die
das Ziel erreicht und dauernd sicher gestellt werden könne, ergab sich
eine weitgehende Uebereinslimmung: Beschränkung der Ausprägung voa
192 Erstes Buch. II. Abschuitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Silberkurant und womöglich Schaffung einer aus den Silberprägegewinuen
zu alimentiercnden Goldreserve zum Zwecke der Aufrechterhaltung des
Wechselkurses gegenüber vorübergehenden ungünstigen Gestaltungen
der Zahlungsbilanz. Auch darüber war mau sich klar, daß für das
große und wichtige Chinesische Reich die Lösung des Problems ganz
besondere Schwierigkeiten bieten würde, weil hier ein eigentlicher
MUnzumlauf überhaupt erst noch zu schaffen war.^)
Aus den Beratungen zog Mexiko alsbald die praktischen Kon-
sequenzen. Durch ein Gesetz vom 9. Dezember 1904, das durch Dekret
vom 25. März 1905 in Kraft gesetzt wurde, erfuhr das mexikanische
Geldwesen unter Beibehaltung des Silberkurantgeldes eine Neuordnung
auf der Goldbasis. Der Goldpeso im Gehalte von ^^ g Feingold (im
genauen Gehalte des japanischen Gold- Yen) wurde zur ßechnungseinheit
des Geldsystems erklärt. Die der AusmUnzung von Gold- und Silber-
münzen zugrunde gelegte Relation ist 1 : 32,6, entsprechend einem
Londoner Silberpreise von 28,44 d. Neue Silbermünzen dürfen nur
gegen Einlieferuug von Gold ausgeprägt und verabfolgt werden. Zur
Sicherung der ins Auge gefaßten Goldparität wurde eine Goldreserve
gebildet, der die Gewinne aus der Silberprägung zuwachsen.
Schon vorher, im Jahre 1903, hatten die Vereinigten Staaten das
Geldwesen der Philippinen auf ähnlicher Basis geordnet; gleichartige
Reformen wurden durchgeführt in den Straits-Settlements und in einigen
anderen Kolonialgebieten.
Die vorübergehende Steigerung des Silberpreises in den Jahren
1906 und 1907 brachte für diese Länder, ebenso wie für Japan,
einige Ungelegenheiten. Der Münzfuß des Silbergeldes in den ge-
nannten Gebieten entsprach durchweg einem Londoner Silberpreise
von ungefähr 29 d. Als nun nach der Beendigung des russisch-
japanischen Krieges der Bedarf an Silber für Ostasien ungewöhnlich
große Dimensionen annahm und den Silberpreis bis auf 33 d und da-
rüber hob, begann das Silber aus den Ländern mit der neuen Gold-
valuta genau ebenso zu verschwinden, wie in den 50er Jahren des
vorigen Jahrhunderts aus Frankreich und den übrigen Ländern des
späteren Lateinischen Münzbundes. Man griff zu Gegenmaßregeln,
Mexiko führte einen Ausfuhrzoll von zehn Prozent vom Nominalwert
auf seine Silbermünzen ein; Japan setzte den Feingehalt seiner Silber-
echeidemüuzen um 25 Prozent herab; die gleiche Reduktion des Silber-
gehaltes nahmen die Straits sogar mit ihrem Silberkurantgelde vor,
nachdem sie vorher den Sovereign mit einem festen Kurse zum gesetz-
lichen Zahlungsmittel gemacht hatten.
Wenn man alle die geschilderten Aenderungen, die durch das
Vorgehen einer Anzahl kleinerer Wirtschaftsgebiete ergänzt wurden,
überblickt, dann ergibt sich die Wahrnehmung, daß die Goldwährung
und der Gebrauch des Goldgeldes innerhalb der zwei Jahrzehnte von
1890 bis 1910 eine Ausdehnung erfahren haben, die sich sehr wohl
vergleichen läßt mit den Vorgängen der 70er Jahre des vorigen Jahr-
^) Siehe den Report on the introduction of the gold-exchange Standard into
China and other silver-using countries, Drucksachen des amerikanischen Repräsen-
tantenhauses 1903. No. 144.
6. Kapitel. Ansbreitung der Goldwährung und Silberentwerlang. §4. 193
Monetärer Ed elmetallvorrat der Welt a m 31. Dezember 1913.
Länder
Deutschland . . .
England . . . .
Oesterreich-Üngam
Rußland . . . .
Finuland . . . .
Niederlande . . .
Portugal . . . .
Türkei
Dänemark . . , .
Norwegen ....
Schweden ....
Frankreich . . .
Belgien . . , .
Italien
Schweiz ....
Griechenland . .
Spanien ....
Bulgarien ....
Riiiuänien ....
Serbien ....
Europa .
Vereinigte Staaten .
Kanada
Ari;entinien . . .
Bolivien ....
Brasilien . . .
Chile . . . . [
Ecuador ....
Guayana (Brit.) , .
(Hell.). .
Kolumbien . , .
Paraguay ....
Peru
Uruguay ....
Teiiezuela ....
Kuba
Haiti
Mexiko
Zeutralamerika .
Amerika
Aetrypten ....
Süiliifrika . . .
Afrika . .
A ustralien
Gold
Silber
Millionen Mark
3 820,0
3 486,4
1 244,5
4 248,3
52,7
255,8
310,1
598,1
170,0
109,2
115,5
5 040,0
287,7
1115,1
184,0
133,6
388,5
41,2
177,2
50,4
21 828.3
7 999,7
598,5
1 228,9
33,6
378,4
2,1
20,2
3,8
0,4
16,8
7,1
84,0
62,2
7,6
126,0
8.2
131.0
8,4
10 716.9
803.5
63.0
8(;6,
Japan
Koroa
Indien
Siam
Straiti
Asien
909.8
548,8
7,1
1 570,8
0.4
5,0
l,?2,l
Insgesamt )
H«lff«rl*h, Da» Geld.
36 453.1
1 150,0
531,3
524,2
331,0
11,5
118,4
139,0
110,9
31,5
17,2
6,3
1 726,6
171,3
101,1
64,7
12,6
986,2
20,2
63,4
3.4
6 120,8
3 120,8
551,0
39,5
2,9
105,0
35,7
5,9
4,2
0,8
16,8
10,1
18,1
3,8
2,1
235,2
49,1
4 201,0
76,0
11,3
87,3
42,0
299,4
14,3
3 759,0
186,9
29.4
4 2H9.0
14 740,1
Auf_(üm_Kopf der Bevölkerung
Gold I ~Süber 1 Summa
56,8
76,8
24,9
25,9
17,0
42,6
51,7
25,1
60,7
45,5
20,6
127,3
38,4
31,9
49,7
44,5
19,8
9,4
24,3
JLL.
43,7
81,5
83,1
170,7
14,6
16.4
0,6
13,5
12,7
4,0
3,2
8,9
18,7
51,8
2.8
57,3
4,1
8,7
4.7
59.9
71,1
10.5
.^0,1
189.4
10,4
0,5
6.4
0,1
2.5
35,7
Mark
17,1
11,7
10,5
2,0
3,7
19,7
23,2
4,7
11,3
7,2
1,1
43,6
22,7
2,9
17,5
4,2
50,3
4,6
8,7
1,2
12.3
31,8
76,5
5,5
1,3
4,5
10,5
3,9
14,0
8,0
3,2
2,2
15,1
1,4
0,9
15,6
27.8
23.5
6,7
1.9
5.0
8,8
5,6
1,1
15,4
23,1
14.7
14,4
73,9
88,5
35,4
27,9
20,7
62,3
74,9
29,8
72,0
52,7
21,7
170,9
61,1
34,8
67,2
48,7
70,1
14,0
33,0
18.6
56.0
113,3
159,6
176,2
15,9
20,9
11,1
17,4
26,7
12,0
6,4
8,9
20,9
66,9
4,2
58,2
4,1
24,3
32,0
8.S,4
77,8
iy.4
55.1
19H.2
16,0
1,6
21,8
23,2
17.2
''.*> I 13.4 I 20,0
50.1
IS
194 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der EdelmetallTcrhältnisse.
hünderts. Hier wie dort hatte es die gewaltige Vermehrung des Gold-
vorrates möglich gemacht, dieses Metall in einer erheblich erweiterten
territorialen Ausdehnung als Geldstoff zu verwenden. Die internationale
Währungsverfassung hatte so vor dem Aushrueh des Weltkrieges eine
nahezu vollständige Konsolidierung auf der Basis des Goldes erfahren.
lieber die tatsächlichen Verhältnisse des Geldumlaufs der einzelnen
Länder kurz vor Ausbruch des Weltkrieges gibt die nach den Schätz-
ungen des amerikanischen MUnzdirektors berechnete Tabelle auf S. 193
eine ungefähre Uebersicht.
7. Kapitel.
Die Entwicklung des Geldwesens seit dem Ausbruch des Weltkrieges.
§ 1. Die ErschütternDg des Geldwesens durch den Weltkrieg.
Das Geldwesen der Kulturwelt hatte in den vier Jahrzehnten des
europäischen Friedens, des beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs
in allen Erdteilen und der ebenso beispiellosen Entfaltung der inter-
nationalen Wirtschaftsbeziehungen eine Entwicklung durchgemacht, die
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung adäquat war; eine Entwicklung,
welche die Geldverfassung der einzelnen Länder festigte und die gleich-
zeitig dem Verhältnis zwischen den Geldsystemen der einzelnen Wirt-
schaftsgebiete einen solchen Grad von Sicherheit und Beständigkeit
verlieh, daß sich ohne vertragsmäßige Bindung aus dem Nebeneinander
der einzelnen nationalen Geldverfassungen eine wohlgeordnete und fest-
begründete internationale Geldverfassung, beruhend auf der gemeinsamen
Grundlage der Goldwährung, herausstellte. Diese internationale Geld-
verfassung war ein integrierender Bestandteil des ganzen weltwirtschaft-
lichen Systems; sie war Voraussetzung für dessen Funktionieren und
Weiterbestehen, und gleichzeitig hing ihr eignes Arbeiten und ihr
eigner Fortbestand von dem ungestörten Funktionieren des Weltwirt-
schaftssystems ab.
Der Weltkrieg hat, indem er die einzelnen nationalen Wirtschaften
aufs schwerste erschütterte und die Weltwirtschaft desorganisierte, in-
dem er gleichzeitig den staatsiinanziellen, politischen und sozialen Zu-
stand der einzelnen Länder und der Welt revolutionierte, auch die
Verhältnisse des Geldwesens von Grund aus verändert und anstelle
der Ordnung und ruhigen Entwicklung Unordnung und Gärung in einem
Ausmaße hervorgerufen, wie es bisher noch nie gesehen wurde.
Alle am Kriege beteiligten Staaten sahen sich vor der Notwendig-
keit, ebenso wie ihre ganze Wirtschaft, so auch ihr Geldwesen in den
Dienst der Kriegführung zu stellen. Auch die neutral gebliebenen
Staaten, deren finanzielle und wirtschaftliche Außenbeziehungen durch
den Krieg sofort berührt, und, je länger der Krieg dauerte und je
weiter er sich ausdehnte, desto mehr in Mitleidenschaft gezogen wurden,
sahen sich zu einschneidenden Maßnahmen auf dem Gebiete des Geld-
wesens genötigt.
\
I
7. Kapitel. Entwicklung des GeldwesMs seit Auibrach des Weltkrifges. § 2. 195
§ 2. Scbmtz mnd Stärknni: der Batitnalen Goldbestände.
Eine Notwendigkeit, die sich sofort überall aufdrängte, war der
Schutz des nationalen Goldvorrates.
Der Kriegsausbruch hatte zur unmittelbaren Wirkung eine Er-
schütterung allen Kredits. In den Außenbeziehungen der einzelnen
Länder machte sich das noch stärker fühlbar als im inneren Verkehr.
Anstelle der Zahlungen im Wege des Kredits und der Verrechnung
trat im größten Umfange wieder der Barverkehr, und Barrerkehr nach
Außen hieß Zahlung in effektivem Gold, Gewiß wurde der Außen-
handel der am Kriege beteiligten Länder — insbesondere der Mittel-
mächte, die nicht mehr über den freien Seeverkehr verfügten — durch
den Krieg beträchtlich eingeschränkt. Aber die Erhaltung eines Teiles
des Außenhandels, nämlich der Zufuhr von Nahrungsmitteln, Rohstoffen
und anderen lebens- und kriegswichtigen Waren, stellte sich als eine
Frage von Sein oder Nichtsein dar. Und die elementarste Vorsicht gebot
damit zu rechneu, daß diese Zufuhren zu einem großen Teil in effek-
tivem Golde bezahlt werden müßten. Es galt also, die greifbaren na-
tionalen Goldbestände für diesen Zweck zu reservieren und sie wo-
möglich zu verstärken. Diese Notwendigkeit kollidierte mit der Einlös-
barkeit von papiernen Geldzeichen und Scheidemünzen in Gold, und
sie trug überall den Sieg davon.
Die Schutzmaßnahmen für die nationalen Goldressrven wurden
in den einzelnen Ländern in verschiedenen Formen durchgeführt. Teils
wurde durch unmittelbare gesetzgeberische Eingriffe die Einlösung des
unterwertigen Geldes in Goldgeld iUBpendiert, teils begnügte man sich,
ohne zur gesetzlichen Aufhebung der Goldeinlösung zu greifen, mit
Verwaltungsraaßnahmen, die jedoch in ihrer Wirkung gleichfalls auf
die Einstellung der Goldeinlösung hinauskamen.
In Deutschland wurden sofort bei Kriegsausbruch, am
4. August 1914, eine Reihe wirtschaftlicher und finanzieller Notgesetze
erlassen, die seit Jahrzehnten aufgrund der im Kriege 1870/71 gemachten
Erfahrungen und der seither in anderen Kriegen gemachten Beobachtungen
für den Kriegsfall zum Zwecke der finanziellen Mobilmachung vor-
bereitet waren. Von diesen Maßnahmen galten die folgenden dem Schutze
und der Stärkung der nationalen Goldreserven:
Zunächst wurde die Reichsbank von der Verpflichtung befreit,
ihre Banknoten in Reichsgoldmünzen einzulösen; ebenso die Reichs-
hauptkasse von der Verpflichtung der Goldeinlösung der Reichskassen-
scheine. Letztere erhielten, um ihren Umlauf trotz der Einstellung der
Goldeinlösung zu sichern, die Eigenschaft als gesetzliches Zaliluiigs-
niiltel, die den Reichsbauknoten schon durch die Banknovelle vom
1, Juni 1909 beigelegt worden war. Gleichzeitig wurde bestimmt,
daß bei der Einlösung von Silber-, Nickel- und Kupferscheidemünzeu
(§ 9 des Münzgesctzes) anstelle der ReicbsgoUlniünzen Reichskassen-
scheine und Rt'ichslianknoten verabfolgt werden könnten.
Die Aufhebung der Goldcinlösung von Reich.skassenscheinen,
Reichsbanknoten und Scheidemünzen wurde im Laufe der weiteren Ent-
wicklung ergänzt durch Verbote des Goldhandels und insbesondere der
IS*
1 96 Erates Bucb. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Goldaasfuhr. Am 23. November 1914 erging eine Bandesratsverordnang,
die den Agiohandel mit Reiehsgoldmllnzen unter Verbot stellte. Am
13. November 1915 wurde, gleichfalls durch Bnndesratsverorduung, die
Ausfuhr und Durchfuhr von Gold untersagt. Schon seit Kriegsbeginn
war im Wege von Verwaltungsmaßuahmen die Ausfuhr von Gold praktisch
unterbunden worden.
Mit diesen Abwehrmaßnahmen ging Hand in Hand das Bestreben,
den für Kriegszwecke verwendbaren Goldbestand der Reichsbank durch
Zuführung von Gold aus dem mit Goldgeld gesättigten freien Geldumlauf
und schließlich auch aus dem privaten Besitz von goldenen Schmuck-
sachen nach Möglichkeit zu stärken.
Schon in den Jahren vor dem Kriegsausbruch hatte die Reichs-
bank planmäßig die Politik verfolgt, die monetäre Goldreserve Deutsch-
lands nach Möglichkeit bei sich zu konzentrieren. Man ging dabei von
der zutreflfenden Ansicht aus, daß ein in den Tresors der Zentralnoten-
bank konzentrierter Goldbestand für den Fall wirtschaftlicher Krisen
und politischer Verwicklungen ein weit wirksameres Instrument sei
als der gleiche, in die zahllosen Kanäle des Verkehrs verteilte Gold-
betrag. Der UeberfUhrung eines Teiles des freien Goldumlaufs in die
Reichsbank hatte vor allem auch das oben (S. 157) erwähnte Gesetz
vom 20. Februar 1906 gedient, das der Reichsbank die Befugnis zur
Ausgabe kleiner Banknoten (auf 50 und 20 Mk. lautend) erteilte. Der
Erfolg dieser Politik war schon vor dem Kriege sehr ansehnlich.
Während der durchschnittliche Goldbestand der Reichsbank im Jahre 1900
mit 570,7 Millionen Mark nicht allzuviel über denjenigen des Jahres
1890 mit 513,6 Millionen Mark hinausgegangen war, stellte sich der
durchschnittliche Goldvorrat des Jahres 1910 auf 777,8 Millionen, des
Jahres 1913 auf 1067,6 Millionen Mark. In der ersten Hälfte des
Jahres 1914 hatte sich diese günstige Entwicklung in beschleunigtem
Tempo fortgesetzt, mit der Wirkung, daß der Goldbestand der Reichs-
bank — trotz der in der letzten Juliwoche infolge der Kriegspanik
eingetretenen starken Goldentziehung — am 31. Juli 1914 sich auf
1253,2 Millionen Mark stellte.
Sofort nach Kriegsausbruch wurde, wie für diesen Fall vorgesehen,
der in Reichsgoldmünzen bestehende Reichskriegsschatz von 120 Millionen
Goldmark der Reichsbank überwiesen; ebenso die weitere Goldreserve
des Reichs, die aufgrund eines Gesetzes vom 3. Juli 1913 in Verbindung
mit einer Vermehrung der Reichskassenscheine von 120 auf 240 Millionen
Mark geschaffen worden war und die inzwischen den Betrag von
85 Millionen Mark erreicht hatte. Damit wurde der Goldbestand der
Reichsbank in den ersten Tagen des Krieges auf rund 1460 Millionen
Mark gebracht.
Eine noch viel beträchtlichere Vermehrung des Goldbestandes der
Reichsbank wurde durch den Appell an die vaterländische Gesinnung
erreicht. Es wird stets ein Ruhmestitel für das deutsche Volk sein,
daß es mit einer jedes eigensüchtige Interesse zurückstellenden Bereit-
willigkeit sein Gold gegen Papier hingab, um dem Vaterlande zu helfen.
Die Einiieferungen von Gold aus dem freien Verkehr waren so stark,
daß der Goldbestand der Reichsbank schon am 7. Dezember 1914 den
I
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Änsbruch des Weltkrieges. § 2. 107
Betrag von 2 Milliarden Mark überschritt und daß er am 31. Dezem-
ber 1914 den Betrag von 2092,8 Millionen Mark erreichte. Das war in
5 Monaten eine Netto-Zonahme von mehr als 630 Millionen Mark. Der
Zufluß aus dem freien Verkehr an die Reichsbank war noch erheblich
größer; denn über jene 630 Millionen Mark hinaus wurden aus ihm
die sehr beträchtlichen Goldzahlungen für Kriegsbedürfnisse aller Art
an das Ausland bestritten.
In den folgenden Kriegsjahren fand, dank einer eifrigen und ge-
schickten Propaganda, der Goldzufluß aus dem freien Verkehr und
Privatbesitz an die Keichsbank seine Fortsetzung, wenn auch in einem
sich allmählich verringerndem Maße. Am Ende des Jahres 1915 war
der Goldbestand der Reichsbank auf 2445 Millionen Mark, Ende 1916
auf 2 520 Millionen Mark angewachsen. Am 15. Juli 1917 erreichte
er mit 2 533,3 Millionen Mark seinen Höhepunkt, Er übertraf damit
um 1073 Millionen Mark den Stand bei Kriegsausbruch, wie er sich
nach Zuführung des Spandaner Kriegsschatzes und der Goldreserve des
Reiches ergeben hatte. Diese Stärkung um mehr als 1 Milliarde Mark
war in ununterbrochenem Zustrom erzielt worden, obwohl die Reichs-
bank gleichzeitig viele hunderte Millionen Goldmark für die Finanzierung
lebens- und kriegswichtiger Einfuhren zur Verfügung gestellt hatte.
Von der Mitte des Jahres 1917 waren die Goldreserven des freien
Verkehrs soweit ausgeschöpft, daß der weitere Zufluß zur Reichsbauk
die immer stärker werdenden Anforderungen von Gold für Auslands-
zahluugen nicht mehr zu decken vermochte. Der Goldbestand der
Reichsbank fing an, langsam zurückzugehen, Ende des Jahres 1917
betrug er 2407, Ende Juni 1918 noch 2 346 Millionen Mark. Wenn
dann wieder eine Vermehrung bis auf 2 550 Millionen Mark am
7. November 1918 eintrat, so war die Ursache dieses neuen Zuwachses
lediglich das russische Gold, das aufgrund des Zusatzvertrages zum
Frieden von Brest-Litowsk der deutschen Regierung ausgehändigt wurde.
Dieses russische Gold mußte jedoch aufgrund des Art. XIX. des Wafl"en-
stillstandsvertrages der Entente ausgeliefert werden. Das Jahr 1918
schloß mit einem Reichsbank-Goldbestand in Höhe von 2 262 Millionen
Mark, der immerhin noch mehr als doppelt so hoch war wie der durch-
schnittliche Stand des Jahres 1913.
Aehnliche Maßnahmen wie in Deutschland wurden zum Schutz
und Stärkung des greifbaren Goldbestandes auch in den anderen krieg-
führenden Ländern und in zahlreichen neutralen Staaten getroffen.
Was die Abwehr von Angrifi'en auf die Goldbestände der Zentral-
notenbanken betriffst, so hat man nicht überall — wie in Deutschland
und Frankreich — zu einer klaren und gesetzlichen Einstellung der
Goldeinlüsung der Bauknoten usw. gegriß'eu. Insbesondere in England
hat man auf einen solchen unmittelbaren Eingritf der Gesetzgebung
verzichtet, das gleiche Ziel aber durch praktische Maßnahmen erreicht.
Die Macht der Staatsgewalt und der Bank von England über die Ge-
schäftswelt, verbunden mit der nationalen Disziplin, erwies sich als
stark genug, um private Geldentnahnien aus der Bank von England
tatsächlich zu verhindern. Jeder Engländer, der entgegen dem Willen
der Regierung und der Bauk von England von seinem gesetzlichen
198 Erstes Blich. II. Abschnitt. Die Geitaltung der Edelnietallverhältnisse.
Kecht, Banknoten zur Einlösunfr in Goldgeld zu präsentieren, Gebrauch
gemacht hätte, wäre als Geschäftimaun und Mitglied der staatlichen
Gemeinschaft völlig erledigt gewesen. Die Hank von England konnte
die Einlösung der Noten und die Auszahlung der bei ihr stehenden
Guthaben in Gold auch ohne formalen Kechtigrund verweigern, ohne
befürchten zu müssen, daß irgend jemand gegen sie die Gerichte an-
rufen würde.
Der drohende geschäftliche und soziale Verruf aller derjenigen,
welche entgegen dem nationalen Willen und dem nationalen Interesse
versucht hätten, der Bank von England Gold zu entziehen, kam —
und kommt bis auf den heutigen Tag — in seiner praktischen Wirkung
einer gesetzlichen Eingtellung der Goldeinlösung vollkommen gleich;
dies um so mehr, als sofort nach Kriegsausbruch auch England ein Aus-
fuhrverbot für Gold erlassen hat.
Unmittelbar bei Kriegsausbruch eustand allerdings in der britischen
Finanzwelt eine schwere Panik, die sich u. a. in einem ,,run" auf die
Bank von England äußerte. In den wenigen Tagen vom 22. Juli bis
7. August 1914 «ah die Bank ihre Goldreserven von 38,6 auf 26 Millionen
Pfund zusammenschmelzen. Die Erhöhung des Bankdiskonts von S"/, bis
auf lO'* , erwies sich gegenüber dieser Goldentziehung als wirkungslos.
Man mußte, um einen völligen Zusammenbruch zu verhindern, zu dem
gewaltsamen Mittel greifen, die sämtlichen Banken vom Mittag des
1. August bis zum Morgen des 7. August völlig zu schließen. In der
Zwischenzeit wurde der Regierung die gesetzliche Ermächtigung zur
Suspendierung der Bankakte gegeben, wurde ihr die Befugnis zur Aus-
gabe von Staatspapiergeld (Currency-Notes) erteilt, wurde durch den
Erlaß eines Moratoriums und anderer Maßnahmen für Beruhigung
gesorgt. Als die Bank von England am 7. August ihre Schalter wieder
öffnete, wußte sie mit den oben angedeuteten Mitteln auch ohne gesetz-
liche Suspendierung der Noteneinlösung die Ansprüche auf Gold von sich
fern zu halten.
Die Heranziehung von Gold zur Stärkung der nationalen Reserven
war für die gegen uns im Kriege stehenden Länder insofern leichter,
als sie nicht von dem Verkehr mit den großen überseeischen Gebieten
der Goldgewinnung abgeschnitten und infolgedessen nicht ausschließlich
auf die Heranziehung von Gold aus dem inländischen freien Verkehr
und Privatbesitz angewiesen waren. Immerhin verzichteten auch unsere
Kriegsgegner nicht auf eine starke Propaganda für die Ueberführung
des Goldes aus den privaten Kassenbestäuden in die Tresors der
Zentralbanken. Der Erfolg war namentlich in Frankreich sehr an-
sehnlich. Es sollen während des Krieges rund 2^/, Milliarden Fr. Gold
ans dem freien Verkehr der Bank von Frankreich zugeführt worden
sein. In den Ausweisen der Bank von Frankreich kommt diese Zu-
führung ebensowenig voll zum Ausdruck, wie der gleichzeitige Vor-
gang bei uns in den Ausweisen der Reichsbank; denn auch Frankreich
hatte aus seiner nationalen Goldreserve große Auslandszahlungen zu
bestreiten, wenn ihm auch in weit größerem Umfange als Deutschland
für diese Zwecke Auslandskredite — namentlich von England und den
Vereinigten Staaten — zur Verfügung gestellt wurden. Zur Sicherung
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 2. 199
dieser Auslandskredite sah sich die französische Regierung allerdings
genötigt, die Bank von Frankreich zu veranlassen, einen nicht unerheb-
lichen Teil ihrer Goldreserve an das Ausland — namentlich an die
Bank von England — zu überführen und dort zu verpfänden. Im
Ganzen hat sich der Goldbestand der Bank von Frankreich während
des Krieges wie folgt entwickelt:
Goldbestand der Bank von Frankreich
(in Millionen Frank)
im Inland
im Ausland
zusammen
4 141
3 900
5 015
5 076
5 351
5 486
30. Juli 1914
Ende 1914
„ 1915
„ 1916
„ 1917
» 1918
4141
3 900
5 015
3 383
3 314
3 449
1693
2 037
2 037
Die Konzentration des Goldes in der Zentralnotenbank hat also
in Frankreich später eingesetzt als in Deutschland. Das Jahr 1914
zeigt vom Kriegsausbruch an eine Abnahme des Goldbestandes der
Bank. Erst im Jahre 1915 wurden große Erfolge erzielt. Aber nicht
nur die gesamten Ablieferungen an die Bank, sondern noch erhebliche
Beträge darüber hinaus gingen an das Ausland, teils endgültig in der Form
von Zahlungen, teils vorläufig in der Form der Verpfändung. Der im
Inland ruhende Goldbestand der Bank von Frankreich war am Ende des
Jahres 1918 um einige 600 Millionen Fr. geringer als bei Kriegsausbruch.
Der Bank von England standen für die Stärkung ihres Gold-
vorrates wirksamere Mittel zu Gebote als irgendeinem anderen zentralen
Noteninstitut. Sie brauchte sich nicht auf die Heranziehung von Gold
aus dem inländischen Verkehr oder auf die private Goldzufuhr von
außen zu beschränken, sondern konnte die Machtmittel des britischen
Imperiums für sich einsetzen.
Eine Vermehrung ihres Goldbestandes erzielte sie in den ersten
Wochen und Monaten nicht nur durch die Heranziehung von Gold aus
dem freien Verkehr und aus den nicht unbeträchtlichen Goldreserven der
privaten Depositenbanken, sondern vor allem durch eine Reihe be-
sonderer Maßregeln. Zunächst wurden die in London vorhandenen
ägyptischen und indischen Goldreserven dem Goldvorrat der Bank von
England einverleibt. Außerdem errichtete die Bank von England Gold-
depots in Australien, Südafrika und Kauada, denen das dort aus der
Neuproduktion — in Kanada auch aus Zahlungen der Vereinigten Staaten
— verfügbar werdende Gold zugeführt und die von nun an in die
Goldreserven der Bank von England mit eingerechnet wurden. Der
Erfolg war, daß bereits Anfang Dezember 1914 die Bank von England
ihren Goldbestand mit mehr als 70 Millionen £ ausweisen konnte, (gegen
2H Millionen £ am 7. August 1914).
Aber auf dieser Höhe vermochte die Bank von England ihren
Goldbestand nicht zu halten. Ende 1915 stellte sich ihr Goldbestand
200 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
anf etwa 50 Millionen £, ein Jahr später auf etwa 54, Ende 1917 nut
etwa 69 Millionen £. Erst in der zweiten Hiilfte des Jahres 1918 kam
es zu einer neuen erheblichen Steigerung, bis auf naheza 80 Millionen £
am Jahresschluß.
Bei dieser Entwicklung sind einerseits die drastischen Mittel zu
berücksichtigen, die England zur Alimentierung seiner zentralen Gold-
reserve ergrilT, andererseits die großen Goldhergabeu au das Ausland,
namentlich an die Vereinigten Staaten, zu denen sich die Bank als
Gegenmaßnahme gegen die Entwertung des Sterlingkurses gegenüber
dem Gelde der Union und der europäischen Neutralen veranlaßt sah.
Diese Politik der Verhinderung eines Zusammenbruchs der englischen
Valuta erforderte um so größere Opfer an Gold, als England nicht nur
das finanzielle Rückgrat und damit der Geldgeber für seine Alliierten,
sondern auch in großem Umfang deren „manufacturing partner" und
damit das Zentrum für die Beschaffung und Verarbeitung der für die
Kriegführung des Vielverbandes aus aller Welt herangeholten Roh-
stoffe war.
Die von England angewandten Mittel, diesen gewaltigen An-
forderungen zu genügen, waren einmal die Beschlagnahme der süd-
afrikanischen und australischen Goldproduktion zugunsten der Bank,
daneben aber ein starker Druck auf die eignen Alliierten. Nament-
lich Frankreich und Rußland mußten sich in Gegenleistung für die
ihnen von England gewährten Kredite dazu verstehen, ansehnliche Teile
ihres Goldbestandes ihrer Zentralbanken an die Bank von England
abzuführen.
Die „Mobilmachung des Goldes" war natürlich nur iu
Ländern wie Deutschland, Frankreich und England möglich, die über
einen stärkeren inneren Goldumlauf verfügten oder die in der Lage
waren, sich eine eigne Goldproduktion nutzbar zu machen, wie
England in seinen Dominions und Rußland im Ural und Sibirien. In
denjenigen kriegführenden Ländern, in denen diese Voraussetzungen
nicht zutrafen, waren die Goldbestände der Zentralbanken zu einem
sichtbaren Schwinden verurteilt. In Italien wirkten diesem Schwunde
die Kredite Englands und der Vereinigten Staaten einigermaßen entgegen;
der Goldbestand der Bank von Italien zeigt deshalb vom Ende dea
Jahres 1913 bis zum Ende des Jahres 1918 nur den verhältnismäßig
bescheidenen Rückgang von 1107 Millionen auf rund 820 Millionen Lire.
In Oesterreich-Ungarn fehlten solche Gegenwirkungen; das ver-
bündete Deutschland tat sich selbst schwer genug. In der Donau-
monarchie war der Goldbestand der Zentralbank schon Ende 1915
mit 685 Millionen Kronen nur noch wenig mehr als halb so hoch wie
vor Kriegsausbruch mit rund 1250 Millionen Kronen. Ende 1916 betrug
er nur noch 290 Millionen, Ende 1917 265 Millionen Kronen.
§ 3. Die Neutralen: Tom Schatz des Goldes znm Schutz gegen das Gold.
Schon aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich, daß die das
Gold betreffenden Vorgänge sich nicht in einer Mobilisation des freien
Goldumlaufs der kriegführenden Länder und dessen Konzentration in
den Tresors der Zentralnotenbankeu erschöpften, sondern daß außerdem
T.Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §3. 201
die Verwendung des Goldes zam Einkauf lebens- und liriegsnotwendiger
Waren im Auslände einen Abfluß von Gold aus den kriegfUlireuden
nach den neutralen Ländern zur Folge haben mußte.
Diese Verschiebung ist in ganz großem Umfange eingetreten.
Nicht gleich zu Anfang. Im Gegenteil! Zunächst suchten die
kriegführenden Länder, die über freien Verkehr mit der Außenwelt
und über umfangreiche Guthaben in dieser Außenwelt verfügten, vor
allem England und daneben auch Frankreich, ihre Guthaben möglichst
in barem Golde einzukassieren, um ihre eigne Goldposition zu stärken.
Die neutralen Staaten sahen sich dadurch ihrerseits zu Schutzmaßnahmen
für ihre Goldbestände ja teilweise zur Einstellung der Goldeinlösung
ihrer Banknoten veranlaßt. So gab in den Niederlanden ein Ge-
setz vom 3. August 1914 der Niederländischen Bank die Ermächtigung,
im Falle von Krieg oder Kriegsgefahr die Einlösung ihrer Noten aus-
zusetzen. In der Schweiz wurde die Nationalbauk bei Kriegsbeginn
von der Verpflichtung entbunden, ihre Noten in Metallgeld einzulösen.
Die skandinavischen Staaten folgten diesem Beispiel. Die
Vereinigten Staaten von Amerika sahen sich genötigt, in
der Zeit unmittelbar nach Kriegsausbruch größere Quantitäten von Gold
an Europa, namentlich an England, abzugeben.
Bald aber änderte sich infolge des wachsenden Material- und
Warenbedarfs der kriegführenden Staaten die Lage in dem oben au-
gedeuteten Sinne. Den Zentralbanken der neutralen Länder, die für
die Versorgung der Kriegführenden in erster Reihe in Betracht kamen,
strömte das Gold in einer nie gesehenen Fülle zu. Der Goldbestund
der Schweizerischen Natioualbank, der Ende 1913 rund
170 Millionen Fr. betragen hatte, erreichte Ende 1916 die Höhe vuu
345 Millionen Fr. und wuchs weiter auf 415 Millionen Fr. Ende 1918.
Aehnlich war die Entwicklung der drei skandinavischen Zentral-
banken. Die Goldreserve der Niederländischen Bank stieg
von 151 Millionen Gulden Ende 1913 auf 588 Millionen Ende 1916
und 698 Millionen Gulden Ende 1917. Die Bank von Spanien
sah ihren Goldbestand von 480 Millionen Pesetas Ende 1913 auf
1251 Millionen Ende 1916 und 2228 Millionen Pesetas Ende 1918
anwachsen. Die Federal ReserveBanks der Vereinigten
Staaten von Amerika, die erst gegen Ende des Jahres 1914 ihre
Tätigkeit aufnahmen und am Jahresschluß einen Goldbestand von 229 Mil-
lionen Dollar aufwiesen, verfügten Ende 1916 über eine Goldreserve
von 471 Millionen Dollar. Der Zuwachs war bis dahin angesichts der
gewaltigen Lieferungen der Union für die kriegführenden Staaten ver-
hältnismäßig bescheiden, da England und Frankreich zunächst ihren
großen Bestand an amerikanischen Wertpapieren als Zahlungsmittel be-
nutzen konnten. Das Jahr 1917, in dem die Vereinigten Staaten selbst
in den Krieg eintraten, brachte jedoch allein einen Zuwachs der Gold-
reserve der Federal Reserve Banks um 1200 Millionen Dollar auf
1671 Millionen, und das folgende Jahr zeigte eine weitere Zunahme
auf 2090 Millionen Dollar. Damit erreichte diese Reserve für sich
allein einen Umfang, der ungefähr der Summe der Goldbestände der
^02 Erstes Bück. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallrerhältnisse.
deutscheu Reicbsbauk, der Bank von England, der Bank von Frank-
reich und der Kusiischeu Staatsbank entsprach.
Auch die Bank von Japan vermochte ihren Goldbestand von
24,4 Millionen Yen Ende 1913 auf 712,9 Millionen Yen Ende 1918
zu steigern.
Nachdem bei den neutralen Ländern die erste kurze Phase der
Goldeutziehung durch die Kriegführenden überwunden war und sich
dafür ein immer stärker anwachsender Goldzufluß aus den Ländern
der Kriegführenden eingestellt hatte, sahen sich die Neutralen in der
Lage, die Schutzmaßnahmen für ihre Goldbestände milder zu handhaben
oder ganz fallen zu lauen.
Bald jedoch kam es so weit, daß die neutralen Länder den Zu-
strom von Gold nicht mehr als einen Vorteil ansahen, sondern daß sie
im Gegenteil aus der Ueberschwemmung mit Gold erhebliche
Besorgnisse herleiteten. Das Gold kam zu ihnen nicht als Geschenk
des Himmels, sondern als Träger der dringendsten Nachfrage für Ma-
terialien und Waren aller Art. Während in normalen Zeiten die Nach-
frage nach Waren hochwillkommen ist, überschritt jetzt die Nachfrage
für die Bedürfnisse des unersättlichen Krieges alle Grenzen. Der alte
Satz „pecuniara habens habet omnem rem, quam habere vult" fand seine
Umkehrung: Die Ware drängte nicht mehr nach Geld, sondern das
Geld — im internationalen Verkehr war Geld nur noch das Gold —
drängte nach der Ware. Die Gold anbietende Nachfrage der Krieg-
führenden war bereit, jeden Preis zu zahlen und trieb damit auch die
Inlandspreise der neutralen Länder für die notwendigsten Lebensbedürf-
nisse hoch; der Material- und Warenhunger der Kriegführenden nahm
einen Umfang an, daß ihre Nachfrage in den neutralen Ländern zu
einer Bedrohung für die ausreichende und erschwingliche Versorgung
der eignen Bevölkerung wurde.
Die neutralen Staaten sahen sich angesichts dieser Entwicklung
zu Schutzmaßnahmen für die Sicherung des Lebensbedarfs ihrer
eignen Bevölkerung gezwungen, zu Ausfuhrbeschränkungen und Ausfuhr-
verboten für wichtige Waren, zu Preisregulierungen für den Inlands-
bedarf und für den Export, zu Kompensationsabkommen mit denjenigen
Ländern, an welche sie Material- und Warenlieferungen zuließen^). Es
lag nahe, den Schutz für die Waren durch eine Abwehr gegen das
Gold, das ja der vornehmste Träger der Nachfrage nach Waren war,
zu ergänzen. Bestärkt wurde dieser Gedanke der Abwehr gegen das
Gold durch gewisse geldtheoretische Vorstellungen und Auffassungen.
Auä dem Zustrom von Gold ergab sich für die neutralen Länder eine
Vermehrung ihrer Geldzirkulation, die in ähnlicher Weise, wenn auch
nicht in demselben Grade, eine „Inflation" bedeutete, wie die
wachsende Papiergeldausgabe in den kriegführenden Ländern. Mit
dieser „Goldinfiation" brachte man die auch in den neutralen Ländern
eintretende Preissteigerung in einen unmittelbaren Zusammenhang. Ins-
besondere in Schweden wurde diese Theorie vertreten, und zwar von
') S. darüber mein Buch über den „Weltkrieg" Bd. II, Abschnitt „Der Wirt-
sc^aftskampf um di'» N'^iitraleu"', S. 20:iff.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Aasbrach des Weltkrieges. § 4. 203
keinem Geringeren, als dem angesehenen Natioualökonomen und scharf-
sinnigen Geldtheoretiker Professor Gastar Gasse 1.
Theorie und praktische Notwendigkeiten wirkten sich schließlich
aus in einer Politik der Goldaussperrung.
Durch ein Gesetz vom 8. Februar 19 IC enthob Schweden seiae
Keichsbank von der Verpflichtung, Gold zu festem Satz gegen Venib-
folgung von Banknoten anzunehmen. Diese Maßnahme wurde bald da-
rauf durch eine königliche Verordnung vom 28. April 1916 ergänzt,
die der Münzstätte die weitere Ausprägung von Gold für private Rech-
nung untersagte.
Norwegen und Dänemark folgten diesem Beispiel.
Auch andere neutrale Staaten machten Schwierigkeiten bei der
Hereinnähme von Gold, sei es indem ihre Zentralbanken das aus dem
Ausland kommende Gold nur nach besonderer Vereinbarung annahmen,
aei es, indem iie — wie z. B. die Bank von Spanien — den Ankaufs-
preis von Gold herabsetzten.
Diese Maßnahmen kamen in ihrer Wirkung einer Einstellung der
freien Prägung des Goldes gleich. Während in den kriegführenden
Ländern die Einstellung der Goldeinlösung von Papiergeld und Scheide-
münzen das Band zwischen Geld und Gold zerschnitt und die Möglichkeit
eines Sinkens des Geldwertes unter sein ursprüngliches Goldäquivalent
schuf, wurde in den erwähnten neutralen Ländern das Band zwischen Gold
und Geld durch die Einstellung der Umwandlang von Gold in Geld gleich-
falls zerschnitten, und zwar in der Weise, daß die Möglichkeit eines
Steigerns des Geldwertes über sein ursprüngliches Goldäqivalent ge-
schaflfen wurde. Die Wirkung dieser nach entgegengesetzten Richtungen
tendierenden Maßnahmen wurden verstärkt durch die gewaltige Steigerung
der Transport- und Versicherungskosten für Gold und durch die viel-
fachen Verbote der Goldausfuhr und Golddurchfuhr. Das Metall Gold,
das in den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg die feste und einheitliche
Grundlage für das Geldwesen der Kulturwelt geworden war, verlor
diesen Charakter. Mit seiner Ausschaltung kamen nicht nur die einzel-
nen nationalen Geldsysteme ins Wanken, sondern auch die internationale
Geldverfassung büßte jeden Zusammenhalt ein und fiel auseinander.
§ 4. ZahlamriMittelkrisis und Fapierfeld.
Die katastrophale Zuspitzung der politischen Lage in der letzten
Juliwoche und die Kriegserklärungen der ersten Augusttage 1914 er-
zeugten auf den Geldmärkten der Welt eine ungeheure Panik. Ange-
sichts der völligen Ungewißheit über den Gang der Ereignisse und die
Gestaltung schon der allernächsten Zukunft war es begreiflich, daß
jedcrniunn sich für alle Fälle einen ausreichenden Kassenbestand zu
sichern suchte. Niemand wußte, ob und in welchem Umfang künftig
Auszahlungen auf vorhandene Guthaben würden geleistet werden können
und ob künftig die Geldbeschaßung im Wege des Kredits auch nur
annähernd in der gleichen Weise wie bisher möglich sein würde. Es
handelte sich nicht nur um die V'orsorge für private Bedürfnisse des
Haushalts usw., sondern auch um die Sicherung ausreichender Betriebs-
mittel für die Unternehmungen in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel.
204 Erstes Buch. II. Abscbuitt. Die Gestaltuug der Edelmetallverhältnisse.
Es kam hinzu, daß die MillioDen der zu den Waffen gerufenen Männer
ihr Haus und ihre Geschäfte zu bestellen und auch sich selbst mit
Barmitteln auszustatten hatten. Der sich aus diesem begreiflichen und
berechtigten SicherungsbedUrfnis ergebende Drang nach Zahlungsmitteln
wurde verstärkt durch die Kopflosigkeit, die in den ersten Tagen der
Verwirrung in allen Ländern herrschte. „Die Börsen wurden von allen
Seiten mit Verkaufsaufträgen Überschüttet; die Geldinstitute wurden mit
Kreditanträgen und Wechseleinreichungen bestürmt; Kredite wurden
gekündigt; bei Banken und Sparkassen drängte sich die Kundschaft,
um Guthaben und Einlagen zurückzuziehen"^). Bemerkenswert ist, daß
bei dieser Panik im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht die Sorge die
Hauptrolle spielte, ob gegen das umlaufende Papiergeld im Wege der
Einlösung Metallgeld zu erhalten sein werde. Die zum Zweck der
Goldeinlösung in den verschiedenen Ländern stattgehabten „rnns" auf
die Notenbanken entsprangen wohl mehr spekulativer Gewinnsucht als
ernstlicher Sorge. Die Einstellung der Goldeinlösung löste keinerlei
akute Erschütterungen aus. Die Hauptsorge war vielmehr, ob es weiter-
hin möglich sein werde, ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen gegen
sichere Unterlagen, wie gute Kaufmannswechsel und beleihungsfähige
Papiere oder Waren, überhaupt Zahlungsmittel in irgendeiner Form,
insbesondere auch kleines Geld für Lohnauszahlungen usw. zu bekommen.
Neben der gewaltigen Steigerung des privaten Bedarfs an Zahlungs-
mitteln, wie ihn der Kriegsausbruch aus den angedeuteten Gründen mit
sich bringen mußte, gingen einher die ungeheuren Bedürfnisse aller
staatlichen an der Mobilmachung beteiligten Stellen nach Barmitteln
zur sofortigen Auszahlung für Besoldung und Materialbeschaffung.
Der so entstandenen Krisis der baren Zahlungsmittel
wurde mit den verschiedensten Mitteln entgegengewirkt.
Zunächst mit restriktiven Mitteln.
In Frankreich wurde den Banken und Sparkassen, um sie
vor dem Andrang der Einleger zu schützen, die gesetzliche Ermächtigung
gegeben, auf die bei ihnen stehenden Guthaben nur bescheidene Teil-
beträge auszuzahlen. In England half man sich durch die bereits
erwähnte Schließung der Banken für mehrere Tage; außerdem setzte
die Bank von England zur Einschränkung der an sie herantretenden
Geldausprüche ihren Diskont bis auf 10 Prozent in die Höhe. Man
sah sich ferner in allen kriegführenden Ländern genötigt, Moratorien
zu erlassen, teils für den Wechselverkehr, teils für den gesamten Bank-
verkehr, teils für alle Zahlungsverpflichtungen unter Privaten.
Nur in Deutschland entschloß man sich, von dem Erlaß eines
Moratoriums abzusehen. Man begnügte sich mit Gegenmaßnahmen, die
bestimmt waren, die deutsche Geschäftswelt vor der Wirkung der im
Auslande erlassenen Moratorien zu schützen. Außerdem wurde die
Möglichkeit geschaffen, im Einzelfall beim Vorliegen eines wirklichen
Notstandes die Zahlungsfristen durch gerichtliches Urteil hinauszuschieben.
Im übrigen wurde die Zahlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch
positive Maßnahmen und Einrichtungen aufrechterhalten, so durch die
>) Siehe in meinem „Weltkrieg", Bd. II, S. 25/26.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Aasbruch des "Weltkrieges. § 4. 205
im freiwilligen Znsiimmenschluß der beteiligten Kreise geschaffenen
Kriegskreditbanken und durch die Vereinbarungen der Bodenkredit-
institute über die Bevorschussung von Hypotheken^).
Die durch den Kriegsausbruch ausgelösten Ansprüche an die
Elastizität des Geldwesens konnten nicht durch restriktive Maßnahmen
wie Moratorien und scharfe Diskonterhöhungen, auch nicht allein durch
positive Maßnahmen auf dem Gebiete der Sicherung des Kreditverkehrs
befriedigt werden. Ueberall mußten der schlagartig auftretenden Zah-
lungsmittel-Panik neue Geldzeichen im weitesten Ausmaße zur
Verfügung gestellt werden.
Da jede Möglichkeit zu einer plötzlichen Vermehrung der metallischen
Umlaufsmittel fehlte, da man aus den bereits erörterten Gründen ins-
besondere das Gold in den großen nationalen Reserven festzuhalten, ja
aus dem freien Verkehr in diese Reserven hereinzuleiten suchte, blieben
nur Banknoten und Staatspapiergeld zur Befriedigung des Bedarfs an
Zahlungsmitteln übrig. In allen von dem Kriege unmittelbar oder
mittelbar betroffenen Ländern wurden deshalb den Notenbanken Er-
leichterungen für die Ausgabe ihrer Noten gewährt und einschränkende
Bestimmungen aufgehoben.
So wurde die Bank von England bei Kriegsausbruch er-
mächtigt, das durch die Peelsakte festgesetzte Kontingent ihrer durch
Gold nicht gedeckten Notenausgabe zu überschreiten, falls ihr Diskont
nicht niedriger sei als 10 "/j. Das Notenkontingent der Bank von
Frankreich wurde bei Kriegsausbruch von 6,8 auf 12 Milliarden
Fr. erhöht; weitere beträchtliche Erhöhungen folgten im Verlauf des
Krieges; die Bank wurde außerdem autorisiert, kleine Noten zu 20
und 5 Fr. auszugeben. Auch in anderen kriegführenden und neutralen
Ländern wurde den Banken die Erlaubnis gegeben, zur Behebung des
empfindlichen Mangels an Kleingeld Banknoten auszugeben, die auf
kleine Beträge lauteten, wie sie bisher ausschließlich durch silberne
Scheidemünzen dargestellt worden waren.
Vielfach wurden neben den Banknoten neue Arten von Papier-
gel d — meist staatlichen oder kommunalen Charakters — geschafifen
oder wenigstens zugelassen. Dazu kamen für die ganz kleinen Beträge
Münzen aus Eisen, Aluminium und anderen Metallen oder Legierungen,
die bisher für Münzzwecke nicht gebräuchlich gewesen waren.
In England wurde die Notenausgabe der Zentralbank entlastet
durch die Einführung von Schatzkassenscheinen (Currency Notes) zu
1 Pfund und zu 10 Schilling, die mit gesetzlicher Zahlungskraft ausgestattet
und zunächst ohne jede Golddeckung ausgegeben wurden. Vom Septem-
ber 1914 an begann man jedoch eine Golddeckung anzusammeln. Schon
Ende 1914 waren 38,5 Millionen Pfd. St. dieser Sehatzkassenscheine in Um-
lauf, während die Notenausgabe der Bank von England am gleichen
Tage 36,1 Millionen Pfd. St. betrug. Schon damals hatten also die Currency
Notes die Noten der Bank von England überholt. Bis Ende 1916 stieg
der Umlauf der Currency Notes auf 150,1 Millionen Pfd. St., der Umlauf der
Noten der Bank von England betrug nur 39,7 Millionen Pfund. Ende 1918
') Vgl. auch hierzu in meinem ,, Weltkrieg" Bd. II, S. 30ff.
206 Erstes Buch, II. Abichnitt. Die Gtstaltung der EdelmetallTerhältnisse.
■waren 323,4 Millioneu Curreocy Notes ausgegeben gegen 70,2 Millionen
Noten der Bank von England. Die Golddeckung der Currency Note8
erreichte im Jahre 1915 den Stand von 28,5 Millionen Pfd. St. und blieb
während des ganzen Krieges und darüber hinaus auf diesem Stande,
der schließlich nur noch eine Deckung ton -ncniger als 10*/, bedeutete.
In Frankreich kamen zu den Noten der Bank papierne Geld-
zeichen in kleinen Abschnitten und AIuraininm-MUnzen, die von Städten
und Ilandol>kamniern ausgegeben wurden.
In Italien wurde der Schatzminister ermächtigt, auf kleine
Beträge lautende Staatsuoten auszugeben.
In Deutschland ergingen am 4. August die bereits ervs^ähnten
Gesetze zur finanziellen Mobilmachung.
Zunächst wurde die indirekte Kontingentierung der Notenausgabe
der Reichsbank durch die Notensteuer aufgehoben. Die sogenannte
,. Drittelsdeckung" blieb als mittelbare Schranke für die Notenausgabe
der Keichsbank aufrecht erhalten, jedoch mit der sehr wesentlichen
Milderung, daß neben Gold, kursfähigem deutschem Gelde und Keichs-
kassenscheinen, die nach § 17 des Bankgesetzes als Barvorrat zu gelten
haben, auch die jetzt neu geschafifenen Darlehnskassenscheine als Bar-
deckung zugelassen wurden.^) Der den Barvorrat in diesem Sinne
übersteigende Notenumlauf mußte nach den bis zum Kriegsausbruch
geltenden Bestimmungen des Bankgesetzes gedeckt sein durch diskon-
tierte Wechsel mit einer höchstens dreimonatlichen Verfallzeit, aus
denen in der Regel drei, mindestens aber zwei als zahlungsfähig Ver-
pfiicbtete haften, oder durch Schecks, aus denen mindestens zwei als
zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften. Jetzt wurden diesen
Wechseln „unverzinsliche Schuldverschreibungen des Reichs, die
spätestens nach drei Monaten mit ihrem Nennwert fällig sind", also die
kurzfristigen Reichsschatzanweisungen, gleichgestellt. Das Notenausgabe-
recht der Reichsbank wurde damit praktisch ins Ungemessene erweitert
und in den Dienst der Kriegführung gestellt.
Gleichzeitig wurde die Reichsbank erheblich entlastet durch die
Errichtung der schon im Krieg von 1870/71 vom Norddeutschen
Bunde erprobten Darlehnskassen. Nach dem Gesetz vom 4. August
1914 traten Darlehnskassen des Reichs in Anlehnung an die Orga-
nisation der Reichsbank in Berlin und an allen Orten mit selbständigen
Reichsbaukanstalten ins Leben, Außerdem wurden an zahlreichen Plätzen
Hilfsstellen eingerichtet. Den Darlehnskassen wurde die Aufgabe zuge-
wiesen, Darlehen gegen Verpfändung von Wertpapieren nnd Waren zu
gewähren, und zwar in den von ihnen auszugebenden „Darlehnskassen-
scbeinen". Bei der Stückelung der Darlehnskassenscheine ging man
herab bis zu Scheinen von 2 und 1 Mark. Der Charakter als gesetz-
liches Zahlungsmittel wurde den Darlehnskassenscheinen — im Gegen-
satz zu Reichskassenscheinen und Reichsbanknoten — nicht ausdrücklich
beigelegt. In der Praxis haben sich daraus, da die öffentlichen Kassen
und die Reichsbank von Anfang an die Darlehnskassenscheine ohne
') Erst durch die Banknovelle vom 9. Mai 1921 ist die Vorschrift der
„DritteUdeckung-' auch in dieser Abschwächung aufgehoben worden, zunächst bis
zum 31. Dezember 19ü3.
7. Kapitel. Entwicklung dei Geldweiens seit Aasbrach des Weltkrieges. § 5. 207
jeden Anstand zu ihrem rollen Nennwert in Zahlung nahmen, irgend-
•welche Unzuträglichkeiten nicht ergeben; der Verkehr hat zwischen
den Darlehnskassenscheinen, Reichskassenscheinen und Keichsbanknoten
niemals einen Unterschied gemacht. Von besonderer Wichtigkeit war,
daß den Darlehnskassenscheinen, wie oben bereits erwähnt, die Eigen-
schaft beigelegt wurde, als Notendeckung im Sinne der Drittelsdeckung
des Bankgesetzes zu dienen.
Die Festsetzung des Höchstbetrags der auszugebenden Darlehns-
kassenscheine wurde dem Bundesrat übertragen, der ihn zunächst auf
1 500 Millionen Mark normierte, aber bald erheblich über diesen Betrag
hinausging.
Auch in Deutschland wurde die Ausgabe neuen Geldes seitens der
Zentralnotenbanken und der Staatsgewalt ergänzt durch die Ausgabe
von auf kleine Beträge lautenden städtischen Papier- und später auch
Metallgeld.
Der Kleingeldmangel dauerte mit Schwankungen während des
ganzen Krieges und darüber hinaus an, zumal da die Silbermünzen zu
Thesaurierungszweckeu zurückgehalten wurden und immer mehr aus
dem Verkehr verschwanden, bis schließlich ihre formelle Außerkurs-
setzung erfolgte (zunächst für die Zweimarkstücke durch Verordnung
des Bundesrats vom 12. Dezember 1917, später durch Verordnung vom
13. April 1920 für sämtliche Reichssilbermünzen). Die rasch ver-
ichmutzenden und leicht zerreißbaren kleinen Papierscheine waren ein
schlechter Ersatz. Für die ganz kleinen Beträge von weniger als
50 Pfennig waren sie, wie die kommunalen Scheine beweisen, schlecht-
hin unbrauchbar. Hier wurde mit neuen Münzen aus Eisen (10 und
5 Pfennigstücke), Zink (10 Pfennigstücke) und Aluminium (1 Pfennig-
nnd 50 Pfennigstücke) als Ersatz für die gleichfalls allmählich ver-
schwindenden Münzen aus Nickel und Kupferbronze experimentiert.
Welche für den damaligen Stand des Geldwertes enormen An-
sprüche in der Zeit des Kriegsausbruchs zu befriedigen waren, tritt
darin zutage, daß die deutsche Keichsbank sich genötigt sah, ihren
Bauknotenumlanf in den zwei Wochen vom 23. Juli bis zum 7. August
1914 von 1891 Millionen auf 3 897 Millionen Mark, also um mehr als
2 Milliarden Mark und auf mehr als das Doppelte, zu steigern. Nur
durch die sofortige Bereitstellung dieser gewaltigen Summen von
Zahlungsmitteln, die allein auf dem Wege des Notendruckes möglich
war, konnte die finanziell reibungslose Durchführung der Mobilmachung
sicherfiestellt, konnte der unter der Einwirkung des Kriegsausbruchs
plötzlich vervielfachte Bedarf der deutschen Wirtschaft an Zahiuiiirs-
mitteln befriedigt und konnte die Zahlungsmittelpanik ohne schwersten
Schaden überwunden werden.
g 5. Das Papiergeld all Mittel der Kriegftihrnng.
Die Anpassung des Geldumlaufs an die Schwankungen des Geld-
bedarfs der Volkswirtschaft ist die dem Papiergeld iinu'rhalb eines auf
metallischer Grundlage beruhenden (Jeldwesens zukommende Funktion.
Die Suspendierung der Goldeinlösung der Keichsbanknoten, Reichs-
208 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltang der Edelmetallverhältnisse.
kassenscheine nnd Scheidemünzen durch die Notgesetze des 4. Angust
1914 war nicht aus dem Willen der Abkehr von der Goldwährung,
sondern lediglich aus der zwingenden Kriegsnotwendigkeit des Schutzei
der nationalen Goldreserven entsprungen; die Absicht ging auf eine
möglichst baldige Wiederaufnahme der Goldzahlungen, wofür die Er-
haltung eines ansehnlichen Goldbestandes über den Krieg hinaus
geradezu Voraussetzung war. Die große Steigerung der Papiergeld-
ausgabe zu Beginn des Krieges war, soweit sie lediglich die Anpassung
an den durch den Kriegsausbruch gewaltig gesteigerten Verkehrsbedarf
bedeutete, an sich nichts, was aus dem Rahmen einer metallischen Währung
herausfiel. Denn auch in den Friedenszeiten und bei unbeeinträchtigtem
Bestände der Goldwährung hatte die Reichsbank zeitweise sehr erheb-
liche Steigerungen des Geldbedarfs durch eine entsprechende
Steigerung ihrer Notenausgabe zu befriedigen gehabt. Die be-
trächtliche Vermehrung ihres Goldbestandes während der letzten
Friedensjahre, die jetzt nach Kriegsausbruch infolge der frei-
willigen Goldeinlieferung in verstärktem Maße weiterging, hatte
der Reichsbank die Befriedigung großer Spannungen des Geldbedarfs
erleichtert; denn bei größerem Goldvorrat bedeutet eine Steigerung der
Notenausgabe um den gleichen absoluten Betrag eine geringere Ver-
echlechterung des Deckungsverhältnisses. In der Tat blieb die pro-
zentuale Golddeckung der Notenausgabe der Reichsbank in der Zeit
des ersten Anpralls der Zahlungsmittelklemme durchaus befriedigend.
Sie verminderte sich zwar von 43,1 "/^ am 31. Juli 1914 auf 37,9% am
7. August, erholte sich aber in den folgenden Wochen bis auf 48,6 "/^
am 23. November. Auch unter der Hochspannung des 31. Dezember
1914 stellte sie sich immer noch auf 41,5 "/o-
Dagegen wurde ein neues Moment in die deutsche Geldverfassung
— und in ähnlicher Weise in die Geldverfassungen aller kriegführenden
Staaten — dadurch hineingetragen, daß für die Papiergeldausgabe
neben und vor dem Bedarf der Wirtschaft an Umlaufsmitteln, wie
er sich in dem privaten Kreditbegehr durch Wechseldiskontierung
äußert, der Geldbedarf des Staates für die Zwecke der Krieg-
führung entscheidend wurde.
Die Kosten des Krieges überschritten für die sämtlichen der an
ihm beteiligten Staaten alle bisherigen Begriffe. In Deutschland er-
forderte der Mobilmachungsmonat (Angust 1914) allein einen Betrag
Ton mehr als 2 Milliarden Mark, mithin mehr als die auf etwa
1"/^ Milliarden Mark berechneten Gesamtaufwendungen Deutschlands
für den Krieg 1870/71. Nach einem vorübergehenden Rückgang wurde
im März 1915 wieder eine Monatsausgabe von mehr als 2 Milliarden
Mark erreicht. Auf diesem Satze hielten sich dann die Ausgaben mit
nicht allzugroßen Schwankungen bis zum Spätsommer 1916. Von da an
trat in Verbindung mit der Durchführung des sogenanntenn Hindenburg-
Programms eine Steigerung ein. Im Monat Oktober 1916 wurde zum
ersten Mal der Betrag von 3 Milliarden Mark überschritten, genau ein
Jahr später zum ersten Mal der Betrag von 4 Milliarden Mark, und
«chließlich wurde im Oktober 1918 eine Ausgabe von nahezu 5 Milli-
.arden Mark erreicht.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 5. 209
Im ganzen stellten sich die Kriegsausgaben Deutschlands wie folgt:
Milliarden Mark
im Monats-
durchschnitt
1. Kriegsjahr (l. August 1914 bis 31. Juli 1915)
2. „ (1. „ 1915 „ 31. „ 1916)
3. „ (I. „ 1916 „ 31. „ 1917)
4. „ (1. „ 1917 „ 31. „ 1918)
1. August 1918 bis 31. Dezember 1918
1,675
2,008
2,867
3,818
4.358
Insgesamt (I.August 1914 bis 31. Dezember 1918)
2,780
Diesen von der Reichsfinanzverwaltung für die Kriegführung zu
"beschaffenden Summen steht die Tatsache gegenüber, daß der gesamte
Umlauf Deutschlands an metallischen und papiernen Zahlungsmitteln in den
Jahren vor dem Kriege sich auf nicht viel mehr als 5 Milliarden Mark ge-
stellt und daß das gesamte deutsche Volkseinkommen vor dem Kriege sich
auf 42 bis 45 Milliarden Mark belaufen hatte. Das erste Kriegsjahr
brachte also in Deutschland Kriegsausgaben in Höhe des Vierfachen
des Vorkriegs-Geldumiaufs und von nahezu der Hälfte des gesamten
\'orkriegs- Volkseinkommens.
Der Mobilmachungsmonat allein erforderte fast zwei Fünftel
des Betrages, der bei Kriegsausbruch in Deutschland an Umlaufsmitteln
überhaupt vorhanden war, und das zu einer Zeit, in der aus den oben
dargestellten Gründen die privaten Wirtschaften daranf Bedacht nehmen
mußten, ihre Kassenbestände festzuhalten und womöglich zu verstärken
In den anderen kriegführenden Staaten lagen die Verhältnisse ähnlich
Die Mittel, mit denen der moderne Staat in normalen Zeiten seinen
Geldbedarf deckt, sind laufende Staatseinnahmen (in der Hauptsache
Steuern und sonstige Abgaben, daneben Einnahmen aus Staatseigentum
und Betriebsverwaltungen) und Anleihen. Fortdauernde Ausgaben müssen
nach gesunden finanzpolitischen Grundsätzen durch laufende Ein-,
nahmen gedeckt werden. Das gleiche gilt für die sogenannten ein-
maligen Ausgaben, die sich in wechselnden Formen erfahrungsgemäß
Jahr für Jahr wiederholen. Beide Arten von Ausgaben sind Ausgaben
des „ordentlichen Haushalts", Anleihen kommen nach gesunden finanz-
politischen Grundsätzen nur in Betracht für die Ausgaben des „außer-
ordentlichen Haushalts"; nach den strengsten Grundsätzen sind auch
hier Anleihen nur gerechtfertigt, soweit es sich um Ausgaben für
„werbende Zwecke" (Hauptbeispiel: Erweiterung und Verbesserung des
Eisenbahnnetzes) handelt, die aus sich selbst heraus die Verzinsung
und Tilgung der aufzunehmenden Anleihen aufzubringen geeignet sind.
In beiden Fällen, bei der Einhebung laufender Einnahmen und
bei der Aufnahme von Anleihen, wird vorhandene Kaufkraft im Wege
der Uebertragung vorhandener Zahlungsmittel von Privaten auf den
Staat übergeleitet. Das Geldwesen, insbesondere der Umfang der Geld-
zirkulation, wird durch diese beiden Arten der Geldbeschaffung des
Staates nicht berührt. Ebensowenig wird eine zusätzliche Kaufkraft
für den Staat neu geschaffen; was der Staat durch die Erhebung
Helf f eri h. Das Geld.
14
210 Erstes Buch. II. Abschnitt, Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
laufender Eionahmen und die Aufnahme von Anleihen an Kaufkraft
gewinnt, das büßen die Steuerzahler und die Anleihezeichner an Kauf-
kraft ein.
Grundverschieden von diesen beiden Wegen, auf denen sich der
Staat, ohne das Geldwesen zu berühren und ohne die in der Volks-
wirtschaft vorhandene Kaufkraft zu ändern, die Mittel für die Durch-
führung: seiner Zwecke verschaffen kann, ist ein dritter Weg: d i e
Schaffung neuer Kaufkraft zugunsten des Staates durch den
Druck von Papiergeld. Es macht dabei praktisch keinen Unter-
schied, ob der Staat selbst für seine eigne Rechnung das neue Papier-
geld als Staatspapiergeld herstellen läßt und in Umlauf setzt oder ob
er bei seiner Kotenbank Kredite in Anspruch nimmt, deren Gegenwert
ihm in Banknoten zur Verfügung steht. Dieser Weg führt seiner Natur
nach zu einer Vermehrung der Umlaufsmittel und zu einer Konkurrenz
der im Wege der Ausgabe neuer Zahlungsmittel für den Staat neu
geschaffeneu Kaufkraft mit der vorhandenen und zunächst scheinbar
ungeschmälert gebliebenen Kaufkraft der Privaten; also zu der Er-
scheinung, die man als „Inflation" bezeichnet und die notwendiger-
weise zu einer Verminderung der Kaufkraft des Geldes führen muß.
Die Zusammenhänge im einzelnen werden im II. (theoretischen) Teil
dieses Buches zu erörtern sein.
Wegen ihrer üblen Folgen für das Geldwesen und die gesamte
Wirtschaft scheidet die Schaffung neuer Kaufkraft für den Staat im
Wege des Druckes von Papiergeld in normalen Zeiten als Mittel der
staatlichen Geldbeschaffung völlig aus.
In Kriegszeiten jedoch haben die Staaten, seitdem papierne Geld-
zeichen im Verkehr Wurzel gefaßt haben, selten auf das Mittel der
Notenpresse für die Deckung ihres Geldbedarfs ganz verzichten können.
Wie zur Befriedigung vorübergehender Schwankungen des wirtschaft-
lichen Geldbedarfs, so mußten die papiernen Geldzeichen auch für Be-
friedigung des außerordentlichen Kriegsbedarfs des Staates herhalten,
soweit dieser außerordentliche Bedarf nicht sofort oder überhaupt nicht
auf den beiden anderen Wegen, dem Wege der Besteuerung und dem
Wege der Anleihe, seine Deckung fand.
Die Notwendigkeit, auf den Druck papierner Geldzeichen zur
Finanzierung des Krieges zurückzugreifen, war für alle beteiligten
Staaten bei einem Kriege von dem Umfang und der Daner des Welt-
krieges in stärkerem Maße gegeben als jemals zuvor. Diese Not-
wendigkeit stellte sich sofort nach Kriegsausbruch ein, als die Staaten
die gewaltigen Ausgaben für die Mobilmachung leisten mußten. Die
sofortige Aufbringung von Milliardenbeträgen im Wege der Besteuerung
verbot sich von selbst; die Aufbringung im Wege von Anleihen scheiterte
an der Tatsache, daß der Kriegsausbruch über die Geldmärkte aus
den oben dargelegten Gründen eine Klemme heraufbeschwor, in der
sie nicht nur kein Bargeld abgeben konnten, sondern neues Bargeld
für sich selbst benötigten. Die Finanzierung der Mobilmachung ist
deshalb überall, soweit sie nicht aus etwa vorhandenen bereiten Be-
ständen (Kriegsschatz in Deutschland), die aber nirgends auch nur
7. Kapitel. Entwicklang des Geldwesens sbii, Ausbruch des Weltkrieges. §5. 211
entfernt ausreichten, gedeckt werden konnte, dnrch die Inansprach-
uahme des Kredits der Notenbanken, also im Wege der Schaffung
neuer Zahlungsmittel und neuer Kaufkraft zugunsten des Staates be-
wirkt worden. Der Weg hierzu ist in Deutschland der Finanzver-
waltung formell eröffnet worden durch das oben (s. S. 2U6) erwähnte
Gesetz vom 4. August 1914, das für die Diskontierung bei der Reichs-
bank die dreimonatlichen Schatzauweisungen des Reichs den kauf-
männischen Wechseln gleichstellte.
Erst nachdem die erste große Welle des Kriegsgeldbedarfs über
die kriegführenden Staaten dahingegangen war, konnte man unter Berück-
sichtigung auch der übrigen Wege, der Anleihe und der Steuern, zu
einer einigermaßen planmäßigen Finanzierung des Krieges kommen.
Man hat in den einzelnen Staaten in verschiedenem Maße auf Steuern
und Anleihen zurückgegriffen. Nirgends aber ist es im weiteren Verlauf
des Krieges gelungen, das Papiergeld als Mittel der Kriegsfinanzierung
völlig auszuschalten.
Die Rücksicht auf die Erhaltung eines gesunden und leistungs-
fähigen Geldwesens ließ es notwendig erscheinen, dafür Sorge zu tragen,
daß die für die Finanzierung des Krieges auszugebenden Summen nicht
als eine dauernde und sich fortgesetzt steigernde Vermehrung des Geld-
umlaufs wirkten. Das Geld, das der Staat für die Mobilmachung be-
nötigte und mangels anderer sofort fließender Quellen sich durch den
Druck papierner Geldzeichen beschaffte, ergoß sich im Wege der vom
Staat geleisteten Zahlungen in den Verkehr. Die Geldklemme der
ersten Kriegstage wurde bald durch eine wachsende Geldflüssigkeit ab-
gelöst. Wenn einer bedenklichen „Inflation" vorgebeugt werden sollte,
dann mußte durch eine Aenderung der Geldbeschaffung nicht nur der
allzu reichlich fließende Quell der papiernen Scheine verstopft, sondern
auch die Hochflut der bereits ausgegebenen neuen Scheine wenigstens
zum Teil aufgesaugt werden.
Zu Gebote standen für diesen Zweck die beiden bereits be-
zeichneten Wege, die Einhebung von Kriegssteuern und die Auf-
nahme von Anleihen,
Schon im zweiten Kriegsmonat, im September 1914, ging Deutsch-
land als erster von allen kriegführenden Staaten mit der Begebung
einer großen Anleihe vor. England folgte im November 1914. Da-
gegen ging England mit der Ausschreibung von Kriegssteuern gleich-
falls schon im November 1914 voran, während man in Deutschland
— wie übrigens in allen anderen kriegführenden Staaten — mit der
Einfuhrung neuer Steuern zunächst zögerte.
Die Gründe, die für Deutschland das Betreten des Weges der
Kriegssteuern ungleich schwieriger machten, als für England, hat der
Verfasser an anderer Stelle eingehend dargelegt*). Hier genüge die
Feststellung, daß auch England, trotz seiner für das Anziehen der Steuer-
schraube sehr viel günstigeren Verhältnisse, über die Deckung seines
ordentlichen Etats hinaus bis zum Ende des Rechnungsjahres 1918 nur
etwa 15 Milliarden Mark an Steuern (einschließlich der Kriegsgewiun-
1) „Der Weltkrieg-, Bd. II. S. 154 ff.
14*
212 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Steuer) für die Deckung der bis dahin insgesamt etwa 120 Milliarden
Mark betragenden Krirgskosten aufgebracht hat, also nur etwa 12^1^^!^
seiner Kriegskosten durch Steuern hat decken können'). In allen
anderen Staaten ist der Anteil der Steuern an der Deckung der Kriegs-
kosten noch erheblich geringer gewesen.
In Deutschland rechnete man, stark beeinflußt durch die von
dem Geueralfeldmarschall Grafen Schlieffeu vertretene Auffassung, zu-
nächst mit einem kurzen Krieg. Die Ansichten in Regierung, Parlament
und üflentlicher Meinung gingen dahin, daß der Krieg für Deutschlands
Zukunft geführt werde, seine finanziellen Lasten, soweit sie nicht nach
dem Vorbilde von 1870/71 durch eine Kriegsentschädigung abgebürdet
werden würden, deshalb auch im Wege von Kriegsanleihen in der
Hauptsache der Zukunft auferlegt werden könnten, zumal da die Kriegs-
anleihen in ähnlicher Weise wie Kriegssteuern geeignet waren, einen
Rückfluß der papierenen Zahlungsmittel herbeizuführen und dadurch der
Gefahr der Inflation entgegenzuwirken. Als es sich herausstellte, daß
man sich auf eine längere Kriegsdauer gefaßt machen müsse und als
zudem die rapid wachsenden Ausgaben für die Verzinsung der Kriegs-
anleihen — diese Ausgaben wurden auf den ordentlichen Haushalt ge-
nommen — starke Fehlbeträge im ordentlichen Haushalt herbeizuführen
drohten, wurde auch in Deutschland der Weg der Kriegssteuern be-
treten (Ende 1915) und zwar mit dem Erfolg, daß während der fünf
Rechnungsjahre 1914 bis 1918 nicht nur die gesamten Ausgaben des
ordentlichen Haushalts gedeckt sondern darüber hinaus noch ein Ueber-
schuß von mehr als 3 Milliarden Mark erzielt wurde, der in der Haupt-
sache zur Tilgung der Reichsschuld, mit anderen Worten, zur Ver-
minderung des für die Kriegführung entstehenden Anleihebedarfs, also
zur Deckung eines, wenn auch bescheidenen Teiles der Kriegsausgaben
Verwendung fand^j.
Kriegsanleihen wurden während der ganzen Kriegsdauer im regel-
mäßigen Abstand von 6 Monaten, jeweils im März und September, zur
Zeichnung aufgelegt, im ganzen neun, davon die erste, wie bereits erwähnt, im
September 1914, die letzte im September 1918. Durch diese sich
regelmäßig wiederholenden Kriegsanleihen sollte von 6 zu 6 Monaten
*) Siehe hierzu die Schrift von W. Prion, Steuer- und Anleihepolitik in
England während des Krieges. Berlin 1918.
*) Die Einnahmen des Reichs und die Ausgaben des ordentlichen ßeichsetats
stellten sich wie folgt (siehe Drucksache des Reichstags Nr. 254 von 1920, S. 6,
13 und 14)
Millionen Mark
Rechnungsjahr Einnahmen Ausgaben
1914 2,350,8 1,653,2
1915 1,735,2 1,785,6
1916 2,029,4 2.973,8
1917 7,830,4 6,893,6
1918 6,795,0 7,146,0
Zusammen 20,740,8 20,152,2
Davon für Schnldentilgung 2,783,1
Ausgaben abzüglich Schuldentilgung 17,669,1
Die Einnahmen für diese Periode ergeben also gegenüber den Ausgaben, abzüglich
Schuldentügung, ein Mehr von 3,071,7 Millionen Mark.
T.Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §5. 213
die vom Reich für die Zwecke der Kriegführung kontrahierte
„schwebende Schuld", in der Hauptsache bestehend aus bei der
Reichsbank diskontierten Schatzauweisungen, konsolidiert und damit
gleichzeitig das für die Zwecke der Finanzierung geschaffene und in
Umlauf gesetzte Papiergeld wieder aufgesaugt werden.
Wie weit die Konsolidierung der schwebenden Schuld durch die
regelmäßige Auflegung von Kriegsanleihen gelang, ergibt die nachstehende
Uebersicht:
(Millionen Mark)
Aasstebende
Uebergchnß der An-
Nennbetrag
Scbatzanweisungen
leihezeicünnngen
der Zeiebnaug
am Ende
d. Zeichnungsnionats
über d. aussiebenden
Scbatzanweisungen
1. Kriegsanleihe (Sept. 1914)
4 460
2 632
+ 1832
2.
(März 1915)
9 060
7 209
+ 1851
3.
(Sept. 1915)
12101
9 691
+ 2 410
4.
(März 1916)
10 712
10 388
+ 324
5.
(Sept. 1916)
10 652
12 766
_ 2 114
6.
(März 1917)
13 122
14 855
_ 6 732
7.
(Sept. 1917)
12 626
27 204
- 14 578
8.
(März 1918)
15 001
38 971
— 23 970
9.
(Sept. 1918)
10 443
49 414
— 38 971
Die ersten drei Kriegsanleihen lieferten also einen wachsenden
Ueberschuss über den bei ihrer Begebung ausstehenden Betrag an
Schatzanweisungen. Auch die vierte Kriegsanleihe, deren Ergebnis
durch besondere Verhältnisse beeinträchtigt wurde (U-Boot-Streit, Ent-
lassung des Großadmirals von Tirpitz) reichte noch aus, um die bis
dahin aufgelaufene schwebende Schuld des Reiches zu konsolidieren.
Dagegen blieben vom Herbst 1916 ab die Erträgnisse der Kriegsanleihen
mit progressiv wachsenden Summen hinter den Beträgen der schwebenden
Schuld zurück. Während im September 1916, also nach zwei Kriegs-
jahren, die schwebende Schuld erst eine Summe von 12,8 Milliarden
Mark ausmachte, von der nach Begebung der 5. Kriegsanleihe nur
2,1 Milliarden Mark ungedeckt blieben, erreichte zwei Jahre später,
im September 1918, die schwebende Schuld den Betrag von fast
50 Milliarden Mark. JDie damals zur Zeichnung aufgelegte neunte Kriegs-
anleihe erbrachte nur 10,4 Milliarden Mark. Ungedeckt blieben also von
der schwebenden Schuld rund 39 Milliarden Mark. Ende Dezember
1918 stellte sich die schwebende Schuld des Reiches auf 55,2 Milliarden
Mark. Das System der periodischen Abdeckung der für die Krieg-
führung aufgenommenen schwebenden Schuld durch Kriegsanleihen hat
sich also in der ersten Hälfte des Krieges bewährt, dagegen hat es in
den beiden letzten Kriegsjahreu versagt. Es ist eine offene Frage, ob
in jenem zweiten Stadium des Krieges angesichts des immer stärkeren
Zurückbleibens des Ertrags der Kriegsanleihen hinter den stark zu-
nehmenden Kriegsausgaben und damit hinter der stark anwachsenden
schwebenden Schuld ein stärkeres Anziehen der Steuerschraube nicht
214 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetall Verhältnisse.
angezeigt gewesen wäre und ob nicht auf diesem Wege eine stärkere
Aufsaugung der schwebenden Schuld und der mit dieser zusammen-
hängenden Papiergeld-lnHation sich hätte erreichen lassen.
Für die Beurteilung der Wirkung der Zunahme der schwebenden
Schuld auf das Geldwesen ist die Tatsache von Wichtigkeit, daß keineswegs
der Gesamtbetrag der ausgegebenen Schatzanweisungeu von der Reichs-
bank aufgenommen werden mußte, daß vielmehr im Laufe des Krieges
ein wachsender Anteil dieser Schatzanweisungen im „freien Verkehr",
in der Hauptsache bei den Privatbanken, bei den großen industriellen
Unternehmungen, und den großen privaten Vermögensverwaltungen Unter-
kunft fand. Während Ende 1914 von den damals ausgegebenen
2,9 Milliarden Keichsschatzanweisuugen volle 2,7 Milliarden in der
Reichsbank lagen und nur 0,2 Milliarden außerhalb der Reichsbank
hatten untergebracht werden können, während Ende 1916 von 12,6 Mil-
liarden Reichschatzanweisungen sich 8,9 Milliarden Mark in der Reichs-
bank und '^J Milliarden im freien Verkehr befanden, änderte sich in
der Folgezeit das Verhältnis in der Weise, daß Ende 1917 der Bestand
der Reichsbauk an Reichsschatzauweisungen mit 14,2 Milliarden Mark
hinter dem außerhalb der Reichsbank untergebrachten Betrag mit 14,4
Milliarden Mark um eine Kleinigkeit zurückblieb. Ende 1918 lagen
von 55,2 Milliarden ausgegebener Reichsschatzanweisungen 27,2Milliarden
in der Reichsbank, 28 Milliarden befanden sich im „freien Verkehr".
In den beiden ersten Kriegsjahren fand sich also das deutsche
Publikum bereit, das zur Anlage verfügbar werdende Geld fast aus-
schließlich zur Anlage in langfristigen Kriegsanleihen anzuwenden, wäh-
rend in der zweiten Hälfte des Krieges die Anlage in kurzfristigen
Reichsschatzanweisungen immer mehr bevorzugt wurde. Der Unterschied
zwischen der Unterbringung langfristiger Kriegsanleihen und Reichs-
schatzanweisungen mit nur dreimonatlicher Verfallzeit war von staats-
finanziellem Standpunkte aus sehr erheblich; denn das Reich mußte
damit rechnen, bei Verfall der Schatzanweisungen mit der Prolongierung
auf Schwierigkeiten zu stoßen. Dagegen war die Wirkung auf die
Gestaltung des Umlaufs von Zahlungsmitteln eine ähnliche, wenn der
freie Verkehr Schatzanweisungen aufnahm und behielt, wie wenn das
Publikum Kriegsanleihe zeichnete. In beiden Fällen vollzog sich die
Geldbeschafifung des Reichs im Wege der Uebertragung bereits vor-
handener Zahlungsmittel auf das Reich. Neue Zahlungsmittel, und da-
mit neue Kaufkraft wurden auch durch die Ausgabe von Schatzan-
weisungen nur insoweit geschaffen, als die Schatzanweisungen bei der
Reichsbank diskontiert wurden.
Die Vermehrung des durch Gold nicht gedeckten Notenumlaufs
der Reichsbauk blieb deshalb nicht unwesentlich hinter der Zunahme
der schwebenden Schuld des Reiches zurück. Von rund 1,1 Milliarden
Mark am 30. Juni 1914 stieg er auf rund 5,5 Milliarden am 30. De-
zember 1916 (gleichzeitige Ausgabe von Reichsschatzanweisungen
12,6 Milliarden Mark) und auf rund 19,9 Milliarden Mark am 31. De-
zember 1918 (gleichzeitige Ausgabe von Reichsschatzanweisungen
55,2 Milliarden Mark).
T.Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §5. 215
Den Reichsbanknoten sind in ihrer Eigenschaft als Umlaufsmittel
allerdings gleichzustellen die Dahrlehuskassenscheine, die ohne metallische
Deckung gegen Verpfändung von Wertpapieren und Waren ausgegeben
wurden. Das Reich hat zwar die Darlehnskassen für die Zwecke seiner
eignen Geldbeschaffung nicht unmittelbar in Anspruch genommen; je-
doch haben Einzelstaateu und Kommunen einen Teil ihres durch den
Krieg verursachten Geldbedarfs bei den Darlehnskassen gedeckt, und
auch die Mittel für die Einzahlung auf die Kriegsanleihen sind zu einem
— wenn auch nur bescheidenen Teil — durch Beleihung von Wert-
papieren bei den Darlehnskassen aufgebracht worden. Ein erheblicher
Teil der Darlehnskasseuscheine ging an die Reichsbank und wurde
dort als Notendeckung (s. oben S. 206} festgehalten. Der im freien Um-
lauf befindliche Betrag an Darlehnskassenscheinen betrug Ende 1916
2,9 Milliarden, Ende 1917 6,3 Milliarden, Ende 1918 10,1 Milliarden Mark.
Insgesamt hat also der durch Gold nicht gedeckte Umlauf papierner
Geldzeichen Ende 1916 den Betrag von 8,4 Milliarden, Ende 1918
den Betrag von rund 30 Milliarden Mark erreicht.
Alles in allem sind von den rund 150 Millarden Mark die bis
Ende des Jahres 1918 vom Reiche insgesamt für Kriegszwecke ver-
ausgabt wurden, weniger als 30 Milliarden Mark, also weniger als ein
Fünftel, im Wege der Schafifung neuen Papiergeldes finanziert worden,
mehr als 120 Milliarden dagegen, also mehr als vier Fünftel, teils durch
die Begebung langfristiger Kriegsanleihen, von denen Ende 1918 rund
69 Milliarden Mark ausgegeben waren, teils durch die Begebung von
Reichsschatzanweisungen im freien Verkehr ohne Beanspruchung der
Notenpresse. Daneben wurde der ganze Zinsendienst der Kriegsan-
leihen und darüber hinaus ein Kriegskostenbetrag von rund 3 Milliarden
Mark aus Steuern bestritten.
Bei der Beurteilung der Zunahme des Papierumlaufs ist zu be-
rücksichtigen, daß Deutschland die besetzten Gebiete im Westen
und Osten mit Umlanfsmitteln zu versehen hatte. Wenn auch zur Ent-
lastung der Reichsbank in diesen Gebieten besondere Einrichtungen
getroffen wurden — so in Belgien durch die Verleihung des Rechtes
der Notenausgabe an die Soci6t6 Generale, in Polen durch die Schaffung
der Polnischen Darlehnskasse, in Kurland, Livland und Estland durch
die Darlehnskasse Oberost — so wuchs doch der Uralauf deutscher
Geldzeichen dort zu großen Summen an. Allein in Belgien wurden nach
Abschluß des Waffenstillstandes von der dortigen Regierung nicht
weniger als 6 Milliarden Mark deutschen Papiergeldes eingelöst, von
denen allerdings ein erheblicher Teil erst kurz vor der Einlösung aus
gpekulativen Gründen nach Belgien gebracht worden war. Auch im
neutralen Auslande waren in der Erwartung einer Besserung des
Markkurses nicht unerhebliche Beträge deutschen Papiergeldes an-
gesammelt worden. Außerdem waren große Summen in den Heeres-
kassen gebunden. Schließlich erforderte auch der innere deutsche
Verkehr infolge des ZurUcktretens des Wechsels und des Ueberhand-
nehmens der Barregulierung beträchtlich größere Mengen an Zahlungs-
mitteln als in Friedenszeiten.
216 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmotallverhältuisse.
Die Entwicklung der Umlaafsverbältnisse in Deutschland ist
t}-pisch für diejenijren der kriegführenden Länder.
Sogar in England, wo die Hanknote in Friedenszeiten an Be-
deutung für den Zahlungsverkehr gänzlich hinter dem Scheck zurück-
trat und wo auch im Kriege die inflationistische Vermehrung der dem
Scheckverkehr als Grundlage dienenden Bankguthaben eine beträchtlich
größere Holle spielte als die Vermehrung der papierenen Geldzeichen,
ist eine erhebliche Zunahme des Papierumlaufs eingetreten. In der
Vorkriegszeit wies die Bank von England seit langem regelmäßig einen
Goldbestand auf, der nicht unbeträchtlich höher war als ihre Noten-
ausgabe. Noch der letzte Juliausweis des Jahres 1914 verzeichnete
einen Goldvorrat von 38,1 Millionen Pfund Sterling gegenüber einem
Notenumlauf von nur 29,7 Millionen Pfund Sterling. Der Stand der
täglich fälligen öffentlichen und privaten Guthaben bei der Bank von
England war dagegen 68,2 Millionen Pfund Sterling. Mitte 1916
waren die öfl'entlicheu und privaten Guthaben auf 162,6 Millionen Pfund
Sterling angewachsen, der Goldbestand auf 60,3 Millionen Pfund Sterling,
während der Notenumlauf sich auf der mäßigen Höhe von 36,4 Mil-
lionen Pfund Sterling hielt. Neben den Noten der Bank von England
waren jedoch damals bereits Currency Notes im Betrage von 122 Mil-
lionen Pfund Sterling in Umlauf, denen eine Golddeckung von nur
28.5 Millionen Pfund Sterling gegenüberstand. Um die Jahreswende
1918/19 waren die täglich fälligen Guthaben bei der Bank von England
auf 241.2 Millionen Pfund Sterling gestiegen, der Goldvorrat auf 80 Mil-
lionen Pfund Sterling, der Notenumlauf auf 70,2 Millionen Pfund Sterling,
der Umlauf der Currency Notes — bei einer unveränderten Gold-
deckung in Höhe von 28,5 Millionen Pfund Sterling — auf 323,2 Mil-
lionen Pfund Sterling. Es waren also damals gegenüber einer starken
Ueberdeckung der Noten in der Vorkriegszeit, 313 Millionen Pfund
Sterling (= 6,4 Milliarden Goldmark) ungedeckter Papierscheine vor-
handen, dazu ein Plus von 173 Millionen Pfund Sterling aus sonstigen
täglich fälligen Verbindlichkeiten.
Weit stärker als in Deutschland war bis in die letzte Phase des
Krieges hinein die Zunahme des ungedeckten Papierumlaufs in Frank-
reich, obwohl die französischen Kriegskosten hinter denjenigen Deutsch-
lands zurückblieben, obwohl das ohnehin schon kleinere Umlaufsgebiet des
französischen Geldes während des Krieges — im Gegensatz zu Deutsch-
land — keine Erweiterung, sondern eine Verengerung erfuhr und obwohl
Frankreich — gleichfalls im Gegensatz zu Deutschland — einen er-
heblichen Teil seiner Kriegsausgaben durch auswärtige Anleihen (Ver-
einigte Staaten und England) finanzieren konnte. Schon Ende 1916
stellte sich der nichtgedeckte Notenumlauf der Bank von Frankreich
auf 13,3 Milliarden Fr. = 10,8 Milliarden Mark, während gleichzeitig
die durch Gold nicht gedeckte Papiergeldausgabe Deutschlands nur
8,4 Milliarden Mark betrug. Mitte 1918 war der ungedeckte Noten-
umlauf der Bank von Frankreich 25,2 Milliarden Fr. = 20,3 Milliarden
Mark, während die ungedeckte Papiergeldausgabe Deutschlands nur
etwa 17 Milliarden Mark betrug. Erst in den Monaten des Zusammen-
7. Kapitel. EntwickluDg des Geldwesens seit Ausbrach des Weltkrieges. § 5. 217
bruchs überholte die Flut der ungedeckten Papiergeldausgabe in Deutsch-
land den französischen Stand. Am Jahresschluß 1918 standen 30 Milli-
arden Mark in Deutschland nur 27,6 Fr.= 22,3 Milliarden Mark in
Frankreich gegenüber.
Am ungünstigsten entwickelten sich die Verhältnisse in Rußland.
Bei Kriegsausbruch waren die Noten der Russischen Reichsbank fast
in vollem Umfang durch Gold gedeckt: einem Notenumlauf von 1634
Millionen Rubel stand ein Goldbestand von 1600 Millionen Rubel gegen-
über. Bereits um die Wende des Jahres 1915/16 war der ungedeckte
Notenumlauf auf rund 3,7 Milliarden Rubel = 8,14 Milliarden Mark,
Ende 1916 auf 7,1 Milliarden Rubel = 15,6 Milliarden Mark an-
geschwollen (in Deutschland gleichzeitig nur 8,4 Milliarden Mark).
Der letzte vor der bolschewistischen Revolution veröffentlichte Ausweis
der russischen Reichsbank (23. November 1917) zeigte einen durch
Gold nicht gedeckten Notenumlauf von 17,6 Milliarden Rubel = 38,7
Milliarden Mark (in Deutschland gleichzeitig erst etwa 13 Milliarden
Mark).
Die gleichfalls sehr ungünstige Entwicklung in Oesterreich-
Ungarn, ebenso die Entwicklung in Italien und in einer Anzahl
neutraler Länder ist aus den Tabellen auf S. 229 und 230 ersichtlich.
Sehr bemerkenswert ist die Gestaltung der Verhältnisse des Geld-
umlaufs in den Vereinigten Staaten.
Die kurz vor Kriegsausbruch ins Leben gerufenen Federal Reserve
Banks hatten bis zur Zeit des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Krieg
zwar einen sehr stattlichen Goldbestand angesammelt, ihre Notenausgabe
war jedoch gänzlich bedeutungslos geblieben. Noch Ende 1916 betrug
die Notenausgabe der Federal Reserves Banks nur 14,1 Millionen Dollar;
sie wurde um mehr als das Dreißigfache durch den Goldvorrat in Höhe
von 453,7 Millionen Dollar übertroffen. Dagegen brachte der gewaltige
Goldzufluß der beiden folgenden Kriegsjahre eine noch stärkere Zu-
nahme der Notenausgabe. Ende 1918 stand bei den Federal Reserve
Banks einem Goldbestand von 2090 Millionen Dollar ein Notenumlauf
von 2802 Millionen Dollar gegenüber. In den beiden Jahren 1917
und 1918 wuchs also die amerikanische Zirkulation nicht nur um den
Betrag des Goldzuflusses, der sich auf rund 1640 Millionen Dollar
stellte, sondern darüber hinaus noch um die Steigerung der Noten-
ausgabe der Federal Reserve Banks; während Ende 1916 der Noten-
umlauf um rund 440 Millionen Dollar durch Gold überdeckt war, stellte
sich Ende 1918 der durch Gold nicht gedeckte Notenumlauf auf
712 Millionen Dollar, Die Vermehrung des amerikanischen Geldumlaufs
in den zwei Jahren 1917 und 1918 betrug mithin 1152 Millionen Dollar.
In allen kriegführenden Ländern trat also, wie sich aus der vor-
stehenden Darstellung ergibt, eine beträchtliche Steigerung des Geld-
umlaufs ein, die zwar nicht ausschließlich, aber doch vorwiegend da-
durch verursacht wurde, daß die Staatsgewalt unmittelbar oder mittelbar
2 IS Erstes Buch. 11. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
sich der Macht der GeldschalTiin«:^ zur Geldbeschafluug für Kriegszwecke
bediente. Zu den tiefeinschneidendeu qualitativen Aenderungen in den
Geldverfassun^eu, die auf dem Wege der Gesetzgebung und Verwaltung
herbeigeführt wurden, kamen also gewaltige Veränderungen quantitativer
Art, und zwar sowohl in dem Gesamtumfang des Geldumlaufs der
einzelnen f^änder, wie auch in der Zusammensetzung des Geldumlaufs
nach Metall und Papiergeld und in dem Verhältnis der für die Papier-
geldausgabe verfügbaren metallischen Deckung.
§ 6. Die Inflation bei den Neutralen.
Ebenso wie die durch den Krieg verursachten konstitutionellen
Erschütterungen des Geldwesens von den unmittelbar am Kriege be-
teiligten Ländern sofort auch auf die Neutralen übergriffen, wie auch
diese sich zur Einstellung der Goldeinlösung für die papiernen Geld-
zeichen, zu Ausfuhrverboten für Gold, zur Schaffung neuer Geldzeichen
aus Papier und unedlen Metallen, teilweise auch zu Maßnahmen gegen
die Ueberflutung mit Gold veranlaßt sahen, ebenso unterlag das Geld-
wesen der Neutralen auch den quantitativen Veränderungen.
Allein schon die bereits besprochene Verschiebung in den natio-
nalen Golübeständen, der Zustrom von Gold aus den kriegführenden
zu den neutralen Ländern, hatte eine Vermehrung des Gelduralaufs in
den letzteren zur unmittelbaren Folge. Zunächst nur eine Vermehrung
des Goldumlaufs. Aber dabei blieb es nicht. Auch die Neutralen, vor
allem die den Kriegsschauplätzen am nächsten gelegenen europäischen
Neutralen, sahen sich durch den Krieg vor große Ausgaben gestellt,
für deren Finanzierung sie zum Teil auf die Hilfe ihrer Notenbanken
zurückgriffen. Es sei nur an die Mobilmachungen der Neutralen zum
Schutz ihrer Neutralität erinnert. Zu den vermehrten Ausgaben des
Staates kam der erhöhte Geldbedarf der Wirtschaft, hervorgerufen durch
die Notwendigkeit der Barregulierung in vielen Fällen, in denen früher
die Regulierung auf dem Wege des Kredits und der Verrechnung üblich
gewesen war, durch das Steigen der Preise und durch die Forcierung
der Produktion, die durch die dringende und unersättliche Nachfrage
der Kriegführenden verursacht wurden. Der so entstehende Mehrbedarf
an Zahlungsmitteln überschritt vielfach erheblich die durch den Gold-
zufiuß bewirkte Vermehrung des Geldumlaufs und führte zu einer
wachsenden Beanspruchung der Notenbanken und zu einer beträcht-
lichen Zunahme des ungedeckten Notenumlaufs.
Vom Ende des Jahres 1913 bis zum Ende des Jahres 1918
nahmen zu:
bei der Schweizerischen Nationalbank: der Goldbestand um 209, der
Notenumlauf auf 662 Millionen Fr.;
bei der Niederländischen Bank: der Goldbestand um 538, der Noten-
umlauf um 735 Millionen Fl.;
bei der Schwedischen Reichsbank: der Goldbestand um 184, der
Notenumlauf um 443 Millionen Kronen.
Eine Ausnahme machte in Europa nur Spanien, bei der sich die
Zunahme des Goldbestandes und des Notenumlaufs einigermaßen die
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbrach des Weltkrieges. § 7. 219
Wage hielt. Der Goldbestaud der Bank von Spanien stieg um 1,748 Milli-
onen Peseten, der Notenumlauf um 1,887 Millionen Peseten ').
Die durch den Krieg hervorgerufene „Inflation" blieb also nicht
auf die kriegführenden Länder beschränkt, sie wurde zu einer Welt-
erscheiuuug.
§ 7. Das Geldwesen iu der Nachkriegszeit.
Es sind jetzt (Februar 1923) mehr als vier Jahre verflossen seit
mit dem „Waffenstillstand" vom November 1918 der „Krieg" sein Ende
fand. Aber der damals geschaffene „Friede" ist von keinem Anderen
als dem Manne, der ihm das Gepräge gegeben hat, von Herrn Clemenceau
als die „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln" bezeichnet
worden. Einen wahren Frieden hat die Welt noch nicht gefunden.
Zum mindesten von Frankreich wird der Kampf mit dem Ziel der
völligen Unterdrückung, der wirtschaftlichen Verkrüppeluug, der finan-
ziellen Entblutung und der politischen Zerstückelung Deutschlands fort-
gesetzt. Das Diktat von Versailles, genannt „Friedensvertrag", gibt
Frankreich für die Führung dieses Krieges die Waffen, vor allem die
Waffe der Deutschland auferlegten unerfüllbaren Kriegsentschädigung.
In Ausführung des Versailler Diktats sind Deutschland Zahlungen an
das Ausland für „Reparationen", für den angeblichen Ausgleich voü
Vorkriegsschulden, für Besatzungskosten, Kontrollkommissionen usw.
auferlegt worden, die Jahr für Jahr einen größeren Betrag ausmachen,
als der ganze monetäre Goldbestand Deutschlands in der Vorkriegszeit.
Der Kapitalbetrag der „Keparationsschuld" Deutschlands ist in dem
„Londoner Zahlungsplan" vom Mai 1921 mit 132 Milliarden Goldmark
auf eine Summe festgesetzt worden, die größer ist als das gesamte
durch Krieg, Friedensbedingungen und Revolution stark verminderte
deutsche Volksvermögen. Auch die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen
der Siegerstaaten sind mit Kriegsschulden in einem Umfange beschwert,
wie er in der bisherigen Entwicklung der Völker ohne Beispiel ist.
Nach dem Stand vom Juli 1921 betrugen die aus dem Kriege ent-
standenen Forderungen der Vereinigten Staaten an ihre verschiedenen
Verbündeten einschließlich aufgelaufener Zinsen mehr als 11 Milliarden
Dollar; England allein schuldet an die Union 4,573 Millionen Dollar, Frank-
reich 3,634 Millionen Dollar, Italien 1,H09 Millionen Dollar. England hin-
wiederum hat aus Kriegsvorschüssen insgesamt Forderungen in Höhe von
1,787 Millionen Pfd.St., davon 561 Millionen Pfd.St. an Rußland, 557 Milli-
onen Pfd.St. an Frankreich, 477 Millionen Pfd.St. an Italien, 103 Millionen
Pfd.St.au Belgien. Gegenüber dieser gegenseitigen Verschuldung versagt die
Tragkraft des zwischenstaatlichen Handels, der im bisherigen Verlauf der
Wirtschaftsgeschichte durch Einfuhr- und AusfuhrUberschüße die sich aus
internationalen Verschuldungsverhältnissen ergebenden Zahlungsverpflich-
tungen in der Hauptsache reguliert hat. Die Kaufkraft großer Gebiete,
insbesondere Deutschlands, das vor dem Kriege allein ein Achtel des
Weltexports aufgenommen hat, wird unter der Last der ihnen auf-
') Die Einzelheiten der Entwicklung sind aus den Uebersichten auf S. 229
«nd 230 ersichtlich.
o^ü Erstes Buch. II. Abscbnitt. Die Gestaltung der Edelmetall Verhältnisse.
erlegten Vcrschulduug erdrückt; dieselben Gebiete werden unter dem
Druck ihrer Zahlungsverptiichtungeu zu einem Schleuderausverkauf an
Waren und Produktionsmitteln gezwungen. Die notwendige Wirkung
auf die Gläubigerländer ist Verminderung der Arbeitsgelegenheit und
Arbeitslosigkeit. Die Weltwirtschaft kann nicht zur Ruhe und die inter-
nationale Geidverfassung kann nicht zur Ordnung kommen, ehe nicht
die internationale N'erschuldung in einer Weise geordnet ist, daß die
ans ihr entstehenden Jahresverpflichtuugeu durch den internationalen
Warenverkehr ohne schwere Störungen beglichen werden können.
Die Rückwirkungen der aus dem Krieg und den Friedensbedingungen
erwachsenen internationalen Verschuldung auf die Finanz- und Wirt-
schaftsverhältnisse der einzelnen Länder sind erschwert worden durch
die Zerstörungen, die der Krieg an sachlichen Produktionsmitteln, vor
allem aber an der menschlichen Arbeitskraft angerichtet hat. Dazu
kommen in einzelnen Fällen besondere Verhältnisse: in Rußland die
bolschewistische Revolution, die mit der Zerstörung des ganzen staat-
lichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen GefUges dieses wichtige
Produktions- und Absatzgebiet aus der Weltwirtschaft nahezu völlig
ausgeschaltet hat; in Deutschland die durch die Revolution herbei-
geführte Verschiebung in den innerpolitischen und sozialen Macht-
verhältnissen, die sich vorläufig noch in einer starken Beeinträchtigung
der Gutererzeugung auswirkt; im Südosten Europas die Zertrümmerung
der Donaumonarchie und damit die Auflösung eines großen einheitlichen
Wirtschaftsgebietes in Bestandteile, die ihre Lebensfähigkeit noch nicht
erwiesen und ein wirtschaftliches Gleichgewicht in sich selbst noch
nicht gefunden haben. Dazu kommt, daß die Friedensverträge mit der
handelspolitischen Disqualifizierung Deutschlands (Vorenthaltnng der
Meistbegünstigung usw.) die Grundlage der Gleichberechtigung zerstört
haben auf der vor dem Kriege der Welthandel aufgebaut war; daß ferner
fast in allen Staaten Verbote und Einschränkungen für Einfuhr und
Ausfuhr fortbestehen.
Die Weltwirtschaft ist also nach wie vor desorganisiert, und die
einzelnen nationalen Wirtschaften stehen noch im Zeichen der gewaltigen
Erschütterungen, die der Krieg ausgelöst hat. Dieser Zustand gibt
auch dem Geldwesen der Nachkriegszeit das Gepräge.
Die durch den Krieg verursachten konstitutionellen Ver-
änderunge.n der einzelnen nationalen Geldverfassungen
sind noch nicht wieder beseitigt: Die Goldeinlösung der papiernen
Geldzeichen bleibt praktisch, sei es durch Gesetz, sei es durch Ver-
waltungsmaßnahmen, in allen Ländern außer den Vereinigten Staaten
von Amerika unterbunden; die Goldausfuhr ist noch nirgends, außer in
den Vereinigten Staaten von Amerika, von allen Beschränkungen befreit.
Die vor dem Kriege universelle Goldwährung ist bis zum heutigen Tage
die seltene Ausnahme; die Papierwährung beherrscht die Welt. Da
die Freizügigkeit des Goldes im Weltverkehr noch nicht wieder herge-
stellt ist und da mit der Universalität der Goldwährung die einheit-
liche Grundlage der internationalen Geldverfassung abhanden gekommen
ist, konnte die internationale Geldverfassung selbst noch nicht wieder
7. Kapitel. Entwicklang des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 7. 22 1
aufgebaut werden: statt der durch das Gold zusammengehaltenen inter-
nationalen Geldverfassung der Vorkriegszeit haben wir ein chaotisches
Nebeneinander nationaler Geldsysteme, denen in ihrer
wechselseitigen Beziehung jeder Gleichgewichtspunkt fehlt.
Die großen quantitativen Verschiebungen und Ver-
änderungen im internationalen Geldwesen und im Geldwesen der
einzelnen Staaten, die der Krieg mit sich gebracht hatte, setzten -sich
in der Nachkriegszeit fort. In Art und Umfang waren sie deutlich
beeinflußt durch die neuen und für die einzelnen Länder durchaus ver-
schiedenartigen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Macht-
verhältnisse, die der Ausgang des Krieges und die Friedensbedingungeu
geschaffen hatten.
Was zunächst die Goldbewegung anbelangt, so mußte Deutsch-
land eine weitere erhebliche Schwächung seines Goldbestandes hinnehmen.
Aufgrund des Waffenstillstandsvertrages mußte die Reichsbank das
von Rußland erhaltene Gold an die Entente herausgeben, außerdem
mußte sie der Entente für die von dieser zugelassenen und vermittelten
Einfuhr von Lebensmitteln große Beträge in Gold zur Verfügung stellen.
Von 2 262 Millionen Mark Ende 1918 ging demgemäß der Goldbestand
der Reichsbauk auf 1 089 Millionen Mark Ende 1919 zurück. Im
Jahre 1920 hielt er sich ungefähr auf dieser Höhe. Im Jahre 1921
sank er im Zusammenhang mit der Zahlung der ersten Goldmilliarde
auf die uns im Londoner Zahlungsplan vom Mai 1921 auferlegten Ver-
pflichtungen um eine Kleinigkeit unter den Stand von einer Milliarde
Mark herab. Ende 1922 stellte er sich auf 1 005 Millionen Mark.
Gegenüber dem höchsten Stande während des Krieges hat also die
Reichsbank mehr als 1 Yg Milliarden Gold abgeben müssen. Außerdem
hat Deutschland gegenüber dem Stand vor dem Kriege seinen ganzen
Goldumlauf im Betrage von mehr als 3 Milliarden Mark verloren, dazu
alles, was au goldenen Schmucksachen während des Krieges an die
Reichsbank abgeliefert worden ist.
Das von Deutschland nach dem Kriege abgegebene Gold kam
in erster Linie England, Frankreich und den Vereinigten Staaten
zugute.
Trotz weiterer, nicht unerheblicher Goldabflüsse nach Amerika ver-
mochte die Bank von England ihren Goldbestand von 80 Millionen
Pfund Sterling Ende 1919 auf 91,4 Millionen Pfund Sterling Ende 1919
und 128 Millionen Pfund Sterling Ende 1920 zu steigern und ihn seit-
her auf dieser in der Geschichte der Bank unerhörten Höhe zu halten.
Zu der sprunghaften Steigerung im Jahre 1920 hat allerdings in erster
Linie der Umstand beigetragen, daß die englischen Privatbanken sehr
erhebliche Goldraengen an das Zentralinstitut abgaben.
Die Bank von Frankreich konnte ihren Goldvorrat') von
3 318 Millionen Fr. Ende 1918 auf 3 600 Millionen Ende 1920 und
3 670 Millionen Ende 1922 bringen.
') Ohne das „Gold im Auslande''.
222 Erstes Buch. II, Abschnitt Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse,
Die Bank von Italien hat ihren Goldbestand seit dem
Jahre 1918 mit geringen Schwankungen auf ungefähr der gleichen
Höhe gehalten.
Von den Notenbanken der europäischen Neutralen vermochte die
Bank von Spanien ihren Goldbestand noch vpeiter zu erhöhen
(von 2 228 Millionen Peseten Ende 1918 auf 2 513 Millionen Peseten
Ende 1921), ebenso die Schweizerische Nationalbank (von
415 Millionen !>. Ende 1918 auf 549 Ende 1921) und die Dänische
Nation alb an k (von 197 auf 230 Millionen Kronen), während die
Niederländische Bank, die Schwedische Reichsbank
und die Bank von Norwegen eine leichte Abnahme zu verzeichnen
hatten.
Die Vereinigten Staaten zogen neben ihrer eignen Gold-
gewinnung, die eine rückläufige Bewegung aufweist, aus Europa auch nach
dem Abschluß des Krieges nicht unbeträchtliche Goldmengen an sich,
gaben aber andererseits große Beträge Goldes an die mittel- und süd-
amerikanischen Staaten und an Ostasien ab. Im Jahre 1919 stand
sogar einer Goldeiufuhr von 77 Millionen Dollar eine Goldausfuhr in
Höhe von 368 Millionen Dollar gegenüber. Im folgenden Jahre, 1920,
stieg dagegen die Einfuhr von Gold auf 429 Millionen Dollar; die Aus-
fuhr stellte sich auf 322 Millionen Dollar; von dieser Summe gingen
allein nach Japan über 100 Millionen Dollar, nach Argentinien 90 Millionen
Dollar. Das Jahr 1921 brachte den Vereinigten Staaten einen Gold-
zuflaß in Höhe von nicht weniger als 691 Millionen Dollar; davon
kamen aus Europa allein 530 Millionen Dollar, ein großer Teil davon
aus Rußland. Die Goldausfuhr betrug nur 24 Millionen Dollar, sodaß
die Mehreinfuhr von Gold sich für 1921 auf 667 Millionen Dollar stellte.
Der Goldbestand der Federal Reserve Banks zeigte in den
Jahren 1919 und 1920 keine wesentlichen Veränderungen, stieg jedoch
im Jahre 1921 von 2 059 auf 2 870 Millionen Dollar (bis Ende 1922
auf 3040 Millionen Dollar). Der gesamte monetäre Goldbestand der
Union wurde für Ende 1921 amtlich auf 3 766 Millionen Dollar geschätzt:
das sind mehr als 40 Prozent des monetären Goldbestandes der Welt.
Die Bank von Japan, die während des Krieges — von
Anfang 1914 bis Ende 1918 — ihren Goldbestand bereits von 224 auf
713 Millionen Yen hatte erhöhen können, verzeichnete bis Ende 1921
einen weiteren Zuwachs auf 1 246 Millionen Yen.
Die Verschiebung im monetären Goldbestande der Welt zuungunsten
Europas und zugunsten der neuen Welt und Ostasiens nahm also in
der Nachkriegszeit ihren Fortgang.
Die Einzelheiten der Verschiebung in den Goldbeständen der
großen Notenbanken sind aus der Uebersicht auf S. 229 ersichtlich.
Dabei geben die Verschiebungen in den Goldbeständen der Zentral-
notenbanken noch nicht ein vollständiges Bild. Es muß hinzugenommen
werden, daß in den europäischen Ländern das vor dem Krieg im freien
Umlauf befindliche Goldgeld, dazu große Mengen von Gold, das bisher
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbrach des Weltkrieges. § 7. 223
zu Schmucksachen und Geräten Verwendung gefunden hatte, in den
Zentralnotenbanken konzentriert worden ist. Einen annähernden Ueber-
blick über die Verschiebungen des monetären Goldbestandes zwischen
den einzelnen Ländern und Weltteilen geben die folgenden, auf den
Schätzungen des amerikanischen Miinzdirektors beruhenden Uebersichten,
Monetärer Edelmetallvorrat der Welt am 31. Dezember 19 20.
Gold
Silber
Auf den Kopf der Bevölkerung
Länder
Gold
Silber
zusammen
Mill.
Mark
ilark
Mark
Mark
Deutschland
1092,1
1491,0
19,74
27,05
46,79
England
3 377,8
1 328,5
73,37
28,81
102,18
Frankreich
2 879,2
21.5,9
49,14
5,21
54,35
Italien
858,3
94,1
23,35
2,56
25,91
Deutsch-Oesterreich . . .
7,6
1,22
—
1,22
Rußland
1 260,0
—
6,89
—
6.89
Belgien
216,0
22,2
28,18
2,90
31,08
Bnigarien
30,1
13,7
5,42
2,48
7,90
Tschecho-Slowakei ....
25,6
68,8
1,85
5,04
6,89
Dänemark
256,0
3,0
85,64
0,97
86.61
Finnland
63,5
19,3
19,07
5,84
24,91
Ungarn
29,4
5,8
1,43
0,25
1,68
Jugoslavien
52,0
12,5
3 74
0,88
4,62
Lettland
9,2
—
6,13
—
6,13
Niederlande
1 074,0
218,4
158,47
32,05
190,52
Norwegen
165,8
—
72,37
—
72,37
Polen
12,4
37,6
1,01
3,11
4,12
Portnüfal
39,0
80,1
6,51
13,40
19,91
Rumänien
1,4
—
0,08
—
0,08
Spanien
1 990,0
465,0
93,41
22,30
115,71
Schweden
318,4
1,1
54,77
0,21
54,98
Schweiz
387,2
98,5
100,34
25,54
125,88
Europa
14 145,0
4 17 .,5
27,43
8,09
35,52
Vereinigte Staaten ....
12 185,3
2 480,0
112,77
22,93
135.70
Kanada
472,9
120,3
56,53
14,36
70,89
525,5
106,6
33,89
12,31
46,20
Britisch Honduras . .
0,1
0,9
3,28
20,58
23,86
t'uba
189,0
35,7
65,18
12,31
77,49
Haiti
3,4
0,5
1,34
0,17
1,51
Honduras ......
0,1
4,8
0,25
7,52
7,77
Nicarat^ua
1,1
—
1,76
1,76
Britisch Westindien . . .
—
2,0
—
5,50
5,50
Französisch Westindien
1,3
0,5
6,17
2,35
8,52
2 076,6
259,27
—
259,27
Brasilien
140,9
4,70
—
4,70
97,9
28,5
17,89
5,17
23,06
Britisch Guayana ....
—
6,4
—
20,58
20,58
Peru
111,9
—
19,28
—
19,28
ürnguay
261,5
—
173.54
—
173,54
Venezuela
94,7
44.2
11,79
19,91
61.70
Amerika
16 161,2
2 831,5
79,19
13,88
93,07
224 Erstes Buch. IT. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Länder
Gold
Silber
Mill. Mark
Auf den Kopf der Bevölkerung'
Gold
Mark
Silber
Mark
zusammen
Mark
Acirypten
Uebriges Afrika
Afrika
Australien
China ........
Japan
Indien (Britisch)
Indien (Niederländisch) . .
uebriges Asien
Asien
lusgesamt
1 (5,3
199.4
215,7
484,7
21,0
2 711,0
488,3
373,8
31.9
150,5
292.8
1,26
5,78
443.3
3.96
75.17
504,8
119,8
1 304,4
176.2
0,04
34,48
1,51
7,01
0,72
3 626,0 2 105,2
4,46
34 632,6 I 9 555,5 | 21,67
11,80
7,02
8,14
1,51
1.51
4,12
3,96
2,60
6.01
13,06
11,80
12,10
75,17
1,55
35,99
5,63
7,01
4,68
7.06
27.68
Veränderungen im monetären Goldbestand wichtiger
Länder von Ende 1913 bis Ende 1920.
(In Millionen Goldmark.)
Länder
1913
1920
Zu-
bzw. Abnahme
Deutschland
3 280
1245
3 487
5 040
1115
1092
63
3 378
2 8791)
858
— 2 189
Ocsterreich-üngarn (1920 Deutsch-Oesterreich,
Ungarn und Tschecho-iSlowakei) . . .
England
— 1182
— 109
Frankreich
Italien
— 2161
— 157
Europa insgesamt . . .
21828
14 145
— 7 687
Vereinigte Staaten
8 000
594
1224
12 185
473
2 077
+ 4 185
— 126
Kanada
Argentinien
4- 848
Amerika insgesamt . .
10717
16 161
+ 5 444
Afrika insgesamt . . .
»66
216
— 650
Australien insgesamt . .
909
484
— 425
Asien insgesamt ....
2 132
3 626
+ 1 494 *)
Noch bezeichnender als die Goldbewegnug ist die in der Nach-
kriegszeit in den verschiedenen Ländern eingetretene Entvsricklung des
Papiergeldumlauf a.
^) Ohne das von der Bank von Frankreich ausgewiesene „Gold im Ausland".
*) Die Zunahme entfällt so gut wie ausschließlich auf Japan, das seinen
Goldbestand von 546 auf 2 711 Millionen Mark erhöhte; die übrigen asiatischen
Länder, namentlich Indien, zeigen eine Abnahme ihrer Goldbestände.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 7, 225
In Rußland ist die Ausgabe von Rubelnoten auf Trillionen
augewachsen. Zu Anfang des Jahres 1922 waren 17 Trillionen
— 17 UüO 000 000 000 000 I — Papierrubel ausgegeben. Bis Ende
März 1922 wuchs der Papierumlauf weiter auf 71 Trillionen Rubel.
In dem neuen polnischen Staat hat der Papieruralauf im
Oktober 1922 den Betrag von 463 Milliarden polnische Mark erreicht.
Eine lawinenartige Zunahme des Papierumlaufs trat auch in Oester-
reich ein.
Aber auch in Deutschland ist die Papierflut seit dem Ab-
schluß des Krieges in erschreckender Progression angewachsen.
Die gewaltige Erhöhung des deutschen Papierumlaufs
in der Nachkriegszeit ist die unmittelbare Folge der durch die
Revolution und die Friedensbediugungen völlig zerrütteten Reichsfiuanzen.
Die Nachwirkungen des Krieges selbst treten hinter diesem Faktor
gänzlich in den Hintergrund. Die Verzinsung der während des Krieges
aufgelaufenen Reiehsschuld erfordert von dem im laufenden Rechnungsjahr
(1922) den Betrag von 3000 Milliarden Mark beträchtlich überschreitenden
Ausgabenbedarf noch nicht 8 Millarden. Durch Steuern von einer Schwere,
wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, wurden in den 15 Monaten vom
Mai 1921 bis Juli 1922 die Bedürfnisse der eignen Reiehsverwaltung
annähernd gedeckt. Dagegen ist es ausgeschlossen, die uns im Friedens-
vertrag auferlegten Lasten im Wege der B este uerun g aufzubringen;
denn diese Lasten erreichen zusammen mit den Ausgaben des „inneren
Etats" ungefähr die Höbe des gesamten deutschen Volksvermögens.
Der Weg der Anleihe hat seit Kriegsende und Revolution völlig
versagt. Die einzige seither zur Zeichnung aufgelegte Anleihe, die
„Sparprämienanleihe" des Finauzministers Erzberger, war ein völliger
Mißerfolg. Auch schwere Eingriffe in die Vermögenssub-
stanz, wie das Reichsnotopfer, vermochten nur einen bescheidenen
Zuschuß zur Deckung des Fehlbetrages des Reiches zu beschaffen. So
blieb und bleibt bis zu einer für Deutschland tragbaren Regelung der
Kontributionsfrage das Reich darauf augewiesen, sich für die durch
Steuern und andere Einnahmen nicht gedeckten Ausgaben das Geld
durch die Begebung von Schatzanweisungen zu beschaffen, die, so weit
sie nicht vom freien Verkehr aufgenommen werden, bei der Reichs-
bank gegen Gutschrift auf Girokonto oder gegen Verabfolgung von
Reichsbanknoten diskontiert werden.
Unter diesen Verhältnissen hat sich die Verschuldung des Reiches
folgenderweise entwickelt:
langfristige
schwebende
Anleihen
Schuld
zusammeu
(in Milliar(
len lilark)
Jiittc lyii
4,9
0,5
5,4
Ende IHI8
93,7
55.1
148,8
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89,2
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176,0
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86,0
171,0
260.0
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265,0
338,0
n 1922
64,4
1822,0
1886,4
H e If leri ob, Das Qeld.
15
226 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Die Abnahme der langfristigen Verschuldung um nahezu 30 Milli-
arden Mark seit dem Ende des Jahres 1918 ist in der Hauptsache zu-
rückzuführen einmal auf die Annahme von Kriegsanleihestiicken in
Zahlung auf das Keichsnotopfer, dann auf die zum Zweck der Haltung
des Kurses der Kriegsanleihen vorgenommenen Interventionskäufe, die
das Reich durch die Kriegsanleihe-Aktiengesellschaft hat ausführen
lassen. Infolge dieser Reduktion der konsolidierten Reichsschuld ist
die Bch>Yebende Schuld des Reichs von Ende 1918 bis Ende 1922 nicht
nur um den vollen Betrag der Zunahme der Verschuldung des Reichs
(1737 Milliarden Mark) gestiegen, sondern darüber hinaus noch
um die rund 30 Milliarden Mark, um die die konsolidierte Schuld
des Reiches sich verringert hat, im ganzen um 1767 Milliarden Mark
in vier Jahren!
Die vom Keiche ausgegebeneu Schatzanweisungen bedeuteten in
der Nachkriegszeit ebensowenig, wie im Kriege selbst, in vollem Um-
fang eine Vermehrung des Papierumlaufs. Die Unterbringung der
Schatzscheine im freien Verkehr gestaltete sich in den beiden ersten
Jahren nach dem WaflFeustillstand sogar verhältnismäßig günstig, sodaß
Ende 192Ü von den insgesamt ausgegebenen 152,8 Milliarden Mark nur
57,6 Milliarden in der Reichsbank lagen, während 95,2 Milliarden Mark
außerhalb der Reichsbank untergebracht waren. Im Laufe des Jahres
1921 begann jedoch die Aufnahmefähigkeit des freien Verkehrs für
Reichsschatzanweisungen nachzulassen. Während die Gesamtausgabe
bis Ende Dezember 1921 um 94,3 Milliarden Mark auf 247,1 Milliarden
Mark stieg, nahm der freie Verkehr von dieser Vermehrung nur 19,6
Milliarden Mark auf, sodaß die Reichsbank ihren Bestand au Reichs-
schatzanweisungen UTh 74,7 Milliarden, von 57,6 auf 132,3 Milliarden
Mark, anwachsen sah. Ende Dezember 1922 befanden sich von der
auf 1,822 Milliarden Mark gestiegenen Gesamtausgabe 1,184 in der
Reichsbank.
In Uebereinstimmung mit dieser Entwicklung stieg die Noten-
ausgabe der Reichsbank von 22,2 Milliarden Mark am Ende des Jahres
1918 auf 68,8 Milliarden Mark Ende 1920, 102,3 Milliarden Mark
Ende 1921 und 1280 Milliarden Mark Ende 1922. Dazu kommen noch
die Darlehnskassenscheine, deren Umlauf von 10,1 Milliarden Mark
Ende 1918 auf 13,7 Milliarden Mark Ende 1919 stieg; nach einigen
Schwankungen hat er Ende 1922 ungefähr wieder diesen Stand erreicht.
Nimmt man die Verminderung des Goldbestandes der Reichsbank auf
rund 1 Milliarde Mark hinzu, so ergibt sich, daß in etwa vier Jahren
der Nachkriegszeit der ungedeckte Papiergeldumlauf Deutschlands
auf etwa das 43 fache des Standes vom Ende des Jahres 1918
angeschwollen ist.
Auch in den europäischen „S i e g e r s t a a te n" und in den Ver-
einigten Staaten von Amerika machte die Zunahme des durch
Gold nicht gedeckten Papierumlaufs nach dem Kriegsabschluß zunächst
noch Fortschritte, Die Auswirkungen und die Abwicklung des Krieges
stellten an Staatsfinanzen und Wirtschaft überall gewaltige Ansprüche,
7. Kapitel. Entwicklang des Geldwesens seit Ansbrnch des Weltkrieges. § 7. 227
die ohne Hilfe der Notenbanken und ohne Schaffang neuen Geldes nicht
befriedigt werden konnten.
In England, wo während des ganzen Krieges die Zentral -
notenbauk für ihre Noten eine starke Ueberdeckuog in Gold hatte durch-
halten können, schwoll die Notenausgabe in den Jahren 1919 und 1920
in einem Maße an, das die sehr beträchtliche Zunahme des Goldvorrats
noch übertraf; während von Ende 1918 bis Ende 1920 der Goldbestand
von 79,1 auf 128,1 Millionen Pfd. St. anwuchs, stieg die Notenausgabe
von 70,3 auf 132,8 Millionen Pfd. St., und gleichzeitig nahm der Um-
lauf von Currency Notes, bei unveränderter Golddeckung in Höhe von
28,5 Millionen Pfd. St., von 323,2 auf 367,6 Millionen Pfd. St. zu.
Insgesamt steigerte sich also in diesen zwei Jahren der ungedeckte Papier-
umlauf in England um 57,9 Millionen Pfd. St. Seitdem ist eine Rück-
bildung eingetreten. Ende 1922 stellte eich der Notenumlauf der Bank
von England auf 124,9, die Ausgabe von Currency Notes auf 301,3,
zusammen 426,2 Millionen Pfd. St., denen ein Goldbestand der Bank in
Höhe von 127,4 Millionen Pfd. St, und eine Golddeckung der Currency-
Notes in Höhe von 27 Millionen Pfd. St. gegenüber stand.
In denselben Jahren 1919 und 1920 mußte die Bank von
Frankreich bei einer Zunahme des Goldbestandes um etwa 100
Millionen ihre Notenausgabe von 31 auf 38 Milliarden, also um 7 Milli-
arden Fr, vermehren. Auch die Notenausgabe der Bank von Italien
stieg in diesen beiden Jahren, bei einer Zunahme des Goldbestandes um
65 Millionen Lire, von 9,2 auf 15,4 Milliarden Lire.
In den Vereinigten Staaten zeigt der Goldbestand der
Federal Reserve Banks gerade in den beiden auf den Abschluß des
Krieges folgenden Jahren eine leichte Abnahme (von 2090 auf 2059
Millionen Dollar), während die Notenausgabe gleichzeitig eine Steigerung
von 2862 auf 3561 Millionen Dollar erfuhr. Der durch Gold nicht
gedeckte Notenumlauf der Federal Reserve Banks stieg also um fast
800 Millionen Dollar.
Bei den europäischen Neutralen waren die Veränderungen
des Papiernmlaufs in den beiden ersten Nachkriegsjahren im allgemeinen
unerheblich; nur Spanien machte eine Ausnahme: hier wurde die weitere
Zunahme des Goldbestandes der Zentralbank, von 2228 auf 2457 Mil-
lionen Peseten noch weit übertroffen durch die Zunahme der Noten-
ausgabe, die sich von 3852 auf 4326 Millionen Peseten, erhöhte.
Im Laufe des Jahres 1921 kam jedoch — im Gegensatz zu
der Entwicklung in Rußland, Polen, Oesterreich und Deutschland
— die „Inflation" auch in denjenigen Staaten zum Stillstand, in
welchen sie sich in den beiden Nachkriegsjahren noch fortgesetzt hatte.
Größere Aiileihcoperationen und ein schärferes Anziehen der Steuer-
schraube brachten in den „Siegerstaaten" Ordnung in die öffentlichen
Finanzen oder führten wenigstens erhebliche Fortschritte in dieser Richtung
herbei. Dazu kamen Maßnahmen der Bankpolitik — insbesondere in
den Vereinigten Staaten und in England — die bewußt und planmäßig
15*
228 Erstes Buch. II, Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetall verhältuisse.
auf eine Eiuschräuknng des Papieromhmfs, auf eine „Deflation", hin-
arbeiteten.
Der Board der Federal Reserve Banks der Vereinigten
Staaten erzielte in dieser Politik den Erfolg, daß voiuEude des Jahres 1920
bis zum Ende des Jahres 1922 bei einer Zunahme des Goldbestandes
von 2,059 auf 3,040 Millionen Dollar der Notenumlauf von 3,561 auf
2,464 Millionen Dollar eingeschränkt wurde. Eine Golddeckung der
Noten von knapp 60 Prozent hat sich also in der kurzen Zeit von
1^/^ Jahren in eine starke Ueberd eckung vervs^andelt; trotz der Zu-
nahme des Goldbestandes um 981 Millionen Dollar ist der Papiernmlauf
um 1017 Millionen Dollar verringert worden.
Der Bank von England gelang es in derselben Zeit, bei einem
gleichbleibenden Goldbestand von rund 128 Millionen Pfd. St. ihren
Notenumlauf von 132,8 auf 124,9 Millionen Pfd. St. zu reduzieren.
Gleichzeitig wurde der Umlauf von Currency Notes, der vom Kriegs-
ausbruch bis Ende 1920 ununterbrochen gewachsen war, von 367,6
auf 301,3 Millionen Pfd. St. zurückgeführt. Insgesamt hat also England
in den zwei Jahren seinen Papierumlauf bei gleichbleibender Gold-
deckung um rund 74 Millionen Pfd. St. einschränken können.
Die Bank von Japan verringerte bei annähernd gleichbleibendem
Goldbestand ihren Notenumlauf von 1439 Millionen Yen Ende Dezember
1920 auf 1,108 Millionen Yen Ende März 1922; sie erzielte damit eine
Ueberdeckung ihrer Noten um 120 Millionen Yen,
In Frankreich und in Italien ist vom Jahre 1921 an wenigstens
ein Beharrungszustand herbeigeführt worden. Dasselbe gilt für Spanien.
Auch die übrigen Neutralen zeigten entweder einen Stillstand in
der Geldvermehrung oder eine leichte Deflation. Die Einzelheiten er-
geben sich aus der Uebersicht auf S. 230,
Die Entwicklung, die während des Krieges überall, wenn auch
dem Grade nach verschieden, in der Richtung einer beispiellosen Ver
mehrung der Umlaufsmittel gegangen war, hat also vom Jahre 1921
an begonnen, sich stark zu diff'erenzieren. Während die „Inflation"
in den Ländern, die durch den Kriegsausgang und innere Wirren
am schwersten getroffen worden sind, daneben in dem durch die
Gunst der Alliierten künstlich großgemachten, aber staatsun-
tauglichen Polen, progressiv weitergeht, ist sie in dem weitaus
größten Teil der Welt zum Stillstand gekommen und in einer Anzahl
von Ländern, namentlich in den Vereinigten Staaten von Amerika,
in Japan und in England von einer ausgesprochenen „Deflation"
abgelöst worden.
§ 8. Das Wertverhältnis von Geld und Geldmetall im Krieg
nnd in der Nachkriegszeit.
Die konstitutionellen und quantitativen Veränderungen, die das
Geldwesen aller am Kriege unmittelbar und mittelbar beteiligten Länder
erfuhr, hatten starke Einwirkungen auf den gesaraten Komplex von
Erscheinungen, die man mit dem Begriffe des „Geldwertes" in Zu-
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 8. 229
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T.Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §8. 231
sammenhaüg zu bringen pflegt. Das Wesen und der innere Zusammen-
hang dieser Erscheinungen wird im IV. Abschnitt des zweiten (theore-
tischen) Teiles dieses Buches eingehender behandelt werden. An dieser
Stelle kann nur die Klarstellung der historischen Entwicklung des
Wertverhältnisses zwischen dem Geld und den beiden Geldmetallen
sowie des Wertverhältnisses zwischen den einzelnen nationalen Geld-
einheiten in Frage kommen.
a) Das Wertverhältnis von Geld und Gold.
Das Geldwesen fast der gesamten Kulturwelt hatte sich vor dem
Kriege auf der Grundlage der Goldwährung konsolidiert; d. h. in den
einzelnen Ländern hatte die wechselseitige freie Umwandelbarkeit von
Gold und Geld, wie sie in der freien Ausprägung des Metalles Gold
und in der freien Einlösbarkeit der nicht aus Gold bestehenden Geld-
sorten "in Goldgeld gegeben war, eine feste Wertbeziehung zwischen
Geld und Gold, die eich in einem stabilen Goldpreise ausdrückte,
hergestellt; diese festen Wertbeziehungen zwischen den einzelnen
nationalen Geldeinheiten, der Mark, dem Pfund Sterling, dem Franken,
dem Dollar usw., zum Metalle Gold hatten die Wirkung, daß einmal das
Wertverhältnis zwischen den einzelnen nationalen Geldeinheiten, wie es
hauptsächlich in den auswärtigen Wechselkursen zum Ausdruck kommt
(Valuta), annähernd dieselbe Stabilität aufwies, wie das Wertverhältnis
zwischen den einzelnen nationalen Geldeinheiten und dem Golde; daß
ferner die Tauschverhältnisse zwischen dem Gelde und den übrigen
Waren, die Warenpreise, in dem sich nur langsam und schwerflüsssig
rerändernden Wertverhältnis zwischen dem Metalle Gold und den übrigen
Waren einen Rückhalt hatten.
Der durch konstitutionelle Einrichtungen des Geldwesens gesicherte
feste Goldpreis war also der tragende Pfeiler für das Wertverhältnis
zwischen den einzelnen nationalen Geldeinheiten, d. h. für die valuta-
rischen Beziehungen zwischen den einzelnen nationalen Geldver-
fassungen; ferner für das Wertverhältnis zwischen Geld und Waren,
d. h, für die Kaufkraft des Geldes.
Die konstitutionellen Einrichtungen des Geldwesens, auf denen
der Pfeiler des festen Goldpreises ruht, sind durch den Krieg, wie
oben dargestellt wurde, fast überall beseitigt worden. Die Einlösbar-
keit der nicht aus Gold bestehenden Zahlungsmittel in Goldgeld wurde
überall aufgehoben und ist bis zum heutigen Tage nur in den Ver-
einigten Staaten von Amerika wieder hergestellt. Die freie Ausprägung
für Gold ist zwar in denjenigen Ländern formell in Kraft geblieben,
in denen, weil der Marktpreis des Goldes erheblich über dem MUnzpreii
steht, tatsächlich niemand von dieser Einrichtung Gebrauch zu machen
wünscht; sie ist dagegen in solchen Ländern beseitigt oder wenigstens
eingeschränkt worden, in welchen sich ein starker Zustrom von Gold
fühlbar machte. Dazu kommen alle die Beschränkungen für den
Handel in Gold, insbesondere für die Ausfuhr und Durchfuhr, die dem
Golde seine internationale Freizügigkeit nehmen.
Der Gold markt wurde durch diese Maßnahmen völlig zerstört.
Mit dem Kriegsausbruch gab es keinen einheitlichen, im freien Markte
232 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Zustande gekoniniencn Goldpreis mehr. Der Londoner Markt, auf dem
sich vor dem Kriege der GoldliaDdel der Welt konzentriert hatte, stellte
die Notierung von Gold völlig ein. Auch in den anderen Ländern,
die bisher in bescheidenerem Umfang einen Markt für Gold gehabt
hatten, hörten die Notierungen von Gold auf. Ersatz bildete sich
uirgeuds heraus; auch nicht in den Vereinigten Staaten, Dort wurden
zwar während des Krieges und in den Nachkriegsjahren größere
Quantitäten von Gold umgesetzt als jemals zuvor auf dem Londoner
Markte; aber das Geschäft beschränkte sich auf so wenige große Hände,
daß ein Bedürfnis nach einer offiziellen Notierung von Goldpreisen bis-
her nicht hervorgetreten zu sein scheint. Rückfragen in New York
haben jedenfalls ergeben, daß Preise für Barrengold in keiner Form
notiert werden, daß aber tatsächlich das Gold dort, und zwar dort allein,
zu dem der Goldparität des Landesgeldes, des Dollars bis auf minimale
Abweichungen entsprechenden Preise gekauft und verkauft wird. Nur
in der ersten Zeit des Krieges scheinen auch in New York — in
Verbindung mit dem starken Gold begehr für die kriegführenden Staaten
und den starken Goldverschiffungen dorthin — größere Schwankungen
des Goldpreises vorgekommen zu sein.
In allen anderen Ländern haben sich starke Schwankungen des
Goldpreises eingestellt, die in ihrer Richtung und Ausdehnung von
den verschiedenartigsten Faktoren bestimmt wurden. Zur Feststellung
der Schwankungen ist man angesichts des Mangels an Notierungen für
Barrengold auf den Kurs des allein im großen Ganzen zum Golde in
fester Wertbeziehung gebliebenen amerikanischen Dollar angewiesen,
also auf die Bewegungen der einzelnen Valuten, gemessen am ameri-
kanischen Gelde. Bei den weiter unten vorzunehmenden Nachprüfungen
der seit dem Kriegsausbruch eingetretenen Valutaschwankungen wird
sich ergeben, daß in einzelnen neutralen Ländern der Goldpreis zeit-
weise niedriger gewesen sein muß, als dem Ausmünzungswerte des
Goldes entsprach. In der Hauptsache jedoch hat sich schon in den
neutralen Ländern der Goldpreis höher gestellt als der Ausmünzungs-
wert des Goldes. In den kriegführenden Ländern war das ausnahmslos
der Fall und ist dies bis auf den heutigen Tag ausnahmslos so geblieben.
In England versuchte man zwar die Fiktion eines festen Gold-
preises aufrecht zu erhalten. Es wurde nach Kriegsausbruch an-
geordnet, daß Gold nur an die Bank von England verkauft werden
dürfe, und zwar zu dem alten Preise von 77 sh. 9 d für die Unze
Standard; den südafrikanischen und australischen Minen wurde auf-
erlegt ihre gesamte Goldproduktion zu diesem Preise der Bank von
England zu überlassen. Diese Zwangsvorschriften blieben während der
ganzen Dauer des Krieges in Kraft. Aber die aufgrund dieser
Zwangsbewirtschaftung des innerhalb des britischen Weltreichs ge-
wonnenen Goldes getätigten Verkäufe an die Bank von England geben
kein Bild von der wahren Lage. Die Zwangsvorschriften hatten nur
die Wirkung, daß die Goldförderung einen starken Rückgang erfuhr.
Als im Laufe des Jahres 1919 die britische Regierung den Vorstellungen
der Mineninteressenten nachgab und diesen gestattete, das von ihnen
gewonnene Gold auf dem Londoner Markte zu höheren Preisen als dem
7. Kapitel. Enfwieklnng- des Geldwesens seit Ausbruch dos Weltkrieges. § 8. 233
gesetzlichen Münzpreise zu verkaufen, stellte sich — trotzdem von der
Wiederherstellung eines freien Goldmarktes auch jetzt noch keine Rede
sein konnte — alsbald eine sehr erhebliche Differenz zwischen Markt-
preis und Münzpreis heraus. Die Notierung, die von jetzt ab nicht
mehr für Unzen Standard, sondern für Unzen fein erfolgte, richtete sich
seit jener Zeit völlig nach dem Kurse des amerikanischen Dollar,
Während der gesetzliche Goldgehalt des Sovereign einem Goldpreise
von 84 sh. 11^/4 d entspricht, stellte sich der Marktpreis des Goldes
in London im Februar 1920 zeitweise auf 127 sh 4 d, also nm 50 Pro-
zent höher als der MUnzpreis. In Uebereinstimmung mit der günstigeren
Gestaltung des Dollarkurses trat dann eine Senkung des Goldpreises
ein. Im ganzen schwankte der Marktpreis für Gold in London im
Jahre 1920 zwischen 127 sh 4 d und 102 sh 7 d, im Jahre 1921
zwischen 115 sh 11 d und 97 sh 7 d für die Unze fein. Der Unterschied
zwischen dem Marktpreis und MUnzpreis für Gold, das „Goldagio",
ist also im Laufe des Jahres 1921 bis auf etwa 15 Prozent zurück-
gegangen. Seither ist das Goldagio noch geringer geworden; Ende
1922 war der Londoner Goldpreis 88 sh 11 d; das Goldagio betrug
mithin nur noch etwa 4,6 Prozent.
Zu einem förmlichen Agio auf die englischen Goldmünzen, wie es
in früheren Zeiten eines geringeren Einflusses der Staatsgewalt auf das
Geldwesen unter ähnlichen Verhältnissen stets eingetreten ist, scheint
es im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit nicht gekommen zu sein.
Die Goldmünzen verschwanden aus dem Verkehr; ein irgendwie nennens-
werter Handel in britischen Goldmünzen fand nicht statt.
In Deutschland, wo vor dem Kriege Goldpreise in Berlin und
Hamburg notiert wurden, hörte der offizielle Goldhandel mit dem Kriegs-
ausbruch auf. Am 23. November 1914 erließ der Bundesrat die bereits
erwähnte Bekanntmachung betr. Verbot des Agiohandels mit Reichs-
goldmünzen, die den Erwerb und die Veräußerung von Reichsgoldmünzen
zu einem ihren Nennwert übersteigenden Preise von einer Genehmigung
des Reichskanzlers abhängig machte. Aufgeld auf Reichsgoldmünzen ist,
während die große Masse der vorhandenen Reichsgoldmünzen aus
vaterländischen Beweggründen zum Nennwert bei der Reichsbauk gegen
Noten eingeliefert wurde, unter der Hand sicherlich in zahlreichen
Fällen gezahlt worden; aber das Verbot des Agiohandels ließ das
Goldagio nicht in Erscheinung treten.
Auch der Handel in ausländischen Goldmünzen wurde Be-
schränkungen unterworfen, indem zunächst die Bekanntmachung über
den Handel mit ausländischen Zahlungsmitteln vom 20. Januar 1916
und später die Bekanntmachung über den Zahlungsverkehr mit dem
Auslande vom 8. Februar 1917 (Devisenordnung) diesen Handel bei
der Reichsbank und einer Anzahl bestimmter Bankfirmen konzentrierte.
Darüber hinaus setzte die gleichzeitig mit der Devisenordnung erlassene
Bekanntmachung über Goldpreise einen Höchstpreis von 2,790 Mark
für Roh-, Abfall- und Bruchgold für das Kilogramm Feingold fest;
dieser Höchstpreis entsprach genau dem Ausmünzungswert. Schließlieh
wurde durch eine Bekanntmachung über die gewerbliche Verarbeitung
von Reichsniünzen vom 10. Mai 1917 das Kinschmelzen und di(^
234 Erstes Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
sonstige ^'erarbcitüng von ReichsmUiizen von der Genehmigung- des
Reichkauzlers abhängig gemacht.
Diese Hestimnuingen, die jeden freien Handel mit Gold und Gold
münzen völlig unterbanden, wurden erst nach Friedensschluß abgebaut.
Durch Bekanntmachung vom 23. Juli 1919 wurde zunächst der Höchst-
preis für Roh-, Abfall- und Hruchgold aufgehoben. Am 11. September 1919
wurde mit der Aufbebung der Devisenordnung vom 8. Februar 1917
auch der Handel mit ausländischen Goldmünzen wieder freigegeben. Die
Beschränkung für die gewerbliche Verarbeitung von lieichsgoldmünzen
wurde durch eine Bekanntmachung vom 9. Dezember 1919 beseitigt,
und schlieülich wurde durch Bekanntmachung vom 19. Dezember 1919
auch das Verbot des Agiohaudels mit Reichsgoldmünzen aufgehoben.
Dafür aber wurde durch den § 21 Nr. 8 des Ausführungsgesetzes zum
Friedensvertrag vom 31. August 1919 die Verfügung über Gold ohne
Erlaubnis des Reichswirtschaftsministers unter Strafe gestellt, zunächst
bis zum 31. Mai 1921, dann durch ein Gesetz vom 28. April 1921 bis zum
30. September 1921. Seitdem ist der inländische Handel mit Gold und
Goldmünzen im wesentlichen frei*). Dagegen unterliegen Ausfuhr und
Durchfuhr von Gold auch heute noch dem Verbot der Bekanntmachung
vom 13. November 1915.
Obwohl das Ausführungsgesetz zum Friedensvertrag die Verfügung
über Gold beschränkte, bildete sich um die Wende des Jahres 1919/20
an der Berliner Börse ein freier Goldhandel heraus. Erst am 17. Februar
1921 machte der Börsenvorstand durch eine Bekanntmachung diesem
Goldhandel wieder ein Ende. Die von Januar 1920 bis Februar 1921
notierten Kurse des goldenen Zwanzigmarkstücks erreichten im Januar
1920 mit 450 Mark ihren höchsten Stand, gingen dann rasch bis auf
160 Mark im Mai 1920 zurück, um dann wieder bis auf 340 Mark im
November 1920 zu steigen. Die letzte in diesem Handel verzeichnete
Notiz (17. Februar 1921) lautete auf 328 Mark. Seit jener Zeit sind
die Notierungen für Gold und Goldmünzen, obwohl die Verfügungs-
beschränkung für Gold am 1. Oktober 1921 in Wegfall kam, nicht
wieder aufgenommen worden.
Dagegen ist die Reichsbank in Verbindung mit der Annahme des
Londoner Ultimatums, das große Goldbeschaffungen für das Reich nötig
machte, im Mai 1921 ermächtigt worden, Goldmünzen und Barrengold
für Rechnung des Reiches zu von ihr bekanntzugebenden Preisen an-
zukaufen. Der von der Reichsbank veröffentlichte Preis für das Zwanzig-
markstück stellte sich zunächst auf 260 Mark, mußte jedoch im Ein-
klang mit dem seit jener Zeit in die Höhe wirbelnden Dollarkurse io
rascher Folge erhöht werden; er beträgt zurzeit (Februar 1923) nicht
weniger als 150 000 Mark, also das 7500 fache des Nennwertes! Auch
') Beschränkungen bestehen nur noch insofern, als die Ausübung das
Goldhandels im Hausieren und durch auffällige Reklame gemäß der noch in Kraft
befindlichen Verordnung vom 7. Februar 192Ü verboten ist und als der Handel in
russischen Goldmünzen aufgrund des Gesetzesvom 15. März 1919 nach wie vor nur durck
Vermittlung der Reichsbank erfolgen darf. Außerdem ist die Verfügung über das
im Besitz der deutschen Privatnotenbanken befindliche Gold durch Gesetz vom
30. Juli 1921 an die Genehmigung der Reichsregierung und an die von dieser fest-
^iii9etzenden Bedingungen gebunden.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 8. 235
damit bleibt er noch hinter dem Weltmarktpreise fUr Gold zartick,
wie er sich aus dem Kurs und dem Feingehalt des amerikanischen
Dollars ergibt.
Die Keichsgoldmünzen sind infolge der schwankenden Bewertung,
die ihnen nicht nur im freien Handel, sondern auch durch die deutsche
Zentralbank zuteil wird, aus dem deutschen Geldsystem ausgeschieden,
auch wenn sie formell nicht außer Kurs gesetzt worden sind.
Die Goldmünzen sind also nicht mehr Geld, sondern nur noch
Ware, wie das rohe Edelmetall, aus dem sie bestehen.
Die Gesetzgebung hat aus dieser Entwicklung bestimmte Folge-
rangen gezogen, insbesondere auf dem Gebiete der Steuern. Laut
Gesetz vom 30. April 1920 sind bei der Veranlagung zum Keichsnot-
opfer Gold- und Silbermünzen mit dem Metallwerte zu berechnen. Die
Finanzämter sind angewiesen worden, als den für den 31. Dezember 1919
maßgebenden Metallwert eines Zwanzigmarkstücks 220 Mark anzusetzen.
Ebenso enthält das Vermögenssteuergesetz von 1922 in § 15 Abs. 6
die Bestimmung: „Gold- und Silbermünzen sind mindestens mit dem
Metallwerte einzusetzen."
Der Versailler Friedensvertrag, der ja in Deutschland Gesetzes-
kraft erlangt hat, operiert allerdings in seinem Abschnitt über die
„Reparation" (Teil V^lII) und seinen „finanziellen Bestimmungen" (Teil IX)
mit dem BegriflF der „Goldmark". Aber diese „Goldmark" ist weder
eine Münze noch ein gesetzliches Zahlungsmittel. Sie wird in § 262
des Versailler Vertrages wie folgt definiert:
Jede Barzahlungsvetpflichtung Deutschlands aus dem gegen-
wärtigen Vertrage, die in Mark Gold ausgedrückt ist, ist nach Wahl
der Gläubiger zu erfüllen in Pfund Sterling, zahlbar in London, in
Golddollars der Vereinigten Staaten zahlbar New York, in Gold-
franken zahlbar Paris und in Goldlire zahlbar in Rom.
Bei Ausführung des gegenwärtigen Artikels bestimmt sich Ge-
wicht und Feingehalt für die oben genannten Münzen jeweils nach
den am 1. Januar 1914 in Geltung gewesenen gesetzlichen Vor-
schriften,
Die „Goldmark" ist also lediglich ein Berechnungsmaßstab für die
von Deutschland in Begleichung der ihm durch das Versailler Diktat
auferlegten Verpflichtungen zu leistenden Zahlungen. Die Zahlungen
selbst haben in Pfund Sterling, Golddollar, Goldfranken oder Goldlire
nach Wahl des Gläubigers zu erfolgen, und zwar streng genommen —
nur bei den Pfund Sterling fehlt der Zusatz „Gold" — nicht in der
Währung der genannten Gläubigerländer schlechthin, sondern in den
effektiven Goldmünzen dieser Länder, die — außer dem amerikanischen
Dollar — gegenüber dem umlaufenden Papiergeld ein Agio genießen
und damit selbst außerhalb der Geldverfassung der betreffenden Länder
stehen. Maßgebend fUr die Umrechnung von Goldmark in Pfund Sterling,
amerikanische Golddollar, französische Goldfranken und italienische
Goldlire ist das Verhältnis des gesetzlichen Goldgehaltes, wie es zu
Beginn des Jahres 1914 bestand. Im Grunde genommen lauten also
die in Goldmark ausgedrückten Verpflichtungen auf bestimmte Quanti-
täten Feingold, dargestellt durch Goldmünzen der Gläubigerstaaten. In
236 Erstes Bnch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edehnetallverhältnisse.
der Praxis hat die Reparatiouskommissiou fast ausnahmslos Zahlaug in
amerikanischem Dollar, ump:erechuet zur alten Goldparität, verlangt.
Mit dem deutsehen Geldwesen hat also die „Goldmark" des Ver-
sailler Vertrags nichts zu tun. Diese „Goldmark" hat die abgehrochene
Wertbeziehung zwischen dem deutschen Gelde und dem Metalle Gold
nicht wiederhergestellt.
Die Entfernung des Geldwertes von seinem früheren Goldäquivalent
nach unten — anders ausgedrückt: die Steigerang des Goldpreises über
seinen gesetzliehen AusmUnzungswert — wie sie in England in schwächerem
und seit 1920 rückläufigem Maße, in Deutschland in stärkerem und
»eit 1921 rapid fortschreitendem Maße in Erscheinung getreten ist, hat
sich in allen kriegführenden Staaten, außer der Union, herausgestellt.
Auch in den neutralen Ländern hat sich im allgemeinen eine
Steigerung des Goldpreises über den Ausmünznngswert des Goldes,
wenn auch in geringerem Umfang als in den am günstigsten dastehenden
kriegführenden Staaten, herausgestellt. Ein Stand des Goldpreises unter
seinem Ausmünzuugsw'ert — eine Erscheinung, wie sie während des
Krieges aufgrund der Einstellung der Annahme von Gold gegen Bank-
noten oder der Goldausprägung sich zeigte — ist heute nirgends mehr
zu konstatieren.
b) Der Silberpreis.
Die Stürme des Weltkrieges haben nicht nur das Verhältnis von
Geld und Gold auf das schwerste erschüttert ; sie haben auch das weiße
Metall, das in dem halben Jahrhundert vor dem Weltkrieg seine ehe-
malige dem Golde gleichwertige Bedeutung als Währungsmetall Schritt
für Schritt verloren und gleichzeitig eine Entwertung auf etwa ein
Drittel seines früheren Wertes durchgemacht hatte, in den Wirbel der
Ereignisse hineingezogen.
Schon in den ersten Kriegsjahren zeigte der Silberpreis eine auf-
fallende Steigerung. Während im Jahre 1914 der Londoner Silberpreis
mit 22^3 d für die Unze Standard den niedrigsten jemals dagewesenen
Stand (22 d im Jahre 1908) annähernd wieder erreicht hatte, stieg er
im Laufe des November 1915 bis auf 27^/^ d, im Laufe des Mai 1916
sogar auf 37 ^g d, den höchsten seit der Einstellung der indischen
Silberprägungeu im Frühjahr 1893 verzeichneten Kurs. Dann trat ein
leichter Rückschlag und, bis in das Frühjahr 1917 hinein, ein Be-
harrungszustand ein.
Diese erste starke Aufwärtsbewegung des Silberpreises war ver-
ursacht einmal durch die starke Nachfrage Englands und anderer krieg-
führender Staaten, die dem Kleingeldmangel zunächst durch eine ver-
stärkte Ausprägung von Silbermünzen abzuhelfen suchten. Das britische
Schatzamt allein hat im Jahre 1915 mehr als 3 Millionen Pfd. St. Silber
aus dem Markte genommen. Dazu kam ein erhöhter Bedarf von Silber
für Ostasien, namentlich für Indien und China, um die starken Waren-
bezüge aus jenen Gebieten abzudecken. - Der Warenhunger der Krieg-
führenden suchte nicht nur bei den europäischen Neutralen und in
Amerika, sondern auch im Osten Befriedigung. Da bei den krieg-
führenden Staaten, vor allem bei England, das diese Warenbezüge in
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges . § B. 237
der Hauptsache vermittelte uud finanzierte, keine Neigung bestand,
Gold für die Bezahlung dieser Importe abzugeben, und da die Auf-
nahmefähigkeit Asiens, trotz der vor zwei Jahrzehnten erfolgten Ein-
stellung der Silberprägungen in Indien und der Befestigung der indischen
Währung auf Goldbasis, nahezu unbegrenzt erschien, ergab es sich von
selbst, daß das Silber als Zahlungsmittel für den Osten Gegenstand
einer ge^Yaltig steigenden Nachfrage wurde. Der sich damals ergebende
Bedarf an Silber wurde gesteigert durch die Notwendigkeit, die in
Mesopotamien, an der ägyptischen Grenze, in Ostafrika und anderen
Schauplätzen kämpfenden indischen Truppen in Silberrupien zu ent-
lohnen.
Die preissteigernde Tendenz dieser Nachfrage wurde durch die
Tatsache noch verschärft, daß infolge der mexikanischen Wirren
— Mexiko lieferte in den Jahren vor dem Kriege ein gutes Drittel der
Weltprodnktion an Silber — die Silbergewinnung einen starken Rück-
gang zeigte (von rund 7 Millionen Tonnen jährlich 1910 — 1913 auf
nicht viel mehr als 5 Millionen Tonnen in den folgenden Jahren).
Das Jahr 1917 steigerte mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten
in den Krieg und mit der äußersten Anspannung aller Kräfte auf Seiten
der Alliierten, wie sie namentlich für das Bestehen des U-Boot-Krieges
notwendig war, die Bedeutung Ostasiens für die Versorgung der krieg-
führenden Länder in erheblichem Maße; damit gleichzeitig die Bedeutung
des Silbers als Zahlungsmittel für jene Gebiete. Unter dem Druck
dieser Verhältnisse stieg der Londoner Silberpreis von 35 d im März
auf 55 d im September 1917, auf einen seit dem Jahre 1878 nicht
mehr erreichten Kurs.
Die Verteuerung des Silbers, an der sich eine lebhafte Spekulation
entzündete und die durch diese Spekulation noch weiter gesteigert
wurde, gab Anlaß zu einer Kette ähnlicher Maßnahmen, M'ie sie bisher
für das Gold getroffen worden waren. Eine Anzahl von Staaten er-
ließen Ausfuhrverbote oder Ausfuhrbeschränkungen für Silber, vor allem
die wichtigsten Silberproduktionsläuder, Mexiko, die Vereinigten Staaten,
Peru; aber auch England stellte die Silberausfuhr unter die Kontrolle
des Schatzamtes, Indien und China untersagten die Silberausfuhr, Japan
erließ ein Verbot des Einschmelzens von SilbermUnzen und der Silber-
ausfuhr.
Zahlreiche andere Staaten ergriffen ähnliche Maßnahmen. Verbote
des Einschmelzens von SilbermUnzen und der Ausfuhr von Silber er-
schienen insbesondere in denjenigen Ländern nötig, in denen der Metall-
gehalt der SilbermUnzen infolge der Steigerung des Silberpreises und
des Rückganges der eignen Valuta einen Wert erreichte, der den
Nennwert überschritt.
England uud die Vereinigten Staaten, auf denen die Last der Fi-
nanzierung des Krieges für die Alliierten und damit auch die
Finanzierung der Warenbezüge aus den ostnsiatischen Gebieten vor-
nehmlich ruhte, suchten auch auf anderen Wegen Erleichterung. Selbst-
verständlich machte England in weitgehendem Älaße von Krediten der
indischen Regierung Gebrauch; auch die amerikanische Regierung ließ
sich vom Jahre 1917 an von der indischen Regierung Kredite für die
238 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
Finauzierong ihrer indischen Einkäufe eiuränmen. Auf Mexiko wurde
ein starker Druck ausgeübt, um es zur Ueberlassung seiner Silberförderung
zu bestimmen; Ende 1917 überließ das amerikanische Schatzamt der
mexikanischen Regierung sogar 15 Millionen Dollar Gold unter der
Bedingung, daß Mexiko sein Ausfuhrverbot für Silber aufhebe.
Darüber hinaus trafen die Vereinigten Staaten und England gegen
Ende des Jahres 1917 Vereinbarungen über den Aufkauf eines großen
Teiles der amerikanischen Siibergewinnung. Gerüchte, daß die ame-
rikanische Regierung die Beschlagnahme der gesamten amerikanischen
Silberförderuug und eine gesetzliche Normierung des Siiberpreises be-
absichtige, begannen von jener Zeit an auf den Kurs zu drücken.
Die wichtigste Aktion aber war die Mobilisierung der großen
Silberbestände, die das amerikanische Schatzamt seit dem Erlaß der
Sherman-Bill (1890) gegen Ausgabe von Silberzertifikaten aufgekauft
und als Deckung für diese Silberzertifikate in Verwahr genommen hatte.
Im Frühjahr 1918 stimmte der Kongreß einem Gesetze zu (Pittman-
Bill), das die amerikanische Regierung zum Verkauf dieses hinterlegten
Silbers bis zum Betrage von 350 Millionen Dollar und zur Einziehung
der für dieses Silber ausgegebenen Zertifikate gegen Noten zu 1, 2 und
5 Dollar ermächtigte. In Verbindung mit der Durchführung dieses
Gesetzes setzten die amerikanische und die englische Regierung im
gegenseitigen Einvernehmen Höchstpreise für Silber fest, die in New
York zunächst auf 100, dann auf 101^4 cents für die Unze fein, in London
zunächst auf 49, dann auf 4972 ^ ^ür die Unze Standard Silber nor-
miert wurden. Damit hatten die beiden Regierungen in der Tat den
Silbermarkt für einige Zeit in ihrer Gewalt.
Auf der anderen Seite ergriff die indische Regierung unter dem
Einfluß des britischen Schatzamtes Maßnahmen, die bestimmt waren, die
Wirkungen der unter dem Einfluß des Krieges zu ungeahnter Aktivität
gelangten indischen Zahlungsbilanz abzuschwächen. Aehnlich wie vor-
her Schweden und andere europäische Neutrale sich gegen den Zustrom
von Gold zur Wehr gesetzt hatten, ging jetzt Indien vor; die indische
Regierung erließ um die Mitte des Jahres 1917 Einfuhrbeschränkungen
sowohl für Gold als auch für Silber; sie beschlagnahmte das ein-
geführte Gold zu einem Preise, der aufgrund der zunächst noch fest-
gehaltenen Parität von 15 Rupien = 1 Pfd. St. dem englischen Aus-
münzungswerte entsprach, das Silber zu einem Preise von 5°/(, unter
dem Londoner Tagespreis des Ankunftstages. Gleichzeitig schuf man
in kleinen Noten, bis herab zu fünf Rupien, Ersatz für das verteuerte
Silber. Das Hauptmotiv für diese Politik der Aussperrung von Gold
und Silber war allerdings nicht, wie in Schweden, die Furcht vor der
Inflation, sondern die Sorge der britischen Regierung um die Erhaltung
ihresGoldbestandes sowie ihrBestreben, unter Ausschaltung derSpekulation
die Verschiffung von Silber nach Indien in der eignen Hand zu kon-
zentrieren und dadurch die Möglichkeit zu bekommen, den Silberpreis
niedrig zu halten.
Das Zusammenwirken aller dieser Maßnahmen bewirkte in der
Tat, daß von der Mitte des Jahres 1918 bis in das späte Frühjahr 1919
hinein der Silberpreis annähernd stabil blieb. Im Mai wurden ia
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 8. 239
Amerika nnd England die Höchstpreise für Silber aufgehoben, ebenso in
Amerika das Ausfuhrverbot für Silber. Die Folge war, daß die mit neuer
Wucht einsetzende Silbernachfrage für Indien und China den Silberpreis
in einer alles bisher Dagewesene Ubertreflfendeu Weise in die Höhe trieb.
Obwohl die amerikanische Regierung durch starke Silberverkäufe auf den
Preis zu drücken suchte und obwohl die Silberausfuhr der Vereinigten
Staaten im Jahre 1919 den Betrag von 239 Millionen Dollar erreichte,
wovon 109 Millionen Dollar nach Indien, 70 Millionen Dollar nach
China gingen, kam der New Yorker Silberpreis im November 1919 auf
137,5 Cents, im Januar 1920 sogar auf 140,75 cents für die Unze fein.
Dieser letztere Kurs entsprach einem Wertverhältnis von 1 zu 14,7
zwischen Silber und Gold. Ein solches Wertverhältnis war seit dem
Jahre 1780 nicht mehr dagewesen.
Hatte die Gestaltung des Silberpreises vorher schon in einer Anzahl
von Ländern, deren Geldwert in größerem Abstand unter das frühere
Goldäquivalent herabgegangen war, den Metallwert der Silbermünzen
über ihren Nennwert hinausgetrieben und damit zur Einschm»'lzung und
zur Thesaurierung der Silbermünzen Veranlassung gegeben, so über-
schritt der Silberpreis jetzt auch das Verhältnis, in dem in den Ver-
einigten Staaten der Metallgehalt des Golddollar und des Silberdollar
stand (1 : 16). Um gleichwohl das Silbergeld dem Verkehr zu erhalten,
wurde in Amerika zu Beginn des Jahres 1920 durch die Mac Fadden
Bill der Feingehalt des Silberdollar von 900 Tausendteilen auf 800
Tausendteile herabgesetzt.
In anderen Ländern waren drastischere Maßnahmen nötig, England
sah sich genötigt, im Herbst 1919 von neuem ein Ausfuhrverbot für
Silber und Silberraünzen zu erlassen und bald darauf den Feingehalt
seiner Silbermünzen von 925 auf 500 Tausendteile herabzusetzen.
Andere Staaten suchten sich mit Verboten der Einschmelzung und
der Ausfuhr von Silbermünzen zu helfen.
W^ieder andere setzten ihre Silbermünzen außer Kurs und suchten
sie gegen Papiergeld aus den Händen des Publikums in die Regierungs-
kassen zu leiten. So wurden in Italien schon im Jahre 1917 den Silber-
scheidemünzen die gesetzliche Zahlungskraft entzogen, ihre Ablieferung
gegen Papiergeld an die staatlichen Kassen verfügt und der Besitz von
mehr als 10 Lire an solchen Münzen unter Strafe gestellt. Auch in
Deutschland wurden, nachdem im Jahre 1917 die silbernen Zweimark-
stücke außer Kurs gesetzt worden waren, durch Verordnung vom 13. April
1920 den sämtlichen Silbermünzen die gesetzliche Zahluugskraft ent-
zogen. Die Reichsbank versuchte, durch die Gewährung verhältnis-
mäßig günstiger Ankaufspreise einen möglichst großen Teil der noch
vorhandenen Silbermünzen zu erwerben. ^)
*) Der Ankaufspreis der Reichsbank für die Reicbssilbermünzen wurde im
Mai 19:i0 für je 1 Mark Nennwert zunächst auf 3 Mark festy:esetzt, bis zum November
1921 aber auf 5iO Mark erhöht. In dtT Folgezeit fand im Einklang mit dem Rück-
gang dfs Silberjircises in London und New York eine starke Herabsetzung statt.
Seit dem B«'>,nnn des katastrophalen Zusammenbruchs der deutschen Valuta im
Herbst 1921 wurde der Ankaufsiireis in rasdiem Temiio und starkem Ausmaße
erhöht; zurzeit (Februar 1923) beträgt er das 1750 fache des Nennwertes der
SilbermUnzeu.
240 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltiiug der Edelmetallverhältnisse.
Nach einer ganz anderen Richtung lief die Entwicklung in China
und Indien. Das chinesische Geld nahm, da es Silberwährungsgeld
war, ohne weiteres an der Wertsteigerung des Silbers teil. In Indien
war zwar seit dem Jahre 1899 der englische Sovereign zum Kurse
von 15 Rupien als gesetzliches Zahlungsmittel zugelassen worden. Aber
der Geldumlauf des indischen Reiches bestand nach wie vor so gut
wie ausschließlich aus Silber. Solange das Wertverhältnis zwischen
den beiden Edelmetallen für das Silber ungünstiger gewesen war, als
die diesem Werte entsprechende Relation, war es dank der Sperrung
der freien Silberprägung und der günstigen indischen Zahlungsbilanz
gelungen, die Rupie auf der Grundlage des Kurses 15 Rupien = 1 Pfund
Sterling oder 1 Rupie =16 Pence zu stabilisieren. Jetzt, wo auf der
einen Seite der Wert des britischen Pfundes unter seine Goldparität
herabgesunken und der Silberpreis in England weit über den Satz hin-
aus gestiegen war, der dem im Jahre 1899 festgelegten Verhältnis
zwischen Rupie und Sovereign entsprochen hätte, sprengte die Steige-
rung des Silberpreises in Verbindung mit den von der indischen Regie-
rung verfügten Einschränkungen der Goldeiufuhr die seit zwei Jahr-
zehnten gesichert erscheinende Parität zwischen dem englischen und
dem indischen Gelde. Die indische Rupie erhob sich in ihrem Werte,
wie bei der Darstellung der Valutaverhältnisse der Nachkriegszeit zu
zeigen sein wird, nicht nur beträchtlich über die ihr beigelegte Parität
in englischem Gelde, sondern auch über das Goldäquivalent, das dieser
Parität entsprochen hätte. —
So rasch und überraschend sich die Steigerung des Silberpreises
entwickelt hatte, so wurde doch dieser Aufstieg des Silbers durch das
Tempo des vom Beginn des Jahres 1920 an einsetzenden Absturzes
noch übertroflfen. Ein Nachlassen des Bedarfs für Ostasien und das
Angebot des von den europäischen Staaten aus dem Verkehr gezogenen
oder vom Edelmetallhandel aufgekauften und eingeschmolzenen Silber-
geldes begannen schwer auf den Silbermarkt zu drücken. Während in
New York der Silberpreis im Januar 1920 den Satz von 140'/^ Cents
erreicht hatte, wurde am 10. Dezember des gleichen Jahres für das im
freien Markte gehandelte Silber^) nur noch ein Kurs von 59 7* Cents
erzielt. Im März 1921 ging der Silberpreis sogar auf 52^3 Cents in
New York und auf 30 Vg d in London zurück, also auf einen Tiefstand,
■wie er seit 1916 nicht mehr erreicht worden war. Die auf diesen
heftigen Rückschlag eingetretene Reaktion war nicht unbedeutend, stand
aber doch in keinem Verhältnis zu dem seit Anfang 1920 eingetretenen
Preissturz, hielt auch nicht vor. Ende 1922 notierte Silber in New York
647^ Cents, in London 3l7ie d. —
Aus der vorstehenden Darstellung ergibt sich, daß die durch den
Krieg hervorgerufenen heftigen Schwankungen des Silberpreises, wenn auch
nicht in demselben Maße wie die Zerreißung des Bandes zwischen Gold
und Geld, einen weitgehenden Einfluß auf die Geldverfassungen der ein-
zelnen Länder und auf das Verhältnis zwischen den einzelnen nationalen
*) Die amerikanische Regierang fährt fort, Silber inländischer Provenienz
ÄOm festen Satze von 99^/2 Cents für Münzzwecke aufzunehmen.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §9, 241
Geldsystemen ausgeübt haben. Vor allem ist das Geld der am Kriege
beteiligten und namentlich der schließlich unterlegenen europäischen
Staaten nicht nur „eutgoldet", sondern auch entsilbert worden; entsilbert
in einzelnen Staaten bis zur formellen und tatsächlichen Beseitigung
eines jeden Silbergeldes. Die von den europäischen Staaten in Jahr-
hunderten angesammelten und auch nach dem Uebergang zur Gold-
währung in der Hauptsache beibehaltenen Bestände an SilbermUnzen
sind, während die neue Welt das europäische Gold an sich gezogen
hat, zum großen Teil nach Indien und China abgeflossen.
§ 9, Die Erschütterung der intervalutarischen Beziehungen.
Die durch den Krieg bewirkte Zerstörung des festen Verhältnisses
zwischen Geld und Gold trat am schnellsten und am sinnfälligsten in
Erscheinung in der Gestaltung der Wertbeziehungen zwischen den ein-
zelnen nationalen Geldeinheiten, also in den intervalutarischen Kursen.
Auch auf diesem Gebiete liegt allerdings ein lückenloses Material
nicht vor. Einmal wurden die Wechselkurse zwischen den im entgegen-
gesetzten Lager stehenden kriegführenden Mächten, solange der Krieg
dauerte, nicht notiert. In Berlin z. B. wurden die Wechsel auf die
Länder unserer Kriegsgegner erst wieder nach der Ratifikation des
N'ersailler Friedens zum Börseuhandel zugelassen, die offizielle Notierung
erfolgte zum ersten Mal wieder am 2. Februar 1920. Auch die Wechsel-
kurse auf die verbündeten und neutralen Länder wurden in Berlin vom
Kriegsausbruch bis zum 28. Januar 1916 nicht notiert. Ferner sind
die an)tlichen Wechselkursnotierungeu vielfach durch reglementierende
Eingriffe der Regierungen beeinflußt worden. Immerhin ist aus den
während des Krieges ununterbrochen fortgesetzten Notierungen auf
wichtigen neutralen Börsenplätzen ein zutreffendes Bild von der Er-
schütterung der internationalen Geldverfassung zu gewinnen.
Indem der Krieg die Handelsbeziehungen zwischen den einzelnen
Ländern revolutionierte, schuf er für den internationalen Zahlungs-
ausgleich völlig neue Verhältnisse. Der Export der kriegführenden
Staaten schmolz zusammen, da diese alle verfügbaren Kräfte auf die
Kriegszwecke konzentrieren mußten. Gleichzeitig schwoll ihr Import-
bedarf an lebens- und kriegswichtigen Waren und Materialien ins
Ungeheuerliche an. Die bisherige Organisation des internationalen
Zahlungsausgleichs, an die jetzt weit größere Ansprüche gestellt wurden
als jemals zuvor, brach zusammen; denn ihre Voraussetzungen, die
Erhältlichkeit und Verwendbarkeit des Goldes zu festen Preisen in
allen wichtigen am Welthandel beteiligten Ländern und die internationale
Freizügigkeit des Goldes kamen mit der Aufhebung der Goldeinlösung
der papiernen Geldzeichen, mit den Beschränkungen der Gohiannahme
beizentralenNotenbanken undxMünzstätten, mitden Ausfnhrbeschränkun<ren
und Ausfuhrverboten für Gold in Wegfall, Den wildesten Schwankungen
in gegenseitigen Wertverhältnissen des Geldes der einzelnen Läuuer
war damit freier Spielraum gegeben.
An Versuchen, durch Maßnahmen verschiedener Art auf die Ge-
staltung der ausländischen Wechselkurse einzuwirken und so einen
Ersatz für die bisher in den Funktionen des Goldes gesicherte Stabilität
Helft eri ch, Das Geld. 16
2-42 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
der intervalutarisehen Beziehiingeu zu scbnflen, haben es allerdings die
am Kriege beteiligten Kegierungeu nicht fehlen lassen.
Das Gold selbst, das der Verfügung des freien Verkehrs entzogen
wurde und das damit aufhörte, durch seine Bewegungen von Land zu Land
automatisch auf eine enge Begrenzung der Wechselkurs-Schwankungen
zu wirken, wurde von den Regierungen als Instrument einer planmäßigen
BeeinHuÜung der Devisenkurse benutzt; am stärksten von England, das
infolge der oben dargestellten Maßnahmen während des ganzen Krieges
bedeutende Zugänge an Gold zu verzeichnen hatte und infolgedessen
auch mit der Abgabe von Gold zum Zwecke der Regelung des
Sterlingkurses freigebiger verfahren konnte als alle anderen am Kriege
beteiligten europäischen Nationen.
Neben der Abgabe von Gold wurde die Aufnahme ausländischer
Anleihen und Kredite und die Verfügung über deren Gegenwert in den
Dienst der Aufrechterhaltung der Valuta gestellt. Für die Entente-
länder spielten die in den Vereinigten Staaten aufgenommenen Anleihen
und Kredite unter den auf die Aufrechterhaltung ihrer Valuta gerichteten
Maßnahmen die Hauptrolle, während die valutarische Position Deutsch-
lands und seiner Verbündeten von vorn herein daran litt, daß es bei
der von Anfang an in den Vereinigten Staaten herrschenden Stimmung
trotz aller Bemühungen nicht gelang, irgendwelche erheblichen ameri-
kanischen Kredite zu erhalten. Deutschland mußte sich deshalb zur
Deckung seines Einfuhrbedarfs und zur Stützung seiner Valuta mit den
verhältnismäßig bescheidenen Krediten begnügen, die es bei den euro-
päischen Neutralen, meist in Verbindung mit der Hergabe von Gold
und mit Abmachungen über den Bezug oder die Lieferung bestimmter
Waren, flüssig machen konnte.
Ferner versuchten die Regierungen der am Kriege beteiligten
Staaten der Entwertung ihrer Valuta durch eine Mobilisierung und Ver-
äußerung des Besitzes an ausländischen Wertpapieren entgegenzuwirken.
In England, in Deutschland, in Frankreich und in anderen Ländern
wurde ein Anmeldezwang für den Besitz an ausländischen Wertpapieren
eingeführt. Durch freihändigen Ankauf, durch Beleihung zu günstigen
Bedingungen und schließlich durch zwangsweise Enteignung verschafften
sich die Regierungen die Verfügung über diejenigen Kategorien von
Auslandswerten, für die auf den hauptsächlich in Betracht kommenden
neutralen Märkten die besten Absatzmöglichkeiten bestanden. Die alten
europäischen „Gläubigerländer" haben auf diese Weise sich eines großen
und jedenfalls des wertvollsten Teiles ihres Besitzes an Auslandswerten
entäußert.
Der Bekämpfung der Valuta-Entwertung dienten weiterhin eine
Reihe von Maßnahmen, die sich auf die Einfuhr und Ausfuhr bezogen.
Durch Beschränkung der Einfuhr und Begünstigung der Ausfuhr von
entbehrlichen Waren suchten die verschiedenen Regierungen der durch
den Krieg verursachten gewaltigen Verschiebung der Zahlungsbilanz
innerhalb der Grenzen des Möglichen entgegenzuwirken. In Deutsch-
land ging man so weit, daß schließlich, nachdem bereits durch eine
Verordnung vom 25. Februar 1916 die Einfuhr entbehrlicher Gegen-
stände, die der Reichskanzler zu bezeichnen hatte, verboten worden
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbrach des Weltkrieges. §9. 243
war, durch eine Verordnuog vom IG. Januar 1917 die Einfuhr aller
Waren grundsätzlich von einer besonderen Bewilligung abhängig gemacht
wurde. Auch die Ausfuhr, deren Förderung in den Kriegs- und
später in den Revolutionsverhältuisseu enge Grenzen gezogen waren,
wurde an Genehmigungen gebunden, die bis zum heutigen Tage im
allgemeinen nur dann erteilt werden, wenn bei der Ausfuhr in hoch-
valutarische Länder der Gegenwert in der betreffenden ausländischen
Valuta bedungen wird, wenn die Preisbemessung ausreichend hoch be-
funden wird und wenn ein als angemessen erachteter Teil der durch
den Export erzielten Devisen an die Reichsbank abgeliefert wird.
Schließlich wurde in einer Anzahl von Staaten eine unmittelbare
Regelung des Devisenverkehrs im Wege einer Art Zwangsbewirtschaftung
der ausländischen Zahlungsmittel und Kredite versucht. Diese Versuche
verdienen an dem Beispiel der in Deutschland getroffenen Maßnahmen,
die für andere Länder vielfach vorbildlich wurden, eine kurze Darstellung.
Der erste von der deutschen Regierung versuchte Eingriff in die
Preisgestaltung der Devisen war die vom Bundesrat erlassene Bekannt-
machung vom 20. Januar 1916 über den Handel mit
ausländischen Zahlungsmitteln.
Die für den Erlaß dieser Bekanntmachung maßgebenden Gründe
waren vor allem, daß die Spekulation in Devisen, die bei der ständigen
Steigerung der Devisenkurse „ein verlockend sicheres Geschäft" zu
sein schien, immer weiter um sich griff und damit das Uebel der Ent-
wertung der deutschen Valuta verschärfte, ferner die Wahrnehmung,
daß eine starke Nachfrage nach Devisen auf den deutschen Märkten
„durch die Arbitrage bedingt würde, deren sich neben den uns ver-
bündeten Ländern nicht zum wenigsten auch neutrale und feindliche
Länder bedienten, um Deutschlands Auslandsguthaben für ihre eignen
Interessen nutzbar zu machen". *) Infolge der sich aus diesen Umständen
ergebenden Erschwerung der Devisenbeschaffung für den legitimen
Einfuhrhandel sahen sich die Importeure dazu gedrängt, ihren Bedarf
bei ihren Bankverbindungen mit erhöhten Beträgen oder gleichzeitig bei
verschiedenen Stellen anzumelden, w'as ein weiteres Hochtreiben der
Devisenkurse bewirken mußte.
Unter diesen Umständen erschien es — bei aller Erkenntnis, daß
eine nachhaltige Besserung der deutschen Valuta nur durch eine
günstigere Gestaltung der elementaren Faktoren der deutschen Zahlungs-
bilanz erreicht werden könne — angezeigt, den Versuch zu machen,
die nachteiligen Wirkungen der Spekulation und Arbitrage auf die
Devisenkurse durch Konzentration und Kontrolle des Deviseuhandels
so weit wie irgend möglich auszuschalten.
Die Bekanntmachung des Bundesrates vom 20. Januar 1916 be-
stimmte, daß ausländische Geldsorten und Noten sowie Auszahlungiu,
Schecks und kurzfristige Wechsel auf das Ausland im Bt-triebe eines
Handelsgewerbcs nur bei den vom Reichskanzler bestimmten Personen
und Firmen gekauft, umgetauscht oder darlehnsweise erworben und
') Vergl. Denkschrift über wirtechaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Kriegen
8. Nachtrag, Drucksachen des Reichstags 1914/1 ü Nr. 'J25, S. 76 jBf.
16
244 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverbältnisse.
nur an solche Personen und Firmen verkauft, verpfändet oder darlehns-
wcise veräußert werden dürften. Dem Reichskanzler wurde die Er-
mäehtiirung erteilt, Ausnahmen zuzulassen. Er hat von dieser Er-
mächtigung zugunsten des Umwechsiungsverkehrs, des Verkehrs nach
den besetzten Gebieten Belgiens und Kußlands und des Postverkehrs
Gebrauch gemacht. Zum Devisenhandel zugelassen wurden außer der
Reichsbauk eine beschränkte Anzahl erster ßankfirmen in Berlin,
Frankfurt a. M, und Hamburg. Die Zulassung dieser Firmen wurde
von der Uebernahme und Einhaltung bestimmter Verpflichtungen ab-
hängig gemacht; insbesondere sollten Devisen-Differenzgeschäfte jeder
Art ausgeschlossen sein; Angebote von Devisen nach dem In- und
Auslande sollten unterbleiben; Devisen sollten ohne Zustimmung der
Rt'ichsbank nur abgegeben werden, wenn sie zur Bezahlung einge-
führter oder einzuführender für den Inlandsbedarf unumgänglich nötiger
Waren dienten. Die Reichsbauk behielt sich vor, bestimmte Waren zu
bezeichnen, für deren Bezahlung Devisen nicht abgegeben werden durften.
Nach dieser Richtung hin wurden die Bestrebungen der Reichsbank
wirksam unterstüzt durch die oben bereits erwähnte Verordnung über
das Verbot der Einfuhr entbehrlicher Waren.
Die Festsetzung der Devisenkurse sollte ausschließlich in Berlin
unter Mitwirkung und Zustimmung der Reichsbank erfolgen, und zwar
in Geld- und Briefkursen. Soweit für Devisen auf dieser Grundlage
eine amtliche Notiz eingeführt wurde — seit Kriegsausbruch war die
Notierung von Devisen untersagt gewesen — sollten sie allgemein zum
Briefkurs abgegeben und zum Geldkurse des betreffenden Tages herein-
genommen werden.
Diese Regelung hatte zunächst einen gewissen Rückschlag in der
Steigerung der Devisenkurse zur Folge. Während in der ersten Januar-
woche des Jahres 1916 die Kurse sprunghaft gestiegen waren, schlug
die Bewegung in ihr Gegenteil um, als die Absichten der Reichs-
regierung bekannt wurden. Der Rückschlag war jedoch nur von kurzer
Dauer, Immerhin gelang es bis Ende des Jahres 1916, eine gegenüber
der bisherigen Entwicklung bemerkenswerte Stabilität der Devisenkurse
zu erzielen.
Die neuerliche Steigerung der Devisenkurse, die in den letzten
Monaten des Jahres 1916 eintrat, gab Veranlassung zu dem Versuch,
die Devisen-Regelung auszubauen. Eine Bekanntmachung des Bundesrats
vom 8. Februar 1917 (Devisen-Ordnung) unterwarf auch die nicht
im Betriebe eines Handelsgeschäftes abgeschlossenen Devisengeschäfte
den beschränkenden Bestimmungen und bezog neben den Zahlungs-
mitteln auch die Forderungen und Kredite in ausländischer Währung
in die Regelung ein, indem sie ganz allgemein die Verfügung über
Zahlungsmittel, Forderungen und Kredite in ausländischer Währung
ohne Einwilligung der Reichsbank nur noch zugunsten einer der zum
Devisenhandel zugelassenen Banken gestattete. Außerdem verfügte sie
Beschränkungen auch für den sich in Markzahlungen abwickelnden
Zahlungsverkehr mit dem Aaslande. Es hatte sich herausgestellt, daß
angesichts der Knappheit des Devisenangebots auf dem deutschen Markte
inländische Zahlungsmittel in erheblichem Umfang zu Zahlungen, auch
T.Kapitel. Entwicklnng des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §9, 245
zu solchen an eich unerwünschter Natnr, nach dem Auslande ver-
wendet worden; so zur Bezahlung von mehr oder weniger euthehrliehen
Einfuhrwaren und zur Begründung von Guthaben in ausländischer
Wahrung, die sich der ICoutroUe der Reichsbank entzogen. Daraus
war ein immer stärker werdendes Angebot von deutscher Mark auf den aus-
ländischen Plätzen entstanden, das für die deutsche Valuta die gleichen
bedenklichen Folgen haben mußte, wie eine ungeregelte Nachfrage nach
ausländischen Devisen in Deutschland selbst.
Um hier einen Riegel vorzuschieben, übertrug die Devisen-Ordnung
die Ueberwachung der Markzahlungen an das Ausland der Reichsbank.
Jede Ueberführung inländischer Zahlungsmittel an das Ausland wurde
von der Genehmigung der Reichsbank abhängig gemacht. Durch Post-
kontrolle und Grenzüberwachung versuchte man die Wirksamkeit dieser
iiestimmung zu sichern.
Dagegen mußte man schon im Interesse der Aufrechterhaltung
des Kredits der mit dem Auslande in Beziehung stehenden deutschen
Staatsangehörigen und Unternehmungen darauf verzichten, auch die
anderen Zahlungsw^ege und Zahlungsmöglichkeiten in ähnlicher Weise
zu verschränken. In Betracht kamen insbesondere die Begründung
von Markguthaben in Deutschland zugunsten eines Ausländers, die
Ucbertraguug bereits bestehender Markguthaben an Ausländer und die
Einziehung von Markguthaben und Markforderungen durch Ausländer.
Da ein Verbot der Erfüllung von Verbindlichkeiten gegenüber neutralen
Ausländern ausscheiden mußte, blieb nur der Weg, die Einziehung der
Verbindlichkeiten gegenüber dem Auslande von der Einwilligung der
Reichsbank abhängig zu machen. Die Verordnung beschränkte sich
dabei auf die für die Valutaregulierung wichtigsten Gebiete, nämlich auf
die Einziehung von Verbindlichkeiten zum Zwecke des Erwerbs von
Waren oder Wertpapieren, von Kostbarkeiten, Kunst- und Luxnsgegen-
btäuden jeder Art, von Grundstücken und Schiffen, sowie auf die Ein-
räumung von Markkrediten an im Auslande ansässige Personen und
Firmen.
Die auf solche Weise erweiterte und verschärfte Ueberwachung
und Regelung des Verkehrs in ausländischen Zahlungsmitteln und in
auf ausländische Währung lautenden Forderungen wurde ergänzt durch
die Einfuhrung eines Anmeldezwanges für ausländische Zahlungsmittel
und Geldforderungen an das verbündete und neutrale Ausland. Der
Reichskanzler erhielt die Ermächtigung, anzuordnen, daß der Reichsbank
auf ihr Verlangen ausländische Zahlungsmittel und auf ausländische
Währungen lautende Forderungen zum Tageskurs zu übertragen seien').
Die Devisenordnung ist nach Beendigung des Krieges durch eine
am 11. September 1919 veröffentlichte Verordnung vom 23. Juli 11)19
aufgehoben worden. Der Verkehr in ausländischen Zahlungsmitteln
wurde aber damit nicht etwa von allen Beschränkungen befreit; er
blieb vielmehr weiterhin der Ueberwachung und Regelung unterworfen,
') Das Nähere über Ansgestaltung und Anwendung der Devisenordnnng
siehe in dem 10. und 11. Nachtrag zu der Denkichrift über wirtschaftliche Maß-
nahmen ans Anlaß des Krieges, Drucksachen des Reichstages 1914/17 Nr. 650
und 1214.
246 Erstes Buch. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
die in Rücksicht auf die Rekämpfano; der (.Kapitalflucht" für notwendig
gehalten und in dem Gesetz, getren die Kapitalflucht vom 8. September 1919
testgelegt \Yurden. \'or allem aber zwangen die uns in dem Versailler
Diktat auferlegten gewaltigen Kontributionszahlungen zu einer beträcht-
lichen Verschärfung der Maßnahmen zur Erfassung der aus dem deutschen
Export entstehenden Forderungen an das Ausland. Die Ablieferungs-
pflicht fUr „E X p r t d e V i s e n" wurde nach jeder Möglichkeit ausgebaut,
und der Reichsbank wurde auf diese Weise die Verfügung über den
größeren Teil des für den Handel überhaupt iu Betracht kommenden
Devisen-Materials gesichert. Niemals hat in irgend einem Lande eine
zentrale Stelle den Handel in Devisen auch nur annähernd in diesem
Umfange „kontrollieren" können. Trotzdem war, wie die Katastrophe
des deutscheu Volkes zeigt, die Macht der realen Tatsachen stärker
als jede ».Devisenpolitik".
Diese Erfahrung, die Deutschland unter dem Drucke der Kontri-
bution bis zur Neige durchkosten muß, haben auch die anderen am
Kriege beteiligten Staaten und sogar die Neutralen machen müssen.
Abgesehen von den Vereinigten Staaten, deren Währung in den Stürmen
des Weltkrieges als der einzige feste Pol in der Erscheinungen Flucht
dasteht, hat nur England mit einem Aufgebot ganz großer Mittel während
des Krieges vorübergehend eine gewisse Stabilität seiner Vatuta zu
erzielen vermocht.
Selbst der amerikanische Dollar hat in der ersten Zeit des Krieges
auffallende und merkwürdige Schwankungen durchgemacht. Unter dem
Drucke der plötzlichen Zurückziehung der europäischen, insbesondere
der englischen Guthaben sank die amerikanische Valuta gegenüber dem
Gelde einzelner europäischer Staaten — und zwar nicht nur der Neu-
tralen sondern insbesondere auch Englands — vorübergehend nicht
unwesentlich unter die Goldparität.
Die Goldparität zwischen dem Dollar und dem Pfund Sterling ist
4,86 ^8 Dollar = 1 Pfd. St. Der Sterlingkurs wurde in New York
am 30. Juli 1914 mit 5,15 notiert. Dieser Kurs bedeutete eine Entwertung
des Dollars gegenüber dem Pfund Sterling um rund 6 Prozent. Die
folgenden Wochen brachten eine Erholung, aber bis zum September 1914
hielt sich der Sterlingkurs in New York über der Parität. Erst gegen
Jahresschluß trat eine entscheidende Wendung ein; am 29. Dezember 1914
wurde als niedrigster Jahreskurs 4,8565 notiert.
Auch die deutsche Mark stand in den ersten zwei Monaten des
Krieges in New York über Parität; sie wurde Ende Juli mit 96 Cts.
für 400 Mark, im Durchschnitt des September noch mit 95,72 Mark
bei einer Parität von 95,29, notiert. Hier trat jedoch der Umschwung
zeitiger und stärker ein als gegenüber dem Pfund Sterling; am
31. Dezember 1914 war die New Yorker Notiz für 400 Reichsmark
nur noch 88 "/^ Cts., die Mark stand also nahezu 7 Prozent unter Parität.
Trotz dieser Vibrationen in der allerersten Zeit des Krieges kommt
allein der amerikanische Dollar — sowohl wegen seines festen Ver-
hältnisses zum Golde als auch wegen der überragenden wirtschaftlichen
und finanziellen Bedeutung der Vereinigten Staaten — als Maßstab
für die Wertgestaltung der übrigen Valuten in Betracht.
T.Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. §9. 247
An diesem Maßstabe gemessen gestaltete sich die Valuta der
wichtigsten kriegführenden und neutralen Länder folgendermaßen:
England : Der Kurs für Kabelauszahlungeu London zeigte vom Aus-
gang des Jahres 19 14 an eine fortschreitende Verschlechterung, bis am I.Sep-
tember 1915 ein Tiefpunkt 4,55 erreicht wurde (Entwertung gegenüber
der Parität 6,5 Prozent). Jetzt griff die britische Regierung mit großen
Mitteln ein, um dem Kursrückgang des Pfundes Einhalt zu gebieten,
eine Besserung zu erzielen und womöglich eine Stabilisierung zu er-
reichen. Zu diesem Zwecke wurden große Summen effektiven Goldes
an die Vereinigten Staaten abgegeben, wurden Anleihen mit ameri-
kanischen Finanzgruppen abgeschlossen, umfangreiche kommerzielle
Kredite aufgenommen und amerikanische Wertpapiere aus altem bri-
tischen Besitz an die Vereinigten Staaten zurückverkauft. Da zudem
amerikanische Bankgruppeu dem englischen Bestreben auf Besserung der
britischen Wechselkurse bereitwillig ihre Unterstützung liehen, gelang
es in der Tat, den Sterlingkurs in New York von seinem Tiefstande
Anfang September 1915 bis auf etwa 4,765 im März 1916 zu heben
und auf diesem Kurse, d. h, auf etwa 2 Prozent unter der Parität, bis
in das Jahr 1919 hinein annähernd stabil zu halten. Dagegen trat ein
neuer und scharfer Rückgang des Sterlingkurses ein, als die britische
Regierung die Politik der Stabilisierung des New Yorker Wechsel-
kurses aufgab. Die ungeheuren finanziellen Anforderungen dieser
Politik erschienen nach Beendigung des Krieges nicht mehr zu recht-
fertigen. Anfang des Jahres 1919 stellte deshalb das britische Schatz-
amt zunächst den Ankauf fremder Wertpapiere für die Zwecke der
Regulierung des Wechselkurses ein, und im März 1919 erhielt das
New Yorker Bankhaus Morgan & Co., das während des Krieges in
den Vereinigten Staaten als Finanzagent der britischen Regierung
figuriert hatte, die Anweisung, Sterlingkäufe behufs Stabilisierung der
britischen Wechselkurse nicht weiter vorzunehmen. Diese für Rechnung
der britischen Regierung getätigten Interventionskäufe hatten in der
Zeit vom Januar 1916 bis März 1919 den ungeheuren Betrag von
rund 4 Milliarden Dollar erreicht'). Infolge der Aufhebung dieser
regulierenden Maßnahmen übte die ungünstige Gestaltung der englischen
Handelsbilanz — gewaltiger Einfuhrbedarf für die Wiederauffüllung
der während des Krieges aufgezehrten Warenbestände und für die
Wiederingangsetznng der britischen Friedensindustrien — auf die bri-
tische Valuta ihre volle Wirkung aus. Das Jahr 1919 schloß mit
einem Kurs von 3,765 Dollar für das Pfd. St.; im Laufe des Februar 1920
ging der Sterlingkurs in New York zeitweise sogar bis auf 3,20
Dollar herab. Das bedeutete eine Entwertung der britischen Valuta,
am Dollar gemessen, um ein volles Drittel, oder — anders ausgedrückt
— ein Aufgeld des Dollar gegenüber dem Pfd. St. um 50 Prozent.
Seither ist eine wesentliche Erholung eingetreten. Bis zum Dezember
1921 stieg der New Yorker Sterlingkurs auf 4,22, und jetzt, Ende
Jannar 1923, stellt er sich auf 4,6856. Die Entwertung beträgt also
jetzt nur noch etwa 4 Prozent.
^) Siehe -The Chronicle" vom :'>. Ajiril 1019, zitiert in der „Volkswirtschaft-
lichen Chronik der ,, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik" 1919 S. 1016.
248 Erstes Buch. II. Absclinitt. Die Gestaltang der Edelmerallverhältnisse.
Fraukreich: In noch stärkerem Maße als der Sterling:kurs
zeigte die New Yorker Notiz für den fran/ösischeu Frauken im Laufe
des Jahres 1915 nach unten. Gegenüber dem Parikurse von 518,25 Fr.
für 100 Dollar und gegenüber einem Kurse von 516,50 am 2. Januar
1915 stellte sich die Notiz am 31. August 1915 auf 604, also auf etwa
11 Prozent unter Pari. Dann brachte die von Frankreich in Verbindung
mit Euglaud in den N'ereinigten Staaten abgeschlossene große Anleihe
eine Besserung, die jedoch in engen Grenzen blieb; der Kurs am
31. Dezember 1915 war 586. Im April 1916 wurde, trotzdem Frauk-
reich große Anstrengungen machte, um in ähnlicher Weise wie England
seine Valuta zu stabilisieren, wieder ein Kurs von 607 erreicht. Jene
Anstrengungen fiihrteu dann zu einer leichten Besserung bis auf etwa
583 im Herbst 1916. Das Jahr 1917 brachte mit dem Eintritt der
Vereinigten Staaten in den Krieg ein aktives Interesse der amerikanischen
Politik und Finanz an der Hebung und Stabilisierung des Frankenkurses.
Während der zweiten Hälfte des Jahres 1917 und bis zum Ausgang
des Sommer 1918 bewegte sich der New Yorker Kurs auf Paris mit
geringen Schwankungen von etwa 573 auf etwa 570; es wurde also
eine annähernde Stabilisierung des Frankenkurses auf einem Niveau
von etwa 10 Prozent unter Pari erreicht. Vom Juli 1918 wirkten die
großen amerikanischen Zahlungen für den Uuterhalt der nach Frank-
reich verschifften Truppen und die Wendung des KriegsglUcks zugunsten
der Alliierten zusammen auf eine erhebliche Besserung der französischen
Valuta. Am Schluße des Jahres 1918 vrnrde der Kurs auf Paris in
New York nur noch mit 545 notiert, die Entwertung des französischen
Franken gegenüber dem amerikanischen Dollar war also auf 5 Prozent
zusammengeschrumpft. Aber diese Besserung war nur von kurzer Dauer.
Die Preisgabe der von England geführten Politik der Beeinflussung des
New Yorker Devisenmarktes hatte für Frankreich, das sich an jener
Politik nach Kräften beteiligt hatte, noch viel schlimmere Folgen als
für England. Schon Anfang April 1919 mußte der Dollar mit mehr
als 6 Franken bezahlt werden, im Dezember 1919 mit mehr als
12 Franken; im April 1920 wurde er auf mehr als 17 Franken hin-
aufgetrieben, um dann nach einer erheblichen aber vorübergehenden
Besserung zu Beginn des Jahres 1921 seinen Höchststand mit 17,18 fr.
für den Dollar zu erreichen. Dann trat bis Anfang Juni 1922 ein Rück-
gang bis auf etwa 11 Fr. für den Dollar ein, sodaß damals
gegenüber dem amerikanischen Dollar die französische Valuta, die um
die Wende des Jahres 1920 und 1921 auf weniger als ein Drittel
des Pariwertes herabgesunken war, nur noch um wenig mehr als
die Hälfte entwertet war. In der zweiten Hälfte des Jahres 1922
trat in Verbindung mit der von Frankreich selbst hervorgerufenen
Komplikation des Keparationsproblems eine neue Verschlechterung der
französischen Valuta ein, die sich im Januar 1923 mit der Besetzung
des Ruhrgebiets erheblich verschärfte. Ende Januar 1923 notierte der
Dollar in Paris 16,89 fr.; die französische Valuta hat damit ihren Tief-
stand vom Beginn des Jahres 1921 annähernd wieder erreicht.
Italien: Obwohl Italien erst im April 1915 in den Krieg ein-
trat, wurde die italienische Valuta von Anfang an durch den Krieg
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 9. 24^
stark in Mitleidenschaft gezogen. Am 30. Juli 1914 wurden fllr lOü
französische Franken 106 '/j italienische Lire gezahlt. Auch in der
Folgezeit stellte sich die italienische Valuta stets noch ungunstiger als
die französische. Gegenüber dem amerikanischen Dollar zeigte die
Lira während des Krieges einen kaum unterbrochenen KUckgaiig, der
im Juli 1918 mit einem Kurse von 897 Lire für 100 Dollar (Unter-
wertung der Lira etwa 42 *•/(,) seinen Tiefpunkt erreichte. Der gleich-
zeitige Kurs auf Italien in Paris war 59,75 Fr., in Zürich 41,37 Fr.
für 100 Lire. Die dann einsetzende Besserung der italienischen Valuta
bis auf einen Kurs von 636 Lire für 100 Dollar war stärker als die
gleichzeitige Kursbesserung der meisten anderen Valuten; der italie-
nische Kurs in Paris stellte sich wieder auf 85, in der Schweiz auf
74,80. Die folgenden Jahre brachten jedoch auch für die italienische
Valuta einen Rückgang, der die Entwertung in der Kriegszeit weit
übertraf. Ende 19iO stellte sich der italienische Kurs auf New York
auf ii875, was einer Unterwertung der Lira von 82 ''/o entspricht. Die
gleichzeitigen Kurse auf Rom in Paris und Zürich waren 57,25 und
21,85 Franken für 100 Lire. Dann ist eine Besserung ungefähr im
Ausmaße derjenigen der französischen Valuta eingetreten. Im Juni 1922
stellte sich der italienische Kurs auf New York auf etwa 1960, der
Pariser Kurs auf Rom, wie Ende 1920, auf etwa 57,25. Seither hat
sich die italienische Valuta weiter gehoben. Ende Januar 1923 notierte
die Lira in Zürich 25,40 Cts, in Paris sogar 80,40 Cts.
Niederlande: Ganz anders als die Valuten der kriegführenden
Staaten gestalteten sich die Valuten der europäischen Neutralen, die als
Lieferanten dringend benötigter Waren an die beiden kriegführenden
Mächtegruppen einen starken Bedarf für ihre Zahlungsmittel sich ent-
wickeln sahen.
In der sich daraus ergebenden Valuta-Entwicklung nach oben
hatten zunächst die Niederlande die Führung. Der Kurs des hollän-
dischen Gulden stieg nicht nur erheblich über die Parität mit den
Valuten der kriegführenden Staaten, sondern wurde bald auch in New
York über Parität notiert. Anfang Januar 1916 stellte sich der Kurs
auf Amsterdam in New York auf 44,75 Dollar für 100 Gulden, was
bei einer Parität von 40,14 einen Ueberwert des holländischen Guldens
von etwa ll^/j^/o bedeutete. Im Laufe des Jahres 1916 trat dann
allerdings eine allmähliche Senkung bis auf etwa 41 ein, in den
ersten Monaten des Jahres 1917 ging der Kurs bis auf 40 ^/^g zurück,
sodaß also die Ueberbewertung des holländischen Gulden nur noch rund
1"/^ betrug. Daim aber kam es zu einer neuen Steigerung, bis im
November 1917 abermals der Höchstkurs vom Januar 1916 mit 44,75
erreicht wurde. Im Laufe des Jahres 1918 stieg die holländische Valuta
weiter bis auf 52'/^ am 10. August, einen Kurs, der mit einer Ueber-
wertung des holländischen Guldens gegenüber dem amerikanischen
Dollar von mehr als 30 7o gleichbedeutend war. Dann folgte ein
rascher Absturz: Ende 1918 wurde ein Kurs von 42'/^, im April 1919
wurde die Parität erreicht; in den folgenden Monaten wurde die
Parität sogar beträchtlich unterschritten, im August 1919 um 8"/o- I-^ie
.\bwärtsbewegung des Guldens setzte sich mit einigen Schwankungen
250 Erstes Biuh, II. Abschnitt. Die Gei^taltung dor Edeluietallverliältnisse.
bis zum Ende des Jahres 1920 fort; damals ^Yurde eiu Kurs vou etwa
31 Dollar für 100 holläudische Guldeu erreicht, also eine Entwertung
der holländischeu Valuta gegenüber der amerikanischen um etwa 237o-
Das Jahr 1921 brachte eine Besserung; im Dezember wurde ein Höchst-
kurs von 36,98 erreicht. Seither hat sich diese Besserung mit einigen
Schwankungen fortgesetzt; Ende Januar 1922 war der New Yorker
Kurs auf Amsterdam auf 39,43 angelangt; die Entwertung des Guldens
gegenüber dem Dollar betrug also nicht mehr ganz 2^1^.
Alles in allem hat also während des Krieges selbst der holländische
Gulden gegenüber dem Dollar einen Ueberwert gezeigt, der mit 30 "/o
im August 1918 seinen Höhepunkt erreichte; in der Nachkriegszeit dagegen
ist der holläudische Gulden erheblich unter die Dollarparität herab-
gegangen, und zwar bis um 23 "/o ^^ Ende des Jahres 1920; seither
hat er sich langsam der Parität wieder angenähert. In der großen
Linie ist diese Entwicklung der holländischen Valuta typisch für die
Valuten der wichtigsten europäischen Neutralen.
Schweiz: Ebenso wie der holländische Gulden gewann auch
der schweizerische Frank während des Krieges einen Ueberwert nicht
nur gegenüber den Valuten der kriegführenden Staaten, sondern auch
gegenüber dem amerikanischen Dollar. Allerdings war die Entwicklung
hier langsamer. Bis in die zweite Hälfte des Jahres 1916 hinein wurde
die Devise New York in Zürich über Pari notiert (höchster Kurs 5,41 Fr.
für den Dollar Mitte März 1915, gegenüber der Parität von 5,1825
eine Unterwertung von etwa 4**/^). Dann aber überschritt die
schweizerische Valuta die Parität und erreichte nach mancherlei
Schwankungen im Einzelnen, aber sich stets über der Dollarparität
haltend, Ende Juli 1918 den günstigsten Kurs von 3,965 Fr. für den
Dollar, der einem Ueberwert des Franken von mehr als 30 ^/^ entsprach.
Dieser Höchststand der schweizerischen gegenüber der amerikanischen
Valuta fiel also sowohl zeitlich, wie auch dem Betrage nach mit dem
Höchststande der holländischen Valuta zusammen. Dann folgte, wie bei
der holländischen Valuta der Umschwung: im zweiten Viertel des
Jahres 1919 war der Schweizer Franken wieder auf seiner Dollar-
parität angekommen, in den folgenden Monaten ging er beträchtlich
unter diese herab. Ende 1920 kam der Dollarkurs in Zürich auf
6,565 an, der einer Entwertung des schweizerischen Franken um 21 "/^
entsprach (gleichzeitige Entwertung der holländischen Valuta 23 7o)-
dann kam abermals wie bei der holländischen Valuta, die Wendung
zum Besseren, nur in stärkerem Maße und rascherem Tempo. Ende
1921 überschritt der schweizerische Franken die Dollarparität, aller-
dings nur um wenige Tausendteile und hat sich bis in den Mai 1922
auf diesem Stande als höchstbewertete Valuta der Welt gehalten. Ende
Januar 1923 war der Kurs 536,25 Fr. für 100 Dollar; das bedeutet eine
Abweichung von der Parität zuungunsten der Schweiz um etwa 3^2 "/o-
Skandinavien: Die drei skandinavischen Königreiche hatten
Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts bei ihrem gemein-
schaftlichen Uebergang zur Goldwährung eine Münzunion abgeschlossen,
diö eine weitgehende Einheitlichkeit ihres Geldwesens sicherstellen
.«'ollte. Auch diese Einheitlichkeit ist im Weltkrieg in die Brüche ge-
7. Kapitel. Eutwickliing des Geldwesen- seit Ausbrurh des Weltkrieges. §9. 251
gangen. Zwischen der schwedischen, der norwegischen und der dänischen
Valuta bildeten sich aufgrund der Tatsache, daß die drei Währungen
ihre feste Beziehung zu Gold verloren, nicht unerhebliche Differenzen
heraus. Hier genüge es, die Entwicklung der schwedischen Valuta zu
verfolgen und gelegentlich auf ihr Verhältnis zu der dänischen und
norwegischen Schwestervaluta hinzuweisen.
Die Parität der skandinavischen Krone und des amerikanischen Dollar
18*373,14 Kronen = 100 Dollar. Noch zu Anfang 1915 stand der Dollarkurs
in Stockholm auf 399, d. h. die schwedische Krone stand etwa 6 Va^/o ^nter
der amerikanischen Parität. Im Laufe des Jahres 1915 erreichte und
überschritt die Krone den Parikurs. Ende 1915 notierte der Dollar in
Stockholm 360, Ende 1916 344. Im Laufe des Jahres 1917 setzte
sich diese Entwicklung fort, bis Anfang November ein Dollarkurs von
234 erreicht wurde. Dieser Kurs bedeutete einen Ueberwert der
schwedischen Krone gegenüber dem amerikanischen Dollar von 55*/,.
Die schwedische Valuta war in jener Zeit die am höchsten bewertete
in der ganzen Welt. Sogar der holländische Gulden zeigte gegenüber
der schwedischen Krone Anfang November 1917 einen Unterwert von
nahezu 33^0. Die dänische und norwegische Krone, die schon im
Jahre 1915 hinter dem Wert der schwedischen Valuta zurückgeblieben
waren, hatten im November 1917 ein Disagio gegenüber der schwe-
dischen Krone von 17 "/^ zu verzeichnen.
Während jedoch die holländische und die schweizerische Valuta
ihre Steigerung gegenüber dem amerikanischen Dollar bis in den Hoch-
sommer 1918 hinein fortsetzten, trat bei der schwedischen Krone die
Rückbildung des Kurses schon in den letzten beiden Monaten des
Jahres 1917 ein. Im März 1919 stellte sich der Stockholmer Kurs
nuf New York wieder auf Pari also etwas früher als die holländische
und schweizerische Valuta. Die Senkung der schwedischen Valuta
setzte sich in stärkerem Ausmaße, als diejenige der holländischen und
schweizerischen Valuta fort. Ende 1919 kam der Stockholmer Dollar-
kurs bis auf 466, in der zweiten Hälfte des Jahres 1920 sogar etwas
höher als 500. Dieser Kurs bedeutete eine Unterbewertung der schwe-
dischen Krone gegenüber dem amerikanischen Dollar um 25^/3%, während
in jener Zeit die Unterbewertung der schweizerischen Valuta mit 21'/,.
der holländischen Valuta mit 23"/(, ihren Tiefpunkt erreichte. In der
folgenden Zeit hob sich die schwedische Valuta bis auf einen Dollar-
kurs von 498 Ende 1921 und 375 Ende Januar 1923. Letzterer Kurs
bedeutet einen Unterwert der Krone gegenüber dem Dollar von nicht
mehr ganz '/,°/o.
Spanien: Die spanische Valuta verzeichnete in den Jahren
vor dem Krieg stets einen Unterwert gegenüber dem französischen
Franken und gegenüber den Goldvaluten überhaupt. Im Laufe des
Jahres 1915 erreichte und überstieg die spanische Peseta nicht nur
die Parität gegenüber dem französischen Franken, sondern auch gegen-
über dem englischen Pfund. Anfang 1916 wurde auch die Parität
gegenüber dem amerikanischen Dollar (19,3 Cents für die Peseta) er-
reicht. Zu Beginn des Jahres 1917 stellte sich der New Yorker Kurs
auf Madrid auf 21 Cents, Ende 1917 auf 24,1 Cents, Anfang Juni 1918
252 Erstes Buch. II. Abschuitf. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse.
auf 28,4 Cents. Damit war der Kulminationspunkt erreicht. Gegen-
über dem amerikanischen Dollar verzeichnete die spanische Peseta da-
mals einen Ueberwert von 47%. Aber auch gegenüber den Valuten
der europäischen Neutralen nahm die spanische Valuta damals einen
Hochstand ein. Der Kurs Amsterdam — Madrid stand damals — bei
einer Parität von 48 Gulden für 100 Peseten — auf 58, der Kurs
Zürich — Madrid — bei einer Parität von 100 schweizerischen
Franken =100 Peseten — auf 116. Die Peseta hatte damit gegen-
über dem holländischen Gulden einen Ueberwert von 21 7o> gegenüber
dem schweizerischen Franken von 16%.
Die zweite Hälfte des Jahres 1918 brachte auch für die spanische
Valuta den Kückschlag. Ende 1918 stand die Peseta einige Prozent
unter der schweizerischen und holländischen Parität und nur noch um
etwa S^i2^io ^^^^ ^6^ amerikanischen Parität. Während des Jahres 1919
bewegte sich die spanische Valuta im allgemeinen über dem Stande der
Valuten der übrigen europäischen Neutralen; im November 1919 notierte
der Peseteuknrs in Zürich etwa 109. Ende 1919, Anfang 1920
stellte sich der Kurs New York — Madrid ungefähr auf Pari. Hatte
sich bis dahin die spanische Valuta besser gehalten als diejenigen der
anderen europäischen Neutralen, so zeigte sie im Laufe des Jahres 1920 einen
weit stärkeren Rückgang. Im November 1920 war der Kurs Zürich —
Madrid nur noch 76; die Unterwertung der spanischen Valuta gegen-
über der amerikanischen stellte sich damals auf 38727o' gegenüber der
schweizerischen auf 24%. Zurzeit, Ende Januar 1923, notiert der Kurs
auf Madrid in Zürich etwa 83,30%, die Unterwertung der Peseta gegen-
über dem schweizerischen Franken beträgt also noch etwa 16,7%.
Japan: Das Kaiserreich im fernen Osten hatte mit der Weg-
nahme von Tsingtau sein Kriegsziel erreicht. Auch wenn es formell
am Kriege noch weiter teilnahm, war doch wirtschaftlich seine Stellung
ähnlich derjenigen der europäischen Neutralen und der Vereinigten
Staaten bis zu deren Eintritt in den Krieg. Infolge seiner enormen
Warenlieferungen für die Alliierten sah es seine Zahlungsbilanz sich zu
einer außerordentlich starken Aktivität entwickeln. Die Wirkung
auf die japanische Valuta war, daß die Notierung des Yen in New York
vom Anfang des Jahres 1917 an die Parität (49,85 Cents für 1 Yen) über-
schritt. Im November 1918 erreichte der New Yorker Kurs auf Japan
mit 54,6 Cents seinen Höhepunkt (Ueberwert des Yen etwas mehr als
^Va^/o)- ^s folgte dann ein liückgang der japanischen Valuta bis auf
50,25 Cents Ende 1919 und 46,25 Cents im April 1920 (Unterwertung
etwa 7%). In den folgenden Monaten überschritt die japanische Valuta
zeitweise wieder die Parität, um sich dann annähernd auf der Parität
mit der amerikanischen Valuta zu halten.
Indien: Der Kurs der indischen Rupie war durch die oben
besprochenen Maßnahmen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auf
der Parität von 1 sh 4 d für die Rupie stabilisiert worden. Bis zur
Mitte des Jahres 1917 gelang es der britischen Regierung, trotz des
großen Zahlungsmittelbedarfs für Indien, den Rupienkurs annähernd auf
diesem Staude zu halten. Die Notierung der vom India Office in London
begebenen Council Bills hielt sich bis zum Juli 1917 auf 1 sh 4 5/32 d.
7. Kapitel. Entwicklung des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges. § 9. 253
Die amtliche Notiz wurde in den folgenden Jahren eingestellt. Als sie
im Dezember 1917 wieder aufgenommen wurde, stellte sie sich auf
1 sh 4 15/16 d. In den folgenden Monaten sah sich die Regierung
in Rücksicht auf die Steigerung des Silberpreises genötigt, den Ab-
gabekurs für ihre Rupientratten noch weiter in die Höhe zu setzen;
zunächst bis auf 1 sh. 6 d im Mai 1918. Die große Silberhausse des
Jahres 1919 zwang zu weiteren Erhöhungen. Im Mai 1919 stieg der
Londoner Kurs für die Rupie auf 1 sh. 8 d, im Dezember 1919 gar
auf 2 sh. 4 d. Damit war die Parität um nicht weniger als Tö''/^
überschritten. Der mit dem März 1920 einsetzende scharfe Rückgang
des ßilberpreises brachte einen Umschwung auch in der Entwicklung
der indischen Valuta, die schließlich im Laufe des Jahres 1921 wieder
auf der Parität von 16 d für die Rupie ankam.
Deutschland: Die Parität der deutschen und amerikanischen
Valuta ist nach der Berliner Notierung 4,194 Mark =^ 1 Dollar; nach
der New Yorker Notierung war sie bis zum Jahre 1917 95,375 Dollar
für 400 Mark, nach der Wiederaufnahme der Notierung des Berliner
Wechselkurses 27,69 Dollar für 100 Mark.
Da mit Kriegsausbruch in Berlin die Notierungen der auslän-
dischen Wechselkurse eingestellt, und erst Ende 1916 in Verbindung
mit dem ersten Eingriff in den Devisenhandel wieder aufgenommen
wurden, ist eine Darstellung der Entwicklung der deutschen Valuta
auf die Notierungen des Markkurses auf den fremden Plätzen an-
gewiesen.
In New York notierte der Kurs auf Berlin Ende Juli 1914 96
Dollar für 400 M., also etwas über Pari. Die Verhältnisse für die Auf-
rechterhaltung der Valuta lagen indessen für Deutschland wesentlich
schwieriger als für die Ententemächte. Infolge der Absperrung Deutsch-
lands vom Seeverkehr wurde die deutsche Ausfuhr besonders stark
beeinträchtigt, während die Erschwerung der notwendigen Einführen sich
in beträchtlichen Steigerungen der Preise für Einfuhrwaren auswirkte.
Der in Friedenszeiten sehr erhebliche Gewinn Deutschlands aus dem
Seetransportgeschäft kam in Wegfall. Der Ertrag der auswärtigen
Kapitalanlagen Deutschlands erfuhr durch die Zahlungsverbote und
durch die Beschlagnahme deutschen Eigenturas seitens unserer Kriegs-
gegner eine starke Einschränkung, Die Mittel, mit denen wir den schon
in Friedenszeiten vorhandenen Passivsaldo unseres Warenhandels be-
glichen hatten, wurden uns also durch den Krieg genommen, während
gleichzeitig der Passivsaldo selbst beträchtlich größer wurde. Außerdem
blieb Deutschland die weitherzige finanzielle Unterstützung versagt, die
Amerika von Anfang an den Ententestaaten gewährte. Es ist unter
diesen Umständen nicht erstaunlich, daß der Markkurs bald nach
Kriegsausbruch in stärkerem Maße abbröckelte als der Kurs des eng-
lischen Pfunds und auch des französischen Franken.
Bis zum Ende des Jahres 1915 sank der Markkurs in New- York bis
auf 76,25 also um 20 Prozent unter die Parität. Die im Januar 1916
in Deutschland eingeführte Ueberwachung und Beeinflussung des Devisen-
verkehrs hatte für einige Zeit einen gewissen Stillstand in der Kurs-
entwicklung zur Folge. Vom Monat Mai 1916 ab trat jedoch ein neuer
254 Erstes Budi. II. Abschnitt. Die Geitaltung der Edelmetallverhältnisse.
RUckgaug eiü; vorübergehend wurde Aufaug Dezember 1916 der Tief-
punkt mit 65,75 erreicht, die durch das deutsche Friedensangebot und
den Friedensschritt des Präsidenten Wilson er\Yeckten Hoffnungen auf
eine baldige Beendigung des Krieges ließen die Mark jedoch den Kurs
des Jahresbeginns wiedergewinnen, üie Erklärung des uneingeschränkten
U-Boot-Krieges und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit
Deutschland seitens der amerikanischen Regierung brachten einen
neuen Rückgang unter 70 Dollar für 4Ü0 Mark, bis Anfang April 1917,
nach dem formellen Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg, in
New York die Notierung der deutscheu Mark eingestellt wurde.
Für die Zeit bis zur Wiederaufnahme der Notierungen der deutschen
Mark in New York muß man zur Beurteilung der Gestaltung der deutscheu
Valuta die Kurse eines neutralen Platzes auf Berlin und New York zu-
hilfe nehmen, am besten die Notierungen in der Schweiz. Aus diesen
ergibt sich folgendes Bild:
Die Züricher Notierung der Mark ging von 84,875 Fr. für 100
Mark Ende 1916 auf 59,875 Fr. in der zweiten Oktoberhälfte 1917
zurück; bei dem gleichzeitig in Zürich notierten Dollarkurs von 4,50 Fr.
ergibt sich die Gleichung 400 Mark = 53,30 Dollar oder eine Ent-
wertung der Mark gegenüber dem Dollar um 43 ^j,. Dann trat bis
zum Jahresschluß 1917 eine wesentliche Erholung ein (Züricher Kurs
auf Berlin 85,75), der jedoch im Jahre 1918, insbesondere vom Juli
an, eine neue wesentliche Verschlechterung folgte. Nach einer kurzen
Reaktion zur Zeit der Verhandlungen über den Waffenstillstand setzte
sich der Rückgang fort; das Jahr 1918 schloß mit einem Züricher Kurs
auf Berlin von etwa 60 Fr. für 100 Mark, der bei einem gleichzeitigen
Züricher Kurs auf New York von 4,80 Fr. für den Dollar einen Kurs
von 50 Dollar für 400 Mark oder von 8 Mark für den Dollar bedeutete.
Die Züricher Kurse des 30. Juni 1919, also der Zeit der Unterzeichnung
des Versailler Friedens, stellten sich für Berlin auf 42,625, für New
York auf 5,435 und ergaben für den Dollar einen Wert von 12'/^ Mark.
Bei Friedensschluß war also die Mark gegenüber dem Dollar auf weniger
als ein Drittel der Parität entwertet.
Nach Friedensschluß setzte sich die Entwertung in progressiver
Beschleunigung fort. Der vorläufig tiefste Punkt wurde Ende Januar 1920
erreicht; der schweizerische Frank notierte damals in Berlin 18,00 Mark.
Als am 2. Februar 1920 in Berlin die Notierung des Wechsels auf
New York wieder aufgenommen wurde, stellte sich die Notiz auf
103,75 Mark für den Dollar, die Mark war also am Dollar gemessen
auf etwa ^as entwertet. Die folgenden Monate brachten eine rapide
Besserung bis auf einen Dollarkurs von 34,75 im Mai; aber schon im
November 1920 erreichte der Dollarkurs wieder die Höhe von 87,75 Mark.
Diese ungeheuerlichen Schwankungen wurden durch die Ent-
wicklung der deutschen Valuta im Laufe des Jahres 1921 noch über-
troffen. Im April 1921 hielt sich der Berliner Dollarkurs zwischen 63,50
und 68,25 Mark. Nachdem die deutsche Regierung sich im Mai dem
Londoner Ultimatum unterworfen hatte, sah sie sich in den folgenden
Monaten gezwungen, die Devisen für die Zahlung der ersten Gold-
railliarde auf die nunmehr ziöermäßig festgestellte Kontribution aufzu-
7. Kapitel. Entwickhing des Geldwesens seit Ausbruch des Weltkrieges § 9. 255
briogen. Ein erheblicher Teil dieser bis zum 31. Augast 1921 zahl-
baren Summe wurde von der Reiehsbank durch kurzfristige Auslands-
kredite beschafft, die bis zum Jahresschluß zurückgezahlt werden mußten.
Als dann im Oktober die Entscheidung des Obersten Kates der Alliierten
über Oberschlesien bekannt wurde, begann der eigentliche Zusammenbruch
der deutschen Valuta: der Berliner Dollarkurs stieg im November 1921
bis auf 310 Mark. Die Mark war damit auf ^ts der amerikanischen
Parität angekommen.
Dem plötzlichen Zusammenbruch folgte allerdings eine rasche und
kräftige Erholung, als Gerüchte über erfolgversprechende Verhandlungen in
London über eine Revision des Londoner Ultimatums in Umlauf kamen
und sich schließlich zu der Konferenz von Cannes verdichteten. Schon
im Dezember 1920 ging der Berliner Dollarkurs zeitweise bis auf
165,50 Mark hinab, in wenigen Wochen konnte also die Mark nahezu
die Hälfte ihrer Entwertung wiedergewinnen. Der Januar 1922 brachte
Schwankungen zwischen 170 und 210, Die folgenden Monate sahen
eine neue Steigerung des Dollarkurses bis auf 340 Mark Ende März,
Dann trat unter starken Schwankungen wieder eine rückläufige Be-
wegung ein; in der ersten Junihäifte 1922 schwankte der Dollarkurs
zwischen 270 und 290 Mark.
Das Scheitern der Pariser Anleihekonferenz (Morgan-Comite) am
10. Juni 1922 und die nunmehr einsetzenden französischen Drohungen
und Gewaltmaßnahmen besiegelten die Katastrophe; im November 1922
wurde zum ersten Mal der Dollarkurs von 9000 Mark überschritten.
Seit der Unterwerfung unter das Londoner Ultimatum (Mai 1921) war
damit die Mark auf ^/j^^, seit dem Juni 1922 war sie auf ^j^^ des da-
maligen Standes zurückgegangen. Vom Beginn des Jahres 1923 an
hat die Besetzung des Ruhrgebietes eine weitere scharfe Entwertung
der Mark gebracht: Ende Januar 1923 überschritt der Berliner Dollar-
kurs zeitweite den Satz von 50 000 Mark; das bedeutete einen Wert
der Papiermark von nur noch Vianoo ^^^ Goldparität und von weniger,
^'s Vi6o ^^^ Wertes vom Juni 1922. Inzwischen hat eine verhältnis-
mäßig starke Reaktion auf diese überstürzte und übertriebene Auf-
wärtsbewegung des Dollarkurses eingesetzt; Mitte Februar 1923 kam
der Berliner Dollarkurs wieder auf 22 500 Mark an.
Ostdevisen: Mit ihrer jüngsten Entwertung ist die Mark
erheblich sogar unter das Niveau der meisten sogenannten „Ostdevisen"
herabgesunken. Nur Rußland, dessen Geld einer völligen Entwertung
verfallen ist, hält einen unerreichten Rekord. Die österreichische Krone,
die zur Zeit der Unterzeichnung der Friedensverträge gegenüber der
bereits entwerteten deutschen Mark etwa die Hälfte ihres Wertes ein-
gebüßt hatte — sie notierte im Juli 1919 etwa 45 Pfennig gegenüber
einer Friedensparität von rund 85 Pfennigen — , sank in der Folgezeit
vorübergehend unter den Satz von 2 Pfennig hinab. Während aber seit
August 1922 mit Hilfe des unter Preisgabe der staatlichen Souveränität
erkauften Völkerhundkredites dem weiteren Absinken der österreichischen
Valuta Einhalt geboten worden ist, hat sich gerade seit jenem Zeit-
punkt die Katastrophe der deutschen Valuta vollendet; die österreichische
256 Erstes Bach. II. Abschnitt. Die Gestaltung der Edelmetallverhältnisse,
Krone erreichte Ende Januar 1923 in Berlin vorübergehend einen Kurs
von 66,3 Pfennig: das Aufgeld der Krone gegenüber der Mark ist damit
auf 28,4 Prozent zusamniengeschrunipft.
Die Valuta der Tschecho-Slovvakei, die bis in das Jahr 1921
hinein ungefähr auf der Parität mit der Mark und zeitweise etwas darunter
gehalten hatte (85 Pfennig für die Krone), steht heute turmhoch über
der Mark; Ende Januar 1923 wertete sie 1350 Mark, also das
1600 fache der Parität. Auch die Valuten der Balkanstaaten stehen
auf dem mehrhundertfacheu ihrer Markparität. Selbst die ungarische
Krone, die zeitweise noch unter der österreichischen gestanden hatte,
notierte Ende Januar 1923 in Berlin 18,10 Mark, mehr als zwanzig
Mal so hoch wie die Friedenaparität. Sogar die polnische Mark, die
zeitweise nicht viel mehr als 2 Pfennige gegolten hat, gewann Ende
Januar gegenüber der deutschen Mark vorübergehend ein Aufgeld von
10 ^/j Prozent. (Kurs in der zweiten Februarhälfte wieder 45 bis
50 Pfennig für die polnische Mark.)
Die nachstehenden beiden Uebersichten geben einen Ueberblick,
wie sich die Valuten der wichtigsten Länder auf die deutsche Mark
und auf das englische Pfund Ende Januar 1923 projizierten.
Das Auseinanderklaffen der Valuten in einem bestimmten Zeit-
punkte wird in seiner Wirkung verschärft durch die auch in den günstigsten
Fällen immer noch sehr erheblichen Schwankungen innerhalb bestimmter
Zeitabschnitte.
Stand der deutschen Valuta am 31. Januar 1923.
Wert der Mark
iu Prozenten
der Friedens-
parität
New York
Stockholm
'Amsterdam
Zürich
London
Yokohama
Buenos Aires
Madrid
Kopenhagen
Ohristiauia
Rio de Janeiro
Paris
Brüssel
Rom
Prag
Helsingfors
Konstantinopel
Athen
Agram
Sofia
Bukarest
Budapest
Warschau
Wien
Dollar
z=
4,198
M.
49 000
0,0083
Krone
=
1,125
13 100
0,0086
Frank
=
1,687
))
19 325
0,0087
Frank
=
0,81
r
9 140
0,0089
Pfd. St.
=
20,43
n
227 500
0,0090
Yen
^^z
2,(!92
y)
22 450
0,0096
Peso N.
=
1,782
17 950
0,0099
Peseta
=
0,81
J)
7 490
0,0108
Krone
=
1,125
Y)
9 275
0,0121
Krone
=
1,125
n
8 975
0,0125
Milreis
=
1,36
5 250
0,0260
Frank
=
0,81
w
2 885
0,0281
Frank
r=
0,81
yt
2 550
0,0318
Lira
=
0,81
n
2 310
0,0351
Krone
0,8506
ft
1350
0,0630
Fin. M.
=
0,81
yy
1118
0,0668
Ley
=
18,45
yt
24 275
0,0760
Drachme=
0,81
y)
480
0,1687
Dinar
z=
0,81
ft
417 50
0,1940
Lewa
=
0,81
11
275
0,2909
Lei
=
0,81
135
0,6000
Krone
=
0,8506
f^
1810
4,6960
Poln M
==
1
1105
90,5000
Krone
=
0,8506
w
663
428,4000
Kapitel. Entwicklung des Geldweseug aeit Ausbruch des Weltkrieges. §9. 257
Devisenkurse iu London am 31. Januar 1923.
Wert d. fremden
auf
Parität
Kurs
Valuta in
Prozenten der
Friedensparität
New York
1 £ =
4,86V,
Dollar
'^,62'/«
05,24
Stockholm
1 £ =
18,159
Kronen
17,365
04,57
Montreal
1 £ =
4,86^8
Dollar
4,67^8
04,00
Bombay
16 d =
1
Rupie
16V,
02,88
Amsterdam
1 £ =
12,107
Gulden
11,78^/8
02,79
Yokohama
24,58 d =
1
Yen
SSV,.
01,72
Mexiko
24,58 d =
1
Dollar
25,—
01,71
Schweiz
1 £ =
25,225
Franken
24,86
01,47
Alexaudria
1 £ =
97V.
Piaster
97V2
00,-
Buenos Aires
47^/s d =
1
Peso Gold
43,50
91,72
Montevideo
51 d ==
1
Peso Gold
43V8
84,74
Madrid
1 £ =
22,5
Peseta
29,88
84,45
Kopenhagen
1 £ =
18,159
Kronen
24,25
74,88
(^hristiania
1 £ =
18,152
Kronen
25,05
72,49
Rio de Janeiro
16 d =
1
Milreis
5,97
37,31
Valiiariso
1 £ =
13Vs
Peso Gold
37-
36,03
Paris
1 £ =
25,y25
Franken
79,75
31,65
Brüssel
1 £ =
25,225
Franken
90,05
28,01
Italien
1 £• =
25,225
Lire
99,25
25,41
Prag
1 £ =
24,02
Kronen
160,—
15,01
Koustantinopel
1 £ =
110,—
Piaster
750,—
14,67
Helsingfors
1 £ =
25,225
Fin. Mark
184,50
13,34
Athen
1 £ =
25,225
Drachmen
385,—
6,55
Belgrad
1 £ =
25,225
Dinar
525,-
4,80
Sofia
1 £ =
25,225
Lewa
775,—
3,25
Bukarest
1 £ =
25,225
Lei
1162,50
2,17
Budapest
1 £ =
24,02
Kronen
12,250
0.19
Warschau
1 £ =
20,43
Polu. Mark
145,000
0,014
Berlin
1 £ =
20,43
Mark
220.000
0,0093
Wien
1 £ =
24,02
Kronen
335,000
0,0072
Eine annähernde Stabilität auf der Grundlage des früheren Gold-
pari hat sich jetzt, im fünften Jahre nach dem Abschluß des Welt-
krieges, erst wieder zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada, Schweden,
Holland, der Schweiz, Indien, Mexiko, Aegypten, England und Argen-
tinien hergestellt. Spanien, Dänemark und Norwegen folgen in einigem
Abstand. Von diesen durch einen weiten Abgrund getrennt kommen Frank-
reich, Belgien und Italien, dann die Tschecho-SIowakei, die Türkei,
Griechenland und die übrigen Balkanstaaten, Ungarn. Ganz tief im
Abgrund liegen Deutschland, Polen, Oesterreich, Kußland.
Die Entwicklung des Valuta-Chaos tut überzeugend dar, daß mehr
noch als alle Zerstörungen des Krieges die unsinnigen Bestimmungen der
Friedensverträge und die „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln'*
die Katastrophe des internationalen Geldwesens verursacht haben. Nie-
mand vermag abzusehen, wohin die Dinge noch treiben werden, wenn
nicht anstelle der Gewaltakte der „Siegerstaaten" endlich die wirt-
schaftliche und finanzielle Vernunft tritt.
U elii eri c h, Dus Geld.
17
Zweites Buch.
Theoretischer Teil.
1. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes.
§ 1. Allgemeines über die Definition des Geldes.
Die FeststelluDg des Geldbegriifs galt von jeher als ein schwieriges
Problem der theoretischen Nationalökonomie. So geläufig die Vor-
stellung des Geldes ihrem allgemeinen Inhalte nach für jedermann ist,
so schwer erscheint es, diese allgemeine Vorstellung in eine kurze
Formel zu fassen. Bei näherer Betrachtung stellt sich das Geld als
so vielgestaltig in seinen Erscheinungsformen und Funktionen dar, daß
das Gemeinsame und Wesentliche in dem großen Komplexe der Einzel-
wahrnehmungen unterzugehen droht. So kommt es, daß wir zwar
eine große Anzahl von Definitionen des Geldes besitzen, aber keine,
die allgemeine Anerkennung gefunden hätte.
Die meisten Definitionen des Geldes knüpfen nicht an die Sub-
stanz des Geldes, sondern an seine Funktionen an, und das augen-
scheinlich mit Kecht. Denn das Geld ist, wie im historischen Teile
dieses Buches bereits dargestellt wurde, nicht ein Ding an sich,
wenigstens nicht notwendig ein Ding an sich; vielmehr kann ein und
derselbe Gegenstand Geld sein, soweit er innerhalb der Volkswirtschaft
bestimmte Funktionen erfüllt, und er hört auf Geld zu sein, soweit er
andere Funktionen erfüllt. Allerdings haben wir gesehen, daß die
Entwicklung des Geldes die Tendenz hat, zu einer selbständigen Dar-
stellung, zu einer Verkörperung der Geldfunktionen zu führen; daß
z. B. das Metall in gemünzter Form in der Regel nur Geldfunktionen
erfüllt und daß das Papiergeld seiner ganzen Beschaffenheit nach
überhaupt nur als Geld dienen kann. Aber diese Entwicklungstendenz
hat sich im modernen Geldwesen, soweit es überhaupt noch auf
metallischer Grundlage beruht, noch nicht entfernt im ganzen Um-
fange durchgesetzt. Die Kegel, daß die Edelmetalle in gemünzter
Form nur als Geld funktionieren, hat ihre Ausnahmen; auch heute
noch finden Münzen, die mit allen denkbaren Erfordernissen des Geldes
ausgestattet sind, gelegentlich als Schmuck Verwendung; und wenn ein
17*
2G0 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
Goldschmied Münzen zurücklegt, nicht um sie später wieder zu veraus-
gaben, sondern um sie als Tiegelgut zu verwenden, so haben diese
Münzen damit aufgehört, Geld zu sein. Im internationalen Verkehr vollends
ist bei den Edelmetallen aus ihrer Erscheinungsform heraus eine Unter-
scheidung, ob sie Geld oder nicht Geld sind, ganz und gar unmöglich.
Hier flottiert geprägtes und ungeprägtes Edelmetall neben- und durch-
einander. Es werden in Goldbarren große Zahlungen geleistet, während
umgekehrt geprägtes Gold in großem Umfange der industriellen Ver-
wendung zugeführt wird.
Aus diesen Gründen kann eine Definition des Geldes nicht an die
Substanz und die Erscheinungsform des Geldes anknüpfen, sondern nur
an seine Funktionen: ein bestimmtes Objekt ist Geld, soweit es Träger
gewisser, näher festzustellender Funktionen ist.
Dabei ist jedoch ein Fehler zu vermeiden, der häufig gemacht
worden ist. Man hat mitunter, um zu einer Definition des Geldes zu
kommen, die sämtlichen Funktionen, die das Geld in unserer Volks-
wirtschaft, sei es ausschließlich, sei es neben anderen Gütern, versieht,
zu ermitteln gesucht. Als vorbereitende Arbeit hat ein solches Verfahren
gewiß seine gute Berechtigung; aber eine bloße Aneinanderreihung
dieser Einzelfunktionen kann als eine korrekte Definition nicht
anerkannt werden. Denn eine genauere Betrachtung ergibt, daß
diese Einzelfunktionen sich teilweise aus einer Grundfunktion ableiten,
teilweise nur regelmäßig oder gar nur beiläufig mit den begriffs-
wesentlichen Funktionen verknüpft sind; ist das der Fall, dann gehören
diese Funktionen nicht in eine Definition, die nur die wesentlichen,
nicht auch die abgeleiteten und unerheblichen Merkmale der zu defi-
nierenden Erscheinung zu umfassen hat.
Zur Feststellung des wesentlichen Merkmales gibt es nun zwei
Wege: entweder muß man von den Einzelfunktionen ausgehen, eine jede
davon für sich betrachten, sie auf ihre Wesentlichkeit prüfen und sie
zu den anderen Funktionen in Beziehung setzen, um so durch Aus-
scheidung des Unwesentlichen und Abgeleiteten das wesentliche Merk-
mal des Geldes festzustellen; oder aber man muß den Gesamtorganismus
der Volkswirtschaft zum Ausgangspunkte nehmen und die Stellung des
Geldes in diesem Gesamtorganismus aufzufinden und zu präzisieren
suchen.
Wir schlagen zunächst den letzteren Weg ein. Die später vor-
zunehmende Untersuchung der einzelnen Funktionen des Geldes wird
gewissermaßen die Probe auf das Exempel liefern.
§ 2. Die Stellung des Geldes im Organismns der Volkswirtschaft.
Die in der Volkswirtschaft in Erscheinung tretenden Gegenstände
unterliegen einer fundamentalen Unterscheidung von dem Gesichts-
punkte ans, ob sie unmittelbar dem Konsum, d. h. unmittelbar der
Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, dienen, oder ob sie nur Mittel
sind, die dazu verwendet werden, gebrauchsfertige Güter herzu-
stellen und sie dem Konsum zuzuführen. Die letzteren, die sich zu
den ersteren wie das Mittel zum Zweck verhalten und die sich im
I.Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes. § 2. 261
Gegensatz zu den „Konsumgütern" als „Mittelsgüter" bezeichnen lassen^),
zerfallen in verschiedene Gruppen:
1. In Produktionsmittel im engeren Sinne ''^), d. h. solche Güter,
welche als Rohstoffe oder Hilfsstoffe oder Werkzeuge usw. zur Um-
formung der gegebenen Materie in einen für den Verbrauch geeigneten
Zustand dienen; hierher gehören Stoffe wie Baumwolle, Wolle, Erze,
Metalle, Getreide, Kohlen, aber auch Werkzeuge, Maschinen usf.
2. In Transportmittel, d. h. solche Güter und Vorrichtungen, welche
die Ueberführung von Gütern nach dem Orte ihrer weiteren, sei es
vorübergehenden oder endgültigen Verwendung, sei es der Verwendung
im Produktionsprozesse oder in der Konsumtion, bewerkstelligen; hierher
gehören die Karren, Wagen, Schiffe, Eisenbahnen, welche das Getreide
vom Acker zur Mühle, das Mehl von der Mühle zum Bäcker, das Brot
vom Bäcker zum Konsumenten, welche die Baumwolle von der Plantage
zur Spinnerei, das Garn von der Spinnerei zur Weberei, das Gewebe
von der Weberei zum Schneider, und schließlich das fertige Kleidungs-
stück zu seinem endgültigen Träger führen.
Diese beiden Kreise von Mittelsgütern treten in Erscheinung, so-
bald die Menschen von einer lediglich okkupatorischen zu einer pro-
duktiven Tätigkeit übergehen, sobald sie aufhören, sich darauf zu
beschränken, die Genußmittel, die ihnen die Natur freiwillig liefert,
an Ort und Stelle zu verzehren, und sobald sie anfangen, aktiv in den
Naturprozeß einzugreifen und sich planmäßig an der Hervorbringung
von Gütern zu beteiligen. Produktionsmittel und Transportmittel würden
in gleicher Weise auch in einer zukünftigen, nach sozialistischen oder
kommunistischen Prinzipien geordneten Gesellschaft, die kein Sonder-
eigentum kennt, nicht entbehrt werden können. Diese beiden Gruppen
von Mittelsgütern haben mithin lediglich die Grundtatsache des^ Wirt-
schafteus, nämlich die Beteiligung des Menschen an der Hervorbringung
von Gütern, die als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung dienen, zur Vor-
aussetzung.
3. Im Gegensatz zu diesen Gruppen von Mittelsgütern ist weder
im Zustande der Eigenwirtschaft noch in einer kommunistischen Wirt-
schaftsverfassung ein Existenzgrund vorhanden für eine dritte Gruppe
wirtschaftlicher Objekte, die uns bei der Betrachtung der vor unseren
Augen liegenden volkswirtschaftlichen Erscheinungen auffällt und die
sich auf den ersten Blick mit dem Begriffe deckt, den wir mit dem
Worte „Geld" bezeichnen. Diese dritte Kategorie beruht auf der
Kombination zweier Grundtatsachen — nicht des Wirtschaftens über-
haupt, sondern unserer gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung: auf der
Arbeitsteilung und dem Sondereigentum.
Wo Arbeitsteilung besteht, dort erzeugt jeder nur einen kleinen
Teil der Güter, auf die sich sein eigner Bedarf erstreckt; die meisten
') Röscher unterscheidet Güter erster Ordnung: oder Gehrauchs- und
Verbrauchss:üter, und Güter zweiter Ordnung oder Produktivgüter; ähnlich
V. Philippovich und andere. Dietzel unterscheidet, m. E. präziser, zwischen
Objekten und Mitteln der Wirtschaft.
*) Im Gegensatz zu der vielfach gebrauchten Anwendung der Bezeichnung
„Produktionamittel'' auf sämtliche Mittelsgüter.
262 Zweitos Buch. I. Abschnitt. Das Geld ia der Wirtschaftsordnung.
Guter, die er sowohl für seineu Unterhalt als auch für die Zwecke
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nötig hat, werden von anderen ge-
schafleu. Wo außerdem Sondereigentum sowohl an Produktionsmitteln
als auch an Konsumgutern besteht, können sowohl die zu einer Unter-
nehmung notwendigen Mittelsguter und Arbeitskräfte, als auch die fUr
den Unterhalt einer Person notwendigen Konsumgüter dem Unternehmer
oder Verbraucher aus den Händen ihrer Besitzer und Inhaber nur
zur Verfügung gestellt werden durch einen Vorgang, den wir als
„Verkehr" bezeichnen; nicht als Verkehr im Sinne von Transport (inter-
lokaler Verkehr), sondern im Sinne der Uebertragung des Eigentums
oder Verfüguugsrechtes von einer Person auf eine andere (interperso-
naler Verkehr); wir wenden das Wort „Verkehr" in der folgenden
Darstellung ausschließlich im letzteren Sinne an.
Für den Verkehr in diesem Sinne bildet, wie bereits erwähnt
wurde, wie aber nochmals ausdrücklich betont sein möge, die Kombi-
nation von Arbeitsteilung und Sondereigentum die Grundlage, nicht
etwa eine dieser Tatsachen für sich allein. Wo keine Arbeitsteilung
besteht, wo jeder selbständig alles beschafft, was er nötig hat, dort ist
auch kein Anlaß zu einem Verkehr vorhanden. Wo ferner bei be-
stehender Arbeitsteilung kein Sondereigentum vorhanden ist, wo alles,
was der Einzelne aufgrund einer Arbeitsteilung mit den der Gesamt-
heit gehörigen Produktionsmitteln schafft, der Gesamtheit zufließt und
von den Organen der Gesamtheit wieder auf die Einzelnen verteilt wird,
da mag es wohl eine geordnete Organisation der Güterverteilung geben,
aber keinen Verkehr zwischen den wirtschaftenden Individuen.
Aus der in unserer historisch gewordenen Wirtschaftsverfassung
gegebenen Tatsache des Verkehrs ist die Institution des Geldes er-
wachsen. Wie der Mensch sich dazu gedrängt sah, bei seiner auf die
zweckmäßige Veränderung der Form und Beschaffenheit der Materie
sowie des Standortes der Güter gerichteten Tätigkeit die Arbeit durch
den Gebrauch von Mittelsgütern zu erleichtern und wirksamer zu ge-
stalten, genau ebenso drängte sich ihm die Benutzung von Mittelsgütern
auf für die Zwecke der Güterübertragung von Person zu Person. Die
Schwierigkeiten des unmittelbaren Verkehrs, wie sie am deutlichsten
beim unmittelbaren Austausche hervortreten mußten, ließen sich nur
tiberwinden durch die Einschiebung von Zwischengliedern, und zwar
sowohl von Zwischengliedern sachlicher als auch persönlicher Natur.
Das personale Zwischenglied des Verkehrs ist der Händler, das sach-
liche Zwischenglied ist das Geld.
Der Händler erwirbt Güter, um sie wieder zu veräußern. Der-
jenige, der Güter einer bestimmten Art benötigt, braucht nicht erst
einen Produzenten zu suchen, der diese Dinge gerade überflüssig hat;
er braucht sich nur an den Händler zu wenden, dessen Beruf ja
gerade darin besteht, bestimmte Güter immer zur Veräußerung bereit
zu haben. Umgekehrt findet derjenige, welcher Güter veräußern will,
in dem Händler einen Abnehmer, dessen Nachfrage nicht durch seinen
eignen persönlichen Bedarf begrenzt ist, da sein Beruf darin besteht,
zu kaufen, um wieder zu verkaufen. Der Händler ist mithin für den
Verkehr eine Zwischeninstanz, in der von den verschiedensten Punkten
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes. § 2. 263
aas das Angebot und die Nachfrage zusammenlaufen und die dadurcli
den einzelnen wirtschaftenden Individuen sowohl die Beschaffung als
auch die Veräußerung von Gütern erleichtert.
Ganz analog ist die Mittelstellung des Geldes. Wie der Händler
die Güter erwirbt, um sie wieder zu veräußern, so wird das Geld von
jedermann erworben, um wieder veräußert zu werden. Daraus ergibt
sich, daß sich für den Händler alle Dinge, mit denen er Handel treibt,
verhalten wie das Geld für jedermann, während sich umgekehrt für
jedermann das Geld so verhält, wie für den Händler seine Handelsware.
Jedermann ist bereit, im allgemeinen sogar gezwungen, gegen Geld zu
verkaufen, da gegen Geld alle anderen Güter und alle Leistungen, wenn
nicht ausschließlieh, so doch mindestens ungleich sicherer und einfacher
zu erlangen sind, als gegen andere Werte. Man kommt rascher, im
allgemeinen sogar nur dann zum Ziel, wenn man gegen Geld verkauft
und gegen das erhaltene Geld die benötigten Güter erwirbt. Auf das
Geld richtet sich mithin das Gesamtangebot, und vom Gelde geht die
Gesamtnachfrage nach Gütern und Leistungen aus. Wie der Händler
in personaler Beziehung, so steht das Geld in sachlicher Beziehung im
Brennpunkte von Angebot und Nachfrage; wie der Händler die Mittels-
person des Verkehrs ist, so ist das Geld der Mittelsgegenstand, das
Instrument des Verkehrs; nur daß es nicht — wie der Händler —
ausschließlich zweiseitige Uebertragungen vermittelt, bei denen ein Gut
gegen ein anderes hingegeben wird, sondern auch die zahlreichen ein-
seitigen Uebertragungen von Vermögenswerten, die sich aus der be-
stehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Organisation der Gesellschaft
ergeben, wie z. B. die Leistung von Abgaben und Steuern.
Damit ist, entsprechend dem oben Bemerkten, nur eine Aussage
über eine Verrichtung, eine Funktion des Geldes gemacht. Das Geld
ist aber nicht eine abstrakte, von jeder materiellen Verkörperung losgelöste
Funktion, es tritt uns vielmehr in jeder gegebenen Wirtschaftsverfassung
und in jedem gegebenen Wirtschaftsgebiete als ein bestimmter Kreis
konkreter Objekte gegenüber. Wir bezeichnen als Geld die Gesamtheit
derjenigen Objekte, welche die oben festgestellte Funktion erfüllen,
und zwar nicht etwa nur gelegentlich und beiläufig, sondern regelmäßig
und in ihrer ordentlichen Bestimmung. Wir sehen die Entstehung des
Geldes erst dann als vollendet an und sprechen erst dann von Geld im
rollen Sinne des Wortes, wenn bestimmte, nach äußerlichen Merkmalen
unterseheidbare Objekte — wie Münzen und Scheine — in ihrer ordent-
lichen Bestimmung die besonderen Funktionen der Verkehrsvermittelung
erfilUen, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß sie ausnahmsweise
dieser Verrichtung entzogen und zu anderen Zwecken verwendet werden
oder daß gelegentlich Objekte, deren ordentliche Bestimmung auf einem
anderen Gebiete liegt, der Verkehrsvermitteluug dienen.
Wir verstehen also unter „Geld" die Gesamtheit der-
jenigen Objekte, welche in einem gegebenen Wirtschafts-
gebiete und in einer gegebeneu Wirtschaftsverfassung die
ordentliche Bestimmung haben, den Verkehr (oder die Ueber-
traguug von Werten) zwischen den wirtschaftenden Individuen
zu vermitteln.
264 Zweites Bnch. I. Abschnitt. Pas Geld in der Wirtschaftsordnnng.
Mit dieser Definition ist die Stellung des Geldes im Kreise'^Mer
wirtschaftlichen Erscheinungen dahin bestimmt, daß es als dritte Gruppe
der Mittelsgüter den Troduktionsmitteln im engeren Sinne und den
Trausportmitteln gleichgeordnet zur Seite steht.
Diese Bestimmung der Stellung des Geldes in der Volkswirtschaft
dürfte sich gegenüber der von anderen Geldtheoretikern vorgenommenen
wohl begründen lassen.
Im Anschluß an die allgemein übliche Dreiteilung des Lebens-
prozesses unserer Wirtschaftsverfassung, die Produktion, die Verteilung
und den Konsum, ist von den einen das Geld als Mittel der Güter-
rerteilnng den Produktionsmitteln und den Konsumgütern als ein dritter
selbständiger Kreis volkswirtschaftlicher Forschungsobjekte gegenüber-
gestellt worden, während von anderen das Geld unter den Begriff des
„Kapitals", d. h. der produzierten Produktionsmittel, als eine mit zehn
oder zwölf anderen Unterabteilungen koordinierte Gruppe eingereiht
worden ist. Knies ^), der die erstere Auffassung gegenüber der all-
gemeiner angenommenen letzteren Einteilung vertreten hat, begründet
seine abweichende Rubrizierung nicht nur durch den Hinweis auf die
erwähnte Dreiteilung der wirtschaftlichen Vorgänge, sondern auch
damit, daß ein „Kauf-Verkauf für sich doch eben kein Akt der Guter-
produktion, sondern der (interpersonalen) GüterUbertragung" sei; der
Einzelne als Geldbesitzer habe in seinen Geldstücken ein Mittel, nur
um Güter zu bekommen, die bereits von anderen produziert sind, und
das an einen anderen weggegebene Geld sei ohne jegliche Einwirkung
auf das, was mit den für das Geld empfangenen Gütern weiterhin
gemacht wird.
In dieser Frage der Einteilung hängt natürlich alles davon ab,
was unter den Begriffen „Produktion" und „Verteilung" verstanden
wird. Versteht man unter „Verteilung" die Zuführung der für den
Konsum fertigen Güter an die einzelnen konsumierenden Individuen,
also die Repartierung des Gesamtergebnisses des Produktionsprozesses
auf die einzelnen Glieder der Volkswirtschaft — und nur in diesem
Sinne läßt sich der Verteilungsprozeß dem Produktionsprozesse gegen-
überstellen — , dann ist das Geld in unserer Wirtschaftsverfassung
entschieden mehr als lediglich das Mittel dieser Verteilung. Es gibt
zahlreiche und wichtige Gruppen von Verkehrsvorgängen, die durch das
Geld vermittelt werden, die aber unzweifelhaft dem Produktionsprozesse
angehören. Hierher gehören alle diejenigen Verkehrsvorgänge, welche
Güter, Nutzungen und Leistungen zum Zwecke der Produktion zu-
sammenführen, welche Arbeitsräume, Maschinen-, Roh- und Hilfsstoffe
und Arbeitskräfte dem Unternehmer für die Zwecke seiner Produktion
zur Verfügung stellen. Das Geld dient hier zur wirksamen Zusammen-
fassung von Produktionskräften und Produktionsmitteln, zur Organisation
der Produktion. Seine Funktion ist in gewissem Sinne analog der-
jenigen der Transportmittel, die, ähnlich wie das Geld, nicht nur dazu
dienen, das fertige Produkt dem endgültigen Verbraucher räumlieh zu-
') K. Knies, Geld und Kredit, 1. Abt. Da8 Geld. 2. Aufl. 1888.
1. Kapitel. Der wivtgchaftliche Begriff des Geldes. § 2. 265
znf Uhren, sondern auch daza, Produktionsmittel und Produktionskräfte
räumlich zu vereinigen.
Indem wir dabei die Wahrnehmung machen, daß die Transport-
mittel stets anstandslos als eine Kategorie des „Kapitals", d. h. der
produzierten Produktionsmittel, betrachtet worden sind, kommen wir zu
der Frage, wie der Begriff der „Produktion" abzugrenzen ist. Wenn
wir diesen Begriff auf die planmäßige Umformung der Materie zu
höherer Brauchbarkeit beschränken, dann ist klar, daß die Transport-
mittel ebensowenig wie das Geld „Produktionsmittel" darstellen. Mit
einer kleinen Variante läßt sich mit den oben zitierten Worten von
Knies gegen die Rubrizierung der Transportmittel unter die „Produk-
tionsmittel" dasselbe sagen, was er gegen die Einbeziehung des Geldes in
die Produktionsmittel ausführt : ein Transport ist für sich kein Akt der
GUterproduktion, sondern der (interlokalen) GUterübertragung. Eine Um-
formung der Güter tritt durch den Transport ebensowenig ein, wie
durch den durch das Geld vermittelten Besitzwechsel. — Faßt man also
die „Produktion" in dem oben definierten engeren Sinne auf, dann
wären außer dem Gelde, dem Instrumente der interpersonalen Güter-
übertragung, auch die Transportmittel aus der Kategorie „Produktions-
mittel" und mithin auch aus der Kategorie „Kapital" auszuscheiden.
Auch wenn man von dem Kriterium der Umformung der Materie
als wesentlich für den Produktionsbegriff (und damit auch für den
Kapitalbegriff) absehen will und an deren Stelle als das entscheidende
Moment die Tatsache ansieht, daß ein Gut durch eine auf dasselbe
gerichtete wirtschaftliche Betätigung einen höheren Wert erhält, möge
es dabei immerhin in seiner äußeren Erscheinung und Beschaffenheit
unverändert bleiben — , so wird auch dadurch an der analogen Stellung
von Transportmitteln und Geld zum Begriffe der Produktion und des
Kapitals nichts Wesentliches geändert. Wohl ist es die wirtschaftliche
Bestimmung des Transports, die Güter von einem Orte an einen anderen
zu führen, an dem sie eine erhöhte Brauchbarkeit besitzen und infolge-
dessen einen höheren Wert darstellen ; aber in gleicher Weise ist es
der Zweck der interpersonalen Güterübertraguug, die Güter aus einer
Hand in eine andere, in der sie eine erhöhte Brauchbarkeit haben,
überzufuhren ; wie später noch ausführlich zu zeigen sein wird, beruht
nicht nur der Transport auf der Tatsache einer Wertdifferenz eines
und desselben Gutes an zwei verschiedenen Orten, sondern es beruht
auch jeder Austausch auf einer Verschiedenheit der Wertschätzung der
auszutauschenden Güter durch die tauschenden Individuen. Bei der
weiteren Definition des Begriffs der Produktion würde mithin das Geld
in gleicher Weise wie die Transportmittel unter die Produktionsmittel
und unter den Kapitalbegriff fallen.
Wenn man folgerichtig verfahren will, dann muß man also entweder
das Geld ebenso wie die Transportwerkzeuge den Produktionsmitteln
zuzählen, oder man muß den Produktionsmitteln nicht nur das Geld
als Mittel der interpersonalen Güterübertragung, sondern auch die
Transportwerkzeuge als Mittel der interlokalen Güterübertragung als
je eine seihständige Kategorie zur Seite stellen. Im ersteren Falle
wäre dann das Wort „Produktionsmittel" im weiteren Sinne gebraucht,
266 Zweites Bach. I. Abschnitt. Das Geld iu der Wirtschaftsordnung.
im letzteren Falle im engeren Sinne. Mit Rücksicht auf die möglichste
Klarheit der Terminologie durfte es sich empfehlen, das Wort „Pro-
duktionsmittel" nur im engeren Sinne zu benutzen, für die weitere
Bedeutung aber die Bezeichnung „Mittelsguter" zu gebrauchen.
Die Stellung des Geldes zum „Kapital" ist mit den vorstehenden
Ausfuhrungen gleichfalls klargestellt. Wenn man die „produzierten
Produktionsmittel" unter dem Begriffe Kapital zusammenfaßt, so kann
nach der allgemeinen Anwendung des Begriffs Kapital in der Volks-
wirtschaftslehre — soweit auch die Anwendung bei den verschiedenen
Theoretikern im einzelnen auseinandergehen mag — darüber kein
Zweifel bestehen, daß in diesem Falle der Begriff Produktionsmittel im
weiteren Sinne gebraucht ist, daß mithin das Geld als Verkehrsmittel
neben den Transportmitteln und den Produktionsmitteln im engeren
Sinne eine Untergruppe des Kapitals darstellt.
Ueber diese allgemeine Bestimmung des Geldbegriffs kann kaum
hinausgegangen werden, wenn man den Geldbegriff nicht in die ein-
zelnen Funktionen des Geldes auflösen oder Merkmale, die aus der
historisch wandelbaren Verfassung des Geldwesens genommen sind,
als wesentlich für den Geldbegriff auffassen will').
Andererseits ist die Besonderheit der Stellung des Geldes im Kreise
der wirtschaftlichen Güter durch diese allgemeine Begriffsbestimmung
hinreichend gekennzeichnet. Es unterscheidet sich von allen anderen
Gütern, die in den Verkehr eintreten und die man als „Waren" zu
bezeichnen pflegt, dadurch, daß es allgemein nicht für den Verbrauch
oder dauernden Gebrauch, also nicht um seiner selbst willen, erworben
wird, sondern als Mittel zur Erwerbung der eigentlich benötigten
Güter; daß derjenige, der Gegenstände seines Besitzes veräußern will,
im allgemeinen gewillt und genötigt ist, sie zunächst in Geld umzu-
setzen, und daß, wer von anderen wirtschaftenden Personen Güter,
Nutzungen oder Dienstleistungen erwerben will, sich im allgemeinen
genötigt sieht, dafür Geld zu geben.
Bei der absoluten Klarheit dieses Verhältnisses hat der Streit
darüber, ob das Geld selbst eine „Ware" sei oder nicht keinerlei sach-
liche Bedeutung; er ist ein bloßer Streit um Worte.
Versteht man unter „Ware" im Gegensatz zu den in der eignen Wirt-
schaft erzeugten und ebendort zum Verbrauch gelangenden Gütern alle
diejenigen Güter, die aus dem Kreise der Eigenproduktion heraus in den
Verkehr, auf den „Markt" gelangen, um im Austausch gegen andere
Werte den Besitzer zu wechseln, dann ist das Geld die Ware y.cct'
iBoxr^v; denn seine ganze Bestimmung besteht ja darin, im Verkehr zu
sein und den Besitzer zu wechseln. Versteht man aber unter Waren
nur diejenigen Verkehrsgüter, auf welche sich der eigentliche Bedarf
^) Knapp will nur „Chartalstücke" als Geld ansehen. Es ist richtig, daß
die durch die Gesetzgebung geordneten Geldverfassungen der modernen Staaten
nur nach bestimmten Merkmalen bezeichnete Stücke, denen eine bestimmte Geltung
beigelegt ist, als Geld anerkennen. Wenn wir jedoch den ganz allgemeinen, lediglich
auf der Tatsache des Wirtschaftens, der Arbeitsteilung und des Privateigentums
beruhenden Geldbegriff feststellen wollen, so ist eine engere Definition, als die oben
gegebene, nicht möglich.
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes. § 3. 267
der Individuen für den Gebrauch oder Verbrauch in ihrer wirtschaft-
lichen Tätigkeit oder für ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung
richtet und deren Umsatz gerade durch das Geld vermittelt wird,
dann allerdings kann man das Geld als das „gerade Gegenteil der
Ware" bezeichnen (R. Hildebran d)^). Auch diejenigen, welche den
Satz aufgestellt und vertreten haben, daß das Geld eine Ware sei, haben
damit durchaus nicht die Besonderheiten des Geldes gegenüber allen
anderen Verkehrsgütern leugnen wollen; die ursprüngliche Bedeutung
des Satzes lag vielmehr auf einem anderen Felde. Gegenüber der
Auffassung, daß das Geld kein Wertgegenstand an sich, sondern nur
ein „Wertzeichen", nur eine „Anweisung" auf andere Wertgegenstände sei,
daß es keinen „wirklichen", sondern nur einen „fiktiven Wert" habe,
— gegenüber solchen Aufstellungen sollte mit dem Satze „das Geld ist
eine Ware" die Realität des Geldes als eines selbständigen Wert-
gegenstandes, dessen Wert denselben Gesetzen wie derjenige aller
anderen Objekte der Volkswirtschaft unterliege, betont werden — ein
Problem, das in einem späteren Abschnitte zu erörtern ist.
§ 3. Amyendnng der Begriffsbestimmnng des Geldes auf seine einzelnen
Erscheinungsformen.
Bevor wir zur Feststellung des Verhältnisses schreiten, in welchem
die Einzelfunktionen des Geldes zu seiner im vorigen Paragraphen er-
mittelten Stellung im Gesamtorganismus der Volkswirtschaft stehen,
sei noch eine Untersuchung darüber vorgenommen, wie sich die ermittelte
Begriffsbestimmung zu den konkreten Erscheinungsformen des Geldes
verhält, ob sie einerseits Raum hat für alle diese Erscheinungsformen,
und ob sie andererseits nicht auch auf Dinge zutrifft, welche allgemein
nicht als Geld angesehen und behandelt werden.
Bei dieser Untersuchung bietet sich die bereits angedeutete
eigentümliche Schwierigkeit, daß das Geld nicht ein Objekt als solches,
sondern nur ein Objekt als Träger bestimmter Funktionen ist. Wenn
nun auch die Entwicklung des Geldes dahin geführt hat, daß allmählich
nach bestimmten Merkmalen unterscheidbare Objekte vorzugsweise oder
nahezu ausschließlich die Funktion des Geldes erfüllen, so bleibt doch
— wenigstens beim gegenwärtigen Stande der Wirtschaftsverfassuug im
allgemeinen und der Geldverfassung im besonderen — noch ein un-
gelöster Rest, der darin besteht, daß diejenigen Objekte, welche regel-
mäßig die Funktionen des Geldes versehen, wenigstens teilweise dieser
Verrichtung entzogen und einer anderen Verwendung zugeführt werden
können und daß umgekehrt die Verrichtung des Geldes gelegentlich
auch von solchen Verkehrsobjekten ausgeübt werden kann, die ihre
eigentliche Bestimmung und ihren Entstehungsgruud in einer anderen
Verwendung haben. Bei der denkbar größten Klarheit über die
Funktionen des Geldes können mithin Zweifel entstehen hinsichtlich der
Objekte, die als Geld zu bezeichnen sind. Das kommt auch in der
oben gegebenen Definition zum Ausdruck, in der als „Geld" die Gesamt-
heit derjenigen Objekte bezeichnet ist, welche in einem gegebenen
») R. Hildebrand, Die Theorie des Geldes, 1883.
268 Zweites Buch. I. Abscbnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordmiug^.
Wirtschaftsirebiete nnd in einer geg:ebenen Wirtscbaftsverfassung die
r d e n 1 1 i c b e Bestimmung: haben, den Verkehr zwischen den
wirtschaftenden Individuen zu vermitteln. Man mag gegen diese De-
finition einwenden, daß der Ansdrock „ordentliche Bestimmung" keine
genaue Abgrenzung enthalte; aber darin entspricht die Definition nur
dem zu definierenden Begriffe, dessen Grenzen aus den oben dargestellten
Gründen keine festen, sondern flüssige sind.
Wenn wir nun diese Definition auf die konkreten Erscheinungs-
formen des Geldes und der dem Gelde nahestehenden Objekte an-
wenden, so muß zunächst betont werden, daß es sieh an dieser Stelle
lediglich um wirtschaftliche, nicht um juristische Gesichtspunkte handelt;
denn die gegebene Definition bezieht sich lediglich auf den wirtschaft-
lichen Geldbegrifi". Die Erörterung der Frage, was in juristischem
Sinne als Geld anzusehen ist, bleibt dem folgenden Abschnitte vor-
behalten.
Die verschiedenen Arten von Verkehrsobjekten, die als Träger
der Geldfunktionen, sei es in ihrer ordentlichen Bestimmung, sei es
nur gelegentlich, in Betracht kommen, lassen sich in folgende Kate-
gorien scheiden:
1. Das gemünzte Metallgeld,
2. das vom Staate oder anderen öffentlichen Körperschaften aus-
gegebene Papiergeld,
3. die Banknoten,
4. Schecks, Wechsel und ähnliche Obligationen,
5. Briefmarken, Kupons, Konsumvereinsmarken und dgl.
Das gemünzte Metallgeld wird in der Regel als die klassische
Form des Geldes überhaupt angesehen. Es wurde im historischen
Teile dieses Buches gezeigt, wie die Funktion des Geldes in der
geprägten Münze ihre erste Verkörperung fand, wie das« Geld in der
Münze zum ersten Male äußerlich unterschieden den übrigen Verkehrs-
objekten gegenübertrat. Ein Nimbus dieser ersten deutlichen Aus-
scheidung des Geldes aus dem Kreise der übrigen Verkehrsgüter ist
noch heute der Münze geblieben; sie ist heute noch die einzige Er-
scheinungsform des Geldes, der von der Theorie ganz allgemein und
ohne jeden Widerspruch der Charakter als Geld zuerkannt wird. Trotz-
dem ist es nicht unnütz, daran zu erinnern, daß es stets Münzsorten
gab, deren Geldcharakter, selbst innerhalb des Staates, der sie ausprägte,
nicht ganz außer Zweifel stand oder denen überhaupt niemand Geld-
charakter beimißt; so z. B. die Handelsraünzen, die für den Verkehr
reit fremden Staaten geprägt wurden, wie die österreichischen Maria-
Theresia-Taler, Niemand hat diese letzteren als österreichisches Geld
angesehen trotz der Münzform und trotz ihrer Herstellung auf denselben
staatlichen Münzstätten, welche die als Geld anerkannten österreichischen
Münzen der Gulden- oder Kronenwährung prägten. Und warum nicht? —
Weil diese Handelsmünzen in Oesterreich selbst nicht die ordent-
licheBestimmung hatten, den Verkehr zwischen den wirtschaftenden
Individuen zu vermitteln. An diesem Ausnahmefalle geprüft, trifft mithin
unsere Definition zu: die äußere Erscheinung der Münze ist für den
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes. § 3. 269
Geldcharakter nicht entscheidend, sondern die ordentliche Bestimmung
zu einer speziellen Funktion.
Erheblich auseinander gehen die Ansichten bereits über den
Charakter des vom Staate oder anderen öffentlichen Körperschaften
ausgegebenen Papiergeldes. Während die einen das Staatspapiergeld
bedingungslos als Geld anerkennen, bestreiten andere ihm den Geld-
charakter, weil es keinen „Eigenwert" enthalte, sondern — ob einlös-
bar oder nicht — seinen Wert nur vom Metallgelde herleiten könne;
sei es daß sie den „Eigenwert" oder „Substanzwert" an sich für
wesentlich für den Geldbegriff halten, sei es daß sie einem des Eigen-
wertes entbehrenden Verkehrsobjekte die Möglichkeit, als Wertmaß zu
fungieren, absprechen. Andere tragen auch in die Frage nach dem
wirtschaftlichen Charakter des Staatspapiergeldes ein juristisches Moment
hinein, indem sie das mit gesetzlichem Zwangskurse ausgestattete Papier-
geld als Geld anerkennen, nicht aber das Papiergeld ohne Zwangskurs.
Noch beträchtlicher sind die Meinungsverschiedenheiten über den
Geldcharakter der Banknote, während hinsichtlich der Wechsel, Schecks
und ähnlicher Papiere sowie hinsichtlich der mitunter an Geldesstatt
verwendeten Briefmarken, Kupons usw. wohl ganz allgemein darin
Uebereinstimmung herrscht, daß sie außerhalb des Begriffs des Geldes
stehen. Der Umstand, daß die Bauknote, solange sie gesetzlich eiu-
lösbar ist, der äußeren Form nach eine Urkunde über eine auf Geld
lautende Forderung ist, hat vielfach Veranlassung zu der Folgerung
gegeben, daß sie selbst nicht Geld sein könne, obwohl sie tatsächlich
die gleichen Funktionen wie das Geld, oder doch wenigstens einen Teil
dieser Funktionen erfülle. Nach A. W a g n e r ist die Bauknote prinzipiell
den Schecks, fälligen Kupons, Sichtwechseln mit Blankoindossament usw.,
die ebenfalls mitunter gewisse Funktionen des Geldes verrichten, gleich-
zustellen; die Aufstellung eines Unterschieds zwischen den letztgenannten
„Kreditumlaufsmitteln" und der Banknote sei wissenschaftlich unhaltbar,
da sowohl die Banknoten als auch die Schecks, Wechsel usw. das Geld
nur in seiner Funktion als Tausch- und Umlaufsmittel vertreten könnten,
während sie sich in ihrer Funktion als Preismaß ausdrücklich auf das
Geld zurückbezögen ^). Andere wollen auch in Ansehung der Banknote
die Entscheidung über die Geldqualität von dem Vorhandensein der
gesetzlichen Zahlungskraft, mit oder ohne Verbindung mit einer Auf-
hebung der Einlösbarkeit, abhängig machen. Wieder andere sehen die
Bauknote aufgrund der tatsächlich von ihr im Verkehr geleisteten
Dienste und aufgrund des Umstaudes, daß von der Verkehrswelt
Metallgeld, Papiergeld und Banknoten gleichmäßig als „Barschaft" be-
handelt werden, als Geld au, ganz ohne Rücksicht auf Einlösbarkeit
oder Annahmezwang.
Nach unserer Definition kann die Entscheidung über die Zuge-
hörigkeit der verschiedenen hier in Rede stehenden Kreditiustrumente
und Papierzeichen zum Gelde kaum zweifelhaft sein.
') Adolf Wagner hat diese Auffassuiif? auch in seinem letzten Werke über
das Geld (Sozialükonomische Theorie des (Feldes und Geldwesen, Leipzig 1909)
aufrecht erhalten; siehe insbesondere S. 1535 ff.
270 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
Zunächst steht an und für sich nichts im Wege, daß eine Forderung
oder Anweisung irgend\Yelcher Art zum Gelde gerechnet wird; denn
auch Forderungen und Anweisungen Ivönnen als Instrument des Ver-
kehrs zwischen den wirtschaftenden Individuen, insbesondere als Tausch-
mittel, dienen und mithin Träger der Grundfunktion des Geldes sein.
Daß sie keinen sogenannten „Eigenwert" besitzen, schließt diese Mög-
lichkeit nicht aus; denn einmal ist nach den Erscheinungen der modernen
Papierwährung die Auflassung, daß ein eigner stofflicher Wert zu den
begriffswesentlichen Erfordernissen des Geldes gehöre, nicht zu halten;
ferner ist gegenüber dem Gedanken, daß die sich auf das eigentliche
Geld zurückbeziehenden Fapierscheine und Banknoten nicht Wertmesser
sein können, darauf hinzuweisen, daß — abgesehen von der noch za
erörternden Frage der Begriffsw^eseutlichkeit der Wertmaßfunktion —
in der ganz allgemein als normal angesehenen Geldverfassung, bei der
das Wertverhältnis zwischen den einzelnen ans verschiedenen Stoffen
hergestellten Geldsorten und die gegenseitige Vertretbarkeit dieser
verschiedenen Sorten feststeht, — daß in einer solchen Geldverfassung
niemals die einzelne Sorte Wertmesser sein kann, sondern nur die durch
die Währungsverfassung gegebene Einheit, auf die alle Sorten, ob Gold,
Silber, Nickel, Kupfer oder Papier, in gleicher Weise lauten. Dem
deutschen Fünfraarkstück z. B. hat niemand die Eigenschaft als Geld
abgesprochen, trotzdem sein stofflicher Wert ohne Bedeutung für seinen
Geldwert war, trotzdem es sich in seinem Geldwerte ebenso wie die
Banknote auf die Reichsgoldmünze zurUckbezog, trotzdem es also kein
selbständiges Preismaß sein konnte.
Auch der Einw^and, daß Forderungen auf Geld doch nicht selbst
Geld sein könnten, ist nicht durchschlagend, ganz abgesehen von der
Frage, die hier noch offen bleibe, ob es sich bei den der staatlichen
Gesetzgebung unterworfenen Papiergeldzeichen überhaupt noch um
„Forderungen" im allgemeinen Sinne des Wortes handeln kann. Wir
können innerhalb des Kreises der Geld darstellenden Güter sehr wohl
verschiedene Arten unterscheiden, von denen die eine Art gebildet würd
durch Anweisungen auf Geld der anderen Art. Einlösbares Papiergeld,
Banknoten und andere Geldzeichen dieser Art brauchen dann nicht
Forderungen auf Geld schlechthin zu sein, sondern nur Forderungen
auf eine bestimmte Art von Geld, wodurch die eigne Geldeigenschaft
nicht ausgeschlossen wird.
Nachdem so die Möglichkeit, daß Forderungen und Anweisungen
irgendwelcher Art Geld sein können, festgestellt ist, kommen wir zu
der Tatfrage, in wie weit diese oder jene bestimmten Papierzeichen in
unserer Wirtschaftsverfassung Geld sind.
Wenn wir an die hier in Betracht kommenden Erscheinungen das
Kriterium anlegen, daß als Geld diejenigen Verkehrsobjekte anzusehen
sind, welche die ordentliche Bestimmung haben, als Instrument der
interpersonalen Uebertragungen zu dienen, und wenn wir uns dann die
Bestimmung ansehen, aus welcher die einzelnen auf Geldbeträge lautenden
Papierzeichen hervorgehen, dann müssen wir zu dem Schlüsse kommen,
daß Staatspapiergeld und Banknoten dem Gelde zuzuzählen sind, nicht
aber Schecks, Wechsel, gewöhnliche Bankanweisungen, Kupons, Divi-
1. Kapitel. Der wirtschaftliche Begriff des Geldes. § 3. ^71
dendenscheine, Postwertzeichen, KonsumvereiDsmarken und ähnliche
Dinge ^). Darüber, daß die ordentliche Bestimmung von Kupons, Divi-
dendenscheinen, Briefmarken usw. gänzlich außerhalb der Grundfunktiou
des Geldes liegt, braucht kein Wort verloren zu werden; ihre gelegent-
liche Verwendung zu Zahlungsleistungen statt zur Erhebung von Zinsen
und Dividenden oder zur Fraukieruug von Briefen macht sie bei der
Deutlichkeit ihrer ordentlichen Bestimmung weder in der allge-
meinen Verkehrsanschauung noch in ihrer rechtlichen Stellung zu Geld.
Schwieriger liegt die Frage, wie zugegeben werden muß, hinsichtlich
der übrigen auf Geldbeträge lautenden Papiere. Wechsel und Schecks
einerseits, Staatspapiergeld und Banknoten andererseits verrichten in
großem Umfange ähnliche Funktionen; speziell zwischen Wechsel und
Banknote besteht bei der ganzen Struktur des modernen Zettelbauk-
wesens ein direkter organischer Zusammenhang.
Eine genauere Betrachtung ergibt jedoch folgenden Unterschied:
Staatspapiergeld und Banknoten haben ihre unzweifelhafte und
ausschließliche Bestimmung darin, gleich dem Metallgelde und neben
dem Metallgelde, eventuell auch anstelle des Metallgeldes als „Ura-
laufsmittel" zu dienen, einerlei ob ihnen ausdrücklich die Eigenschaft
als gesetzliches Zahlungsmittel zuerkannt ist oder nicht und ob sie in
Metallgeld einlösbar sind oder nicht. Das Motiv ihrer Ausgabe braucht
deshalb noch nicht auf dem Gebiete des Geldwesens zu liegen, es kann
sehr wohl darin bestehen, daß der Staat oder die Bank durch die
Ausgabe der Zettel gewissermaßen im Wege der Aufnahme einer un-
verzinslichen Anleihe Mittel beschaffen will; aber auch dieser Zweck
wird nur erfüllt, soweit die Zettel im Verkehr bleiben, in den; sie
gar keine andere Funktion als diejenige des Mittels der interpersonalen
Uebertragungen erfüllen können. Auch bei der Ausgabe von verzins-
lichen Staatsanleihen ist für die Finanz Verwaltung das Motiv die Be-
schaffung von Mitteln; letztere ist auf dem Wege der Ausgabe von
Obligationen irgendwelcher Art nur möglich, soweit diese Obligationen
ihrerseits für das Publikum einen nützlichen Zweck erfüllen; die Be-
deutung von Staatsanleihen für das Publikum liegt in der sicheren und
verzinslichen Anlage von verfügbaren Kapitalien; bei Staatspapiergeld
und Banknoten dagegen, die keine Zinsen bringen, liegt die Bedeutung
für das Publikum lediglich in deren Funktion als Verkehrsinstrument.
Dagegen liegt beim Wechsel die ordentliche Bestimmung offenbar
in der besonderen Sicherung einer aus irgendeinem Grunde erwachsenen,
in verhältnismäßig naher Zeit fälligen Forderung, Er kann diesen
seinen ordentlichen Zweck durchaus erfüllen, wenn er keinen einzigen
Umsatz und keine einzige Zahlung vermittelt, sondern vom Tage der
Ausstellung bis zum Tage des Verfalls ruhig in einer und derselben
Hand bleibt. Auch wenn er in Umlauf gesetzt wird, ist seine Um-
laufszeit von vornherein durch die Angabe des Fälligkeitstermins strikt
auf einen eng begrenzten Zeitraum beschränkt, während bei Banknote
') V. Philipiiovich ist im Irrtum, wenn er in seinem Grundriß der poli-
tischen Ookonoraie (8. Aufl. S. -234) behauptet, daß ich auch Briefmarken, Schecks,
Wechsel usw. zum Gelde rechne. Das Gegenteil ist richtig, wie die obige, aus der
ersten Auflage unverändert übernommene Darlegung zeigt.
272 Zweites Buch. I. Abschuitt. Das Geld iu der Wirtschaftsordnung.
und Staatspapiergeld irgendwelche Beschränkung der Umlaufsdauer
nicht besteht. Daß der Wechsel infolge seiner Eigenschaft als be-
sonders gesicherte und zu einem nahen Termine fällige Obligation auch
zur Vermittlung von Umsätzen und VerniögeusUbertragungen Verwen-
dung finden kann und tatsächlich findet, beweist für seine Geldeigeu-
schaft prinzipiell ebensowenig, wie die durch andere Eigenschaften
bedingte Verwendung von Briefmarken zu Zahlungszweckeu; der Unter-
schied gegenüber der ausschließlich zu Zirkulationszwecken benutzten
Bauknote ist ein prinzipieller, der Unterschied gegenüber der Brief-
marke ist — soweit die Verrichtung von Geldfunktionen iu Frage
steht — nur ein gradueller.
Ebenso verhält es sich mit dem Scheck und ähnlichen Anweisungen.
Die ordentliche Bestimmung des Schecks besteht nicht in der Verrichtung
von Geldfunktionen; er ist vielmehr lediglich ein Zahlungsmandat eines
Kaufmanns oder eines anderen Wirtschaftssubjekts an die Bank, die
seine Kasse führt, eine Bestimmung, die vou derjenigen, selbst als
Zahlungsmittel zu dienen, augenscheinlich verschieden ist. Wie der
Wechsel kann allerdings auch der Scheck die Funktion als Umsatz-
und Zahlungsmittel erfüllen; aber der Unterschied gegenüber den aus-
schließlich für diesen Zweck bestimmten Banknoten zeigt sich gerade
beim Scheck mit aller Deutlichkeit darin, daß die Natur des Schecks
jede längere Zirkulation vollständig ausschließt, da während derselben
das Guthaben, aufgrund dessen der Scheck ausgestellt ist, abgehoben
oder durch Zusammenbruch der Bank wertlos werden kann; iu richtiger
Würdigung dieser Verhältnisse verlangt die Verkehrsgewohuheit und
das Scheckrecht der meisten Staaten die Präsentation des Schecks
binnen weniger Tage nach der Ausstellung.
Der Unterschied in der ordentlichen Bestimmung der hier be-
handelten Papiere findet seinen Ausdruck auch iu dem rein äußer-
lichen Merkmal, daß Staatspapiergeld und Banknoten dadurch in das
Geldsystem eingepaßt sind, daß sie, ebenso wie die Münzen, auf be-
stimmte runde Summen lauten, während Wechsel und Schecks, ent-
sprechend ihrer spezifischen Zweckbestimmung, auf die zufälligen und
ungeraden Beträge lauten, die ihr eigentlicher Entstehungsgruud in-
volviert; daß ferner Staatspapiergeld und Banknoten gedruckte Stücke
einer oder mehrerer einheitlicher Gattungen sind, während jeder
Wechsel und jeder Scheck ein Individuum für sich ist. Daß auch
juristisch wesentliche Unterschiede bestehen, die gleichfalls auf die
Verschiedenheit der ordentlichen Bestimmung zurückgehen, wird an
anderer Stelle noch zu erörtern sein. Hier sei nur auf den überaus
wichtigen Punkt hingewiesen, daß Staatspapiergeld und Banknoten im
Gegensatz zu Wechseln und Schecks ohne jede Förmlichkeit übertragen
werden können, und daß, falls der Staat oder die Bank der bestehen-
den Eiulösungspflicht nicht nachkommt, keinerlei Regreß auf die Vor-
inhaber stattfindet.
Die Einbeziehung des Staatspapiergeldes und der Banknoten unter
den Geldbegriff und der Ausschluß der Wechsel, Schecks, Anweisungen,
Briefmarken usw. entspricht vollkommen dem Sprachgebrauche, der
allgemeinen Verkehrsmeinuug und der allgemeinen Geschäftspraxis.
2. Kapitel. Die Verkehrsobjekte und Verkehrsvorgänge. § 1. 273
Weun sich diese Abgrenzung andererseits aus unserer Begriffsbestimmung
des Geldes als desjenigen Kreises von Gütern, deren ordentliche Be-
stimmung die Vermittlung der interpersonalen Wertübertragung ist,
mit zwingender Folgerichtigkeit ergibt, so haben wir darin eine be-
deutsame Bestätigung der Richtigkeit unserer Begriffsbestimmung zu
erblicken.
2. Kapitel. Die Verkehrsobjekte und VerkehrsYorgänge.
§ 1. Die Yerkehrsobjekte.
Im vorigen Kapitel wurde die Stellung des Geldes im Gesamt-
organismus unserer Wirtschaftsverfassung dahin festgestellt, daß es den
\'erkehr zwischen den wirtschaftenden Individuen vermittelt. Damit ist
gleichzeitig die kardinale Funktion des Geldes bezeichnet; die Einzel-
funktionen des Geldes müssen sich, wenn anders die Kardinalfunktion
richtig ermittelt ist, von dieser ableiten oder zu ihr in Beziehung
setzen lassen.
Ehe jedoch zu dieser Ableitung geschritten werden kann, muß
die Gesamtheit der Erscheinungen, die bisher unter dem Worte „Ver-
kehr" zusammengefaßt worden sind, einer Analyse unterzogen werden,
und zwar nach zwei Seiten hin: zunächst sind die Gegenstände des
N'erkehrs, die körperlichen und unkörperlichen Objekte, in bezug auf
die interpersonale Uebertragungen stattfinden, festzustellen; dann sind
die Verkehrsvorgänge selbst, die verschiedenen Arten von Uebertragungen,
einer Betrachtung zu unterziehen.
Was die Verkehrsobjekte anlangt, so haben wir die folgenden
großen Kreise zu unterscheiden:
1. Sachgüter, die zu Eigentum, also mit dem vollen und aus-
schließlichen Verfügungsrechte, übertragen werden.
2. Nutzungen an Sachgütern, deren Uebertragung erfolgt ohne
gleichzeitige Uebertragung des Eigentums an den betreffenden Sach-
gUtern; hier wird also nur ein zugunsten der nach wie vor Eigen-
tümer bleibenden Person zeitlich und sachlich beschränktes Verfügungs-
recht übertragen. Eine solche Uebertragung ist nur möglich bei Dingen,
die durch die beabsichtigte Nutzung nicht aufgezehrt oder vernichtet
werden, sondern in ihrer Substanz mehr oder weniger unverändert
erhalten bleiben. Vor allem gehören hierher die im Wege der Pacht,
der Miete und der Gebrauchsleihe erfolgenden Uebertragungen.
3. Nicht in Sachgütern verkörperte Leistungen sowohl von Unter-
nehmungen als auch von Einzelpersonen, Unter die Leistungen von
Unternehmungen gehört z. B. die von Transportunternehmungen jeder
Art bewirkte Beförderung von Gütern und Personen. Diese Leistungen,
welche mit den unter 2. aufgeführten Nutzungen verwandt zu sein oder
gar zusammenzufallen scheinen, müssen dennoch von den Nutzungen
sehr wohl unterschieden werden. Es ist etwas anderes, ob ich einen
Wagen oder ein Schiff miete, um darauf meine Güter zu befördern,
oder ob ich die Beförderung durch den Besitzer des Wagens oder
Schiffes bewirken lasse. — Bei den persönlichen Leistungen jeder Art
handelt es sich um die Uebertragung eines zeitlich und sachlich be-
HeHferich, Das Geld 18
274 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
schränkten Verfligongsrechtes über Menschen als Träger bestimmter
Kräfte nnd Fähigkeiten; ein solches Yerfügangsrecht kann unbeschränkt
in unserer Gesellschafts- und Rechtsordnung, welche die Sklaverei, das
Eigentum am Menschen, nicht kennt, nicht übertragen werden. Wir
haben es hier mit der Uebertragung von Nutzungen an Personen zu
tun. Diese persönlichen Nutzungen sind danach zu unterscheiden,
ob sie die Gesamtheit von mehr oder weniger bestimmt abgegrenzten
Leistungen einer Person innerhalb einer bestimmten Zeit umfassen,
wobei derjenige, dem die Nutzung der Kräfte und Fähigkeiten einer
Person übertragen ist, innerhalb eines gewissen Spielraums über die
Art und Richtung der Betätigung dieser Kräfte verfügen kann (so
beim Gesinde, bei Tagelöhnern, Arbeitern, Beamten), oder ob es sich um
eine nach Art und Umfang genau bestimmte Einzelleistung handelt (so
beim Botengang eines Dienstmanns, der Leistung eines Arztes, eines
Rechtsanwalts, eines Musikers usw.).
4. Der letzte große Kreis von Verkehrsobjekten wird dargestellt
durch Forderungen, die meist auf Sachgüter lauten, die aber auch auf
Nutzungen und Leistungen aller Art lauten können, und deren Er-
füllung zu einem bestimmten, in der Zukunft liegenden Zeitpunkte
durch die Uebertragung der verabredeten Sachgüter, die Gewährung
der verabredeten Nutzung, die Erfüllung der übernommenen Leistung usw.
zu erfolgen hat. Solche in der Zukunft zu erfüllenden Forderungen
können, namentlich wenn sie in Dokumenten und Urkunden verkörpert
sind, in der Gegenwart ebenso übertragen werden, wie die Sach-
güter usw., auf die sie lauten, und sie spielen tatsächlich in der Welt
des wirtschaftlichen Verkehrs nicht die letzte Rolle.
In diesen vier Gruppen haben wir im wesentlichen die Objekte
des Verkehrs zusammengefaßt. Es erübrigt uns nun, die sich auf
diese Objekte erstreckenden Bewegungsvorgänge zu betrachten.
§ 2. Die Verkehrsvorgänge.
Wenn wir das Wesen des Verkehrs in der interpersonalen Ueber-
tragung sehen, so ist damit sofort eine fundamentale Unterscheidung
der Verkehrsvorgänge gegeben, eine Unterscheidung, auf die bereits
im historischen Teile hingewiesen worden ist: die interpersonale Ueber-
tragung kann eine einseitige und eine doppelseitige sein.
Die einseitige Uebertragung ist eine solche, die ohne eine spezielle
Gegenleistung oder überhaupt ohne jede Gegenleistung erfolgt, bei
der mithin nur ein Verkehrsobjekt in Frage steht und der eine Teil
nur gibt, der andere nur empfängt. Hierher gehören Schenkungen,
Stiftungen, Vermächtnisse, Mitgift und andere freiwillige Vermögens-
übertragungen; ferner die von Gerichten auferlegten Vermögensstrafen,
Entschädigungen und Ersatzleistungen; schließlich alle zwangsweise
auferlegten Leistungen an die weltliche und geistliche Obrigkeit, an
Grundherrn, Gemeinde, Staat und Kirche. Wenn auch in den letzt-
genannten Fällen meist eine gewisse allgemeine Entgeltlichkeit von
Leistung und Gegenleistung obwaltet, insoweit als der Grundherr ge-
wisse Verpflichtungen gegenüber den Hörigen hat und als die Wirksam-
keit von Gemeinde, Staat und Kirche jedem Einzelnen, der Abgaben,
2. Kapitel. Die Verkehrsobjekte und Verkehrsvorgänge. § 2. 275
und Steuern zahlen muß, zagute kommt, so fehlt doch die spezielle
Entgeltlichkeit, das Abwägen des Wertes von Leistung und Gegen-
leistung seitens der Parteien und die freie Willensentschließung des
einen der beiden Beteiligten. Die Abgaben, Steuern usw. werden von
der Obrigkeit einseitig und zwangsweise den Individuen auferlegt,
und letztere können sich diesen Leistungen nicht etwa dadurch ent-
ziehen, daß sie auf die Wohltat des Rechtsschutzes usw. verzichten.
Wir haben es also bei den von der Obrigkeit auferlegten Leistungen,
trotz der allgemeinen Beziehung zu der Wirksamkeit der Obrigkeit,
mit einseitigen Uebertragungen zu tun.
Bei der doppelseitigen oder entgeltlichen Uebertragung kommen
nicht nur zwei Personen, sondern auch zwei Verkehrsobjekte in Frage;
jedes der beiden Verkehrsobjekte stellt das Entgelt für das andere
dar, und ihre Uebertragung erfolgt zwischen den beiden beteiligten
Personen in umgekehrter Richtung, sodaß jede der beiden Personen
zugleich Geber und Empfänger ist.
Innerhalb der Kategorie dieser doppelseitigen Uebertragungen haben
wir nun einen sehr wichtigen Unterschied zu machen : zwischen Ueber-
tragungen, bei denen Leistung und Gegenleistung sich in einem und
demselben Augenblicke Zug um Zug vollziehen, und solchen, bei welchen
Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen, indem die Gegen-
leistung für einen späteren Termin bedungen wird.
Der erstere Fall bedarf seiner Einfachheit wegen keiner weiteren
Erläuterung.
Hinsichtlich des zweiten Falles sei folgendes bemerkt:
Ein zeitliches Auseinanderfallen von Leistung und Gegenleistung
ist eine unvermeidliche Notwendigkeit in allen denjenigen Fällen, in
welchen die Leistung sich auf einen Augenblick zusammendrängt, wie
z. B. die Uebertragung eines Sachgutes, während die Gegenleistung
sich ihrer Natur nach auf einen längeren Zeitabschnitt erstreckt, wie
z. B. die sämtlichen Nutzungen an Saehgütern und alle Dienstleistungen.
Wenn es sich um einen Miets- oder Pachtvertrag oder um einen
Arbeitsvertrag handelt, wobei die Leistung auf der einen Seite z. B.
in Geld besteht, dann muß die Geldübertragung entweder erfolgen,
ehe die Nutzung oder Arbeitsleistung vollendet ist, oder die Nutzung
wird ausgeübt und die Arbeit wird geleistet, bevor die entsprechende
Geldübertragung erfolgt.
Von der Uebertragung von Sachgütern gegen Nutzungen und Dienst-
leistungen ist eine andere Art von Uebertragungen, bei denen Leistung
und Gegenleistung zeitlich auseinanderfalien, wohl zu unterscheiden.
Es kann ein Sachgut in der Gegenwart zu Eigentum übertragen werden,
während die gleichfalls in der Uebertragung eines Sachgutes zu Eigen-
tum bestehende Gegenleistung erst in einem zukünftigen Zeitpunkte er-
folgen soll. Hier ist das zeitliche Auseinanderfallen von Leistung und
Gegenleistung nicht in der Natur der Dinge begründet, sondern in
zweckbewußter Absicht herbeigeführt.
Der ganze Kreis der hier in Betracht kommenden Vorgänge hat
mit der Uebertragung von Nutzungen den wirtschaftlichen Zweck ge-
mein: es soll die Nutzwirkung von Saehgütern für bestimmte Zeit
18*
27(5 Zweites Buch. I. Abscbuitt. Das Geld iu der Wirtschaftsorduuug.
einem Dritten zur Verfügung gestellt ^Yerden. Die Ucbertraguug der
hloßen Nutzung unter Vorbehalt des Eigentums ist nur bei solchen
Dingen möglich, welche durch die Art ihrer Nutzung nicht aufgebraucht
v\erdeu, sondern nach vollzogener Nutzung in nicht wesentlich ver-
ändertem Zustünde dem Eigentümer zurückgestellt werden können.
Soll die Nutzwirkung von Sachgütern, bei denen Gebrauch gleich-
bedeutend mit Verbrauch ist, an Dritte übertragen werden, so muß die
Uebertragung zu Eigentum erfolgen und auf die spätere Rücküber-
traguug derselben Sachgüter muß Verzicht geleistet werden. Anstelle
der Ruckübertragung der identischen Sachgüter kann, wenn es
sich um vertretbare (fungible) Dinge handelt, z. B. um Getreide oder
um Geld, die Rückerstattung einer entsprechenden Menge von
Gütern der gleichen Gattung ausbedungen w^erden, oder es kann die
Rückübertragung eines entsprechenden Gegenwertes in irgendeiner
beliebigen anderen Gütergattung verabredet werden ; bei nicht vertret-
baren Gütern bleibt nur die letztere Möglichkeit.
Die wichtigsten hier in Betracht kommenden Fälle sind nach
Entstehung der Geldwirtschaft die folgenden:
1. Es wird in der Gegenwart ein nicht Geld darstellendes Sach-
gut zu Eigentum hingegeben (z. B. Getreide oder Baumwolle oder eine
Maschine) gegen eine in der Zukunft zu bewirkende Gegenleistung in
Geld (Verkauf auf Kredit).
2. Es wird in der Gegenwart eine Geldsumme zu Eigentum hin-
gegeben gegen die in der Zukunft zu bewirkende RUckübertragung
einer Geldsumme (Darlehen).
In den hier in Betracht kommenden Fällen vollzieht sich, wenn
wir den Vorgang genauer betrachten, in der Gegenwart eine Ueber-
tragung eines Sachgutes gegen die Einräumung einer Forderung: in
der Zukunft vollzieht sich ein zweiter Vorgang, der in der Erfüllung
der Forderung besteht. Die Formen, in welchen im Wege einer ent-
geltlichen Uebertragung Forderungen entstehen, die zu einem in der
Zukunft liegenden Zeitpunkte erfüllt werden sollen, sind außerordent-
lich zahlreich. Die angeführten Fälle stellen nur die einfachsten Bei-
spiele dar. Die bei einem für längere Zeit gewährten Darlehen für
bestimmte Termine verabredeten Zinsen sind eben so gut Gegenstand
einer Forderung, wie die Rückzahlung des Kapitals selbst. Ebenso
liegt es bei Pacht-, Miet-, Leih- und Dienstverträgen, die für längere
Zeit abgeschlossen sind und bei denen der in Geld bestehende Gegen-
wert nicht in der Gegenwart erstattet wird, sondern als Pacht-, Miet-
oder Leihzins, als Lohn oder Gehalt in der Zukunft zu regelmäßig
wiederkehrenden Terminen zu übermitteln ist. Aehnlich verhält es sich
beim Kaufe einer Rente ; hier wird — sei es durch einmalige Hingabe
einer Geldsumme, sei es durch eine Anzahl jährlicher Zahlungen —
eine in der Zukunft zu erfüllende Forderung auf bestimmte Beträge
pro Jahr erworben. Auch die im Wege der Versicherung erworbeneu
Ansprüche gehören hierher; die Zahlung jährlicher Prämien gibt bei
Feuerversicherungen, Unfallversicherungen, Lebensversicherungen eine
Forderung, die jedoch nur beim Eintritt bestimmter vorgesehener
Eventualitäten, bei einem Brandschaden, einem Unfälle oder einem
2. Kapitel. Die Verkehrsobjekte imd Verkehrsvorgänge. § 2. 277
Todesfalle, zu erfüllen ist. Ferner können Forderungen nicht nur gegen
Sachgüter, gegen Nutzungen und Dienstleistungen erworben werden,
sondern auch gegen Forderungen selbst. In letzterer Beziehung
kommen nicht nur Fälle in Betracht, in denen verschiedenartige
Forderungen auf Geld gegeneinander umgesetzt w'erden, z. B. Schecks
gegen Wechsel oder Staatsschuldverschreibungen, sondern auch Fälle,
in denen Forderungen auf Geld gegen Forderungen auf andere
Verkehrsobjekte gegeben und genommen werden. Hierher gehören
vor allem die Lieferungsverträge, das gesamte Termingeschäft in
Waren und Wertpapieren. Im Getreidetermiugeschäft verpflichtet sich
z. B. A, zu einem zukünftigen Zeitpunkte eine bestimmte Quantität
Getreide an B zu liefern, während B sich verpflichtet, für das Ge-
treide bei der Lieferung einen bestimmten Preis zu zahlen; es wird
also eine doppelseitige Uebertragung von Sachgütern, deren Bedin-
gungen in der Gegenwart festgesetzt w^erden, auf die Zukunft ver-
schoben, und daraus ergeben sich zwei sich gegenseitig bedingende
Verpflichtungen bzw. Forderungen.
Wenn sich so aus einer besonderen Art der doppelseitigen lieber-
tragung Forderungen ergeben, die in einem zukünftigen Zeitpunkte
zu erfüllen sind, so können andererseits solche Forderungen auch aus
einseitigen Uebertragungen entstehen. A kann an B eine Forderung
an sich selbst ohne Gegenleistung übertragen, so gut wie er den
Gegenstand selbst, auf den die Forderung lautet, ohne Gegenleistung
übertragen kann; die Forderung ist dann in dem vorgesehenen
späteren Zeitpunkte genau ebenso zu erfüllen, wie wenn sie auf-
grund einer entgeltlichen Uebertragung entstanden wäre.
Es ergibt sich daraus, daß die Erfüllung einer Forderung nicht
lediglich als der letzte Akt einer doppelseitigen Uebertragung, bei der
die Gegenleistung in die Zukunft hinausgeschoben wird, angesehen
werden kann.
In der Tat haben wir es bei der Erfüllung von Forderungen
mit einem eigenartigen Verkehrsvorgange zu tun, der gerade für die
Ausbildung und die Wirksamkeit des Geldes von ganz besonderer
Wichtigkeit ist. Während die doppelseitige Uebertragung von Verkehrs-
objekten irgendwelcher Art im allgemeinen auf einer freiwilligen, den
Bedürfnissen und Möglichkeiten des Augenblicks Eechnung tragenden
Entschließung beider Parteien beruht^), steht die Forderung, auch wenn
sie aus einer in der Vergangenheit vorgenommenen freiwilligen Ueber-
tragung hervorgegangen ist, sobald sie einmal zustande gekommen ist,
dem Willen des Verpflichteten als etwas Fremdes und Selbständiges
gegenüber; der Verpflichtete kann an der Verpflichtung weder inbezug
auf die Erfüllungszeit, noch inbezug auf ihren Inhalt einseitig irgend etwas
1) Die währeud des Krieges entstandene „Zwangswirtschaft" hat Ansnahnieu
von dieser Regel geschaffen; der Staat hat auch doppelseitige Uebertragungen
erzwungen; insbesondere in der Gestalt der Ablieferung landwirtschaftlicher Pro-
dukte zu bestimmten Preisen, ein System, das heute noch (1923) in der sog
Getreide-Umlage aufrecht erhalten wird; ferner in den Bestimmungen über die Zwangs-
miete, die gleichfalls heute noch aufrecht erhalten werden. Auch alle während
des Krieges erfolgten Enteignungen von Waren, Gebrauchsgegenständen und Wert-
papieren gegen Zahlung eines GegenAvertes gehören hierher
278 Zweites Bach. I. Abschuitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
äudern, und darin ist die einmal eingegangene Verpflichtung den seitens
der Obrigkeit zwangsweise auferlegten einseitigen Leistungen verwandt.
Umgekehrt sind die sich Zug um Zug vollziehenden Uebertragungen
dem Einflüsse der staatlichen Gesetzgebung nahezu völlig entzogen,
während die staatliche Gesetzgebung in der Lage ist, den Inhalt und
die Erfüllungsmodalitäten der Forderungen maßgebend zu beeinflussen ;
auch hierin tritt eine Ver\Tandschaft mit den seitens der Obrigkeit
einseitig auferlegten Leistungen zutage. Wir werden uns später
noch eingehend damit zu beschäftigen haben, wie der Erlaß von Vor-
schriften über die Erfüllung von auf Geld lautenden Verbindlichkeiten
das wichtigste Mittel zur Ordnung des Geldwesens durch den Staat
darstellt.
Die in die Zukunft hinausgeschobene Leistung bei der einseitigen
Uebertraguug und Gegenleistung bei der doppelseitigen Uebertragung
gewinnen auf diese Weise eine besondere Bedeutung, die es recht-
fertigt, die Erfüllung von Forderungen bzw. Verpflichtungen als eine
spezielle Art von Verkehrsvorgängen zu behandeln.
Wir kommen nach dieser Betrachtung zu folgender Einteilung
der einer Vermittlung durch das Geld zugänglichen Verkehrsvorgänge:
L Einseitige Uebertragungen:
a. freiwillige,
b. zwangsweise auferlegte.
II. Doppelseitige Uebertragungen:
a. Zug um Zug erfolgende Uebertragungen von Sachgütern
gegen Sachgüter,
b. Hingabe von Sachgütern gegen Nutzungen und Dienst-
leistungen,
c. Hingabe von Sachgütern gegen bereits vorhandene For-
derungen,
d. Hingabe von Sachgütern gegen Forderungen, die durch
diesen Verkehrs Vorgang erst existent werden,
in, Erfüllung von aus einseitigen oder doppelseitigen Uebertragungen
hervorgegangenen Verpflichtungen.
§ 3. Tausch, Zahlnngr und Eapitalübertragnng.
Bei der Darstellung der Verkehrsvorgänge im vorigen Paragraphen
kam es lediglich darauf an, die sich im interpersonalen Verkehr voll-
ziehenden Uebertragungen nach den wesentlichsten unterscheidenden
Merkmalen in einige große Gruppen einzuteilen. Es ist dabei, da es
auf die Begriffe und nicht auf die Bezeichnungen ankommt und da
die Begriffe erst festgestellt werden müssen, ehe über die Termino-
logie entschieden werden kann, nach Möglichkeit von der Anwendung
solcher Bezeichnungen abgesehen worden, über deren Bedeutung ein
allgemeines Einverständnis nicht besteht.
Die durch das Geld vermittelten Verkehrsvorgänge werden in
der Regel unterschieden in „Tausch", der durch die Dazwischenkunft
des Geldes zum „Kauf" und „Verkauf" wird, und „Zahlung"; gerade
über den Inhalt dieser Bezeichnungen ist eine vollständige Ueberein-
stimmung nicht vorhanden. Es wurde deshalb bei den vorstehenden
2. Kapitel. Die Verkehraobjekte nnd Verkehrsvorgänge. § 3. 279
Ausführungen manchmal, wo es nahe gelegen hätte, von „Tausch" zu
sprechen, das umständlichere Wort „doppelseitige Uebertragung", und
wo es nahe gelegen hätte, das Wort „Zahlung" anzuwenden, die Be-
zeichnung „einseitige Uebertragung'' gebraucht.
Da nun unter den einzelnen Funktionen des Geldes meist die-
jenigen als allgemeines Tauschmittel und als allgemeines Zahlungs-
mittel aufgezählt werden, erscheint es angebracht, vor der Erörterung
der Einzelfunktionen des Geldes die Begriffe Tausch und Zahlung
klarzustellen.
Im gewöhnlichen Sprachgebrauche bezeichnet man jede Ueber-
tragung einer Geldsumme als Zahlung; das Wort „Zahlung" bedeutet
ursprünglich nichts anderes als das Vorzählen von Geldstücken
(nnmeratio). In diesem allgemeinen Sinne findet eine Zahlung auch
dann regelmäßig statt, wenn ein Tausch durch das Geld vermittelt
wird. Wer seine Waren gegen Geld hingibt, um mit dem erhaltenen
Gelde eine andere Ware, auf die sich sein Bedarf richtet, zu erwerben,
empfängt und leistet eine Zahlung; er empfängt eine Zahlung als Ver-
käufer der ihm ursprünglich gehörenden Ware, und er leistet eine
Zahlung als Käufer der von ihm benötigten Ware. In diesem allge-
meinen Sinne stellt sich also die Zahlung als ein Teil des durch Geld
▼ermittelten Tausches dar.
Daß aber die Zahlung im allgemeinen Sinne mehr ist als
die eine Seite des durch Geld vermittelten Tausches ergibt sich
daraus, daß eine große Reihe von Zahlungen stattfindet, ohne daß
dabei ein Tausch in Frage kommt. Ueberall, wo eine einseitige Ueber-
tragung in Geld bewirkt wird, greift zwar eine Zahlung, aber kein
Tausch Platz.
Nun hat man innerhalb des weiteren Begriffs der Zahlung, der
alle in Geld erfolgenden Uebertragungen umfaßt, einen engeren Begriff
der Zahlung konstruiert, der die in Geld bestehende Leistung beim
Tausche nicht einbegreift, und in diesem Sinne hat man zwischen der
Tauschmittelfunktion und der Zahlungsmittelfunktion des Geldes unter-
schieden. Zahlung im engeren Sinne wäre demnach jede in Geld be-
stehende Leistung, die nicht auf einen Tauschvorgang zurückzuführen ist^).
Es liegt nahe, anstelle dieser negativen Bestimmung des Be-
grifls der Zahlung im engeren Sinne, die ohnedies erst noch eine Fest-
stellung des Begriffes „Tausch" erfordert, eine Unterscheidung in der
Weise zu treffen, daß man das Wort Zahlung im engeren Sinne für
die einseitigen Uebertragungen (soweit sie in Geld bestehen) anwendet.
Aber eine solche Unterscheidung würde uns einmal in gewisse Kon-
flikte mit dem allgemeinen Sprachgebrauch bringen, und sie würde
außerdem in Anbetracht der Sonderstellung, welche die Erfüllung von
Forderungen unter den Verkehrsvorgäugen einnimmt, keineswegs durch-
greifend sein.
^) Leistungen, die nicht auf einen Tauschvorgaug zurückzuführen sind,
haben ~ ebenso wie der Tausch — bereits vor der Entstehung und dem Gebrauche
des Geldes statttrefunden und stattfinden müssen. Es fehlt uns nur ein zusammen-
fassendes Wort für diese in natura stattfindenden Leistungen, das sich zu dem
für die Geldwirtschaft angewendeten Worte Zahlung ebenso verhalten würde, wie
di« Bezeichnung Tausch au der Bezeichnung Kauf und Verkauf.
280 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld iu der Wirtschaftsordnung.
Soweit CS sich um eine doppelseitige Uebertragung- von Saeh-
gUtern handelt, die sieh Zug um Zug vollzieht (Fall IIa der oben ge-
gebenen Klassiliziernng), kann die Bezeichnung Tausch und, wenn
eine der beiden Leistungen in Geld besteht, die Bezeichnung Kauf
und Verkauf keiner Einwendung begegnen. Das gilt auch von den
Verabredangen über die in einem zukünftigen Zeitpunkte zu bewirkende
doppelseitige Uebertragung von SachgUtern, von den Lieferungsverträgeu
und den Termingeschäften, bei denen mau von Kauf und Verkauf auf
Zeit spricht.
Anders dagegen steht es bereits, wenn Nutzungen und Dienst-
leistungen in eine doppelseitige Uebertragung eintreten (Fall Hb).
Wenn die Nutzung an einem Grundstücke, einem Gebäude, einem
Kleidungsstücke für bestimmte Zeit gegen eine in Geld bestehende
Gegenleistung übertragen wird, wenn ferner ein Arbeiter gegen Geld-
lohn sich in den Dienst eines Unternehmers stellt oder wenn eine
Transportanternehmung für einen verabredeten Geldbetrag für einen
Dritten Speditionsgeschäfte usw. besorgt, so spricht man in allen diesen
Fällen nicht von Tausch oder von Kauf und Verkauf von Nutzungen
und Dienstleistungen. Dem Tausch- bzw. Kauf- Verkaufsvertrage wird
vielmehr der Pacht-, Miet- und Leihvertrag, der Werkvertrag und
Dienstvertrag nicht nur im gewöhnlichen Sprachgebrauche, sondern
auch in der Terminologie der Volkswirtschaftslehre und Rechtswissen-
schaft zur Seite gestellt. Immerhin liegt zwischen diesen Verkehrs-
vorgängen und dem Austausche von Sachgütern eine so nahe Ver-
wandtschaft vor, daß man im übertragenen Sinne vom Kauf oder Ver-
kauf von Nutzungen und Leistungen spricht. Schon der alte Gajus
hat ausgeführt (L. 2 Dig. XIX. 2): „Pacht und Miete ist dem Kauf-
Verkauf ganz nahestehend und denselben Rechtsregeln unterworfen.
Wie ein Kauf zustande kommt, indem ein Preis (pretium) stipuliert
wird, so Pacht und Miete, indem ein Pacht- und Mietzins (merces) ver-
einbart ist; ja manchmal wird es ganz zweifelhaft, ob ein Vorgang
Kauf, Pacht oder Miete ist."
Unbedenklich angewendet werden die Bezeichnungen Kauf und
Verkauf inbezug auf die entgeltliche Uebertragung von Forderungen,
mindestens soweit die Forderungen in Urkunden und Dokumenten, die
wie Sachgüter von Hand zu Hand gehen können, verkörpert sind.
Man spricht von Ankauf und Verkauf von Staatsschuldverschreibungen,
von Pfandbriefen, von H3'potheken, von Wechseln usf., jedoch nur,
soweit es sich um die Uebertragung bereits bestehender Forderungen
handelt (Fall II c), nicht aber soweit die Entstehung und Erfüllung
solcher Forderungen in Frage kommt (Fall II d und Fall III).
Letzteres wird sich klar ergeben aus der Betrachtung derjenigen
Verkehrsvorgänge, bei denen die Leistung in der Gegenwart bewirkt
wird, während die Gegenleistung für einen zukünftigen Zeitpunkt
ausbedungen ist. Wir ziehen auch hier nur die beiden einfachsten
Fälle in Betracht, den Verkauf auf Kredit und das Darlehen.
Wenn in der Gegenwart ein nicht Geld darstellendes Verkehrs-
objekt hingegeben wird gegen eine in der Zukunft zu leistende Geldsumme,
so läßt sich dieser Vorgang als ein Tausch des betreffenden Verkehrs-
2. Kapitel. Die Verkehrsobjekte und Verkehrsvorgänge. § 3. 281
Objekts gegen eine Geldforderung auffassen. Dem Sprachgebrauch, der
einen solchen Verkehrsvorgang als Kauf und Verkauf bezeichnet, ent-
spricht es jedoch besser, die in Rede stehende Uebertragung aufzulösen
in einen gewöhnlichen Verkaufsakt und ein Darlehen. Das Getreide
oder die Baumwolle wird verkauft gegen ein bestimmtes Geldquantum;
wenn nun dieses Geldquantum nicht sofort in die Hände des Verkäufers
Übergeht, sondern dem Käufer bis zu einem bestimmten Zeitpunkte
gestundet wird, so ist das daraus entstehende Verhältnis zwischen den
beteiligten Personen genau dasselbe, wie wenn A an B anstatt der
bezeichneten Waren die als deren Gegenwert festgesetzte Geldsumme
gegen die Verpflichtung der Rückerstattung übertragen hätte.
Wie steht es aber in dem Falle des Darlehens selbst?
Man hat gesagt, das Darlehen sei „ein wahrer Tausch gegen-
wärtiger gegen zukünftige Güter" (v, Böhm-Bawerk); aber gegen
diese Auffassung ist eingewendet worden, von Tauschvorgängen könne
nur in dem Sinne gesprochen werden, daß verschiedenartige
Güter gegeben und genommen werden, eine verschiedene Güterart könne
jedoch bei zwei — jetzt und später gegebenen — Geldsummen nicht
anerkannt werden (Knies).
In der Tat ist der normale, sich Zug um Zug vollziehende Tausch
nur insoweit denkbar, als verschiedenartige Verkehrsobjekte gegeben
nnd genommen werden; denn die Verschiedenartigkeit der Verkehrs-
objekte einerseits, der Bedürfnisse der beteiligten Personen andererseits
ist ja die einzige Veranlassung für einen solchen Tauschvorgang.
Wenn nun beim Darlehen in einer für beide Parteien durchaus zweck-
mäßigen und erwünschten Weise die zukünftige Gegenleistung in
derselben Art von Sachgütern ausbedungen wird, aus der die gegen-
wärtige Leistung besteht, so muß anerkannt werden, daß offenbar durch
das rein zeitliche Auseinanderfallen von Leistung und Gegenleistung
das Wesen und die wirtschaftliche Bedeutung dieses Aktes gegenüber
dem Tausche erheblich verändert wird.
Der bezeichnete Einwand könnte entkräftet w^erden, wenn mau
das Darlehen als die Hingabe von Geld gegen eine Forderung be-
zeichnet. Nunmehr liegt eine Verschiedenartigkeit der beiden Ver-
kehrsobjekte vor (Geld und Geldforderung). Trotzdem lehnt sich der
Sprachgebrauch gegen die Bezeichnung eines Darlehens als Tausch-
geschäft, bzw. als Kauf oder Verkauf einer Forderung auf. So an-
standslos man von Verkauf von Forderungen, z. B. von Schatz-
anweisnngen, Wechseln und Hypotheken, spricht, wenn diese Forderungen
bereits vor dem betreflfenden Verkehrsvorgange vorhanden sind, so wenig
will die Bezeichnung Kauf und Verkauf für einen Verkehrsvorgang
passen, durch den eine vorher nicht bestehende Forderung überhaupt
erst in Erscheinung tritt.
Mit einer womöglich noch stärkeren Auflehnung des Sprach-
gebrauchs haben wir es zu tun, wenn wir den zweiten in der Zukunft
liegenden Verkehrsvorgang eines auf Kredit beruhenden Geschäftes
— sei es eines Verkaufs auf Kredit oder eines Darlehens — , nämlich
die Erfüllung einer freiwillig kontrahierten Verpflichtung (Fall HI),
auf einen Tausch zurückführen wo41en. Man könnte zur Not der Hin-
:>82 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld iu der Wirtschafts Ordnung.
gäbe der Geldsumme, auf welche die Forderung lautet, die lillckgabe
der Forderung selbst gegenüberstellen und so abermals einen Austausch
zwischen einer Forderung und einem Sachgute oder, da das Sachgut
in den vorliegenden Fällen Geld ist, den Rückkauf einer Forderung
künstlich konstruieren. Man spricht auch in der Tat vom Rückkauf
einer Forderung, aber bezeichnender Weise nur dann, wenn die
Zurückerwerbung seitens des aus der Forderung Verpflichteten vor
dem Fälligkeitstermine der Forderung erfolgt, wenn es sich dabei also
um einen freiwilligen, durch den Inhalt der Forderung nicht erzwungenen
Akt handelt. Dagegen wird niemand die Einlösung eines fälligen
Wechsels, die Einlösung einer jederzeit fälligen Banknote, die Aus-
zahlung eines fälligen Depositums oder die Entrichtung fällig gewordener
Zinsen als eine doppelseitige Uebertragung bezeichnen, bei welcher der
zur Zahlung Verpflichtete eine Forderung an sich selbst ankauft. Das
Moment des Zwangs, der bindenden Verpflichtung unterscheidet alle
derartigen Leistungen scharf von den auf freiwilliger Vereinbarung der
beiden Parteien beruhenden Verkehrsvorgängeu, für die im allgemeinen
die Bezeichnung Tausch oder Kauf und Verkauf angewendet wird.
Dagegen wird gerade für die Erfüllung von Verbindlichkeiten, soweit
diese in Geld bestehen oder soweit die Erfüllung ursprünglich nicht
auf Geld lautender Verpflichtungen schließlich iu Geld erfolgt, das Wort
Zahlung in ganz besonders prägnantem Sinne angewendet, sodaß
„Zahlung" im allerengsten Sinne, namentlich im juristischen Sinne
genommen, gleichbedeutend gesetzt wird mit der „Erfüllung" („solutio")
von Verbindlichkeiten.
Demnach ist die Bezeichnung Tausch anwendbar auf folgende
Fälle des oben gegebenen Schemas:
II a. die Zug um Zug erfolgende doppelseitige Uebertragung von
Sachgütern gegen Sachgüter;
II b. die Hergabe von Sachgütern gegen Nutzungen und Dienst-
leistungen;
11 c. die Hergabe von Sachgütern gegen bereits bestehende
Forderungen.
Unter den Begriff der Zahlung würden alle übrigen Verkehrs-
vorgänge, soweit sie durch Geld vermittelt werden, einzurechnen sein.
Faßt man jedoch den Begriff der Zahlung in dem oben ange-
deuteten engsten Sinne, als Erfüllung von Forderungen in Geld, so
würden sich als „Zahlung" nur charakterisieren die Fälle:
I b. zwangsweise auferlegte einseitige Uebertragungen und
III. Erfüllung von aus doppelseitigen Uebertragungen hervor-
gegangenen Verpflichtungen.
Weder unter die Bezeichnung Tausch, noch unter die Bezeichnung
Zahlung (im engeren Sinne) würden mithin gehören die Fälle:
I a. Freiwillige einseitige Uebertragungen,
II d. Hingabe von Sachgütern gegen Forderungen, die durch den
N'erkehrsvorgang selbst erst existent werden.
Der wichtigste Spezialfall von II d ist das Darlehen; den Verkauf
auf Kredit haben wir in einen Zug um Zug erfolgenden Verkauf und
ein Darlehen aufgelöst.
3. Kapitel. Die Einzelfunktionen des Geldes. § 1. 283
Wir bezeichnen die Fälle I a oud II d, die weder einen Tausch
noch eine Zahlung im engeren Sinne darstellen, als „KapitalUber-
tragungen", worüber das nähere weiter unten auszuführen sein wird.
3. Kapitel. Die Einzelfunktionen des Geldes.
§ 1. Aufzählung- der Funktionen des Geldes.
Die Analyse der Verkehrsvorgänge bietet die natürliche Ueber-
leitung von der Feststellung der Grundfunktion zu einer Betrachtung
der Einzelfunktionen des Geldes. Letztere müssen entweder von der
Art sein, daß sich die Grundfunktion in sie auflösen läßt, und zwar
genau entsprechend der im vorhergehenden Kapitel vorgenommenen
Auflösung des Gesamtkomplexes des interpersonalen Verkehrs in die
einzelnen Verkehrsvorgänge; oder, soweit dies nicht der Fall ist, müssen
sich die Einzelfuuktionen von der Grundfunktion als Konsekutivfuuktionen
ableiten oder zu der Grundfunktion als akzidentielle Funktionen in eine
mehr beiläufige und zufällige Beziehung setzen lassen.
An solchen Einzelfunktionen werden in Lehrbüchern und Abhand-
lungen über das Geld meist folgende aufgezählt:
die Funktion als allgemeines Tauschmittel;
die Funktion als allgemeines Zahlungsmittel;
die Funktion als allgemeines Wertmaß;
die Funktion als Wertträger durch Zeit und Raum (Wertbewahrungs-
und Werttransportmittel).
Dazu wird von einigen als besondere Funktion noch diejenige
als Vermittler des Kapitalverkehrs hinzugefügt.
Wenn wir einen Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung
des Geldes werfen, dann tritt aus den aufgeführten Funktionen des
Geldes die Funktion als allgemeines Tauschmittel am meisten hervor.
Wir haben gesehen, wie die Entstehung des Geldes in erster Linie zu
erklären ist aus der Notwendigkeit, die großen, sich mit der Erweiterung
des Kreises der tauschbaren Güter fortgesetzt steigernden Schwierig-
keiten des direkten Austausches zu überwinden. Die Funktion als
allgemeines Tauschraittel erscheint infolgedessen als die historisch primäre
Funktion des Geldes. Auch unter den Verhältnissen unserer modernen
Wirtschaftsverhältnisse springt unter den Funktionen des Geldes die
Vermittlung des Güteraustausches so sehr in die Augen, daß sie vielfach
nicht nur als die wesentlichste, sondern sogar als die einzige wesent-
liche Funktion des Geldes angesehen wird, der gegenüber sich die
übrigen als bloße Konsekutivfunktionen oder akzidentielle Funktionen
darstellen. Namentlich Menger vertritt diese Ansicht. Er schreibt:
„Der ursprüngliche und der allen Entwicklungsstufen des Geldes
gemeinsame Begriff desselben ist der eines allgemein gebräuchlich
gewordenen Tauschmittels. Alle Begriffsbestimmungen des Geldes,
welche die dem Geldo entwickelter Kulturvölker eigentümlichen Funk-
tionen dem Gelde als solchem zuschreiben, im wesentlichen nichts
anderes als eine Zusammenfassung aller aus der Beobachtung des Geldes
der modernen Kulturvölker sich ergebenden Funktionen (auch der bloßen
Konsekutivfunktioneu der Tauschraittelfunktiou) des Geldes sind, müssen
2S4 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
demnach als irrig, im allgemeinen auch als geschichtswidrig zurück-
gewiesen ^Yerdeu. Sollen die Konsekutivfunktionen und die sonstigen
gebräuchlichen Beuutzungsarten des Geldes mit Rücksicht auf ihre hohe
praktische Wichtigkeit der Begritt'sbestimmung des Geldes beigefügt
werden, so muß das in einer ihren konsekutiven bzw. ihren akzidentiellen
Charakter kennzeichnenden Weise geschehen. ^Geld" ist jedes Verkehrs-
objekt, welches als allgemein gebräuchliches Tauschmittel und infolge dieses
Unistandes aller Kegel nach auch als Maßstab des Tauschverkehrs
funktioniert, Funktionen, mit denen sich auch regelmäßig die eines
.Mittels für einseitige und subsidiäre vermögensrechtliche Leistungen,
eines Vermittlers des Kapitalverkehrs, falls der Geldstoff hierzu geeignet
ist, auch die eines Thesaurierungsmittels verbinden"^).
M e n g e r hat Recht, soweit er die Versuche zurückweist, den
Begriff des Geldes zu definieren durch eine Aufzählung aller einzelnen
Funktionen, die das Geld erfüllt oder erfüllen kann; dagegen hält
seine Auffassung, die allein der Tauschmittelfunktion die Wesentlichkeit
zuerkennt, nicht Stich, wenn wir sie aufgrund der oben gegebenen
Analyse der Verkehrsvorgänge prüfen.
Von den der Vermittlung durch das Geld zugänglichen Verkehrs-
vorgängen sind diejenigen, die sich als Tausch bezeichnen lassen, nur
eine besondere Kategorie. Die Tanschraittelfunktion des Geldes kann
^) Artikel „Geld" im Handwörterbucli der Staatswissenschaften, 2. Aufl. Bd. IV,
S. 100. — In der 3. Auflage des „Handwörterbuchs", die während der Drucklegung
der 2, Auflage dieses Werkes erschienen ist, hat Menger den Abschnitt „Aus den
Funktionen sich ergebender Begriff des Geldes" in einer Weise umgearbeitet, die
sich in manchen Punkten der Auffassung des Verfassers annähert. Die oben zitierte
Stelle kehrt in diesem Wortlaute nicht wieder, sondern ist im wesentlichen durch
folgende Ausführungen ersetzt, die jedoch in dem hier entscheidenden Punkte, der
ausschließlichen Anerkennung der Tauschmittelfunktion als begriffswesentlich, an
der früheren Auffassung Mengers festhält (Bd. IV, S, 598ff.).
„Mag ein Gut welcher Art immer, eine bisher dem Konsum oder der tech-
nischen Produktion dienende Ware, ein Rohstoff oder ein Kunstprodukt, ein durch
die Wage zuzumessendes Metall oder eine zirkulationsfähige Urkunde sein, — das-
selbe wird zum Gelde, sobald und insoweit es in der geschichtlichen Entwicklung
des Güterverkehrs eines Volkes die Funktion eines allgemeingebräuchlichen Tausch-
vermittlers (bzw. die Konsekutivfunktion des letzteren) tatsächlich übernimmt und
hierdurch diejenige eigenartige Stellung im Verkehre und in der Volkswirtschaft gewinnt,
vermöge welcher es, als ein den Güteraustausch vermittelndes Verkehrs-
gut, in Gegensatz zu allen übrigen Objekten des Verkehrs tritt, deren Aus-
tausch es vermittelt . . . Was das Geld von allen übrigen Marktgütern unter-
scheidet . . . und somit seinen allgemeinen Begriff bestimmt, ist seine Funktion
als allgemein gebräuchlicher Vermittler des Güteraustausches. Alle übrigen Merk-
male, die wir nur an bestimmten Erscheinungsformen des Geldes oder gar nur am
Gelde bestimmter Kulturstufen beobachten können (die Konsekutivfnnktionen der
Tauschvermittlerfunktion des Geldes!), sind nur Erscheinungen der Entwicklung
und Ausgestaltung des Geldes (bzw. akzidentielle Merkmale desselben), die indes
nicht zu seinem allgemeinen, seinem Wesensbegriffe gehören."
Der Menger'schen Auffassung ist unter den neueren Geldtheoretiker v. Mises
(Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, München und Leipzig, 1912) im wesent-
lichen gefolgt. Er sieht in dem Geldo das „allgemein gebräuchliche Tauschmittel",
das „den Austausch von Gütern und Dienstleistungen vermittelnde Verkehrsgut",
dessen Hauptaufgabe die „Vermittlung des indirekten Tausches" ist. Auf diese
Funktion führt v. Mises alle übrigen Funktionen des Geldes (als Vermittler des
Kapitalverkehrs, als Wertträger, Werttransportmittel, allgemeines Zahlungsmittel,^
Mittel für einseitige und subsidiäre Leistungen) zurück.
3. Kapitel. Die Eiuzelfunktidnen des Geldes. § 2. 285
also nur einen Teil der Grundfunktiou des Geldes, Instrument des
interpersonalen Verkehrs zu sein, ausmachen; sie kann nur eine
Teilfunktiou sein, der andere Teilfunktionen koordiniert zur Seite stehen.
Die nicht als Tausch anzusehenden Verkehrsvorgänge haben wir,
soweit sie durch das Geld vermittelt werden, in Zahlunpeu und
Kapitalübertragungen unterschieden.
Daraus ergibt sich, daß wir als koordinierte Teilfunktion neben
der Tauschmittelfunktion die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel
und als Mittel der Kapitalübertragung ansehen müssen. In jeder der
drei Teilfunktionen wirkt das Geld als Instrument des interpersonalen
Verkehrs, und andererseits erschöpft sich diese in der Stellung des
Geldes innerhalb des verkehrswirtschaftlichen Organismus gegebene
Grundfunktion in den drei genannten Teilfunktionen.
Außerhalb bleiben also von den in der Regel aufgeführten Einzel-
funktionen des Geldes die Funktion als Wertmaß und die Funktion
als Wertträger durch Zeit und Raum. Das Verhältnis dieser beiden
Einzelfunktionen zu der Grundfunktion läßt sich nur durch eine beson-
dere Betrachtung des Wesens dieser Einzelfunktionen ermitteln. Wir
lassen diese Frage zunächst offen und wenden uns zu der näheren
Untersuchung der einzelnen Teilfunktionen.
§ 2. Die Funktion als allgemeines Tanschmittel.
Es sei zunächst wiederholt, daß wir es beim Tausche mit einer
doppelseitigen und Zug um Zug erfolgenden Vermögensübertragung
zu tun haben, bei der ein Wert gegen einen anderen gegeben wird,
die aber insofern einen einheitlichen und in sich geschlossenen Vor-
gang darstellt, als der erstrebte Zweck mit dem einmaligen Austausche
zweier Verkehrsobjekte erfüllt ist.
Der einheitliche Vorgang des Tausches wird nun durch die Da-
zwischenkunft des Geldes in zwei getrennte und relativ selbständige
Aktionen zerlegt, in einen Verkauf und einen Kauf. Wenn beim
Tausche z, B. Schuhe unmittelbar gegen Brot hingegeben werden, so
werden nach der Dazwischenkunft des Geldes die Schuhe zunächst
gegen Geld hingegeben und dann das Geld gegen Brot.
Die eminenten Vorteile, welche aus dieser scheinbaren Kompli-
kation eines einfachen Vorgangs für die Volkswirtschaft erwachsen,
sind bereits im historischen Teile dargestellt worden. Es erübrigt
deshalb an dieser Stelle nur eine kurze Rekapitulation und systema-
tische Zusammenfassung.
Die Vorteile des Gebrauches eines allgemeinen Tauschmittels be-
stehen in der Ueberwindung der dem naturalen Austausche entgegen-
stehenden Hindernisse. Diese sind in der Hauptsache folgende:
1. Nur selten werden sich zwei Leute tretfen, von denen jeder im
Wege des Austausches gerade das Gut abgeben will, das der andere
zu erwerben wünscht; z. B. ein Nagelschmied, der Brot braucht, einen
Bäcker der Nägel nötig hat.
2. Noch viel seltener wird das Gut, das der eine abzugeben hat.
im Werte ungefiibr dem Gute entsprechen, das er dafür von einem
anderen erwerben möchte ; wer z, B. Brot braucht und einen kostbaren
286 Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
Stein abzugeben hat, kann, selbst wenn er einen Bäcker findet, der
bereit ist, den Edelstein gegen Brot zu erwerben, nicht so viel Brot
brauchen, wie der Stein wert ist.
Diese Schwierigkeiten müssen um so größer werden, je mehr die
Arbeitsteilung fortschreitet, je mehr sich die Tätigkeit der einzelnen
wirtschaftenden Individuen und Gruppen spezialisiert, je zahlreicher
und verschiedenartiger die Verkehrsgüter werden; richtiger ausgedrückt:
ohne eine Beseitigung dieser dem Güteraustausche entgegenstehenden
Schwierigkeiten wäre auf Grundlage des Privateigentums und der
wirtschaftlichen Selbständigkeit der Individuen eine über die rohesten
Anfänge hinausgehende Arbeitsteilung und eine ergiebigere Gestaltung
der Produktion überhaupt nicht denkbar. Die Produktion konnte zu
der Ergiebigkeit, zu der sie durch die arbeitsteilige Organisation und
durch die nur aufgrund einer arbeitsteiligen Organisation möglichen
technischen Fortschritte gekommen ist, nur dadurch gesteigert werden,
daß sie von der Bücksicht auf den Konsumbedarf des produzierenden
Individuums befreit wurde, daß für sie immer mehr der Bedarf größerer
Gesamtheiten in Betracht kam, der für eine rationelle Ausgestaltung
des Produktionsprozesses nach dessen eignen Gesetzen freien Spielraum
ließ. Die unmittelbarste Bindung der Produktion an den Konsum-
bedarf ist gegeben im Zustande der isolierten, verkehrslosen Eigen-
wirtschaft, wo jedes Individuum, jede kleine Gruppe nur für den eignen
Verbrauch produziert. Gegenüber diesem Zustande bedeutet bereits der
primitive und unmittelbare Tauschverkehr eine gewisse Befreiung der
Produktion von den Fesseln des individuellen Bedarfs. Aber solange
sich noch kein Tauschmittel in diesen Verkehr eingeschoben hatte,
wurde die Richtung der produktiven Arbeit notwendig bestimmt, —
zwar nicht mehr ausschließlich durch die Rücksicht auf den eignen
Bedarf, aber doch durch die Rücksicht auf den individuellen Bedarf
des eng begrenzten Kreises von Personen, auf die man zur Beschaffung
der zur Befriedigung des eignen Bedarfs dienenden Güter unmittelbar
angewiesen war.
Erst das Geld als allgemeines Tauschmittel hat diese Bindung
vollkommen gelöst; es hat durch die Zerlegung des einheitlichen
Tausches in einen Verkauf- und einen Kaufvorgang, durch diese schein-
bare Komplikation, den wirtschaftlichen Verkehr zwischen den einzelnen
Gliedern der Volkswirtschaft ganz außerordentlich vereinfacht und
erleichtert, indem es das wirtschaftende Individuum instand setzte,
die benötigten Bedarfsgüter von anderen als den Abnehmern der eignen
Erzeugnisse zu beziehen. Wenn in dem oben erwähnten Falle der
Nagelschmied Brot braucht, dann ist er, sobald in dem Gelde ein all-
gemeines Tauschmittel vorhanden ist, nicht mehr auf die Bäcker, als
die Erzeuger von Brot, auch als Abnehmer für seine Nägel angewiesen;
er kann diese vielmehr an irgend eine beliebige Person verkaufen,
die imstande ist, ihm den Gegenwert in dem allgemeinen Tausch-
mittel zu erstatten. Derjenige, der sich eines kostbaren Steines gegen
andere Dinge entäußern will, ist nicht mehr genötigt, den ganzen
Gegenwert in den Erzeugnissen seines Abnehmers in einem den eignen
Bedarf weit überschreitenden Umfange anzunehmen ; er kann vielmehr
3. Kapitel. Die Einzelfunktionen des Geldes. § 2. 287
mit dem Gelde, das er erlöst, taasenderlei verschiedenartige Dinge
von tausend verschiedenen Personen erwerben ; er kann ferner das
erlöste Geld zu Zahlungen irgendwelcher Art und zur Gewährung voq
Darlehen verwenden.
Durch diese weitgehende Aufhebung der Bindung zwischen indivi-
dueller Produktion und individuellem Bedarf wird der nötige Spielraum
für eine zweckmäßige Ausgestaltung des Produktionsprozesses geschaffen.
Die Bedeutung des Bedarfs für die Produktion wird auf die ganz all-
gemeine Beziehung reduziert, daß überhaupt innerhalb des durch wirt-
schaftlichen Verkehr verbundenen Kreises ein entsprechender Bedarf für
die zu produzierenden Güter vorhanden sein muß ; und dieser Kreis
wird um so größer, mithin die Befreiung der Produktion von den
Individualverhältnissen des Bedarfs um so wirksamer, je dichter die
Bevölkerung sieh im Räume zusammendrängt und je mehr durch Ver-
besserungen der Transportmittel der trennende Raum überwunden wird.
Das Geld hat die Produktion von den Fesseln, in die ihre Entwicklung
durch die Bindung an den individuellen Bedarf geschlagen war,
ebenso befreit, wie die Verbesserung der Transportmittel die Pro-
duktion von der Gebundenheit an den lokalen Bedarf befreit hat.
"Wie infolge der Erleichterung und Verbilligung des Transports die
Produktion instand gesetzt wurde, in jedem einzelnen ihrer mannig-
faltigen Zweige die Orte der günstigsten Produktionsbediugungen auf-
zusuchen, wie dadurch eine garnicht abzuschätzende Steigerung der
Produktivität der Arbeit bewirkt worden ist, so hat es das Geld mög-
lich gemacht, die Produktion in den einzelnen Zweigen ohne Rücksicht
auf den Bedarf der an ihr beteiligten Individuen zu organisieren ; und
dabei war die durch das Geld bewirkte Lösung der Produktion vom
individuellen Bedarf die erste Voraussetzung für die durch die Traus-
portmittel bewirkte Lösung der Produktion vom Orte des Konsums.
Die Befreiung der Produktion durch das Geld tritt nach zwei
Richtungen hin zutage: einmal können die produzierenden Individuen
und Unternehmungen innerhalb des Gesamtbedarfs der Wirtschafts-
gemeinschaft ihre besonderen Kräfte und Fähigkeiten in besonderen
Produktionszweigen ausnutzen, ohne durch die Rücksicht auf die Art
ihres eignen Güterbedarfs oder des Güterbedarfs einer bestimmten und
beschränkten Gruppe von Individuen gebunden zu sein; jeder, der
irgend eine Spezialität auf den Markt bringt, hat, sofern er mit seinem
Angebote nur innerhalb des Gesamtbedarfs bleibt, durch das Geld die
Sicherheit, seinen individuellen Bedürfnissen genügen zu können; jeder
kann infolgedessen seine Aufmerksamkeit auf die möglichste Vervoll-
kommnung seiner eignen Spezialproduktion konzentrieren, ohne sich
durch die Frage der Deckung der eignen individuellen Bedürfnisse ab-
lenken zu lassen. Selbst für Zwischenprodukte, die keinem Konsuru-
bedarfe unmittelbar genügen können, ist die Möglichkeit des Absatzes
gegen Geld, mit dem jederzeit die notwendigen Bedarfsartikel beschafft
werden können, gegeben; dadurch wird es dem Einzelnen möglich ge-
macht, sich einer Teiloperation innerhalb des Prozesses der Produktion
einer einzelnen Ware zu widmen. Gerade dadurch, daß vermittelst
des Geldes das Individuum aus jedem Zwischeustadium der Produktioi)
2SS Zweites Buch. I. Abschnitt. Das Geld in der Wirtschaftsordnung.
heraus sofort zu seinem Endzwecke, der eignen Bedarfsbefriedigung,
gelangen kann, ^Yird die im Produktionsiuteresse gelegene Zerspaltung
des Produktionsprozesses in einzelne Stadien und die Verteilung der
einzelnen Stadien auf verschiedene selbständige Unternehmungen möglich.
Wie die Spezialisierung der Produktion, so wird durch das Geld
auch die Organisation der Produktion in der auf Privateigentum nud
Selbstbestimmungsrecht der Individuen begründeten Wirtschaftsordnung;
möglich gemacht. Das Geld allein gestattet, Kapitalien und mensch-
liche Arbeitskräfte zu einem einheitlichen Produktionszwecke, dessen
iiesultat an sich keine Repartierung zuläßt, zusammenzufassen. Da-
durch daß die an sich unteilbaren Erzeugnisse kombinierter Kapitalien
und Arbeitskräfte gegen Geld, das die exakteste Zerlegung in kleine
und große Wertbruchteile zuläßt, veräußert werden, wird es möglich,
Kapitalien und Arbeitskräfte entsprechend ihrer Mitwirkung an dem
gemeinsamen Produktionswerke zu entlohnen; und erst durch diese
Möglichkeit ist der Boden geschaffen für das wirksame Organ der
GUtererzeugung, das wir als „Unternehmung" bezeichnen.
Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung beruhen mithin in ihrer
Ausbreitung und Verfeinerung wesentlich auf der Voraussetzung des
Geldes in seiner Eigenschaft als Tauschmittel. Das Geld ermöglicht
auf diese Weise eine Zusammenfassung aller Kräfte zu den Zwecken
der Gesamtheit, wie sie sonst nur aufgrund der stärksten Herrschafts-
verhältnisse denkbar wäre. Freilich ist die durch den freien Austausch,
wie ihn das Geld ermöglicht, gegebene individuelle Freiheit nichts
weniger als eine absolute Unabhängigkeit; jeder Einzelne ist, je weiter
die Arbeitsteilung fortschreitet, um so mehr abhängig von den Anderen,
an die er verkaufen und von denen er kaufen muß, um leben zu
können; aber je mehr die Geldwirtschaft fortschreitet, je mehr alle
Waren gegen Geld verkauft und gekauft werden, desto weniger ist
der Einzelne von bestimmten Anderen abhängig; seine Abhängigkeit
bezieht sich vielmehr auf eine unbestimmte und unpersönliche Gesamt-
heit, auf den „Markt"; diese Gesamtheit gebietet ihm nicht mit der
strikten Schärfe eines persönlichen Willens, was er tun und nicht
tun soll; sie leitet ihn vielmehr, indem sie ihm anheim gibt, Erwägungen
über den eignen Vorteil anzustellen und danach seine Entschlüsse zu
treffen; und das wird als Freiheit empfunden. Andererseits ist die nicht
als Unfreiheit empfundene Abhängigkeit des Einzelnen von größeren
Gesamtheiten das wichtigste Prinzip, auf dem die gesellschaftliche
Kultur beruht. —
Der Gebrauch eines Tauschmittels muß, nachdem er infolge seiner
einleuchtenden Vorzüge sich in der Gewohnheit eingebürgert hat, aus
sich selbst heraus eine Erweiterung und Steigerung bis zu dem Punkte
erfahren, daß nicht mehr lediglich der durch die Erkenntnis des ökono-
mischen Vorteils bestimmte freie Wille die Benutzung des